Das digitale Zeitalter hat längst begonnen. Big Data, Robotik und Künstliche Intelligenz halten Einzug in den Alltag, Mensch und Maschine kommen näher zusammen. Das eröffnet faszinierende neue Möglichkeiten. Es wirft aber auch ethische Fragen auf. Auf der Suche nach Antworten spielen Unternehmen eine Schlüsselrolle. Durch digitale Produkte und Services erhalten sie immer mehr Zugriff auf unser Leben. Damit geht auch eine große Verantwortung einher. Mit Corporate Digital Responsibility werden Unternehmen dieser gerecht. Doch wie kann der Schritt zur digitalen Verantwortung gelingen?
Von Nicolai Andersen, Managing Partner, Deloitte Consulting
In einer digital geprägten Wirtschaft ist Corporate Digital Responsibility (CDR) eine zentrale Voraussetzung für den langfristigen Unternehmenserfolg. Das ergibt eine aktuelle Umfrage von Deloitte unter 200 Digitalexperten. 98 Prozent von ihnen messen CDR eine eher wichtige, wichtige oder sehr wichtige Bedeutung zu. Jedes zweite Unternehmen (54%) setzt sich nach eigener Einschätzung bereits intensiv oder sehr intensiv mit dem Thema auseinander. Angesichts der hohen Relevanz für den wirtschaftlichen Erfolg besteht bei den restlichen Unternehmen jedoch noch Nachholbedarf. Laden Sie hier die vollständige Studie herunter und erfahren Sie, was die Treiber und Hürden der digitalen Verantwortung sind, um den zukünftigen Unternehmenserfolg sicherzustellen.
Von der vernetzten Fitness-Uhr bis zum KI-Assistenten im Smart Home: Digitale Produkte und Dienstleistungen bescheren Verbrauchern ein bislang unerreichtes Level an Personalisierung und Komfort. Für Unternehmen eröffnen sie neue Geschäftsmodelle und Wachstumsoptionen. Doch zugleich fürchten immer mehr Menschen die mutmaßlichen Kehrseiten dieses atemberaubenden Fortschritts. Nehmen Roboter Arbeitnehmern den Job weg? Verlieren sich Kinder zunehmend in der virtuellen Realität? Kommen die neuen Möglichkeiten medizinischer Diagnostik nur Wohlhabenden zugute? Hebeln Technologien wie Blockchain die staatliche Kontrolle über globale Finanzströme aus? Führt der Einsatz künstlicher Intelligenz zu Diskriminierung und Ungleichheit? Und damit ist die Liste der Bedenken noch lange nicht erschöpft.
Künstliche Intelligenz (KI) ist ohne Frage eines der bestimmenden Themen unserer Zeit. Bisher fokussiert sich die öffentliche Debatte über KI aber fast ausschließlich auf den Wegfall von Arbeitsplätzen. Allerdings wird der technische Fortschritt weitaus mehr als nur Geschäftsmodelle und Arbeitswelt beeinflussen: KI wird unseren Alltag und auch uns als Gesellschaft verändern. Wie diese Veränderungen aussehen, können und müssen wir bestimmen. Und das setzt voraus, KI zunächst besser zu verstehen.
Zu oft wird KI zu einer Art künstlichem Superhirn hochstilisiert, dass dem menschlichen Verstand haushoch überlegen ist. In Wirklichkeit greift KI, so wie wir sie heute einsetzen, auf Algorithmen zurück, die vor Jahrzehnten entwickelt worden sind. Hinter ihren Fortschritten stecken steigende Rechenleistung und exponentiell wachsende Datenmengen. „Intelligent“ sind diese algorithmische Systeme nur in einem sehr engen Sinn, der sich von der vielschichtigen menschlichen Intelligenz unterscheidet. Dem rationalen Kalkül sind menschliche Eigenschaften wie das berühmte Bauchgefühl, Kreativität, Neugier oder Risikobereitschaft nach wie vor überlegen. KI ist eher eine Art kognitives Werkzeug, das den Menschen unterstützen, nicht aber ersetzen kann.
Besonders relevant ist das bei der Entscheidungsfindung – und das ist auch der Bereich, der sich durch den Fortschritt von KI am deutlichsten verändern wird. Ein Algorithmus kann Daten schnell und effektiv analysieren, und der Mensch kann anschließend auf Grundlage der Ergebnisse entscheiden. Beim Online-Shopping versuchen Unternehmen mithilfe algorithmischer Systeme, unser Kaufverhalten zu analysieren, um uns dann Produkte vorzuschlagen, die uns vielleicht auch gefallen könnten. In Zukunft werden Maschinen uns nicht nur beratend zur Seite stehen, sondern selbst Entscheidungen fällen können. Auch hier stellt sich die Frage: Wollen wir das? Wo darf die Maschine eingreifen und wo nicht?
Die Beispiele zeigen: Die Digitalisierung bringt große ethische Herausforderungen mit sich. Bisher geht es in der Debatte allerdings fast ausschließlich um Fragen des Datenschutzes – zweifelsohne ein wichtiges Thema. Aber beschäftigt man sich mit dem, was technisch künftig möglich sein wird, wird klar: Nötig ist heute eine digitale Ethik, die über den Datenschutz hinausgeht und sich mit komplexen Fragen von Moral und Verantwortung auseinandersetzt. Doch hier stößt man schnell auf ein Problem. Die technische Entwicklung schreitet extrem schnell voran, und die Gesetzgebung ist schlicht zu langsam, um Schritt halten zu können. Zudem braucht Fortschritt Freiräume und Offenheit.
Digitale Ethik als Leitplanke für digitale Innovationen
Ein Beitrag von Nicolai Andersen
Fakt ist: Innovationen bringen einer Gesellschaft Wohlstand. Mit zu strikten gesetzlichen Regelungen würde Deutschland riskieren, im internationalen Vergleich abzufallen. Deswegen benötigen wir Leitplanken, die einerseits Grenzen setzen, gleichzeitig den innovativen Köpfen aber genug Freiraum lassen, ihre Ideen umzusetzen. In der aktuellen Human Capital Trendstudie von Deloitte wird deutlich: Die Bürger erwarten von den Unternehmen, das zunehmende Führungsvakuum in der Gesellschaft zu füllen. Sie trauen der Wirtschaft mehr als der Politik zu, die Chancen des technologischen Wandels zu ergreifen und die Welt gleichberechtigter zu gestalten.
Für Unternehmen bedeutet das, dass sie das Konzept unternehmerischer Verantwortung überdenken müssen. Mit Corporate Social Responsibility (CSR) stellen sie sich ökologischen und sozialen sowie Menschenrechts- und Verbraucherfragen. Der klassische CSR-Ansatz trifft nun auf die digitale Welt, denn datenbasierte Geschäftsmodelle werfen grundlegende Fragen der Verbraucherrechte, der Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung auf. Corporate Digital Responsibility (CDR) ergänzt die unternehmerische Verantwortung und denkt sie teilweise neu. Beispielsweise müssen Unternehmen die gesellschaftlichen Auswirkungen der digitalen Produkte und Dienstleistungen bereits in ihrer Entwicklung mitbedenken und sicherstellen, dass sie mit unseren Wertmaßstäben kompatibel sind.
Unternehmen tragen somit gleichzeitig Sorge dafür, dass die Gesellschaft am technologischen Fortschritt teilhat und sich einbringen kann. Wir müssen die technische Entwicklung gemeinsam hinterfragen und gegebenenfalls auch Grenzen setzen. CDR beinhaltet deshalb auch eine Öffnung des Ökosystems der einzelnen Unternehmen für Gesellschaft und Politik. Corporate Digital Responsibility ermöglicht es Unternehmen, die komplexen Anforderungen der Digitalisierung und die Erwartungen der Nutzer in Sachen Datenschutz, -sicherheit und Transparenz zusammenzuführen. Das schafft Vertrauen, damit sich innovative technologische Anwendungen erfolgreich durchsetzen und unser Leben bereichern.
Somit wird CDR zu einer essenziellen Voraussetzung für Unternehmen, um unter Bedingungen der Digitalisierung überhaupt nachhaltig erfolgreich zu agieren. CDR hilft, Geschäftsmodelle gegen Risiken zu schützen, indem sie ethische Spannungsfelder aufspürt und mögliche Risiken so von vornherein ausräumt. Und sie erleichtert es Unternehmen, zukünftige Regulierungen und Gesetze zu antizipieren. CDR reduziert Risiken und senkt Kosten. Neue Geschäftsmodelle finden mehr Anklang und Akzeptanz, wenn sie auf allgemein anerkannte gesellschaftliche Werte ausgerichtet sind. Eine regelmäßige Prüfung und Auseinandersetzung mit CDR stärkt zudem die Reputation und die Marke des Unternehmens. Das ist nicht nur im Hinblick auf die Kunden von unschätzbarem Wert, sondern auch im derzeit tobenden „War for Talents“. Mitarbeiter legen heute schließlich zunehmend Wert auf das ethische Profil ihres Arbeitgebers. Außerdem schafft CDR Raum für innovative Produktentwicklungen. Unternehmen, die hier vorangehen, können die digitale Welt maßgeblich mitgestalten. So sichern sie bestehende Umsatzströme und ermöglichen neue.
Auch wenn Unternehmen mit CDR Vorreiter für eine lebenswerte Welt sein können, ist letztendlich ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für das Thema notwendig. Das kann nur auf der Grundlage einer wertebasierten Medienkompetenz entstehen. Menschen müssen in der Lage sein, souverän mit digitalen Informationen umzugehen, Inhalte kritisch zu hinterfragen, bewusst Entscheidungen zu treffen und Folgen abzuschätzen. Ebenso müssen umfassende digitale Kompetenzen in Schulen und Hochschulen, in Unternehmen und in öffentlichen Organisationen vermittelt und gestärkt werden. Unternehmen sollten ihr Know-how teilen und sich dafür einsetzen, die digitale Spaltung zu verhindern – auch das ist Teil ihrer Verantwortung.
Ein spannender Aspekt ist dabei, dass CDR einen wichtigen Standortvorteil von Europa und speziell Deutschland im globalen Wettbewerb darstellen kann. Denn unsere Soziale Marktwirtschaft erweist sich im Hinblick auf CDR keineswegs als angestaubt. Vielmehr hat die gewachsene Verflechtung der diversen gesellschaftlichen Ökosysteme und Interessengruppen das Potenzial, einen wegweisenden Rahmen für den Austausch über die zukünftigen Entwicklungen zu schaffen. Das Modell einer „reflexiven Governance“ kann hier einen Weg in die Zukunft eröffnen: Durch flexibles, kollaboratives Vorgehen und Lernen kann die Erarbeitung der „Leitplanken“ mit dem erhöhten Tempo der Innovationszyklen mithalten.
Deutschland war in der Geschichte des technischen Fortschritts immer von Offenheit geprägt, und eben diese Offenheit hat immer wieder den Wohlstand hierzulande gesichert. CDR bedeutet eine Chance für Deutschland, diese Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben. Sie kann eine Chance sein, sich im internationalen Wettbewerb zu differenzieren und die digitale Zukunft im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft zu gestalten.
Hehre Ziele – aber wie setzen Unternehmen sie praktisch um? Zunächst ist es notwendig, die gesellschaftlichen Auswirkungen digitaler Geschäftsmodelle konkret zu durchdenken. Welche Schlüsseltechnologien werden eingesetzt? Wo berühren sie gesellschaftliche Ängste und Hoffnungen, und wie kann das strategisch, im Produktportfolio und operativ berücksichtigt werden?
Die CDR-Experten von Deloitte haben ein analytisches Framework zentraler Werte sowie typischer Ängste und Hoffnungen erarbeitet, mit dem Unternehmen ihre Geschäftsmodelle abgleichen können. Die maßgeblichen Werte sind hier Autonomie, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Partizipation, Privatsphäre, Sicherheit und Transparenz. Zu den häufigen gesellschaftlichen Sorgen gehören neben den oben schon genannten: Verhaltensmanipulation, der Mangel an Sicherheit, Regulierung und Transparenz, die Gefährdung von Demokratie, Verbraucherrechten und Umweltschutz sowie soziale Ungerechtigkeit. Auf der positiven Seite der Hoffnungen stehen dem gegenüber: Verbesserung von Kommunikation und Entscheidungen, von Arbeitsweisen und Transparenz, mehr Wirtschaftswachstum, Teilhabe und Bildungschancen, regulatorische Stringenz sowie verbesserter Umwelt- und Verbraucherschutz.
Diese Ängste und Hoffnungen sind teilweise widersprüchlich, und genau das macht klar, wie wichtig es für Unternehmen ist, sich anhand eines analytischen Frühwarnsystems damit auseinanderzusetzen. Anschließend sollten Unternehmen Zielsetzung und Anspruch definieren. Wo verorten sie sich im Spektrum der möglichen Einstelllungen zu den CDR-Werten? Welche Risiken müssen vermieden werden, welche Chancen bieten sich? Wie können Geschäftsmodelle gegen die Ängste „abgesichert“ und auf die positiven sozialen Erwartungen ausgerichtet werden? Für die Implementierung muss im nächsten Schritt geklärt werden, welche nötigen Fähigkeiten noch zu erwerben sind. Wo gibt es Lücken? Welche Stärken und Schwächen existieren? Verschiedene Lösungsoptionen und Tätigkeitsfelder bieten sich bei der Umsetzung an:
Digitale Verantwortung muss dabei zielstrebig quer durch die Funktionen in das Unternehmenshandeln eingebettet werden, durch technologische und operative ebenso wie durch kommunikative Methoden.