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Automotive Industry Briefing: Autoindustrie weiter in der Krise – droht der Domino-Effekt?

Die Liste der Automobil-Unternehmen, die in den letzten Monaten Gewinneinbrüche, Produktionskürzungen oder den Abbau von Stellen bekanntgegeben haben, ist lang. Geopolitische Entwicklungen, Konkurrenz durch neue Mitbewerber sowie die Transformation hin zu Elektromobilität und Software-Defined-Vehicles stellen die europäische Automobilindustrie vor Herausforderungen und betreffen gleichermaßen OEMs und Zulieferer. Wie kritisch die aktuelle Situation aus Sicht von Automotive-CFOs1 wirklich ist und welche Unternehmen besonders unter Druck stehen, zeigen die neuesten Ergebnisse des Deloitte European CFO Survey.

Für diesen wurden insgesamt 1.839 Finanzvorstände, davon 92 aus der Automobilindustrie, nach ihren Erwartungen für die kommenden Monate befragt. Dabei wird deutlich: Die europäische Autobranche durchläuft turbulente Zeiten. Bisher sind es vor allem OEMs und große Zulieferer, die bei Stellen und Investitionen den Rotstift ansetzen. Kleinere Unternehmen sind demgegenüber noch optimistischer – doch dies könnte sich ändern, wenn nicht demnächst neue Impulse kommen. 

 

Geopolitische Entwicklungen verschärfen die Krise der Automobilindustrie

Nach einem kurzen Aufwärtstrend im Frühjahr 2024 haben sich die Geschäftsaussichten unter europäischen Finanzvorständen über alle Industrien hinweg deutlich verschlechtert (s. Abb. 1). Die Automobilindustrie ist dabei keine Ausnahme. Der Saldo von mehrheitlich positiven und mehrheitlich negativen Geschäftserwartungen für die nächsten drei Monate ist dort gegenüber dem letzten Halbjahr um 17 Prozentpunkte auf minus 22 Prozent zurückgegangen. Damit ist die Lage im Automobilsektor deutlich kritischer als in anderen Industrien. Zwar macht sich auch dort zunehmend Unsicherheit breit, jedoch verbleibt das Nettosaldo der Erwartungen in anderen Wirtschaftszweigen noch überwiegend im leicht positiven bzw. neutralen Bereich. Die Automobilindustrie dagegen liegt in dieser Hinsicht, wie auch schon in den Monaten zuvor, weit abgeschlagen auf dem letzten Platz.

Abb.1: Sinkende Geschäftserwartungen in allen Industrien – im Automobilsektor ist die Lage besonders kritisch

Hierfür ist neben der anspruchsvollen Transformation der Branche auch das aktuell schwierige makroökonomische Umfeld ausschlaggebend. Aufgrund der ausbleibenden konjunkturellen Erholung in Deutschland verbleibt die Inlandsnachfrage auf dem wichtigsten europäischen Markt weiterhin auf einem niedrigen Niveau. Gleichzeitig schmälern geopolitische Entwicklungen die Exportaussichten. Insbesondere die von Donald Trump im Falle seiner Wahl angekündigten Einfuhrzölle gegen europäische Unternehmen sorgen für Unsicherheit.2

 

Politische Regulierungen setzen Hersteller unter Druck

Darüber hinaus spielen auch politische Regulierungen eine Rolle. Die von der EU-Kommission beschlossenen und am 30. Oktober 2024 in Kraft getretenen Strafzölle auf E-Autos chinesischer Produktion betreffen auch europäische Unternehmen, die in China produzieren.3 Aus Sicht der OEMs stellen die Strafzölle einen zusätzlichen Kostenfaktor dar, der sie weiter unter Margendruck setzt. Laut Zahlen des Deloitte Consumer Spotlight Survey4 erwarten fast 40 Prozent der Konsument:innen in Deutschland, dass Hersteller diese zusätzlichen Kosten nicht weitergeben, sondern durch Preisnachlässe und Sonderaktionen auffangen.

Zuletzt sehen sich viele Hersteller neben Strafzöllen auch dem Risiko von Strafzahlungen ausgesetzt. Nach einem Beschluss der EU-Kommission werden die Flottenemissionsziele für 2025 deutlich verschärft. Stand Dezember 2024 hat eine Revision dieser Entscheidung wenig Aussicht auf Erfolg.5 Um die neuen Grenzwerte einzuhalten und Strafzahlungen in Milliardenhöhe zu umgehen, müssen viele Hersteller ihren Absatz von E-Autos jedoch massiv steigern. Bei den größten europäischen OEMS liegt dieser 2024 in Europa voraussichtlich lediglich zwischen 10 und 22 Prozent.6

Ob dies innerhalb kurzer Zeit gelingen kann, erscheint mehr als fraglich. Hierzu müsste die Produktion nicht weiter eingeschränkt, sondern vielmehr ausgeweitet werden. Darüber hinaus bräuchte es eine Investitionsoffensive in Schlüsseltechnologien wie Batterietechnik und Software, um im zunehmenden internationalen Wettbewerb zu bestehen. Die Daten des European CFO Survey deuten hier jedoch vielmehr auf harte Einschnitte hin: Sowohl bei Investitionen als auch bei der Anzahl an Beschäftigten wird für die nächsten 12 Monate ein regelrechter Einbruch erwartet (siehe Abb. 2). Für beide Kennzahlen rechnen mehr als 50 Prozent der befragten CFOs mit einem Rückgang.

Abb. 2: Finanzvorstände erwarten drastische Kürzungen bei Investitionen und Beschäftigten

Große Unternehmen pessimistisch, kleine sind optimistischer – noch

Die Zeichen in der Automobilindustrie stehen auf Krise. Diese Krisenstimmung betrifft allerdings noch nicht alle Unternehmen gleichermaßen. Der Blick auf die Zukunftserwartungen von Unternehmen unterschiedlicher Größe ergibt hierbei ein bemerkenswertes Bild7: Gemäß den Ergebnissen des European CFO Survey sind es nämlich vor allem große Unternehmen, die ihre Lage besonders kritisch sehen. Hierzu zählen zum einen OEMs, aber auch große, umsatzstarke Zulieferer. Von diesen rechnen knapp 48 Prozent der befragten Unternehmen mit einem deutlichen Umsatzrückgang. Bei mittelständischen Unternehmen liegt der Anteil sogar bei über 50 Prozent. Kleine Unternehmen, darunter kleine Zulieferer sowie Händler, sind demgegenüber noch vorsichtig optimistisch: 34 Prozent rechnen mit einem Umsatzrückgang, 38 Prozent dagegen mit einem Umsatzplus in den nächsten 12 Monaten.

Ein noch deutlicheres Bild zeigt sich bei Investitionen und Arbeitsplätzen: Mehrere namhafte Unternehmen der Automobilindustrie haben einen Abbau von Stellen und Kürzungen bei Investitionen bereits öffentlich bekanntgegeben. Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen des CFO-Survey wider. 62 Prozent der befragten großen Unternehmen rechnen mit einem deutlichen Rückgang bei beiden Kennzahlen. Bei kleinen Unternehmen scheint die unmittelbare Zukunft weniger düster eingeschätzt zu werden: Lediglich ein Viertel der befragten CFOs kleiner Betriebe geht von sinkenden Kapitalausgaben aus. In Bezug auf die Anzahl Beschäftigter erwartet die Mehrheit der kleinen Unternehmen keine Veränderung.

Ist die Lage bei kleinen Unternehmen also weniger dramatisch? Keinesfalls. Zwar scheint die Krise hier noch nicht mit voller Wucht angekommen zu sein, aber klar ist: Kleinere Akteure sind auf Aufträge großer Zulieferer und OEMs angewiesen und damit von diesen abhängig. Denn eine Neuausrichtung auf andere Produkte und Bereiche ist für die oftmals hochspezialisierten, kleinen Zuliefererbetriebe meist kaum möglich.

Die Automobilindustrie steht damit vor einem weiteren Kipppunkt: Große Konzern geraten bereits jetzt ins Straucheln. Kleine und mittelständische Betriebe sitzen im Vergleich fester im Sattel, jedoch könnte sich dies schnell ändern, wenn langfristig Aufträge ausbleiben. Damit braucht es schleunigst angepasste Strategien und eine stärkere technologische Wettbewerbsfähigkeit. Ansonsten droht der gesamten Industrie – und damit etwa 780.000 Beschäftigten in Deutschland8 – ein Domino-Effekt.

1 Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, meint die gewählte Formulierung alle Geschlechter.

2 Die Erhebung fand im September 2024 und damit vor der US-Wahl statt.

3Europäische Komission (2024): E-Autos aus China: EU erhebt Ausgleichszölle, setzt Gespräche fort, zuletzt abgerufen am 12.12.2024.

4Hierbei wurden 1.000 Konsument:innen in Deutschland im August 2024 im Rahmen einer repräsentativen Online-Umfrage befragt.

5Euractiv (2024): EU-Kommission: Kein Aufschub der CO2-Ziele für Autoindustrie, zuletzt abgerufen am 03.12.2024.

6GlobalData (2024): Global Light Vehicle Sales Forecast, Quarter 3 2024. Global Hybrid and Electric Vehicle Sales Forecast 2024, Quarter 3 2024, zuletzt abgerufen am 03.12.2024.

7Unternehmen mit einem Jahresumsatz ≥ 1 Mrd. Euro werden hierbei als groß, zwischen 100 Millionen und 999 Mio. als mittelständisch und bis 100 Mio. als klein bezeichnet.

8Verband der Automobilindustrie (2024): Jahreszahlen – Allgemeines, zuletzt abgerufen am 11.12.2024.

Autor

Nicolas Zauner

Industry Insights - Automotive

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Dr. Harald Proff

Deutschland
Sector Lead Automotive

Harald Proff arbeitet seit 2015 bei Deloitte und ist Automotive Sektorleiter für Global/DCE/Deutschland. Sein Fokus liegt auf Transformationsprogrammen und neuen Geschäftsmodellen der industriellen Fertigung sowie der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung von Industrieunternehmen. Er ist der Gründer der Deloitte Digital Factory in Düsseldorf. Neben Deutschland hat er auch länger in Südkorea und Brasilien gelebt und gearbeitet. Nach seinem Studium in der Fachrichtung Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenbau und anschließender Promotion an der TU Darmstadt startete er als Manager für Industrialisierungsprojekte bei Mercedes Benz in das Berufsleben. Der Automobilindustrie ist er auch als Berater immer treu geblieben. Vor seiner Rolle als Automotive Sektorleiter war Herr Proff Lead Partner Operations Deutschland.