Mit der Veröffentlichung der Entwürfe für neue Branchenstandards (engl. Sector Standards) im März 2025 erweitert die Global Reporting Initiative (GRI) ihre Branchenstandards gezielt um sektorspezifische Anforderungen für Finanzunternehmen. Nach den bereits veröffentlichten Branchenstandards für die Öl- und Gas- sowie Bergbaubranche liegen nun auch Entwürfe für Banken, Kapitalmärkte und Versicherungen vor. Was bedeuten diese neuen Standards konkret für Finanzunternehmen? Und wie erweitern diese bereits bestehenden Standards die Nachhaltigkeitsberichterstattung?
Im Februar 2019 hat die Global Reporting Initiative (GRI) das sogenannte GRI Sector Program bekanntgegeben. Ziel dieses Programms ist es, die Transparenz und Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsberichterstattung innerhalb von Branchen zu verbessern, weshalb die GRI für insgesamt 40 Sektoren plant, branchenspezifische Standards zu veröffentlichen. Die Branchenstandards für Finanzunternehmen befanden sich noch bis zum 31.05.2025 in der Konsultationsphase und sollen voraussichtlich im zweiten Quartal 2026 final veröffentlicht werden. Auch wenn bislang noch nicht für alle Branchen spezifische Standards vorliegen, zeigt der Blick in den Markt: Die GRI-Standards finden bereits bei einer Vielzahl von Unternehmen Anwendung (bei 78%der 250 weltweit größten Unternehmen, siehe GRI - Four-in-five largest global companies report with GRI).
Die GRI-Standards sind modular aufgebaute Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie bestehen aus drei Teilen: GRI-Universalstandards, GRI-Branchenstandards und GRI-Themenstandards.
Die GRI-Universalstandards setzen sich aus drei Standards zusammen und formulieren grundlegende Offenlegungen, die für alle Organisationen relevant sind. Diese umfassen unter anderem grundsätzliche Voraussetzungen, übergeordnete Governance-Strukturen und die Ermittlung wesentlicher Themen.
Die GRI-Themenstandards behandeln spezifische Nachhaltigkeitsthemen (1-2 Beispiele). Sie bieten daher einen Berichtsrahmen, insofern ein bestimmtes Thema wesentlich wird.
Die GRI-Branchenstandards sind Ergänzungen der Universal- und Themenstandards und beinhalten Offenlegungsanforderungen für Nachhaltigkeitsthemen, die in bestimmten Branchen besonders relevant sind. Sie unterstützen Unternehmen dabei, branchentypische Auswirkungen systematisch zu identifizieren und in der Wesentlichkeitsbewertung zu berücksichtigen.
Mit den neuen GRI-Branchenstandards werden branchenspezifische Offenlegungsanforderungen für Finanzunternehmen (Banken, Kapitalmärkte, Versicherungen) eingeführt. Die GRI hat für jeden der drei Branchenstandards einen spezifische Anwenderkreis definiert. Abhängig vom Geschäftsmodell eines berichtenden Unternehmens oder Konzerns kann es erforderlich sein, mehrere Branchenstandards gleichzeitig anzuwenden, um alle relevanten Geschäftsbereiche angemessen abzudecken.
Die GRI-Branchenstandards benennen 21 Themen, die übergreifend für Banken, Kapitalmärkte und Versicherungen identisch sind. Hinzu kommt ein Thema für Banken (insgesamt 22) sowie zwei Themen für Versicherungen, die als „likely material“ eingestuft werden. Der Begriff „likely material“ impliziert, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse als wesentlich eingestuft werden (GRI 3: Material Topics 2021, Paragraf 9). Bei der Festlegung dieser Themen sollen Unternehmen sowohl die Auswirkungen (Impacts) ihrer Aktivitäten als auch die ihrer Geschäftsbeziehungen berücksichtigen.
Innerhalb jedes Themas folgen die Offenlegungsanforderungen einer einheitlichen Struktur:
Die Tiefe und Detailgenauigkeit der Offenlegung kann je nach Finanzunternehmen und Thema variieren. So verlangt der Standard für Kapitalmärkte zum Beispiel im Bereich “Biodiversität” lediglich eine allgemeine Beschreibung der potenziellen Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf Ökosysteme.
Banken hingegen müssen im gleichen Themenfeld konkrete Angaben zu biodiversitätsbezogenen Risiken in ihren Kreditportfolios machen – etwa zur Exposition gegenüber besonders gefährdeten Regionen oder Branchen.
Versicherungsunternehmen wiederum sind angehalten, biodiversitätsbezogene Schadensdaten zu erfassen und offenzulegen, sofern diese für die Risikobewertung relevant sind. Diese Beispiele zeigen, wie stark die Granularität der Anforderungen je nach Geschäftsmodell und Tätigkeitsbereich differenziert ist – und wie wichtig eine passgenaue Vorbereitung auf die jeweiligen Offenlegungspflichten ist.
Gemäß dem aktuellen Omnibus-Änderungsentwurf sollen auf europäischer Ebene keine sektorspezifischen Standards mehr entwickelt werden. Gleichermaßen ist eine einheitliche Offenlegung innerhalb eines Sektors wünschenswert. Gerade für den Finanzsektor bieten ESRS und VSME hier nur sehr geringe Ansatzpunkte.
Vor diesem Hintergrund können die GRI-Branchenstandards, die sektorspezifischen Hinweise zu IFRS S1 des International Sustainability Standards Board (ISSB) sowie die derzeit überarbeiteten SASB-Sektorstandards als Orientierungshilfe zur Identifikation von unternehmensspezifischen Angaben (sog. Entity Specific Disclosures, ESDs) herangezogen werden.
Das ISSB und die GRI haben bereits 2022 eine Absichtserklärung (MoU) unterzeichnet, um ihre Standards besser miteinander zu verzahnen. Während das ISSB den Fokus auf die finanzielle Wesentlichkeit legt, adressiert die GRI insbesondere die Impact-Perspektive, also die Auswirkungen unternehmerischen Handelns auf Umwelt und Gesellschaft. Ergänzend zur finanziellen Wesentlichkeit des ISSB bieten die derzeit überarbeiteten SASB-Sektorstandards, die im Juli 2025 zur umfassenden Überarbeitung veröffentlicht wurden, eine weitere branchenspezifische Grundlage für die Berichterstattung. Gemeinsam mit den sektorspezifischen Hinweisen zu IFRS S1, die ebenfalls auf eine stärkere Branchendifferenzierung abzielen, bilden sie ein wichtiges Instrumentarium für Unternehmen, die ihre Berichterstattung an internationalen Standards ausrichten möchten. Vor dem Hintergrund der aktuell fehlenden branchenspezifischen ESRS-Standards können die GRI-Branchenstandards Unternehmen, die nach IFRS-Material berichten, eine Möglichkeit bieten, die Impact-Perspektive systematisch zu integrieren.
Eine von uns durchgeführte vergleichende Analyse der GRI-Branchenstandards für Finanzunternehmen mit den ESRS sowie den Modulen des VSME (Voluntary Sustainability Reporting Standards for non-listed SMEs, Basic und Comprehensive) zeigt, dass die GRI-Branchenstandards eigenständige Schwerpunkte und Strukturen setzen. Dabei zeigt sich, dass die GRI-Branchenstandards deutlich umfangreicher und unterschiedlich konzipiert sind als die ESRS und VSME-Module – insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an Finanzunternehmen. Während die europäischen Rahmenwerke aktuell auf eine Vereinfachung und Reduktion branchenspezifischer Vorgaben abzielen, setzen die GRI-Branchenstandards auf eine umfassende Abdeckung von Offenlegungsanforderungen, die sich teilweise an den Offenlegungspflichten aus dem SFDR PAI Statement orientieren.
Diese Ausrichtung kann dazu führen, dass Unternehmen, die nach GRI berichten, mit deutlich höheren Offenlegungsanforderungen konfrontiert sind als bei einer reinen Anwendung der ESRS. Besonders im Finanzsektor, wo Portfolio- und Unternehmensperspektive oft ineinandergreifen, ist eine klare Abgrenzung und Interpretation der Datenpunkte entscheidend.
Die Analyse zeigt, dass Informationen entlang der Wertschöpfungskette gezielt aufbereitet werden müssen, um die Anforderungen der GRI-Standards zu erfüllen – was eine strategische Auseinandersetzung mit den jeweiligen Offenlegungslogiken erforderlich macht.
Im direkten Vergleich mit den GRI-Branchenstandards zeigt sich, dass die ESRS im Umweltbereich (E-Themen) bereits detaillierte Datenanforderungen entlang der Wertschöpfungskette vorsehen. Der VSME hingegen stellt im Umweltbereich deutlich geringere Offenlegungsanforderungen und ist hinsichtlich der quantitativen Granularität der Datenpunkte weniger umfassend als die ESRS.
Gleichzeitig wird deutlich, dass sowohl die ESRS als auch der VSME für den Finanzsektor bislang nur sehr eingeschränkte branchenspezifische Vorgaben enthalten. Diese Lücke betrifft insbesondere Finanzunternehmen, die nach GRI berichten und dabei umfassende Anforderungen entlang der Wertschöpfungskette erfüllen müssen. Für Unternehmen innerhalb der Wertschöpfungskette – etwa Kunden oder Beteiligungsunternehmen – kann dies bedeuten, dass sie zusätzliche Informationen bereitstellen müssen, obwohl sie selbst nach ESRS oder VSME berichten und dort deutlich geringere Anforderungen gelten.
Diese strukturelle Asymmetrie zwischen Finanzunternehmen und realwirtschaftlichen Akteuren verdeutlicht, wie wichtig eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den GRI-Branchenstandards ist, um potenzielle Berichtspflichten und Abstimmungsbedarfe entlang der Wertschöpfungskette gezielt zu adressieren.
Auch im sozialen Bereich (S-Themen) erfüllen die ESRS im Vergleich zu den GRI-Branchenstandards einen Teil der Anforderungen an die Wertschöpfungskette. Hier weist der VSME im Vergleich zu den GRI-Branchenstandards eine erkennbare Lücke in Bezug auf die Abdeckung der Wertschöpfungskette und die Detailtiefe der Angaben auf.
Im Bereich Governance (G-Themen) bieten ESRS und VSME bislang nur in begrenzten Umfang Möglichkeiten, Beziehungen innerhalb der Wertschöpfungskette im Sinne der Offenlegungsanforderungen nach GRI-Branchenstandard umfassend abzubilden. So fordern beispielsweise die ESRS im Rahmen von Steuertransparenz eine geringere Datenmenge und Granularität, während die GRI-Branchenstandards hier explizite, umfassende Angaben fordern. Insgesamt spiegeln sich in den bestehenden Unterschieden die verschiedenen Zielsetzungen und Anwendungslogiken der jeweiligen Rahmenwerke wider.
Die GRI-Branchenstandards für Finanzunternehmen verlangen eine Vielzahl detaillierter Informationen entlang der Wertschöpfungskette – unabhängig von der Größe der beteiligten Unternehmen. Im Gegensatz zum VSME, der kleinere Unternehmen durch die sogenannte „Value Chain Cap“ entlasten will, sieht der GRI-Standard keine solche Begrenzung vor.
Für Unternehmen, die sich für eine Berichterstattung nach GRI entscheiden, kann dies zu einem deutlich höheren Informationsbedarf bei Beteiligungsunternehmen oder Kunden führen – insbesondere dann, wenn diese selbst nach ESRS oder VSME berichten und dort geringere Anforderungen gelten.
Auch wenn im Rahmen der ESRS künftig keine sektorspezifischen Standards mehr vorgesehen sind, bleibt der Bedarf an branchenspezifischer Orientierung bestehen. In den kommenden Jahren könnten daher unternehmensspezifische Angaben zunehmend durch externe Standards wie das IFRS-Material, die GRI-Branchenstandards oder die SASB-Sektorstandards ergänzt werden.
Insbesondere die GRI-Branchenstandards könnten dabei – zumindest im Bereich der Impact-Perspektive – eine Lücke füllen, die durch den Wegfall sektorspezifischer ESRS entsteht. Ob und in welchem Umfang Unternehmen diese Möglichkeit tatsächlich nutzen werden, bleibt abzuwarten. Sollte sich die Anwendung durchsetzen, wäre zu prüfen, ob sich daraus erweiterte Berichtspflichten ergeben, die den Zielen der EU zur Reduzierung bürokratischer Belastungen widersprechen könnten.
In Anbetracht des hohen Anteils an bereits nach GRI berichtenden Unternehmen liegt es daher nahe, dass viele dieser Unternehmen künftig auch die Ergänzungen um die branchenspezifischen Offenlegungen berücksichtigen werden. Für Unternehmen, die nicht nach ESRS berichten, entfällt zudem die Möglichkeit, die Offenlegung entlang der Wertschöpfungskette durch eine sogenannte “Value Chain Cap” zu begrenzen – was potenziell zu einem höheren Berichtsaufwand führen kann.
Sie haben Fragen rund um die Entwicklung der GRI-Branchenstandards für Finanzunternehmen oder möchten sich auf eine Berichterstattung in ihrem Unternehmen vorbereiten? Kommen Sie gerne auf uns zu, wir freuen uns, Sie bei den Herausforderungen mit unserer Expertise zu beraten und zu begleiten.