In den Debatten um die Zukunft der deutschen Automobilindustrie haben sich Untersuchungen zum Thema bislang hauptsächlich auf die großen Automobilhersteller (OEMs) konzentriert. Bislang fehlte es jedoch an einer fokussierten Betrachtung der Automobilzulieferer und wie diese sich auf die Transformation hin zur E-Mobilität eingestellt haben:
Die vorliegende Studie von Deloitte und dem Verband der Automobilindustrie (VDA) liefert damit einen Beitrag, mehr Transparenz zum aktuellen Stand der Transformation 2021 zu schaffen und anhand der Analyse der Strategien auch Prognosen zu ermöglichen, wie die Zulieferlandschaft in Zukunft aussehen könnte. Denn die Strategien und damit auch die Umsetzungsgeschwindigkeiten werden die Entwicklung maßgeblich prägen. Die Befragung liefert damit hilfreiche Informationen für Automobilzulieferer, um ihren eigenen Transformationsfortschritt im Vergleich zu anderen Unternehmen zu beurteilen und die gewählten Strategien zu bewerten.
Für alle Befragten ist klar, dass sich die Marktentwicklung hin zur Elektromobilität und alternativen Antrieben in den nächsten Jahren deutlich beschleunigen wird. Die meisten Unternehmen erwarten einen deutlichen Rückgang der Verbrennungstechnologie aber nicht bis 2030, sondern erst später. 26 Unternehmen gehen sogar davon aus, dass ein vollständiger Rückgang erst im Jahr 2040 oder noch später eintreten wird. Auch wird sich die Transformation weltweit in unterschiedlichen Geschwindigkeiten vollziehen – je nach dem Entwicklungsstand in den jeweiligen Märkten und den finanziellen Möglichkeiten der Konsumenten.
Spannend sind auch die Antworten auf die Frage nach der vorherrschenden Antriebstechnologie im Jahr 2030. Am häufigsten werden hier batterieelektrische Fahrzeuge genannt, wobei Mehrfachnennungen möglich waren. 30 Zulieferunternehmen können sich aber auch vorstellen, dass sich Fahrzeugantriebe mit synthetischen Kraftstoffen im Markt durchsetzen werden; 22 deutsche Automobilzulieferer glauben, dass Brennstoffzellen dies ebenfalls schaffen werden. Die Zulieferer erwarten also, dass nicht eine einzelne Technologie den Markt beherrscht, sondern ein Nebeneinander mehrerer Antriebstechniken wahrscheinlicher ist.
Diese Unsicherheit über die Marktentwicklung erschwert strategische Entscheidungen, inwieweit sich „traditionelle“ Kompetenzen und Wertschöpfungsketten übertragen und auch in Zukunft nutzen lassen. Zulieferer machen Investitionsentscheidungen daher häufig von den antriebsspezifischen Baukasten- und Plattformentscheidungen der Fahrzeughersteller abhängig, die sie beliefern. In die Entscheidungs- und Strategiefindung fließen darüber hinaus auch regulatorische Rahmenbedingungen der EU und von Ländern wie den USA und China mit ein, die wichtige Absatzmärkte für die deutsche Automobilindustrie sind. So haben etliche Unternehmen ihren Transformationsprozess mit der Einführung der regulativen Rahmenbedingungen ab 2015 begonnen, beziehungsweise mit deren Verschärfung 2017.
Die Transformation bedeutet für Unternehmen zweierlei: Schrumpfung im Bereich der Verbrennertechnologie und Wachstum im Bereich alternativer Antriebe (Elektromobilität). Die Schrumpfung kann durch einen schnellen Marktaustritt („Exit“), das Abschöpfen des bestehenden Marktes („Harvest“) oder den Aufkauf der übrigen Anbieter („Konsolidierung“) erfolgen. Das Wachstum kann wiederum geprägt sein durch einen Technologiesprung über Akquisitionen und Kooperationen oder die Entwicklung von Kompetenzen im eigenen Unternehmen (was länger dauert).
Der Fortschritt der Transformation lässt sich in sieben Phasen einteilen. Die erste Phase P1 bezeichnet dabei den ausschließlichen Fokus auf Verbrennungstechnologien, die letzte Phase P7 den reinen Fokus auf Elektromobilität. In den Phasen 2 und 3 erfolgt der Aufbau der Elektromobilität, wobei die herkömmliche Antriebe noch den größeren Anteil haben, in Phase 4 sind beiden Technologien schon ausgeglichen, in den Phasen 5 und 6 ist schon ein deutlicher stärkerer Fokus auf E-Mobilität zu erkennen.
Die Beurteilung des Transformationsfortschritts nur anhand von harten Fakten und Kriterien (wie Umsatz, Gewinn, F&E-Ausgaben) ist jedoch wenig zielführend, da dies stark von den Komponenten abhängig ist, die die Zulieferer jeweils spezifisch herstellen. Grundlage der Transformationsbeurteilung war daher die Selbsteinschätzung des Managements.
52 Unternehmen wählen für die Transformationsstrategie ein Abschöpfen des Marktes (Harvest) mit der Entwicklung eigener Kompetenzen. 19 nutzen ebenfalls einen Harvest-Ansatz, kombinieren diesen aber mit einem Technologiesprung. Nur jeweils zwei Unternehmen verfolgen einen Exit- oder Konsolidierungsansatz. 8 Unternehmen sehen keine Veranlassung, die Transformation anzustoßen. Dies ist nicht verwunderlich, da einige Unternehmen Komponenten herstellen, die nichts direkt mit der Antriebstechnik zu tun haben – wie etwa Innenraumteile.
Die COVID-19 Pandemie sorgt auch bei den Zulieferern für zusätzliche Belastungen, etwa durch Chip-Knappheit und schwankende Lieferketten. Die Umfrage zeigt aber auch, dass mehr als zwei Drittel der Befragten die Pandemie als Beschleuniger der Transformation wahrnehmen. Nur 13 Prozent gehen von einer Verlangsamung aus, weil ihnen die Mittel für die Umsetzung fehlen.
Betrachtet man die Anteile der Elektromobilität an Umsatz, Forschung und Entwicklung, Investitionen und Gewinn der Zulieferunternehmen, ergibt sich ein interessantes Bild: Mit 34 Prozent Anteil an F&E und 28 Prozent an den Gesamtinvestitionen liegen die Werte deutlich höher als die Anteile bei Umsatz (15 Prozent) und Gewinn (nur 10 Prozent entfallen derzeit auf die Elektromobilität). Die Zahlen können als Indiz gelten, dass mit einer deutlichen Beschleunigung der Transformation zu rechnen ist. Für die einzelnen Unternehmen hängt dies allerdings davon ab, ob sie über die notwendigen Finanzmittel verfügen oder am Kapitalmarkt aufnehmen können, um diese Transformation voranzubringen. M&A-Aktivitäten, Carve-outs, Zukauf von neuen Technologien und deren Einbettung in die existierende Organisation werden hier die zentralen Steuergrößen sein.
Eine weitere Beschleunigung der Transformation würde durch den Abbau bestehender Barrieren möglich. Dazu zählen aus Sicht der befragten Unternehmen vor allem der Mangel an politischer Unterstützung und die damit verbundene Planungsunsicherheit, steigende Anforderungen an die Nachhaltigkeit und der langsame Ausbau erneuerbarer Energien (die E-Fuels in ausreichender Menge unrealistisch werden lassen). Außerdem wurden die Teilnehmer gefragt, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen förderlich wären. Von den 16 möglichen Antworten wurden steuerliche Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung der Transformation aufgrund ihrer schnellen Wirksamkeit als besonders wichtig angesehen. Angesichts des Kapitalbedarfs für F&E sowie Investitionen sind überraschenderweise Beteiligungs- oder Transformationsfonds aber für die meisten Zulieferer kein Thema.
Das komplette Zahlenmaterial und viele aussagekräftige Diagramme finden Sie in der ausführlichen Studie „Die Transformation deutscher Automobilzulieferer zur Elektromobilität“ zum Download .
Deloitte und der Verband der Automobilindustrie (VDA) haben im Frühjahr 2021 für die vorliegende Studie Führungskräfte, Geschäftsführer und Vorstände von Mitgliedsunternehmen der VDA-Herstellergruppe III (Kfz-Zulieferer – Teile und Zubehör) befragt und wurde dabei vom Lehrstuhl der Allgemeine BWL & Internationales Automobilmanagement der Universität Duisburg-Essen unterstützt. Die Stichprobe der 83 Unternehmen (aus einer Gruppe von 586 Firmen der VDA-Herstellergruppe III) ist repräsentativ. Der Jahresumsatz der Unternehmen reicht von weniger als 1 Mio. Euro bis mehr als 10 Mrd. Euro. 46 Prozent der teilnehmenden Unternehmen waren Kapitalgesellschaften, 41 Prozent Eigentümerunternehmen.