Welche technologischen Trends treten in den kommenden zwei Jahren verstärkt in den Blick der Unternehmen? Diese Frage beantwortet der Deloitte Tech Trends Report seit anderthalb Jahrzehnten alljährlich aufs Neue, untermauert mit aussagekräftigen Beispielen von Organisationen aus aller Welt. Eines der wichtigsten Themen ist derzeit zweifellos die Generative Artificial Intelligence (GenAI), die eine noch unabsehbare Bandbreite neuer Möglichkeiten für Unternehmen mit sich bringt. Eine zentrale Botschaft der jüngsten Ausgabe des Reports ist aber auch, bei aller berechtigten Aufmerksamkeit für dieses dominierende Thema, die anderen aktuellen Tech Trends nicht aus dem Auge zu verlieren – und sich klarzumachen, dass GenAI keineswegs bedeutet, dass menschliche Kompetenz und Kreativität zukünftig weniger gefragt sein werden.
Die übergreifende Systematik des Reports gruppiert die einzelnen Trends in sechs Bereiche, die einen breiteren Kontext für die Innovationen liefern und langfristige Megatrends sichtbar machen. Einerseits werden technologische Entwicklungen aus den Bereichen Interaktion, Information und Computation thematisiert. Der neue Report diskutiert hier GenAI, IT-Infrastruktur und neue Interfaces, etwa im Metaverse. Andererseits wird die geschäftliche Umsetzung von Technologie analysiert, und zwar in den Bereichen Business-Integration von Technologie, Core-Modernisierung und Cyber Security. In diesen Gebieten fokussiert sich der Report 2024 auf die Trends der Developer Experience (DevEx), den neuen Ansätzen in der Core-Modernisierung sowie der Abwehr von Deepfakes, Falschinformationen und GenAI-basierten Cyber-Attacken. Im Folgenden geben wir einen Überblick und legen dabei den Schwerpunkt auf diejenigen Trends, die aus Sicht des deutschen Marktes von großer Bedeutung sind.
Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und auch GenAI sind an sich keine neuen Entwicklungen. Doch mit dem Marktstart von ChatGPT hat das Thema eine enorme Dynamik entfacht. Der überwältigende Erfolg von Chatbots auf Basis großer Sprachmodelle entwickelt eine disruptive Qualität und hat epochale Bedeutung. Die Potenziale von GenAI sind derzeit noch nicht im Ansatz ausgeschöpft. Erstmals steht Anwender:innen ohne Vorkenntnisse eine mächtige Technologie zur Verfügung, mit der die menschliche Kognition in vielfältiger Weise imitiert werden kann. Durch Prompts in natürlicher Sprache lassen sich wohlformulierte Texte, originäre Bildkreationen oder realistischer Audio-Output generieren.
Nun stellen sich Unternehmen aber die Frage, wie sie mit GenAI einen geschäftlichen Vorteil erzielen können. Dabei steht eine Kostenreduktion durch Automatisierung und Stellenabbau laut Erhebungen weniger im Vordergrund. Größeren Nutzen erhoffen sich Führungskräfte in Bereichen wie Qualitätsverbesserung von Content, Wettbewerbsvorteile und optimierte Employee Experience. GenAI soll also vor allem dazu eingesetzt werden, den bestehenden Mitarbeitenden mehr Wissen, Produktivität und Kreativität zu ermöglichen. Allerdings ist bei der Implementierung entscheidend, sich auf wirklich produktive Use Cases zu fokussieren. Keinesfalls sollte GenAI als Selbstzweck gesehen werden, der nun unbedingt in jeden einzelnen Prozess im Unternehmen integriert werden müsste. Demgegenüber wird häufig ein eher evolutionärer Ansatz verfolgt: Viele erfolgreiche Unternehmen gehen schrittweise vor, indem sie nach und nach die Anwendungen auf neue Use Cases ausweiten. So kann es gelingen, sukzessive die Business-Funktionen zu transformieren, Produkte, Prozesse und Services zu verbessern sowie Innovationszyklen wesentlich zu verkürzen.
Für die Skalierung von GenAI muss eine Reihe von wesentlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Hierbei können viele Unternehmen wahrscheinlich von den Erfahrungen profitieren, die sie in den letzten Jahren beim Implementieren von Cloud, Data Analytics und Machine Learning gesammelt haben. Wichtig ist zunächst eine angemessene Datenarchitektur, die beispielsweise auf einem zentralisierten Data Marketplace basiert. Außerdem ist eine sorgfältig ausgearbeitete Governance erforderlich. Das Governance-Framework sollte die Business-Vision definieren, eine kontinuierliche Überprüfung der Performance ermöglichen sowie Risiken und Fähigkeitslücken identifizieren. Ein verantwortungsvoller Umgang mit GenAI im Einklang mit den Unternehmenswerten hat dabei besondere Bedeutung – nicht um Use Cases zu verhindern, sondern um eine kontrollierte Skalierung überhaupt erst zu ermöglichen. Schließlich muss auch die Copyright-Problematik beachtet werden. Manche Sprachmodelle wurden unter Verwendung von geschütztem Material von Drittparteien trainiert. Dadurch können bei Nutzung dieser Modelle Urheberrechtsverletzungen entstehen, was auch schon durch Gerichtsurteile bestätigt wurde. Eine Lösung für diese Herausforderung könnte im Einsatz von solchen GenAI-Lösungen liegen, bei denen explizit ausschließlich eigenes oder lizensiertes Material für das Training verwendet wird. In Zukunft dürften spezialisierte Large Language Models (LLMs) eine noch stärkere Fokussierung auf die individuellen Herausforderungen der Unternehmen ermöglichen. Eine weitere Herausforderung liegt in den enormen Computing-Ressourcen, die für GenAI erforderlich sind. Von den meisten Unternehmen werden diese zukünftig mangels eigener Kapazitäten wahrscheinlich als Service bezogen und beispielsweise per API in die eigenen Software-Umgebungen eingebunden.
Worauf es jetzt aber vor allem ankommt, ist die Kreativität des Managements beim Einsatz der Technologie. GenAI erweitert den Raum dessen, was für ein Unternehmen möglich ist. Schöpferische Führungskräfte entwickeln und realisieren auf dieser Basis innovative Ansätze, um bislang brach liegende Datenquellen durch GenAI effizient zu nutzen und einen spürbaren Business-Impact zu erzielen. So schaffen sie neue GenAI Anwendungen, die nachhaltige Wettbewerbsvorteile bringen und zukunftsweisende Wachstumsimpulse setzen.
Technologie ist heutzutage zu einem entscheidenden Faktor für die Wettbewerbsstellung geworden. Von GenAI bis zu Digital Twins – die neuen Ansätze erfordern auch entsprechend leistungsfähige IT-Systeme, die den wachsenden Workload zuverlässig, schnell und effizient abarbeiten können. Cloud-Dienstleistungen können einen großen Teil davon abfedern, gerade im Hinblick auf Standard-Anwendungen wie ERP, CRM oder HR-Management. Sie weisen auf der Kostenseite aber teilweise Nachteile auf. Zudem erfordern auch immer mehr spezialisierte Anwendungen eine Steigerung der eigenen Computing-Fähigkeiten im Unternehmen.
Während in den vergangenen Jahrzehnten gemäß dem Mooreschen Gesetz alle zwei Jahre die Halbleiterleistung verdoppelt werden konnte, gerät dieser Fortschritt heute allmählich an seine Grenzen. Daher sind neue Verbesserungsansätze nötig, etwa durch die Optimierung von Code. Refactoring von bestehendem Code, beispielsweise von COBOL zu Java, kann dabei helfen, die Geschwindigkeit und Effizienz der IT zu erhöhen. Ein weiterer Ansatz besteht in der Integration von IT-Systemen und operativen Systemen (OT) , um die Computation-Ressourcen ganzheitlich effizienter zu managen. Schließlich liefert maßgeschneiderte AI Hardware, wie etwa Grafikchips (Graphic Processing Unit, GPU) mit ihren Parallel-Computing-Fähigkeiten, einen besonders effektiven Hebel zur Bewältigung der enormen Datenmengen. Für viele Unternehmen dürften dabei auch Cloud-basierte GPU-Services in Frage kommen. Außerdem werden aktuell anwendungsspezifische Prozessoren mit AI-Fokus entwickelt. Darüber hinaus könnte in Zukunft die Entwicklung von Quantencomputern einen starken Leistungsschub ermöglichen, indem das bisherige binäre Rechenschema von Mikroprozessoren überwunden wird. Mit Quanten-Annealing werden schon heute erste Erfolge bei Optimierungsaufgaben erzielt. Zu weiteren vielversprechenden Zukunftstrends auf diesem Feld gehören Neuromorphic Computing, wobei Transistoren in Netzwerken analog zu menschlichen Neuronen organisiert werden, sowie Optical Computing auf Basis von Lichtwellen.
„Von DevOps zu DevEx“: Gemäß diesem Motto skizziert der neue Report eine wichtige Entwicklung im IT-Talent Management. Bekanntlich herrscht in diesem Bereich enorme Knappheit auf den Arbeitsmärkten, während gleichzeitig die Bedeutung von Daten und Code für Geschäftsmodelle und Produkte exponentiell zunimmt. Die Steigerung der Effizienz von IT-Spezialist:innen und Entwickler:innen ist daher ein zentrales strategisches Thema für Unternehmen, ebenso wie neue Ansätze im Talent Management. Um Geschwindigkeit, Qualität und cross-funktionale Kooperation zu verbessern, wurden in den letzten Jahren verstärkt agile Methoden, DevOps und Cloud Engineering eingeführt. Nun zeichnet sich mit dem Fokus auf die Developer Experience (DevEx) ein weiterer Trend ab, der Optimierungspotenziale realisiert. Dabei geht es darum, ein „developer first“-Mindset aufzubauen und die organisatorische Arbeitsumgebung für Entwickler:innen bestmöglich zu optimieren. Dadurch wird einerseits qualifiziertes Personal effektiver angezogen und an das Unternehmen gebunden. Andererseits steigt mit DevEx auch die Produktivität.
Ein erfolgreicher DevEx-Ansatz stellt sicher, dass Entwickler:innen sämtliche Tools, Plattformen und Feedback-Mechanismen nutzen können, die sie benötigen. So können sie sich auf die eigentliche Entwicklungsarbeit konzentrieren und verbringen möglichst wenig Zeit mit Aufgaben wie Konfiguration oder Debugging. Modulare Plattformarchitekturen erhöhen die Skalierbarkeit und Zuverlässigkeit, unterstützt durch zielgerichtetes Monitoring wichtiger Plattform-Metriken und durch Tools für eine bessere Zusammenarbeit. Fortgeschrittene Organisationen bieten dedizierte Entwickler-Plattformen an, die die nötigen Tools und Ressourcen integrieren. Außerdem sollten Unternehmen darauf achten, Workflows möglichst nahtlos und effizient zu gestalten, etwa durch Development Accelerators, Lifecycle-orientiertes Service Ownership und koordinierte DevSecOps-Strategien. Vor allem rückt bei DevEx die Optimierung der Mitarbeitenden-Erfahrung der Tech Workforce ins Zentrum, wofür der Aufbau einer förderlichen Community-Kultur, die Bereitstellung individueller Lernmöglichkeiten und die Gestaltung entsprechender Karrierewege empfohlen wird.
Der enorme Boom von GenAI und anderen AI-Anwendungen hat allerdings auch eine Kehrseite im Hinblick auf Cyber Security und Datenschutz. Nie war es beispielsweise einfacher, durch AI-generierte fotorealistische Bilder Deepfakes und Falschinformationen zu verbreiten. Cyber-Kriminelle können die neuen Möglichkeiten im großen Maßstab nutzen, um beispielsweise Phishing-Attacken effektiver zu gestalten. Durch GenAI kann der Inhalt einer Phishing-Mail mit geringem Aufwand präzise auf Adressaten ausgerichtet werden, um diese zu täuschen. Dasselbe gilt für personalisiertes Social Engineering. Ein weiteres Sicherheitsproblem entsteht durch Prompt Injection, wobei Sprachmodelle durch missbräuchliche Eingaben manipuliert werden, so dass sie gegen ihre eigenen internen Regeln verstoßen.
Für die Abwehr kommen unter anderem AI-basierte Tools zur Erkennung von problematischen Daten in Frage, sowie Tools zur Identifizierung von GenAI-Content. Entsprechende Plattformen werden schon erfolgreich genutzt. Zukünftig dürften quantenbasierte Ansätze die Leistungsfähigkeit der Cyber-Abwehr weiterhin verbessern.
Stichwörter wie Spatial Computing und Industrial Metaverse markieren einen zukunftsweisenden Technologietrend, der gerade in eine neue Phase tritt und Unternehmen greifbaren Mehrwert bietet. Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Anwendungen sind inzwischen in der industriellen Produktion angekommen. Digital Twins, räumliche Simulationen, verbesserte interaktive Arbeitsumgebungen und digitale Räume für effektives Zusammenarbeiten werden eingeführt. Fachkräfte auf dem Shopfloor ebenso wie Designer:innen und Ingenieur:innen profitieren von immersiven 3D-Applikationen.
Eine große Herausforderung liegt für viele Unternehmen derzeit in der Notwendigkeit, überkommene Tech-Systeme wie Mainframes, Netzwerke und Data Centers zu modernisieren . Das Legacy-Problem wird oftmals eher kleinteilig angegangen, jedoch nicht zufriedenstellend gelöst. Ein innovativer Ansatz besteht darin, den bisherigen Fokus auf „technical debt“ durch eine Strategie der „technical wellness“ zu ersetzen. Dazu gehören präventive Tech-Wellness-Assessments, die von den konkreten geschäftlichen Auswirkungen ausgehen und bei der Priorisierung von Investitionen helfen. Entsprechende Strategien werden in der Zukunft voraussichtlich auf den ganzen Tech Stack ausgeweitet. Zusätzlich wird vermehrt in „self-healing technology“ investiert, bei der Self-Service-Fähigkeiten, AI-Anwendungen und spezialisierte Fachkräfte für maximal produktive Technologie sorgen.
Für den neuen Report wurden zahlreiche Interviews mit Expert:innen und Industrievertreter:innen sowie umfangreiche Recherchen durchgeführt. Der Report bietet ausführliche Beiträge zu den sechs Trends und liefert eine Reihe von Beispielen aus Unternehmen verschiedener Branchen. Laden Sie hier den vollständigen Deloitte Tech Trends 2024 Report herunter für zusätzliche Informationen und Beispiele zu den diskutierten Ansätzen.