Seit der Einführung hat Solvency II gezeigt, dass das Aufsichtssystem gut funktioniert. Mit dem in der Rahmenrichtlinie verankerten Solvency-II-Review werden in ausgewählten Aspekten Nachjustierungen vorgenommen. Dies betrifft sowohl die quantitativen Anforderungen als auch die qualitativen Prinzipien sowie den Umfang der Berichterstattung. Im vorliegenden Beitrag, der auf dem Ergebnis der verabschiedeten Richtlinie zur Änderung der Richtlinie „Solvabilität II“ basiert, geben wir einen Überblick zu ausgewählten Aspekten des Reviews sowie Umsetzungsimplikationen. Die Änderungsrichtlinie wurde am 08.01.2025 im EU-Amtsblatt veröffentlicht und tritt somit 20 Tage später in Kraft. Erstmals anzuwenden sind die neuen Vorschriften zwei Jahre nach ihrem Inkrafttreten am 30.01.2027
Die Richtlinie zielt darauf ab, das Finanzsystem in der Europäischen Union zu stärken und Versicherungs- sowie Rückversicherungsunternehmen widerstandsfähiger zu machen. Insgesamt sind in diesem Solvency-II-Review Anpassungen in Bezug auf Verhältnismäßigkeit, Qualität der Aufsicht, Berichterstattung, Maßnahmen zur langfristigen Garantie, makroprudenzielle Instrumente, Nachhaltigkeitsrisiken sowie Gruppen- und grenzüberschreitende Aufsicht in der Änderungsrichtlinie enthalten. Das bedingt mehr Transparenz, geschärfte Kapitalanforderungen und Berichtspflichten. Die Implikationen für die Unternehmen sind individuell zu bewerten, die Komplexität und die Flexibilität der Systeme stellen die entscheidenden Treiber dar.
Die Überarbeitung der Solvabilität-II-Richtlinie fordert Versicherer heraus, eröffnet aber auch Möglichkeiten zur Stärkung von Stabilität und Nachhaltigkeit. Durch frühzeitige Planung, präzise Umsetzung und den Fokus auf Nachhaltigkeitsstrategien können Versicherer nicht nur die regulatorischen Anforderungen erfüllen, sondern auch ihre Marktposition festigen. Die Reform ist nicht nur eine regulatorische Pflicht, sondern eine Chance, den Versicherungssektor resilienter und zukunftsfähiger zu gestalten.
Im Nachfolgenden wird ein Überblick über wesentliche Änderungen der Rahmenrichtlinie für (Rück-)Versicherungen und ein Ausblick auf die weiteren offenen Änderungen auf den darunterliegenden Ebenen gegeben.
Wirkung: Die Maßnahmen für langfristige Garantien (LTG-Maßnahmen) haben insbesondere für den deutschen Lebensversicherungsmarkt eine große Bedeutung, vor allem die Extrapolation der risikofreien Zinsstrukturkurve, die Volatilitätsanpassung sowie die Übergangsmaßnahme bei den versicherungstechnischen Rückstellungen.
Ziel der neuen Extrapolationsverfahren ist eine höhere Marktkonsistenz. Bzgl. der Auswirkungen ist insbesondere für Lebensversicherer anzumerken, dass die Auswirkungen der Änderungen vom jeweiligen Kapitalmarktzustand abhängen. Dies kann insbesondere im Niedrigzinsumfeld zu deutlichen Unterschieden zu der bisherigen Smith-Wilson-Extrapolation führen, die für Lebensversicherer mit langfristigen Garantien belastend wirken können.
Durch die Änderungen im Aktienrisiko wird die die langfristige Natur des Versicherungsgeschäfts stärker berücksichtigt, und es werden Anreize für verstärkte langfristige Investitionen gesetzt.
Wirkung: Wir erwarten in den ausstehenden Änderungen der Ebene 2 weitere Konkretisierungen hinsichtlich des Lambda-Ansatzes. Durch die bereits jetzt feststehenden Änderungen wird die Langfristigkeit des Geschäftsmodells stärker berücksichtigt. Insgesamt werden die Änderungen reduzierend auf die Risikomarge wirken, was sich positiv auf die Solvency-II-Ergebnisse – insbesondere für Versicherer mit langfristigem Geschäft – auswirkt.
Wirkung: Die neuen Vorgaben setzen auf eine genauere Risikomodellierung und eine präzisere Risikobewertung des Zinsänderungsrisikos – die Phasing-In-Methodik wird einen moderaten Übergang auf diese Risikobewertung sicherstellen. Nichtsdestotrotz ist insbesondere im Niedrigzinsumfeld ähnlich wie bei der Änderung der Extrapolationsmethode eine gewisse Belastung – insbesondere für Lebensversicherer mit langfristigen Garantien – zu erwarten. Zudem werden Vorschriften zur Berücksichtigung von Kryptowerten in der SCR-Berechnung entwickelt, um diese Anlageklasse und die damit einhegenden Marktrisiken adäquat zu berücksichtigen.
Wirkung: Diese Änderungen zielen darauf ab, die Berichtsanforderungen zu vereinheitlichen und gleichzeitig eine gewisse Flexibilität zu bewahren, um den unterschiedlichen Größen und Komplexitätsgraden der Unternehmen und Gruppen Rechnung zu tragen. Kleinere Versicherer profitieren von geringeren Anforderungen, größere Unternehmen müssen umfassendere und spezifischere Analysen vorlegen. Die Berichterstattungsanforderungen werden insgesamt differenzierter gestaltet und erhöhen die Verständlichkeit / Transparenz für Versicherungsnehmer. Die externe Prüfungspflicht der Solvenzbilanz impliziert die Sicherstellung der Auditierbarkeit der Reportingprozesse. Weitere Anpassungen bzw. Konkretisierungen der Berichterstattung (SFCR, RSR, ORSA, QRTs) werden auf den regulatorischen Ebenen 2 und 3 erwartet.
Wirkung: Entlastung kleiner Versicherer und Förderung des Proportionalitätsprinzips im Regulierungsrahmen. Langfristig kann dies zu Kosteneinsparungen führen. Zunächst werden Versicherer ihre Materialitätskonzepte reflektieren müssen, um die Eligibility Kriterien zu prüfen, Begründungen potenzieller Vereinfachungen abzuleiten und dabei die Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Erwartungen sicherzustellen.
Wirkung: Versicherungsunternehmen werden höhere regulatorische Anforderungen im Hinblick auf makroprudenzielle Instrumente und das Liquiditätsrisikomanagement erfüllen müssen. Langfristig wird eine Stärkung der Stabilität des Versicherungsmarktes durch verbesserte Reaktion auf sektorweite Schocks erzielt.
Die EIOPA wird technische Standards (Regulatory Technical Standards - RTS) entwickeln, um eine konsistente Anwendung makroprudenzieller Instrumente in Bezug auf (Rück-) Versicherungsunternehmen sowie Gruppen sicherzustellen. Die RTS können zu einem erweiterten Reporting-Aufwand in Bezug auf makroprudenzielle Informationen führen, da sie möglicherweise zusätzliche Angaben erfordern.
Wirkung: Nachhaltigkeitsrisiken sind nun integraler Bestandteil des Risikomanagements. Versicherer müssen ihre Strategien auf Klimarisiken und ESG-Kriterien ausrichten, um nachhaltige Investitionen und eine zukunftsfähige Marktposition zu fördern. Dies wird nicht nur von den Regulierungsbehörden, sondern auch von Versicherungsnehmer:innen zunehmend gefordert. Versicherungsunternehmen können sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Die EIOPA ist beauftragt, weitere technische Standards in Bezug auf Nachhaltigkeitsrisiken festzulegen. Darunter Mindestanforderungen und Methoden zu der Identifikation, Bewertung, Steuerung und Überwachung von Nachhaltigkeitsrisiken. Dies ist frühestens ein Jahr nach Inkrafttreten der Richtlinie zu erwarten.
Wirkung: Insgesamt verfeinern die Änderungen die Kriterien zur Identifizierung von Versicherungsgruppen, klären den Umfang und die Durchführung der Gruppenaufsicht, verbessern die allgemeine Governance von Versicherungs- und Rückversicherungsgruppen und führen zu verbesserter Transparenz und konsistenteren Regulierungen grenzüberschreitender Gruppen.
Unternehmen sollten:
Mit dem Solvency II Review wird die Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie (IRRD) eingeführt. Betroffene Unternehmen müssen umfassende Sanierungs- und Abwicklungspläne entwickeln. Detaillierte Informationen dazu finden Sie hier.
Nach der erfolgten Veröffentlichung im EU-Amtsblatt trat die Richtlinie 20 Tage später, somit am 29. Januar 2025 in Kraft. Erstmals anzuwenden sind die neuen Vorschriften damit zwei Jahre nach ihrem Inkrafttreten am 30. Januar 2027. Die Mitgliedsstaaten müssen die Richtlinien in diesen zwei Jahren nun in nationales Recht umzusetzen. Weitere Details zur überarbeiteten Richtlinie finden Sie im offiziellen Dokument vom 08.01.2025 im Amtsblatt der Europäischen Union (hier). Gleichzeitig bedeutet dies auch, dass damit in den nächsten nicht mal 2 Jahren die Umsetzung bzw. Implementierung der Änderungen durch die Versicherer zu erfolgen hat und die Uhr zur Umsetzung bereits tickt.
Die Delegierte Verordnung 2015/35 auf Ebene 2 des Solvency-II-Rahmenwerks und weitere technische Standards sind während dieser Zeit ebenfalls anzupassen bzw. neu zu entwickeln. EIOPA wird eine größere Anzahl neuer Instrumente bereitstellen: Leitlinien (GLs), technische Standards (ITS/RTS), Berichte und technische Beratung. EIOPA wird zudem etwa 60 bestehende Instrumente überprüfen, um sicherzustellen, dass sie auf dem neuesten Stand sind und mit dem geänderten Rechtsrahmen übereinstimmen.
Die ersten Konsultationen dazu hat EIOPA seit Anfang Oktober 2024 (hier, hier und hier) bereits veröffentlicht. Die Fristen laufen bzw. liefen jeweils bis zum bis zum 02.01.2025, 09.01.2025 und 26.02.2025. Die Konsultationen betreffen unter anderem das Liquiditätsmanagement, die Krisenbewältigung, die grenzüberschreitende Aufsicht und das Nachhaltigkeitsrisikomanagement von Versicherungsunternehmen sowie das Markt- und Gegenparteienrisiko in der Standardformel. Die Entwürfe der EIOPA sollen der Europäischen Kommission in mehreren Phasen vorgelegt werden. Der Zeitplan für die öffentlichen Konsultationen ist wie folgt vorgesehen:
Die Konsultationen zur IRRD sollen Anfang 2025 beginnen. Weitere Informationen zur IRRD finden Sie hier.
Die Überarbeitung der Solvabilität-II-Richtlinie stellt einen weiteren Meilenstein für die europäische Versicherungsbranche dar. Versicherungsunternehmen sollten die Übergangsphase aktiv nutzen, um sich strategisch und operativ auf die neuen Anforderungen einzustellen. Durch eine frühzeitige Planung und Investition in Ressourcen können sie nicht nur regulatorische Risiken minimieren, sondern auch langfristige Wettbewerbsvorteile sichern.
Trotz aller Herausforderungen bleibt festzuhalten, dass die überarbeitete Solvabilität-II-Richtlinie nicht nur eine regulatorische Pflicht darstellt, sondern auch eine Chance, die Branche widerstandsfähiger und nachhaltiger zu gestalten. Versicherungsunternehmen sollten die Änderungen nicht als Bürde, sondern als Möglichkeit sehen, ihre Strukturen zu modernisieren und sich langfristig auf die Zukunft vorzubereiten. Mit einer klaren Strategie, engagierten Teams und der Bereitschaft, in Prozesse und Technologien zu investieren, können die neuen Anforderungen erfolgreich gemeistert werden.
Wir beobachten und analysieren die Entwicklungen des Solvency-II-Reviews laufend. Wir werden an dieser Stelle regelmäßig über den aktuellen Stand bzw. über Änderungen und den daraus resultierenden Herausforderungen berichten.
Den entstehenden Anpassungsbedarf können wir wirksam mit Ihnen gemeinsam bewerten, planen und effizient umsetzen. Mittels unseres internationalen und funktionsübergreifenden Teams - bestehend aus Aktuar:innen, Wirtschaftsprüfer:innen, Rechts-Expert:innen, Risikomanager:innen und Solvency-II-Expert:innen vereinen wir alle Aspekte des Solvency-II-Reviews.
Auf Basis unserer Expertise und internationaler Präsenz im Versicherungsumfeld unterstützen wir Sie mit traditionellen sowie innovativen und digitalen Ansätzen. Dies ermöglicht Ihnen, stets intelligente Lösungen für aktuelle Anforderungen zu entwickeln und diese länderübergreifend umzusetzen. Unsere erfahrenen Versicherungsexpert:innen ermitteln gemeinsam mit Ihnen im Rahmen eines Impact-Assessments Ihren Status quo, priorisieren die bevorstehenden Änderungen und zeigen auf Ihre Bedürfnisse angepasste Lösungsoptionen auf. Gemeinsam bereiten wir Sie für die Zukunft von Solvency II vor.
Für einen persönlichen Austausch zu den konkreten Umsetzungsimplikationen für Ihr Haus geben Sie gerne Bescheid – wir kümmern uns um einen Gesprächstermin.