Industrie 4.0 ist viel mehr als die intelligente Vernetzung und Digitalisierung der Produktion durch Technologien wie Analytics, KI oder das IoT. Als Vierte Industrielle Revolution steht sie zugleich für einen Transformationsprozess, der Unternehmen, die Arbeitswelt und die Gesellschaft verändert.
Doch wie bewerten Führungskräfte diesen Wandel und wie reagieren sie darauf? Deloitte hat dazu für die aktuelle Industrie 4.0 Studie 2020 "The Fourth Industrial Revolution. At the intersection of readiness and responsibility" CXOs aus 19 Ländern befragt. Es ist bereits die dritte Auflage dieser jährlich veröffentlichten Studienreihe zum Thema; untenstehend finden Sie die bisherigen Ausgaben zum Download. Im Mittelpunkt der Befragung standen vier Schwerpunkte, die zentrale Aspekte der Industrie-4.0-Ära abbilden: Strategie, Soziales, Mitarbeiter und Technologie.
Strategie: Anspruch und Wirklichkeit stehen noch im Widerspruch
In der von ständiger Veränderung und Disruption geprägten Ära von Industrie 4.0 ist es für Unternehmen entscheidend, effektive, ganzheitliche Strategien zu entwickeln und implementieren, um die Vorteile der Industrie-4.0-Technologien unternehmensweit zu nutzen und langfristig Wachstumschancen zu schaffen. Laut Studie sind von den befragten Unternehmen jene mit einer effektiven Industrie-4.0-Strategie wirtschaftlich erfolgreicher. 18% von ihnen wuchsen im vergangenen Jahr um 20% oder mehr; nur 3% der Unternehmen ohne entsprechende Strategie erzielten ein ähnlich starkes Wachstum.
Die Studie zeigt aber auch, dass hinsichtlich der Strategie noch erheblicher Nachholbedarf in den Führungsetagen besteht: In der aktuellen Umfrage geben nur 10 Prozent der weltweit Befragten an, dass ihre Unternehmen eine umfassende Industrie-4.0-Strategie verfolgen; in Deutschland sind es 9 Prozent. Derzeit haben zwei Drittel der globalen Unternehmen entweder keine definierte Industrie-4.0-Strategie (21%) oder verfolgen lediglich Ad-hoc-Ansätze zur punktuellen Umsetzung (47%). Im Detail liegen die deutschen Unternehmen hier sogar deutlich zurück: So verfügen hierzulande nach eigener Angabe 41% von ihnen über keine Industrie-4.0-Strategie – das sind fast doppelt so viele wie im internationalen Vergleich.
Auf die in der Studie gestellte Frage, was sie sich von Industrie 4.0 erwarten, unterscheiden sich die Antworten der deutschen Führungskräfte in zahlreichen Punkten erheblich von denen ihrer internationalen Kollegen. So streben 80% der deutschen CXOs vorrangig eine Steigerung des Umsatzes an (Global 59%), 43% erwarten von Industrie 4.0 ein verbessertes Risk Management (Global 27%) und 42 % Kostensenkungen (Global 29%). Ebenfalls auffällig: Lediglich für 6% der deutschen C-Level-Führungskräfte liegt der Fokus darauf, im Rahmen von Industrie 4.0 auch einen Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen – international gesehen verfolgen dieses Ziel immerhin 23% der Befragten.
Soziale Verantwortung: Ein Umdenken setzt ein
Weltweit erkennen CXOs zunehmend an, dass ihre Unternehmen nicht nur gegenüber den Anteilseignern, sondern auch gegenüber Mitarbeitern, Kunden und der Gesellschaft ihrer Verantwortung gerecht werden müssen, um weiterhin erfolgreich wirtschaften zu können. Die Studie zeigt, dass Führungskräfte nach dem Thema Fachkräftemangel (61% der Nennungen) aktuell die Themen Klimawandel und ökologische Nachhaltigkeit (54%) als die drängendsten gesellschaftlichen Herausforderungen ansehen. Aus Sicht der deutschen CXOs hat das Thema Digitalisierung der Lieferketten mit 56% noch eine deutliche höhere Priorität als das Thema Klimawandel und ökologische Nachhaltigkeit mit 41%.
In anderen Bereichen nehmen die deutsche CXOs eine Vorreiterrolle ein: So geben 96% in der Befragung an, dass die Unternehmensführung ihre Verantwortung für den Schutz von Kundendaten wahrnimmt (Global 62%). Und 95% haben eine Unternehmenskultur etabliert, bei der diverse Stimmen in der Entscheidungsfindung zur Geltung kommen; dies ist nur bei 58% der internationalen Unternehmen der Fall.
Auch die Gewichtung der entscheidenden Treiber, warum Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, unterscheidet sich hierzulande gegenüber dem internationalen Vergleich:
Mitarbeiter: Weiterbildung und Skills für Industrie 4.0
Industrie 4.0 verändert durch Digitalisierung und den Einsatz kognitiver Technologien die Arbeitswelt grundlegend und stellt Unternehmen vor die Herausforderung, ihre Mitarbeiter für die neuen Anforderungen bereit zu machen. Die Industrie 4.0 Studie 2020 belegt, dass die weltweit befragten CXOs verstärkt die Bedeutung und den Wert einer Unternehmenskultur des lebenslangen Lernens erkennen. Die gezielte Förderung und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter nennen demnach 74% als höchste Priorität für Investments in diesem Bereich. Und 59% wollen investieren, um ein besseres Verständnis davon zu gewinnen, welche Skills in ihren Unternehmen für Industrie 4.0 zukünftig benötigt werden.
Diesen beiden Aspekten messen die deutschen Studienteilnehmer sogar eine noch höhere Wichtigkeit bei als ihre internationalen Kollegen: 82% nannten Mitarbeiter-Weiterbildung als ihre Top-Priorität und sogar 92% das Verständnis der benötigten Industrie-4.0-Skills. Im internationalen Vergleich sind sie zudem prozentual deutlich häufiger davon überzeugt, dass die Mitarbeiter im Unternehmen bereits heute über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die in der Zukunft für Industrie 4.0 unabdingbar sind (Deutschland 34% vs. Global 20%).
Technologie: Status quo statt Disruption
Die Umstellung auf Industrie 4.0 ermöglicht den Einsatz neuer Technologien, um Prozesse zu verbessern, die Produktivität zu steigern und Innovationen voranzutreiben. Doch wie die Resultate der Studie zeigen, begreifen viele Unternehmen Technologie noch immer nicht als Werkzeug des Fortschritts, sondern lediglich als Mittel, um ihr bestehendes Geschäft gegen Disruption – sprich Verlust von Wettbewerbsvorteilen – abzusichern. Vor allem für deutsche C-Level-Executives hat dies höchste Priorität (86%). Nur 23% von ihnen streben an, mit ihren Unternehmen selbst zu Disruptoren in ihrer Branche zu werden.
Bei der Nennung der für ihre Organisation bedeutendsten Industrie 4.0 Technologien liegen aus Sicht der Befragten sowohl hierzulande als auch global das Internet of Things, Künstliche Intelligenz, Cloud und Big Data Analytics vorne (in dieser Reihenfolge). Auffällig ist aber, dass deutsche Führungskräfte mit ihrem oben beschriebenen Fokus auf Wertschöpfung und Kostensenkung deren Bedeutung noch weit höher einschätzen als die weltweit befragten CXOs:
• IoT: Deutschland 98% vs. Global 72%
• KI: Deutschland 79% vs. Global 68%
• Cloud: Deutschland 86% vs. Global 64%
• Big Data Analytics: Deutschland 77% vs. Global 54%
Alle Informationen und Befragungsergebnisse finden Sie direkt in der Studie "The Fourth Industrial Revolution. At the intersection of readiness and responsibility" zum Download. Die detaillierten Ergebnisse für den Standort Deutschland, die die Einschätzungen der CXOs aus deutschen Unternehmen abbilden, finden Sie hier auf Slidshare.
Im Vergleich zur 2018 veröffentlichten Studie haben die CXOs ein tiefergehendes Verständnis der Herausforderungen von Industrie 4.0 gewonnen und sehen sich besser in der Lage, diese gezielt anzugehen. Wir haben die Daten der Befragung analysiert, um zu verstehen, welche Führungskräfte auf dem Weg hin zu Industrie 4.0 die größten Fortschritte gemacht haben. Die Studie zeigt, dass jene CXOs, die in ihrer Führungsrolle bestimmte Eigenschaften vereinen und Schwerpunkte setzen, die Transformation effektiver bewältigen als andere Entscheider.
Deloitte hat für die Studie weltweit über 1600 Vorstände und Geschäftsführer zu den Chancen und Risiken von Industrie 4.0 für Unternehmen und die Gesellschaft befragt. Insgesamt ist ihr Blick in die Zukunft positiv – doch ihre Antworten zeigen auch Zweifel, ob sie die Entwicklung aktiv mitgestalten und das ganze Potenzial nutzen können. Spannend dabei auch der Blick auf Deutschland: Wie gut sehen sich die Unternehmen im internationalen Vergleich aufgestellt?