Die Digitalisierung verändert Unternehmen und deren Prozesse grundlegend. Darauf muss und wird auch die Betriebsprüfung reagieren und ihre Prüfungsschwerpunkte an das neue, durch Technologien geprägte Kontrollumfeld anpassen.
Umso bemerkenswerter ist, dass ausgerechnet die Steuerfunktion, verglichen mit anderen Abteilungen, oft erheblichen Nachholbedarf in Sachen Automatisierung hat: Während etwa im Rechnungswesen zahlreiche Routinefunktionen (zum Beispiel das Buchen von Eingangsrechnungen mit Bestellbezug) bereits automatisiert sind, nutzen viele Steuerfunktionen für die Vorbereitung von Steueranmeldungen und -erklärungen nach wie vor selbstgestaltete Excel-Tabellen. Die Fehleranfälligkeit ist entsprechend hoch.
Die grundlegende Tendenz, auch in der Steuerfunktion auf technologiegestützte Standardisierung zu setzen, ist allerdings unübersehbar. Durch Einführung eines Tax Ledgers, also einer parallelen steuerlichen (Haupt-)Buchführung, lässt sich beispielsweise die Automation der Steuerberechnung unterstützen. Auch das Erstellen von Steuererklärung wird dadurch deutlich vereinfacht: Geschäftsvorfälle werden originär steuerlich gebucht, sodass Anpassungen im Rahmen der Steuerberechnung bzw. -erklärung grundsätzlich entbehrlich sind.
Voraussetzung für eine korrekte steuerliche Berechnung in einem solchem Umfeld ist jedoch, dass die Transaktionen fehlerfrei erfasst werden. Entsprechend ist bei standardisierten Vorgängen die Qualität der Vorprozesse von elementarer Bedeutung. Das gilt umso mehr, als auch die Betriebsprüfung ihren Fokus in der Zukunft auf eben jene Vorprozesse verlagern wird. Unternehmen müssen folglich Instrumente entwickeln, um interne Verantwortlichkeiten festzulegen und zu beaufsichtigen. Zufälligkeiten im steuerlichen Kontrollumfeld sind nicht mehr hinnehmbar.
Steuerpflichtige, die sich rechtstreu verhalten (wollen), können ihre Haftungsrisiken minimieren, indem sie ein innerbetriebliches Kontrollsystem einrichten, das der Erfüllung steuerlicher Pflichten dient. So steht es im finalen Anwendungserlass zu § 153 AO, den das BMF am 23.05.2016 veröffentlicht hat.
Daraufhin haben viele Unternehmen in den letzten Jahren ein Tax Compliance Management System (Tax CMS) eingerichtet. Es soll sicherstellen, dass Steuererklärungen sanktionsfrei gemäß § 153 AO berichtigt werden können sowie Sanktionen nach §§ 30, 130 OWiG oder Haftungen wegen steuerbezogener Organisationsmängel verhindern. Der AEAO zu § 153 AO enthält keinerlei Hinweise zur Bedeutung eines Tax CMS in einer Außenprüfung.
Seit dem Jahr 2018 fragen die Betriebsprüfungen zunehmend nach dem Vorliegen eines Tax CMS im geprüften Unternehmen, ohne dass das Tax CMS aber bisher mit einem einheitlichen Standard abgefragt wird. Konkrete Erleichterungen oder Vergünstigungen aufgrund eines implementierten und ggf. extern zertifizierten Tax CMS ergaben sich für die Unternehmen allerdings bisher nicht. Die bayerische Finanzverwaltung verwendet seit dem Jahr 2021 in Betriebsprüfungen teilweise einen Fragebogen für eine „TCMS-Pilotierung“ und fragt neben dem Umfang eines vorliegenden Tax CMS (Steuerarten, Prozesse Unternehmensbereiche) auch dessen Reifegrad bzw. dessen Angemessenheit und Wirksamkeit sowie das Vorliegen von Prüfungsvermerken und deren Art ab.
Das Bayerische Finanzministerium hat nun in seiner Pressemitteilung Nr. 046 vom 24.02.2022 bekanntgegeben, dass Bayern mit zwei nicht namentlich genannten Unternehmen ein Pilotprojekt zur Einbeziehung von modernen Compliance-Systemen der Unternehmen in die Betriebsprüfung begonnen hat. Die erwarteten Erkenntnisse sollen dazu dienen, die Prüfungsmethoden der Finanzverwaltung weiterzuentwickeln. Durch die Einbeziehung von Tax Compliance Management-Systemen – in der Pressemitteilung nur „Steuerkontrollsysteme“ genannt – könnten die Schwerpunkte der Betriebsprüfungen künftig gezielter gesetzt werden.
Erstmalig stellt ein Vertreter der Finanzverwaltung den Unternehmen konkrete Vorteile eines Tax CMS in der steuerlichen Betriebsprüfungen in Aussicht. Sie bestehen darin, dass ein Tax CMS zu einer schnelleren sowie rechtssicheren Abwicklung von Außenprüfungen und einer früheren bestandskräftigen Veranlagung unter Vermeidung unnötiger Liquiditätsnachteile führen soll. Die Unternehmen könnten dadurch früher Rechts- und Planungssicherheit erzielen. Auf die erforderlichen Änderungen der Abgabenordnung weist die Pressemitteilung abschließend hin.
Diese Entwicklung war bereits im Zusammenhang mit Diskussionen der Arbeitsgruppe Betriebsprüfung beim Bundesfinanzministerium zu erahnen. Gleichzeitig lassen sich schon länger Bestrebungen beobachten, die Betriebsprüfung zu modernisieren und zu beschleunigen, sowie an die Digitalisierungstendenzen der Finanzverwaltung (z.B. E-Bilanz und elektronische Übermittlung von Steuererklärungen) anzupassen. Eine betriebsnahe Veranlagung (vgl. IDW-Positionspapier vom 19.11.2021) könnte ein Ergebnis der Reformvorschläge der Arbeitsgruppe sein.
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Finanzverwaltung für eine betriebsnahe Veranlagung das Vorliegen zumindest eines angemessenen Tax CMS voraussetzt. Zwecks Sicherstellung der Angemessenheit des Tax CMS ist dringend zu empfehlen, dass jedes Unternehmen seine implementierten Tax CMS-Maßnahmen operationalisiert und revisionssicher dokumentiert. Eine IT-Operationalisierung durch moderne Tool- oder Workflow-Lösungen, die die angemessene Implementierung des Tax CMS belegen, ist daher zu empfehlen.
Eine Reduzierung des Tax-CMS auf seine Funktion im Steuerverfahren greift allerdings zu kurz: Ein Tax-CMS ist auch ein Management-Tool, mit dem sich organisatorische, technologische und steuerstrategische Fragen priorisieren lassen – und das im Rahmen von Betriebsprüfungen wertvolle Unterstützung bieten kann. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist die Prozessdokumentation. Sie ist mit der Verfahrensdokumentation nach den GoBD in Einklang zu bringen, die der Betriebsprüfung dazu dient, die Buchführung in ihrer Gesamtheit nachzuvollziehen und deren Ordnungsmäßigkeit – einschließlich des internen Kontrollsystems – zu bestätigen.