Rezessionsängste belasten die aktuelle Stimmung in der deutschen Wirtschaft erheblich. Auch auf dem Immobilienmarkt wird dies deutlich. Die rasant gestiegene Inflation, insbesondere die Energiepreis-Explosion, sorgt nicht nur für reale Kaufkraftverluste bei Konsumenten, sondern veranlasst die Europäische Zentralbank (EZB) zu den ersten Zinsanhebungen seit elf Jahren. Die geldpolitische Kehrtwende führt unter anderem zu steigenden Zinsen für Bau- und Immobilienkredite und hat daher spürbare Folgen für den typischerweise hoch finanzierten Immobiliensektor1.
Die momentane Stimmungslage der Real Estate Unternehmen befindet sich aufgrund der Vielzahl an neuen Herausforderungen im steten Sinkflug. Ein detailliertes Bild über die aktuellen Aussichten, Risiken und Geschäftsstrategien des Sektors gibt die deutsche Herbst-Ausgabe des diesjährigen Deloitte CFO-Survey. In dieser Studie werden Finanzvorstände aller Branchen halbjährlich nach ihren Einschätzungen bezüglich ihrer Konjunktur- und Geschäftserwartungen befragt. Die Gesamtzahl deutscher Teilnehmer beläuft sich auf 124. Die folgenden Analysen zeigen die Rückmeldungen der Finanzverantwortlichen aus der Immobilienbranche2. Die Studie von 2022 zeigt: Obwohl die Stimmung bereits im vorigen Halbjahr eingebrochen war, fällt sie aktuell auf ein neues Rekordtief.
Die befragten Finanzvorstände der Real Estate Industrie sind sich in einer Hinsicht einig: Eine Verbesserung der Geschäftsaussichten ist derzeit nicht zu erwarten. Seitdem der CFO Survey erhoben wird, herrschte noch nie ein so geringes Maß an Zuversicht. So rechnen 88 Prozent der CFOs im Vergleich zum Vorquartal mit einer weiteren Verschlechterung der Lage (siehe Abbildung 1).
Abb. 1: „Wie beurteilen Sie die momentanen Geschäftsaussichten Ihres Unternehmens im Vergleich zu den Aussichten vor drei Monaten?“
Die Herausforderungen infolge der aktuellen Krise sind für die Immobilienbranche sehr vielschichtig. Der Krieg in der Ukraine, geopolitische Unsicherheiten, Lieferengpässe, Inflation, steigende Bauzinsen und die drohende Rezession setzen den Real Estate Sektor erheblich unter Druck. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die befragten Finanzvorstände das Thema Unsicherheit derzeit als ungewöhnlich hoch bewerten. So schätzen 94 Prozent aller CFOs aus der Immobilienbranche das momentane Niveau der Unsicherheit im ökonomischen und finanziellen Umfeld als hoch oder sehr hoch ein. Dies sind 10 Prozentpunkte mehr als im branchenübergreifenden Durchschnitt. Der stete Aufwärtstrend am Immobilienmarkt scheint nach über zehn Jahren gebrochen. Es zeichnet sich bereits ein deutlicher Rückgang des Neugeschäfts ab. Laut Bundesbankstatistik waren beispielsweise die Volumina für Wohnungsbaukredite an private Haushalte im September 2022 um etwa ein Viertel geringer als im Vorjahr.
Als logische Folge nennen die CFOs in der Herbst-Ausgabe der Studie 2022 erstmals eine schwächere Inlandsnachfrage als derzeitiges Kernproblem der Branche. Während dies im Frühjahr nur von einem Drittel der Befragten als größeres Risiko bewertet wurde, waren es diesmal über 80 Prozent (siehe Abbildung 2). An dieser Stelle wird ein großer Umbruch in der Branche erkennbar, da jahrelang die Nachfrage groß und das Angebot knapp war.
Abb. 2: „Welche der folgenden Faktoren stellen für Ihr Unternehmen in den nächsten zwölf Monaten ein hohes Risiko dar?“
Auch werden die steigenden Kapitalkosten nun von deutlich mehr Finanzvorständen als Risikofaktor bewertet. So war die Niedrigzinsphase – und die damit einhergehenden geringen Finanzierungskosten – ein nicht unerheblicher Treiber des Immobilienbooms. Die geldpolitische Wende belastet den Immobilienmarkt spürbar. Doch auch der Fachkräftemangel und die Energiekrise haben einen starken Einfluss auf die Branche und wurden von jeweils 71 Prozent der CFOs als wesentliche Risikofaktoren genannt. Diese Themen standen auch schon im Frühjahr weit oben auf der Agenda der Immobilienunternehmen. Die vielschichtigen Folgen der aktuellen Marktlage zeigen sich auch bei der Betrachtung der Umsatz-, Margen- und Investitionserwartungen.
Einerseits sind die Umsatzerwartungen nur leicht rückläufig. Immerhin rechnet fast die Hälfte der Finanzvorstände mit einem Umsatzanstieg. Dies könnte mitunter durch die Preissteigerungen infolge der Inflation erklärt werden. Andererseits zeichnen die Margenerwartungen ein äußerst trübes Bild. Aus Abbildung 3 wird ersichtlich, dass kein Teilnehmer aus der Immobilienwirtschaft in den nächsten zwölf Monaten einen Anstieg erwartet und sogar 70 Prozent von einem weiteren Rückgang der operativen Margen ausgeht. So dürfte eine Weitergabe der gestiegenen Kosten aufgrund der allgemeinen Verschlechterung der Lage am Immobilienmarkt nicht ohne weiteres möglich sein.
Abb. 3: „Wie werden sich Ihrer Ansicht nach die Umsätze / operativen Margen in Ihrem Unternehmen über die nächsten zwölf Monate verändern?“
Ähnlich sieht dies mit Blick auf die Investitionen aus (siehe Abbildung 4). Mit einem Nettosaldo von -38 Prozent rechnen in den nächsten zwölf Monaten deutlich mehr Finanzvorstände mit einem Rückgang (44%) des geplanten Capex als mit einem Anstieg (6%)3. Die unsicheren Zukunftsaussichten führen also auch hier zu erhöhter Vorsicht. Die Beschäftigungszahlen werden hingegen etwas anders eingeschätzt. Zwar zeigt sich im Vergleich zur Frühjahrs-Umfrage ein Rückgang des Nettosaldos von 22 Prozent auf 6 Prozent, doch erwarten immer noch mehr CFOs eine Vergrößerung (24%) als eine Verringerung (18%) ihrer Mitarbeiterzahl. Dies verdeutlicht, dass es in der deutschen Immobilienwirtschaft trotz der gravierenden Herausforderungen am Markt im Schnitt keinen signifikanten Abbau der Mitarbeiterzahlen geben dürfte. Schließlich nannten die Finanzvorstände den Fachkräftemangel als eines der zentralen Probleme des Sektors (siehe vorheriger Abschnitt).
Abb. 4: „Wie werden sich Ihrer Ansicht nach die Investitionen / die Beschäftigung in Ihrem Unterneh-men über die nächsten zwölf Monate verändern?“
Um der drohenden Rezession zu begegnen, gehört die Senkung von Kosten zur Top-Priorität der befragten Unternehmen der Immobilienbranche, wenngleich es sich nicht unbedingt um Personalkosten handelt. Expansive Strategien haben angesichts der aktuellen Marktlage eine deutlich geringere Bedeutung. So planen über die Hälfte der Finanzvorstände in den nächsten zwölf Monaten die Umsetzung von Kostenreduzierungsstrategien und nur 24 Prozent die Expansion in neue Märkte.
Dabei dürfte auch die derzeitige Rekordinflation eine Rolle spielen, denn die in der vorherigen Ausgabe des CFO Survey diskutierten Inflationsängste haben sich in einem ungeahnten Ausmaß materialisiert. So beobachten wir derzeit Inflationsraten wie seit fast 50 Jahren nicht mehr. Zugleich erwarten die deutschen Real Estate Unternehmen, dass die Inflation auch längerfristig auf einem Niveau jenseits des EZB-Ziels von 2 Prozent bleibt. Die CFOs rechnen laut unserer Studie für 2023 sogar mit einer Inflation von 7,3 Prozent und für 2024 von 4,4 Prozent. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die große Mehrheit der Immobilienunternehmen eine Reihe an Geschäftsstrategien entwickelt, um mit den Preissteigerungen umzugehen. Ein verbessertes Cash Flow-Management (86%), die Weitergabe der höheren Preise an Verbraucher (82%) sowie die Verbesserung der Energieeffizienz bzw. Energieeinsparungen (81%) sind dabei die von den Survey-Teilnehmern genannten Top-Themen.
Nicht zuletzt belasten auch geopolitische Risiken die Branche. Hierbei sind Immobilienunternehmen vor allem auch von Lieferkettenproblemen betroffen. Vor diesem Hintergrund planen gut 40 Prozent der Finanzvorstände die Diversifizierung und rund ein Drittel die Relokalisierung von Lieferketten. Ebenfalls ein Drittel der Teilnehmer aus der Real Estate Industrie plant die stärkere Integration von geopolitischen Faktoren in Strategieentscheidungen, um gegenüber dieser Art von Risiken resilienter zu sein.
Die neueste Ausgabe des Deloitte CFO Survey zeigt, dass die aktuelle Wirtschaftslage deutsche Immobilienunternehmen erheblich unter Druck setzt. Die neuen Herausforderungen am Markt führen dazu, dass derzeit die Reduzierung der vielschichtigen Risiken zur Priorität unter den Finanzvorständen des Real Estate Sektors geworden ist. Gleichzeitig ist es von Bedeutung, die Umsetzung zukunftsweisender Strategien nicht zu vernachlässigen, um bei wichtigen Trends am Immobilienmarkt nicht ins Hintertreffen zu geraten.
[1] Der Zinsstatistik der Bundesbank zufolge haben sich beispielsweise die Zinsen für Wohnungsbaukredite an private Haushalte seit Beginn des Jahres von ca. 1,3 Prozent auf rund 3 Prozent bis September mehr als verdoppelt.
[2] Dies sind ca. 14 Prozent der deutschen CFOs.
[3] Der Nettosaldo ergibt sich aus dem Prozentsatz positiver Antworten abzüglich des Prozentsatzes negativer Antworten.
Autoren:
Dr. Corinna Woyand
Associate Manager | Financial Services Research
Dr. Florian Loipersberger
Senior | Financial Services Research
Die Deloitte Industry Briefings analysieren Themen, die die Branchen bewegen, um kurzfristig und agil auf aktuelle Markentwicklungen und Branchenthemen reagieren zu können.