Am 7. Dezember 2017 hat der Baseler Ausschuss nach einer mehrjährigen Konsultationsphase das überarbeitete Rahmenwerk „Basel III: Finalising post-crisis reforms“ zur (standardisierten) Berechnung der risikogewichteten Aktiva und Capital Floors finalisiert. Von der Aufsicht wird das Reformpaket offiziell als Finalisierung der Basel III-Vorschriften tituliert, wohingegen am Markt mit Blick auf die weitreichenden Änderungen vielfach die Bezeichnung „Basel IV“ gewählt wird.
Die neuen Vorschriften beziehen sich auf sämtliche Risikoarten und betreffen alle Banken – ungeachtet der Größe und des Geschäftsmodells. Banken, die derzeit die regulatorischen Eigenmittelanforderungen mit Hilfe interner Modelle ermitteln, sind von den Neuerungen in besonderem Maße betroffen: Nach langwieriger Diskussion wird sukzessive ein so genannter Output-Floor eingeführt. Ferner kommt es zu grundsätzlichen Einschränkungen bei der Verwendung institutseigener Risikobewertungsverfahren.
Aus den beschlossenen Modifikationen ergeben sich dabei nicht nur Herausforderungen in Bezug auf die konkrete Umsetzung der neuen Anforderungen im Rahmen der Risikoermittlung. Im Fokus dürften vielmehr auch mit Blick auf die veränderten Kapitalanforderungen strategische Fragestellungen beispielsweise im Hinblick auf bestehende Geschäftsfelder oder die Sinnhaftigkeit einer Weiterentwicklung von internen Modellen stehen. Diese machen eine frühzeitige Analyse der Neuerungen erforderlich.
Mit dem neuen Reformpaket streben die Bankenaufseher – anknüpfend am Basel III-Rahmenwerk von 2010 – eine weitere Verbesserung der Widerstandsfähigkeit des Bankensystems an. Während unmittelbar nach der Finanzkrise die Stärkung der Kapitalbasis der Banken Ziel der Neuregelungen war, stehen nunmehr die Kapitalanforderungen bzw. die hierfür ausschlaggebende Risikobewertung im Mittelpunkt. Die nun beschlossenen Regelungen sind Teil eines größeren Gesamtpakets, das unter anderem auch die bereits vor einiger Zeit verabschiedete Neuregelung der Handelsbuchvorschriften („Fundamental Review of the Trading Book“) und der Wiedereindeckungsrisiken umfasst. Demgegenüber nicht enthalten sind neue Regelungen in Bezug auf die Behandlung von Forderungen gegenüber Zentralstaaten und Zentralbanken, die jedoch zeitgleich separat zur Konsultation gestellt wurden.
Mit den neuen Vorschriften soll eine transparente und vergleichbare Berechnung der Kapitalanforderungen erreicht werden, ohne Einbußen bei der Risikosensitivität zu erleiden. Hierzu werden bei den Standardansätzen differenziertere Betrachtungsweisen für die Bewertung der Risikopositionen eingeführt. Zugleich erhöht sich die Bedeutung der Standardansätze durch die eingeschränkte Anwendbarkeit bankinterner Modelle sowie durch den auf die Standardansätze referenzierenden Output-Floor.
Das verabschiedete Reformpaket beinhaltet eine Überarbeitung der Standardansätze für Kredit-, CVA- und operationelle Risiken. Dabei basieren die neuen Vorgaben im Wesentlichen auf den jeweiligen letzten Konsultations-vorschlägen, wenngleich an verschiedenen Stellen Anpassungen vorgenommen wurden.
In Bezug auf das Kreditrisiko als die wesentliche Risikoart im Bankensektor wird dem Ziel der erhöhten Risikosensitivität primär durch eine differenzierte Aufteilung der Forderungsklassen Rechnung getragen. Insbesondere erfolgt bei der Ableitung des Risikogewichts zukünftig nicht mehr nur eine Differenzierung nach Art des Schuldners, sondern auch nach dem Zweck der Finanzierung. Beispielsweise wird die Forderungsklasse Unternehmen zukünftig in Anlehnung an den IRBA in herkömmliche Unternehmensforderungen und Spezial-finanzierungen aufgeteilt. Im Bereich der Immobilienkredite kommt für die Risikogewichtung dem Loan to Value (LTV) unter Beibehaltung der Möglichkeit des Splittings besonderes Gewicht zu.
Bei der Berechnung der Kapitalanforderungen für das operationelle Risiko dürfen Institute zukünftig nur noch auf einen Standardansatz zurückgreifen. Im Sinne der Risikosensitivität basiert dieser neben einer Ergebniskomponente zukünftig auch auf den historischen Verlusten der jeweiligen Bank.
Schließlich wird auch beim CVA-Risiko der Standardansatz durch die Berücksichtigung der Exposure-Komponente sowie der zugehörigen Hedging-Maßnahmen der Marktrisikofaktoren risikosensitiver gestaltet.
Nicht enthalten sind hingegen (methodische) Ausführungen zu den Standardansätzen für das Gegenparteiausfall- und das Marktrisiko, da diese vom Baseler Ausschuss bereits in den Vorjahren finalisiert wurden.
Die risikosensitiveren Standardverfahren sollen im Sinne einer geringeren RWA-Variabilität teilweise die internen Modelle ablösen. Im Bereich des Kreditrisikos werden interne Modelle insoweit eingeschränkt, dass für einige Forderungsklassen zukünftig nur noch der Basis-IRBA erlaubt ist. Die eigenständige Schätzung der LGD und des EAD ist demnach in folgenden Fällen nicht mehr zulässig:
Portfolio/Exposure | Basel II: Verfügbare Ansätze | Basel III: Verfügbare Ansätze |
---|---|---|
Große und mittelgroße Unternehmen (konsolidierter Umsatz > € 500 Mio.) | A-IRB, F-IRB, SA | F-IRB, SA |
Banken und andere Finanzinstitute | A-IRB, F-IRB, SA | F-IRB, SA |
Aktien | Verschiedene IRB-Ansätze | SA |
Spezialfinanzierungen | A-IRB, F-IRB, SA | A-IRB, F-IRB, Slotting, SA |
Zudem ergeben sich auch inhaltliche Anpassungen im IRBA. Dies betrifft insbesondere die neuen Untergrenzen für die Rechenparameter PD, LGD und CCF/EAD.
Die Berechnung der Kapitalanforderungen für das CVA- und das operationelle Risiko muss zukünftig zwingend nach dem jeweiligen Standardansatz erfolgen.
Ergänzend wird sukzessive ein Output-Floor eingeführt. Dieser soll beginnend 2022 mit 50 % ab 2027 bei 72,5 % liegen. Mit Hilfe interner Verfahren berechnete RWA können dann höchstens 27,5 % unterhalb der Kapitalanforderungen liegen, die sich bei Anwendung der neuen Standardverfahren ergeben. Dort, wo eine Nutzung von internen Modellen noch zulässig ist, werden dem Ergebnis der internen Berechnungen insoweit zusätzliche Grenzen gesetzt.
Der Floor wird dabei als Untergrenze bezogen auf sämtliche nach Standardansatz ermittelte RWA eingeführt. So fließen beispielsweise auch die RWA für operationelle Risiken in die Vergleichsgrundlage ein, obwohl für diese Risikoart keine interne Modellierung mehr zulässig ist.
Um den Floor berechnen zu können, müssen somit alle Institute zwingend die Berechnung der Standardansätze für alle Risikoarten implementieren.
Mit Blick auf ihre Funktion als Korrektiv zu den risikosensitiven Eigenmittelanforderungen, ist die Finalisierung der Leverage Ratio folgerichtig ebenfalls im Reformpaket enthalten. Die wesentliche Neuerung ist hierbei die Einführung eines Add-On für global systemrelevante Banken. Dieser soll jeweils die Hälfte des im Rahmen der regulatorischen Mindestquote einzuhaltenden G-SIB-Kapitalpuffers betrage. Je größer also das Risiko aus der Systemrelevanz des Instituts beurteilt wird, desto höher ist auch die grundsätzlich risikoneutrale Leverage Ratio.
Ergänzend zu diesem Kapitalaufschlag für große Institute hat die Aufsicht auch Modifikationen bei der Berechnung des Exposures vorgenommen. Hiermit wird eine Angleichung an die neuen Standardansätze zur RWA-Ermittlung angestrebt.
Das Reformpaket soll einheitlich zum 1. Januar 2022 in Kraft treten. In Bezug auf den Floor ist gleichwohl ein Übergangszeitraum bis 2027 vorgesehen.
Revision | Umsetzungsdatum |
---|---|
Revision des KSA | 1. Januar 2022 |
Revision des IRB-Rahmenwerks | 1. Januar 2022 |
Revision des CVA-Rahmenwerks | 1. Januar 2022 |
Regelwerk für operationelle Risiken | 1. Januar 2022 |
Leverage Ratio | Bestehende Exposure-Definition: 1. Januar 2018 Überarbeitete Exposure-Definition: 1. Januar 2022 G-SIB Puffer: 1. Januar 2022 |
Output Floor | 1. Januar 2022: 50% 1. Januar 2023: 55% 1. Januar 2024: 60% 1. Januar 2025: 65% 1. Januar 2026: 70% 1. Januar 2027: 72,5% |
Das einheitliche Inkrafttreten bezieht sich dabei ausdrücklich auch auf den bereits 2016 finalisierten Standardansatz für Marktpreisrisiken. Nicht eingegangen wird hingegen auf den neuen Standardansatz für das Gegenparteiausfallrisiko, der analog zum FRTB bereits in die neue CRR II aufgenommen werden soll. Inwieweit die CRR II – auch im Hinblick auf die Übergangsfristen – ggf. noch angepasst wird, bleibt insoweit abzuwarten.
Auch wenn die neuen Vorschriften im Vergleich zu den zwischenzeitlich diskutierten Konsultationspapieren etwas entschärft wurden, lassen die Neuerungen verschiedene strategische Implikationen erwarten. Es erscheint daher sinnvoll, frühzeitig eine Analyse der neuen Vorschriften zu starten.
Im Mittelpunkt der Betrachtungen sollte die Frage stehen, inwieweit sich das neue Regelwerk auf die Höhe der Kapitalanforderungen auswirkt. Die hierzu durchgeführten Auswirkungsstudien weisen dabei regelmäßig auf Mehrbelastungen hin, wenngleich die finalen Regelungen tendenziell etwas günstiger ausfallen als die konsultieren Vorschläge. Das konkrete Ausmaß hängt allerdings stark von institutsindividuellen Faktoren wie dem Geschäftsmodell bzw. der Kundenstruktur ab. Daher kann der zusätzliche Kapitalbedarf nicht pauschal abgeleitet werden, sondern nur auf Grundlage von individuellen Auswirkungsanalysen. Je früher hiermit begonnen wird, desto weniger Zeitdruck besteht für die Institute bei der Beschaffung des möglicherweise erforderlichen zusätzlichen Kapitals, was sich wiederum positiv auf die Kapitalkosten auswirken dürfte.
Eng hiermit verbunden ist die Fragestellung nach Möglichkeiten zur sinnvollen Nachjustierung des Geschäftsmodells. Auch solche Überlegungen sollten frühzeitig begonnen werden, da sich strukturelle Veränderungen beispielsweise des Kreditportfolios nicht kurzfristig erzielen lassen und auch viele der heute bereits vergebenen Kredite eine Laufzeit über den Geltungsbeginn der neuen Vorschriften hinaus aufweisen.
Diese Analysen betreffen auch und vor allem Banken mit internen Modellen. Mit Blick auf den vorgesehenen Gesamt-Floor von final 72,5 % können sie ihre zukünftigen Kapitalanforderungen nur abschätzen, wenn sie auch alle Standardansätze auf ihr Portfolio beziehen. Hierbei müssen sie zudem die Konsequenzen aus der teilweisen Abschaffung der internen Modelle berücksichtigen. Schließlich stellt sich aus Sicht von IRBA-Banken die Frage, inwieweit Weiterentwicklungen der internen Modelle noch lohnenswert sind.
Banken, die aktuell die erstmalige Einführung des IRBA erwägen, erhalten indes Planungssicherheit, wenngleich die Umsetzung der neuen Regelungen in europäisches Recht wohl erst mit einer CRR III erfolgen wird. Erste Entwürfe hierzu werden möglicherweise noch einige Zeit auf sich warten lassen, da die Finalisierung der CRR II bzw. CRD V Priorität genießen dürfte.