Auf Aufsichtsräte kommen neue Aufgabenbereiche zu. Gesetzliche Neuerungen etwa zu Nachhaltigkeits- und Steuerthemen sowie technologische Trends wie Cyber Security oder der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) führen zu zusätzlichen oder erweiterten Prüfungspflichten. Die Ergebnisse des neuen Panels zeigen aber, dass sich die große Mehrheit der Mandatsträger und Mandatsträgerinnendiesen Anforderungen durchaus gewachsen fühlt. 79 Prozent sehen keine Überforderung durch die regulatorischen Neuerungen, bei den Themen im Digitalisierungskontext sind es sogar 85 Prozent. Einen weiteren Schwerpunkt widmet die Studie den Einschätzungen zu aktuellen Reformüberlegungen bei der Corporate Governance, beispielsweise einer potenziellen Wahlmöglichkeit zwischen dualistischem und monistischem Ansatz.
Ein aussagekräftiges Meinungsbild zu aktuellen Themen und Trends in deutschen Aufsichtsräten: Das ist der Zweck des Aufsichtsrats-Panels, das vor 17 Jahren erstmals gemeinsam von Deloitte, der Fachzeitschrift „Der Aufsichtsrat“, und der Leuphana Universität Lüneburg durchgeführt wurde. Nun liegen die Ergebnisse der 24. Ausgabe der Befragung vor. Im Fokus der jüngsten Erhebung stand die Frage, wie die Mandatsträger und Mandatsträgerinnenmit neuen oder erweiterten Anforderungen an ihre Arbeit umgehen, die sich einerseits durch gesetzliche Neuerungen, andererseits durch technologische und geschäftliche Trends ergeben. Außerdem wurden Einschätzungen zu einer möglichen Reform der Corporate Governance im Kontext der gestiegenen Anforderungen erfragt. Hier liefern wir einen Überblick der zentralen Studienergebnisse.
Eine Reihe von neuen gesetzlichen Vorgaben führt zu neuen Aufgaben für Aufsichtsräte. Zu nennen sind hier vor allem die Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die European Sustainability Reporting Standards (ESRS), das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und das Country-by-Country-Reporting (Ertragsteuerinformationsbericht). Konkret wurden die Mandatsträger und Mandatsträgerinnenim neuen Aufsichtsrats-Panel gefragt, welche Bedeutung sie bei der Erfüllung dieser Anforderungen der Überwachung des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems (IKS/RMS), der Prüfung des Nachhaltigkeitsberichts und der Prüfung des Ertragsteuerinformationsberichts zumessen.
Auf einer Notenskala von 1 (sehr hohe Bedeutung) bis 5 (keine Bedeutung) steht die Überwachung des IKS/RMS hier mit einer durchschnittlich hohen bis sehr hohen Bedeutung an erster Stelle (1,56). Ebenfalls als bedeutsam wird die Prüfung des Nachhaltigkeitsberichts eingeschätzt (2,02), es folgt die Prüfung des Ertragsteuerinformationsberichts (3,05). Eine denkbare Begründung für die niedrigere Bewertung dieses Aspekts könnte darin liegen, dass der Anwenderkreis des Ertragsteuerinformationsberichts im Vergleich etwa mit dem CSRD-Bericht deutlich kleiner ist.
Entsprechend zu diesen Einschätzungen fallen auch die Antworten zu den zeitlichen und fachlichen Anforderungen durch die genannten Themen aus. Hier stehen die Prüfung des Nachhaltigkeitsberichts sowie die damit verbundenen Governance-Anforderungen im Vordergrund: 60 Prozent der Teilnehmenden fühlen sich dadurch besonders gefordert. Bei der IKS/RMS-Überwachung sind es 51 Prozent der Befragten, beim Ertragsteuerinformationsbericht analog zur geringeren Bedeutung dieses Themas nur 17 Prozent. Gefragt wurde auch, wie die Mandatsträger und Mandatsträgerinnen die zusätzlichen Anforderungen bewältigen. Besonders verbreitet sind Fortbildungsmaßnahmen (82%) und ergänzende Beauftragungen des Abschlussprüfers (78%). Seltener wird dagegen das Kompetenzprofil des Gremiums durch Neubesetzungen ergänzt (27%). Überfordert fühlen sich die weitaus meisten Aufsichtsräte durch die neuen Anforderungen jedenfalls nicht (79%).
Neben den gesetzlichen Neuerungen verändern auch die technologischen Entwicklungen in den Unternehmen rund um die Digitalisierung das Aufgabenfeld der Aufsichtsräte. Die höchste Bedeutung hat für die Teilnehmenden hierbei die Überwachung der Cyber-Security-Maßnahmen: Im Durchschnitt vergeben sie die Bewertung 1,33 (hohe bis sehr hohe Bedeutung). Der Beratung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zu Themen der Digitalisierung wird im Schnitt eine hohe Bedeutung attestiert (1,99). Die Überwachung des KI-Einsatzes in der Unternehmensberichterstattung (2,83) sowie KI-Governance und KI-Ethik (2,60) werden demgegenüber als weniger wichtig eingestuft. Eine mögliche Erklärung dafür könnte darin liegen, dass KI beim Finanz- und Nachhaltigkeitsreporting bislang noch nicht oft zum Einsatz kommt.
Fachlich und zeitlich ist die Überwachung von Cyber-Security-Maßnahmen für 63 Prozent der Teilnehmenden besonders fordernd, die KI-Überwachung beim Reporting für 37 Prozent, die Vorstandsberatung bei der Digitalisierung für 27 Prozent und die Überwachung der KI-Governance und der KI-Ethik für 21 Prozent. Auch bei der Bewältigung dieses Aufgabenfelds wird mehrheitlich auf Fortbildungsmaßnahmen gesetzt (67%), gefolgt von der Einbindung externer Spezialisten und Spezialistinnen (45%) sowie von Neubesetzungen im Aufsichtsrat (30%). Insgesamt sehen sich 85 Prozent der Befragten durch diese neuen Aufgaben als nicht überfordert.
Im Bereich der Corporate Governance werden derzeit verschiedene Reformvorschläge diskutiert. Dieses Thema bildet vor dem Hintergrund der gestiegenen Anforderungen an den Aufsichtsrat einen weiteren Fokus des neuen Panels. Im Mittelpunkt steht hier zunächst das deutsche dualistische System aus Vorstand und Aufsichtsrat. Kommt dieses Modell angesichts einer intensivierten Zusammenarbeit zwischen den beiden Gremien an seine Grenzen?
Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden verneint diese Frage (ca. 70%). Differenzierter sieht das Meinungsbild beim Vorschlag aus, für AG und GmbH ein Wahlrecht für ein monistisches System (Verwaltungsrat) einzuführen, analog zur europäischen Aktiengesellschaft (SE). Auch dies wird von einer Mehrheit abgelehnt (56%), allerdings sprechen sich 27,5 Prozent für ein solches Wahlrecht aus. Zu den Reformvorschlägen zählt außerdem eine weitere Begrenzung der Gesamtmandate. 55 Prozent der Teilnehmenden äußern sich ablehnend, aber immerhin 26 Prozent sind für eine Kodex-Empfehlung und 19 Prozent sogar für eine gesetzliche Begrenzung. Die Einführung einer hauptberuflichen Aufsichtsratstätigkeit sehen 55 Prozent der Befragten kritisch, demgegenüber sind rund 34 Prozent dafür offen. Bemerkenswert ist dabei, dass sich 15 Prozent der Teilnehmenden selbst de facto als hauptberuflichen (Multi)-Aufsichtsrat einstufen. Neue aktienrechtliche Regelungen oder Kodex-Regelungen zum Umgang mit KI lehnen etwa 70 Prozent der Befragten ab. Abschließend thematisiert die Studie weitere Vorschläge für die Reform der Corporate Governance wie Entbürokratisierung, verpflichtende Fortbildungen und Kompetenzschärfung in den Gremien.
Für das neue Aufsichtsrats-Panel wurden 100 Telefon-Interviews mit 33 Frauen und 67 Männern durchgeführt, darunter 12 erstmalige Teilnehmende. Die durchschnittliche Länge der Interviews betrug 28,4 Minuten. 63 Prozent der Teilnehmenden haben in mindestens einem Mandat den Vorsitz oder den stellvertretenden Vorsitz inne, im Durchschnitt halten sie drei Mandate. Insgesamt wurden im Panel Erfahrungen aus insgesamt 303 Gesellschaften berücksichtigt.