In den Finanzabteilungen der Unternehmen ist es an der Zeit, neue Perspektiven einzunehmen – diese Aussage hören die Experten von Deloitte in ihren Gesprächen mit CFOs derzeit häufig. Viele Finanzleiter fragen sich, weshalb sie in der Ära der Digitalisierung noch immer in den Strukturen des prädigitalen Zeitalters arbeiten sollten. Der CFO eines DAX-Unternehmens formulierte es so: „Warum muss ich meine Organisation so aufbauen und führen, wie dies seit 200 Jahren vorherrscht?“
Der Aufbau eines organisatorischen Zielbildes sowie eines digitalen Prozessmodells & Collaboration-Plattform sind die wichtigsten Weichenstellungen für den Schritt in die Zukunft.
Mario Schmitz, Partner | Finance & Performance
Die Kernfragen sind:
Welche Alternativen zur traditionellen Silo Organisation gibt es?
Wie ist ein digitalisiertes Zusammenarbeitsmodell in einer innovativen, agilen Organisation etablierbar?
Stattdessen wollen Führungskräfte in der Finanzfunktion heute neue Formen der Zusammenarbeit, agile Modelle und effizientere Prozesse entwickeln. Sie setzen eine Finance Transformation 2.0 auf die Agenda, die den gesamten Verantwortungsbereich des CFOs neu organisiert und dabei die digitalen Optionen effizient und effektiv ausschöpft . Die Finanzfunktion wird flexibel und zugleich skalierbar ausgestaltet. Daraus resultieren eine effiziente Kostenstruktur, kundenzentrierte Produkte und eine höhere und gleichzeitig effektiver erbrachte Servicequalität. Für die Strukturierung des neuen Zielbilds kommen verschiedene Ansätze in Frage. Deloitte hat fünf transformationstreibende Archetypen für die grundsätzlich strategische Ausrichtung der Finanzfunktion identifiziert, die im Folgenden eingehender dargestellt werden.
Auf dieser Grundlage können Unternehmen unter der Führung des CFOs dann eine zielführende individuelle Roadmap für die Transformation gestalten. Die übergeordneten Transformationsziele sind innovative Modelle der Zusammenarbeit, die die Mobilität unterstützen, die alten Abteilungssilos abbauen und in einer Kollaborationsplattform mit eingebettetem IKS den Mitarbeitern des Finanzbereiches dienlich sind. Studien belegen, dass die Bedeutung derartiger Finanz-Transformationen heute schon weitgehend gesehen und anerkannt werden: Laut Deloitte CFO Survey 2021 ist sie ein Top-Thema der Finanz-Agenda.
Der allgemeine Handlungsdruck durch die Umbrüche der Digital-Ära ist ein zentraler Treiber der Finance Transformation. Wie in anderen Bereichen hat sich seit der COVID-19-Pandemie auch in diesem Kontext das Bewusstsein der Dringlichkeit des Wandels noch verschärft. Vor dem Hintergrund der Disruption durch die Pandemie wird besonders deutlich, wie wichtig eine zeitnahe Umsetzung der Finance Transformation ist. Denn die digitalen und organisatorischen „Tugenden“ dieses Wandlungsprozesses tragen zugleich auch in erheblichem Umfang zur übergeordneten Resilienz eines Unternehmens bei.
Unternehmen, welche die beispiellosen Herausforderungen der Jahre 2020 und 2021 vergleichsweise gut gemeistert haben, zeichnen sich in der Analyse der Experten von Deloitte durch eine Reihe typischer Attribute aus: schnelle Anpassungsfähigkeit und flexible Zusammenarbeit sind vorrangig zu nennen. Nach den Erfahrungen mit der Pandemie nannten in der Studie 61 Prozent der deutschen Teilnehmer Flexibilität als die wichtigste Eigenschaft von Mitarbeitern. Besonders nennenswert ist, dass 54 Prozent aller Unternehmen, die die Pandemie-Krise gut oder sehr gut meistern konnten, schon vor 2020 mit dem Abbau von Silo-Strukturen begonnen hatten, um die Zusammenarbeit zu fördern.
Welchen Weg CFOs zur Finanzfunktion der Zukunft einschlagen, hängt von den konkreten Umständen ihres Unternehmens ab, vom Digitalisierungsgrad ebenso wie vom Ambitionslevel. Es lassen sich dabei jedoch zwei generelle Hebel identifizieren, mit denen der Wandel vorangetrieben werden kann: die fortschreitende Automatisierung von Tätigkeiten sowie die Überwindung starrer Silo-Organigramme durch Netzwerk-orientierte Organisationsstrukturen. Dabei sind eine Reihe von wichtigen Transformationsimpulsen zu beachten, mit denen diese Hebel in der eigenen Organisation angesetzt werden können.
Von überragender Bedeutung ist zunächst eine Orientierung an der Kunden-Perspektive. Dazu gehört eine Identifikation und Klassifizierung von Kundengruppen ebenso wie die Definition kundenorientierter Rollen auf den verschiedenen Ebenen im Unternehmen. Komplementär dazu ist das eigene Handeln an der Erfüllung von Kundenwünschen auszurichten. Dabei hilft die Erstellung eines Katalogs von Produkten und Dienstleistungen, aus dem ein vorteilhafter Tätigkeits-Split zentraler oder dezentraler organisatorischer Anwendung abgeleitet werden kann. Der Flexibilität förderlich sind eine agile Aufbauorganisationen und deren neue Rollen und Verantwortlichkeiten, wie Scrum Master, Product Owner oder Feature Teams. Die Schnittstellen der Finanz-Organisation zu deren Kunden müssen dabei Qualität, Flexibilität und Transparenz strukturell gewährleisten, wobei digitale Zusammenarbeitsmodelle und deren Etablierung diese Transformation herbeiführen. Die hierbei zu leistende Integration diverser Prozess-Fragmente, etwa im Accounting oder im Controlling, ist durch sogenannte Mikrosysteme (funktionsspezifische Software, wie bspw. Blackline für Hauptbuchaktivitäten) zu bewältigen.
Innovative, Cloud-basierte IT-Architekturen und -Systeme, wie SAP S/4HANA bieten weitere Digitalisierungsoptionen und ersetzen manuelle Arbeiten durch automatisierte Prozessabläufe. „Touchless Finance“ mit einer zunehmenden IT Workforce und einer abnehmenden menschlichen Workforce prägen das Zielbild entlang der Finance Transformation 2.0.
Zugleich darf die Befähigung der verbleibenden Mitarbeiter in digitalen, analytischen und kommunikativen Skills nicht vernachlässigt werden. Die passende Konfiguration der manuellen- und IT-Workforce bilden das Fundament des neuen Zielbildes. Wie sind die Tätigkeiten zu strukturieren (zentral / dezentral), welche Outsourcing-Optionen existieren, wie ist die Arbeitswelt der Zukunft zu gestalten? Schließlich muss die Transformation von einer präzise ausgerichteten Governance begleitet werden: Sie erfordert spezifische Workflows und die Klärung von Zuständigkeiten ebenso wie eine Definition von Eskalationsprozessen. Die Finance Transformation bringt somit vielfältige Aufgabenstellungen mit sich, deren Bewältigung sich aber rechnet und auch beziffert werden kann. Aus der Praxis der Experten von Deloitte ergeben sich Effizienzpotenziale, bezogen auf das jährliche Kostenbudget eines CFO-Bereiches, von 10 bis 20 Prozent durch Automatisierung, Standardisierung und Prozessintegration; 5 bis 10 Prozent durch organisatorische Bündelung und Abbau von Redundanzen; 3 bis 5 Prozent durch die Optimierung, Vereinfachung und Reduktion des Servicekatalogs; 3 bis 5 Prozent durch Self-Service-Ansätze und 1 bis 2 Prozent durch Optimierung der Führungsspanne.
Je nach Konfiguration der beiden Transformationshebel der digitalen Prozesseffizienz und der Netzwerk-orientierten Organisationen bieten sich CFOs unterschiedliche Optionen für die Gestaltung des Wandels. Hieraus leitet sich das Spektrum der erwähnten Archetypen ab, die als Teilziele oder Endziel einer Roadmap in Frage kommen. Organisationsgetriebene Transformationen sind entweder durch eine zentralisierte oder durch eine dezentralisierte Konfiguration gekennzeichnet (dezentralisiert: Centers-of-Expertise-Ansätze, zentralisiert: Global-Business-Services-Ansatz, GBS). Technologiegetriebene Archetypen sind entweder Analytics-basiert, mit einem Schwerpunkt auf hochwertige Business Insights, oder sie sind S/4HANA-basiert und fokussieren eher auf effiziente Transaktionsprozesse. Hierzu treten in Zukunft verstärkt Ansätze nach dem DevOPs-Modell (Development & Operations, bspw. Analytics as a Service), die einen eigenen, bahnbrechenden Archetyp darstellen.
Die fünf Archetypen können als Zielbild-Bausteine verstanden werden, bei denen sukzessive digitalisiert wird, und die je nach den individuellen Umständen des Unternehmens in einer Roadmap projektiert werden. Hierbei ist aber festzuhalten, dass die Archetypen nicht sequentiell zu verstehen sind. Sie müssen nichtzwangsläufig aufeinander folgen und sie überschneiden sich teilweise auchinhaltlich – etwa beim GBS-Ansatz, der gleichzeitig auch Analytics-Fähigkeiten erfordert.
Typ 1: Dezentrale Aufstellung – Centers-of-Expertise-Ansatz
Die Intention bei diesem Ansatz ist die Erzielung eines ausgewogenen Verhältnisses von Zentralisierung und Dezentralisierung. War bislang oft das Paradigma „Shared Sercive Center“ das ausschließlich vorherrschende, kommt nun ein virtueller Shared-Service-Ansatz zum Tragen. Interdisziplinäre Kollaboration hat hierbei einen hohen Stellenwert. Die Zusammenarbeit basiert auf einer Workflow-Prozessmodellierung, und es kommen Mikrosysteme (bspw. Invoicetrack für die Kreditorenprozesse) zum Einsatz, die über den Horizont des einheitlichen ERP (bspw. SAP S/4HANA) hinausweisen.
Typ 2: Fokussiert auf Leistung – Global-Business-Services-Ansatz
Zentrale Global Business Services fungieren als multidisziplinäre Shared Service Centers und ersetzen somit hybride, dezentralisierte Modelle. Die Vorteile sind Kostenreduktion, Kostentransparenz und höhere Professionalität, etwa durch Skaleneffekte und Lohnarbitrage. Kundenzentrierung und Servicequalität sind durch den zentralisierten, standardisierten Ansatz besser zu gewährleisten. Auch die Prozessdigitalisierung lässt sich zentral effektiver steuern.
Typ 3: Datengetriebene Insights – Analytics-Ansatz
Analytics-Ansätze stellen ein wichtiges Werkzeug u.a. für die Kundenzentrierung und die Prozessoptimierung dar, aber auch für die Sicherstellung der Compliance. Analytics helfen bei der Verwaltung großer Data Lakes, generieren wertvolle Insights und unterstützen die Entscheidungsfindung. Muster werden erkannt und ausgewertet, was zum Beispiel auch bei der Optimierung des Kapitalmanagements (Working Capital) vorteilhaft ist. Die mit diesem Ansatz mögliche intelligente Automatisierung vieler manueller Tätigkeiten durch RPA und KI setzt hohe Potenziale frei.
Typ 4: Skalierbare ERP-Architektur – SAP S/4HANA-basierter Ansatz
Viele Unternehmen befinden sich derzeit in einer S/4HANA-Transformation, die auch für die Finance Transformation entscheidende Impulse liefern kann. Die innovative ERP-Architektur hilft bei der Etablierung standardisierter Prozesse und stellt hybride, Cloud-basierte Systemstrukturen bereit. Das ermöglicht eine datengetriebene End-to-end-Steuerung des ganzen Unternehmens. Die technologischen Optionen von S/4HANA, z.B. durch die Automatisierung von Analysen, wirken außerdem auch auf traditionelle Prozesse und Stakeholder im Unternehmen zurück.
Typ 5: Die Finanzfunktion von 2025 – DevOps und Liquid Network Organization
Ein fünfter Archetyp ergibt sich aus der konsequenten Weiterentwicklung der organisatorischen Neuausrichtung weg von Silos hin zur „Liquiden Netzwerkorganisation“, die ab dem Jahr 2025 immer häufiger anzutreffen sein wird. Das DevOps-Paradigma mit seiner Verflechtung von Business und IT ist dabei zentral. Auch höherwertige fachliche Tätigkeiten werden nun in kompetente externe Hände gelegt. Fachwissen kann dabei entlang neuer digitaler Strukturen bereichsübergreifend gebündelt werden (Accounting, Konsolidierung, Steuer, Controlling, Treasury usw.). Der Fokus dieses Zukunfts-Archetyps ist Finance-as-a-Service, das Ergebnis sind Datenprozesse ohne Latenzzeiten, automatisierte Konsolidierung in Echtzeit, reduzierte Time-to-Market und höherwertige Informationen. Die interne „Digital Services“-Funktion besteht dabei aus den für diesen Ansatz zwingend notwendigen multidimensional befähigten „Purple People“. Sie entwickeln die vorliegenden Lösungen weiter und steuern die enge Zusammenarbeit mit den externen DevOps-Mitarbeitern. Gerade auch auf den aktuell immer weiter zunehmenden Fachkräftemangel ist dieses hochgradig effiziente Modell eine geeignete Antwort.
Wie wird die Finanzfunktion 2025+ aussehen? Vor allem ist sie flexibel und agil. Durch die neue, projektbezogene Arbeitsweise sind die Finanzexperten von Routine-Aufgaben entlastet und können ihr Wissen nun gezielt in Entscheidungsprozesse einbringen. Ein großer Teil der traditionellen Tätigkeiten wurde automatisiert, zugleich werden auch anspruchsvolle Aufgabenbereiche jetzt als Finance-as-a-Service bezogen. Der Fokus der Finanzexperten richtet sich nun auf Themen wie Strategie und Analytics. Sie gestalten die Unternehmensstrategie mit und sichern den Erfolg am Markt durch bedarfsgerechte Finance Advice und entscheidungsunterstützende Daten. In Zukunft erstellt die Finanzfunktion nicht einfach Reports für das Business, sondern unterstützt dieses parallel zu ihrer üblichen Tätigkeit durch kontinuierliche „In-Process-Analytics“ und „Self-Service Business Intelligence“ Optionen. Die strategische Ausrichtung der Digitalisierung des administrativen Bereiches wird dabei durch bewusstes, vorausschauendes transformatives Handeln sichergestellt. Ebenso managen die Finance-Experten nun auch die Governance-Prozesse der neuen Organisationsweise – für den reibungslosen Ablauf ein entscheidender Aspekt.
Auf dem Weg zu diesem Ziel bietet Deloitte dem Finanzbereich umfassende Unterstützung, basierend auf hoher Finanzkompetenz und breitem Branchenwissen, auf Strategie-Know-how und technologischer Expertise. Deloitte hilft nicht nur bei der Entwicklung von Strategien und Konzepten, sondern auch bei Umsetzung und Betrieb konkreter Lösungen wie Managed Services, Microservices, Robotics und KI. Ein Beispiel ist der Workflow-Accelerator Signavio, den Deloitte für die Automatisierung und Modellierung von Geschäftsprozessen empfiehlt. Bei einer digitalen Transformation stellt dieses Tool eine wertvolle Hilfestellung dar, da es konsistente Workflows ermöglicht und die Prozess-Governance wesentlich vereinfacht. Deloitte stellt erprobte Zielbilder, Roadmaps und Prozess-Workflow-Systeme zur Verfügung, unterstützt den Aufbau interner Kontrollsysteme und hilft bei der Entwicklung digitaler Skills. Unser interdisziplinäres, internationales Expertennetzwerk bündelt sämtliche Deloitte-Kompetenzen im Interesse der Kunden, um mit ihnen gemeinsam eine individuelle Roadmap für eine erfolgreiche Finance Transformation zu gestalten.