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Economic Trend Briefing: Die Auswirkungen der reziproken Zölle auf die deutsche Wirtschaft

 

Die Weltwirtschaft ist in eine neue Phase globaler Handelskonflikte eingetreten. Der zunehmende Einsatz von Schutzzöllen hat weitreichende Auswirkungen, insbesondere auf exportorientierte Länder wie Deutschland. Die neue U.S. Handelspolitik konkretisiert sich nun in der Einführung von "Reziprozitätszöllen“, mit denen vermeintliche Diskriminierungen der US-Wirtschaft ausgeglichen werden sollen.

Die Folgen werden deutsche Unternehmen sehr stark betreffen: Deloitte-Berechnungen zeigen, dass deutsche Güterexporte in die USA vor dem Hintergrund der angekündigten US-Zölle in der mittleren Frist um durchschnittlich 25 Prozent – und damit um insgesamt 39 Milliarden Euro – zurückgehen könnten. Besonders hart getroffen werden absehbar der Maschinenbau sowie die Automobilindustrie. Wenn die momentan noch von den Zöllen ausgenommene Pharmaindustrie inkludiert werden sollte, stiege der Rückgang um sieben Milliarden auf 46 Milliarden Euro.


Zunehmender Protektionismus belastet die engen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und den USA

 

Für Deutschland sind die USA mit fast 160 Milliarden Euro der wichtigste Markt für deutsche Güterexporte und stehen für 10 Prozent der deutschen Gesamtexporte.¹ Auf der anderen Seite exportieren die USA in kein europäisches Land mehr als nach Deutschland. Über die vergangenen fünf Jahre verzeichnete das Handelsvolumen beider Länder einen stetigen Anstieg. Dabei erhöhte Deutschland seine Exporte in die USA jährlich um durchschnittlich 4,8 Prozent.²

Bislang lagen die durchschnittlichen Zölle der EU auf US-Produkte bei 4,8 Prozent, während sie in den USA für EU-Erzeugnisse 3,5 Prozent betrugen.³ Zölle auf US-Produkte waren damit tendenziell etwas höher und können für bestimmte Waren stark variieren. Die neuen, sogenannten „Reziprozitätszölle“ sollen nun dazu dienen, vermeintliche Diskriminierungen bei Zöllen sowie bei nicht-tarifären Handelshemmnissen wie Regulierungen auszugleichen.

Das ist der aktuelle Stand zum 3. April 2025, dessen konkrete Ausgestaltung noch einigen Unsicherheiten unterliegt:

  • Die USA werden rund 100 Ländern Zölle auferlegen.
  • Die Neuerungen umfassen einen Basistarifzollsatz von 10 Prozent auf alle Länder. Dieser Basistarif wird ab dem 5. April in Kraft treten, unabhängig von den Beziehungen der einzelnen Länder zu den USA.
  • Zusätzlich werden einigen Ländern zusätzliche, höhere Zölle auferlegt, die am 9. April in Kraft treten. Betroffen hiervon sind wichtige Handelspartner wie die Europäische Union, China, Japan und Taiwan.
  • Kanada und Mexiko unterliegen weiterhin dem Rahmen der früheren Exekutivanordnungen, welche Zölle von 25 Prozent verhängen.
  • Der bereits zuvor angekündigte Zoll in Höhe von 25 Prozent auf alle im Ausland hergestellten Automobile soll um Mitternacht am 3. April in Kraft treten.

 

Handelsanalyse: Drastischer Rückgang der deutschen Exporte von 46 Milliarden Euro zu erwarten



Das Handelsmodell von Deloitte Trade Foresight modelliert den Einfluss von Zolländerungen auf zukünftige Handelsströme auf volkswirtschaftlicher und Branchenebene. Gemäß der Modellierung werden die Zollerhöhungen absehbar drastische Auswirkungen auf den Handel zwischen den USA und Deutschland haben. Im Kern machen hohe Zölle importierte Güter teurer, was sowohl den Konsum dieser Güter als auch deren Produktion beeinflusst.

Da die EU mit einer höheren Zollbelastung von 20 Prozent auf alle Güter konfrontiert wird, erhöht sich der Preisaufschlag auf in die USA importierte EU-Güter erheblich. Die höheren Preise führen absehbar zu einer reduzierten Nachfrage in den USA und in der Folge zu reduzierten Exporten deutscher Unternehmen. Ein möglicher Exportrückgang könnte der deutschen Industrie Verluste von 39 Milliarden Euro bringen. Bei Zöllen auf die Pharmaindustrie könnte der Verlust auf 46 Milliarden Euro steigen.⁴

Im Detail könnte dieser Effekt über verschiedene Kanäle wirken:

  • Substitutions-Effekt: Angesichts der höheren Kosten könnten US-Konsumenten und Unternehmen sich dazu entscheiden, auf günstigere Alternativen zurückzugreifen. Diese könnten sowohl einheimische US-Produkte als auch importierte Produkte aus anderen Ländern mit niedrigeren Zöllen sein.
  • Kosten-Effekt: Die höheren Importkosten könnten dazu führen, dass US-Unternehmen, die deutsche Importe in ihren Produktionsprozessen nutzen, ihre Produktion einschränken oder anpassen. Sie könnten beispielsweise versuchen, alternative Lieferketten zu etablieren, die weniger von deutschen Importen abhängig sind.

 

Branchen sind unterschiedlich stark betroffen

 

Die angekündigten Zollmaßnahmen treffen die deutschen Industriebereiche in unterschiedlichem Maße. Besonders betroffen ist der Maschinenbau, dessen Exporte in die USA um 31 Prozent schrumpfen könnten. Damit ist ein Umsatzvolumen von 10 Milliarden Euro in Gefahr.

 

Abbildung 1: Entwicklung der deutschen Exporte in die USA bei den angekündigten Zöllen

Auch die Pharmabranche und der Chemiesektor verlören im Zuge der anstehenden Veränderungen jeweils fast ein Viertel ihrer Exporte. Im Falle des Pharmasektors würde ein Rückgang von 28 Prozent einer Verringerung der deutschen Pharmaexporte in die USA um 7 Milliarden Euro entsprechen. Aktuell scheint es, dass die Pharmaexporte von den angekündigten Zöllen noch ausgenommen sind. Die Unsicherheit über die mögliche künftige Einbeziehung erhöht allerdings die Komplexität für die strategische Planung in der Pharmaindustrie erheblich. Die Chemieindustrie sähe sich mit einem Rückgang von knapp 26 Prozent oder 2,9 Milliarden Euro konfrontiert, während die Elektrobranche Einbußen von 24 Prozent oder 3,7 Milliarden Euro verzeichnen würde. Deutsche Lebensmittel- und Getränkeexporte in die USA würden um 23% sinken, während die Textilindustrie mit einem Exportrückgang von 16% rechnen müsste.

Die bereits in der vergangenen Woche angekündigten Autozölle in Höhe von 25 Prozent würden nach den neuen Berechnungen zu einem Rückgang der deutschen Exporte in Höhe von 28 Prozent führen, was ein Umsatzminus von 9,5 Milliarden Euro⁵ bedeutet. Wenn die Effekte für die Automobilbranche im Vergleich zum Maschinenbau nicht ganz so heftig ausfallen würden, ist der Grund darin zu suchen, dass Autos zwar höher künftig bezollt werden, dies aber über alle Länder hinweg.

 

Fazit: Zunehmender Protektionismus erfordert von Unternehmen Anpassungsfähigkeit

 

In Anbetracht des aktuellen Trends zur protektionistischen Handelspolitik und dem verstärkten Einsatz von Zöllen sind Unternehmen aufgefordert, ihre Geschäftsstrategien anzupassen. Besonders diejenigen, die stark exportorientiert sind, müssen flexible Lösungen entwickeln, um den neuen Herausforderungen begegnen zu können. Die Fokussierung der Exporte auf alternative Märkte ist eine denkbare Strategie. In vorherigen Studien haben wir aufgezeigt, dass asiatische Märkte - unter anderem Japan, Südkorea, Indien, Indonesien und die Philippinen - beträchtliche Möglichkeiten und starke Exportwachstumschancen für die deutsche Wirtschaft bereithalten. Ebenso hat der europäische Binnenmarkt noch großes Potenzial für einen Ausbau des innereuropäischen Handels und eine Abfederung der zu erwartenden Verluste im US-Markt, wenn handelshemmende Regulierungen abgebaut werden. Jedoch erfordert die aktuelle Situation ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und strategischer Planung, um die Auswirkungen der Zölle minimieren zu können und weiterhin erfolgreich agieren zu können.

 

Anhang - Methodik Box: Deloitte Trade Foresight


Die Berechnungen basieren auf einem maßgeschneiderten Berechenbaren Allgemeinen Gleichgewichtsmodell basierend auf GTAP. Die GTAP-Datenbank beinhaltet Millionen von Datenpunkten, welche Details zur Produktion, zum Verbrauch und zum Handel einfangen. Insgesamt beinhaltet GTAP 160 Regionen & Länder, was 99 Prozent des weltweiten BIP und 96 Porzent der Weltbevölkerung repräsentiert. Das Modell unterteilt die wirtschaftliche Aktivität in 65 unterschiedliche Sektoren für jedes Land. Für die Analyse der 50 wichtigsten Länder wurden diese Sektoren weiter zu 24 Sektoren kondensiert.
Das GTAP-Modell basiert auf Daten aus dem Jahr 2017. Als erster Schritt wurde das Modell auf das Jahr 2023 aktualisiert, indem die BIP-Zahlen für alle Länder an das Jahr 2023 angepasst wurden. Diese BIP-Werte stammen von der Weltbank und Oxford Economics. Unter der Annahme der angekündigten Zölle wurden die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft entsprechend modelliert.
 

¹ Destatis (2025), Bedeutung der USA als Handelspartner Deutschlands hat zugenommen, abgerufen am 24.03.2025

2  OEC (2025), Germany-United States Trade, abgerufen am 24.03.2025

³ WTO (2025), Bilateral trade relations, abgerufen am 01.04.2025

⁴ Dabei muss beachtet werden, dass die in solchen Simulationen berechneten Anpassung an das neue wirtschaftliche Gleichgewicht drei bis vier Jahre dauern können.

⁵ Für PKW und LKW

⁶ Aguiar, A., Chepeliev, M., Corong, E. & van der Mensbrugghe, D. (2022). Die GTAP-Datenbank: Version 11. Journal of Global Economic Analysis, 7(2), 1-37, abgerufen am 01.04.2025

 


Ansprechpartner Research:

Dr. Timo Walter

Associate Manager | Economics

twalter@deloitte.de