Die optimistische Selbsteinschätzung ist allerdings nicht die ganze Wahrheit, wie die Studie ebenfalls aufzeigt – und zwar mit überraschender Deutlichkeit. Tatsächlich klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, was die inhaltliche Durchdringung und die strategische Einbettung von Technologie im Agieren der Boards selbst angeht. Nicht einmal die Hälfte der Studienteilnehmer ist der Auffassung, dass die Aufsichtstätigkeit ihrer Boards zu Technologie-Themen ausreichend ist (Board Members: 45 %, CxOs: 41 %). Kein idealer Zustand, denn mit Technologie steht und fällt die Wettbewerbsfähigkeit von morgen. Wie fächert sich die Problematik im Einzelnen auf – und auf welche Weise können die Gremien auf diesem essenziellen Zukunftsfeld vorankommen?
Für die Schaffung von Wachstumspotenzialen kommt es darauf an, Technologie nicht nur als Kostenfaktor zu betrachten, sondern sie als Business-Investition zu gestalten. Die Rolle der Boards und Aufsichtsräte ist es, das Top-Management zu unterstützen und kritisch zu hinterfragen. Bei genauerem Hinsehen liegt hier aber noch einiges im Argen, wie die befragten Führungskräfte zu Protokoll geben. Am häufigsten nennen sie das Problem, dass sich die Aufsichtsgremien bei der Entscheidungsfindung im Tech-Bereich zu sehr auf das Management verlassen. Außerdem mangelt es in vielen Gremien an technologischer Expertise („tech fluency“). Die Governance zu Technologie-Aspekten ist oftmals wenig strukturiert, Management-Informationen sind unzureichend definiert. Vor allem fehlt es an einem klaren Nexus zwischen Technologie und Strategie.
„Ein immer komplexeres Umfeld, geprägt von Unsicherheit und hoher Dynamik, erfordert eine enge Zusammenarbeit an der Unternehmensspitze. Nur so lässt sich die digitale Transformation zum Erfolg führen. Aus der Board-Perspektive müssen Aufsichtsräte mit technologischen Fragen vertraut sein, um den digitalen Wandel zu unterstützen und zugleich Impulse für innovative Strategien zu setzen. Das Verständnis, dass Technologie- und Businessinvestitionen zusammengehören, ist entscheidend, damit Wettbewerbsvorteile auf Dauer gesichert werden können. Es kommt darauf an, transparent und nachvollziehbar aufzuzeigen, welchen Wert technologische Investitionen für das unternehmerische Wachstum stiften.Während der Vorstand den Fokus auf die Geschäftsrelevanz neuer Technologien legt, spielt der Aufsichtsrat eine wichtige Rolle als Sparringspartner bei der Entscheidungsfindung. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Szenarien kann dabei unterstützen, Potenziale zu erkennen und zielführend zu nutzen. Gemeinsam können Top-Führungskräfte eine technologieorientierte Strategie vorantreiben, die sowohl kurzfristige Fortschritte ermöglicht als auch langfristige Chancen in den Blick nimmt.“
Dr. Arno Probst, Leiter der Board Programs bei Deloitte Deutschland
Eine zentrale Herausforderung bei der Lösung dieser Missstände liegt im Messen des Wertbeitrags von Technologie. Rund 40 Prozent der Befragten haben Probleme damit, dass Wachstumsplus durch Tech-Investitionen kausal zu belegen. Fragmentiertes Reporting und unzureichende KPIs erschweren es, den Nutzen zu erfassen, der zu einem signifikanten Teil qualitativer Natur ist. Demgegenüber dominieren die kurzfristige Performance und Capex/Opex-Fragen die Diskussionen.
Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma könnte ein verstärkter Team-Ansatz darstellen, wie Rahul Samant (CIO Delta Air Lines) in der Studie erläutert. Er hat in seiner Organisation Erfolg damit, Business Partner wie den Chief Customer Experience Officer oder den Chief Operations Officer in Gespräche einzubinden, bei denen es um die Kommunikation des ROI von Tech-Investments geht. Denn sie können eine Verknüpfung von Tech-Invests und aussagekräftigen Business-Metriken beisteuern. Bei Delta konnte so gezeigt werden, dass die Einführung einer neuen Data Platform dank der damit verbesserten Kundenzentriertheit durch präzisere Insights im Ergebnis u. a. den Net Promoter Score steigerte.
Verstärkte Zusammenarbeit (z. B. zwischen Chief Information Officer und Business Partnern im Vorstand) hilft auch in anderen Hinsichten. Etwa bei einem grundsätzlichen Manko, das in vielen Firmen zu beobachten ist: mangelndem Vertrauen in das Tech Leadership allgemein(Board Members: 65%, CxOs: 61 %). Die Studienteilnehmer nennen noch eine ganze Reihe weiterer verbreiteter Problemfelder. Dazu gehören unzureichende Investitionen, Cyber-Defizienzen (fehlendes Bewusstsein über tatsächliche Cyber-Risiken, unzureichende Protokolle für den Schutz kritischer Assets) sowie ungenügende Assurance-Prozesse zu Technologie-Themen. Gerade das Assurance-Thema, bei dem immerhin etwa 40 Prozent der Befragten Mängel sehen, ist ein wichtiger Aspekt, da verschiedene Stakeholder derzeit mehr Technologie-Transparenz einfordern (Regulatoren, Investoren usw.)
Die Technologie-Lücke in den Aufsichtsgremien ist ziemlich eindeutig. Wie kann sie überwunden werden? Board-Mitglieder und CxOs sind sich weitgehend einig: An erster Stelle steht die Vermittlung von Wissen über neue Tech-Trends (66 % bzw. 61 %). Für die effektive Verknüpfung von Technologie und Strategie im Board sollte außerdem ein ganzheitlicher Plan erarbeitet werden. Technologie braucht einen festen Platz auf der Sitzungsagenda. Zudem sollten die entsprechenden Top-Manager (CIO/ CTO/CISO) öfter eingeladen werden. Hierin sehen CxOs mit 54 Prozent deutlich häufiger eine Priorität als Board-Mitglieder (45 Prozent). Schließlich wäre auch anzustreben, einen oder mehrere Gremiumssitze mit Technologie-affinen Kräften zu besetzen, was ebenfalls aus Sicht der CxOs noch dringlicher ist als aus Sicht der Board-Mitglieder. Aus diesen Vorschlägen leiten die Studienautoren eine Reihe von Fragen ab, die Verantwortlichen beim Schließen der Technologie-Lücke Orientierung geben können:
Eine eingehende Beschäftigung mit diesen Fragen dürfte sich für Unternehmen langfristig mit großer Sicherheit auszahlen. Denn wie Rich Nanda (Deloitte US Strategy & Analytics Offerings Leader) in der Studie ausführt, zeichnen sich Aufsichtsgremien typischerweise durch einen offenen Blick auf langfristige Potenziale aus, durch eine Bereitschaft zur „Kunst des Möglichen“, während das Management häufig eher auf die nächsten Quartale fokussiert. Wenn die Technologie-Lücke im Board geschlossen wird, ist also ein großer Schritt getan – denn so kann sichergestellt werden, dass alle am selben strategischen Strang ziehen.