Erfolgreicher Go-Live mit einem Big-Bang an über 40 Standorten weltweit
Die S/4HANA-Transformation für ein Consumer Business Unternehmen war eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Während des Projekts mussten über 500 Projektmitarbeiter und eine noch höhere Anzahl an Key Usern an 40 Standorten weltweit über eine Laufzeit von 3 Jahren auf den Punkt koordiniert werden. Doch nun ist das Projekt erfolgreich abgeschlossen: Cutover und Go-Live fand über ein verlängertes Wochenende und ohne jegliche Unterbrechung des operativen Betriebes statt. Damit ist die Grundlage eines „Digital Core“ gelegt, auf dessen Basis vielfältige Verbesserungen hinsichtlich Digitalisierung, Prozess-Automatisierung und Anwendungen künstlicher Intelligenz umgesetzt werden können.
Die Reise begann mit einer Scoping Phase, in der die „Pain Points“ der operativen Abteilungen wie Supply Chain, Einkauf, Logistik, Vertrieb, Finanzbuchhaltung, Controlling und andere, im Headquarter wie in den Ländern, identifiziert wurden, die sich auf folgende Herausforderungen konsolidieren lassen.
Heterogenität von Daten und Prozessen: Die Geschäftsprozesse werden in den verschiedenen Ländern und Standorten sehr unterschiedlich gelebt, nicht nur aufgrund von lokalen legalen Anforderungen.
Fehlende Transparenz: Aufgrund heterogener Datenstrukturen und Prozesse ist Transparenz über finanzielle und logistische Kenngrößen über alle Länder hinweg schwer herzustellen.
Hoher manueller Aufwand: Prozesse sind nur zu einem geringen Maßen vollständig integriert – viel Arbeit findet außerhalb des Systems statt.
Systemverfügbarkeit: Das Ziel ist es, das System auf S/4HANA umzustellen
Die Entscheidung für einen Selective Brownfield Ansatz mit einem Big-Bang Go-Live an allen Standorten gleichzeitig wurde durch mehrere Gründe geleitet:
Zeitliche Umsetzbarkeit: Es bestand eine relativ kurze Laufzeit von knapp 2 Jahren für die Implementierungsphase.
Effiziente Systembereinigung: Mithilfe des Ansatzes entstand die Möglichkeit, bewusst technische Objekte, die sich über viele Jahre angesammelt haben, wegzulassen. Somit konnte die technische Last des Systems reduziert werden
Minimierung des Businessrisikos: Der Big-Bang Go-Live wurde gewählt, um das Geschäftsrisiko während der Umstellung minimal zu halten und einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten.
Schlüsselfaktoren des Implementierungsprojekts
Das Implementierungsprojekt startete Anfang 2022 und wurde Anfang Oktober 2023 erfolgreich live gesetzt. Hierbei wurden folgende Aspekte berücksichtigt.
Guiding Principles: Trotz zahlreicher technischen Herausforderungen wurde das Projekt als Business Transformation verstanden und unter starker Beteiligung und Führung des Business aufgesetzt. Um die enge Projektlaufzeit einzuhalten, wurde das Prinzip des „Time-Boxings“ realisiert, d.h. das Einhalten der Meilensteine unter Anpassung des Projektumfangs. Wichtig war auch, zum Big-Bang Go-Live möglichst auf technische und prozessuale Veränderung in den Schlüsselfunktionen der Logistik und Produktion zu verzichten und Verbesserungen erst in der nachgelagerten Phase des Post-Big-Bangs umzusetzen. Funktionale und technische Anpassungen wurden unter dem Motto „Think big – start small“ realisiert. Es wurde stark Wert gelegt auf eine offene, vertrauenswürdige und enge Zusammenarbeit zwischen den Teams, Eigenverantwortlichkeit und Proaktivität.
Projektumfang: Aus der anfänglichen Scoping-Phase wurden über 100 Verbesserungsmaßnahmen aufgenommen, die sich über alle operativen Prozesse und SAP Module erstreckten und sich auf alle über 100 legale Entitäten und 40 Standorte weltweit auswirkten. Aus technischer Sicht sollte auf über 60 Prozent der 8.000 technischen Objekte verzichtet werden.
Projektansatz: Um das Risiko eines Big-Bang Go-Live zu minimieren, wurde das Projekt in 3 Projektphasen aufgeteilt: In die Pre-Big-Bang Phase, in der Harmonisierungs- und Standardisierungs-Verbesserungen bereits im Altsystem umgesetzt wurden, die Big-Bang Phase und die Post-Big-Bang Phase, in der verbleibende S/4HANA Verbesserungen mit geringerem Risiko implementiert wurden.
Umsetzung und wichtige Meilensteine
System Conversion: Zu Projektstart wurde das Altsystem inklusive der Konfiguration auf S/4HANA konvertiert. Danach wurden in einem Lift&Shift Verfahren die ausgewählten technischen Objekte in das neue System transferiert und dort auf S/4HANA Standards angepasst.
Datenmigration: Da eine dreijährige Datenhistorie aus dem Altsystem übernommen werden sollte, entschied man sich für eine tabellenbasierte Datenmigration.
Testing: Dem ausführlichen Testen kam eine besondere Bedeutung zu. Die Herausforderung bestand darin, dass sämtliche Prozesse von den Key Usern in allen Ländern und Standorten erfolgreich getestet werden mussten. Dies wurde in mehreren Integrationstestzyklen verteilt über neun Monate umsetzt.
Integration von parallelen Projekten: Die Projektaktivitäten wurden mit Parallel-Projekten synchronisiert (z.B. die parallele Einführung von EWM, MES, Anaplan und andere).
Change Management: Es wurde von Anfang an besonderer Wert auf eine gute projektinterne sowie externe Kommunikation gelegt. Durch das Train-the-Trainer Konzept wurde sichergestellt, dass sämtliche Key und End User an allen Standorten weltweit das für sie richtige Training zum richtigen Zeitpunkt erhielten. Die Zufriedenheit und Bedürfnisse des Projektteams wurden in regelmäßigen Abständen durch Surveys abgefragt.
Cutover Management: Cutover ist die Orchestrierung aller technischen und fachlichen Aktivitäten, um das neue System mit all seinen technischen Details und Schnittstellen bereitzustellen. Die kritische Phase startete drei Tage vor dem Go-Live. Zuvor wurde sichergestellt, dass z.B. Sicherheitsbestände in den Produktionsstandorten erhöht wurden und externe Partner über die Änderungen informiert wurden. In der Blackout-Periode wurden sämtliche Business Operations kontrolliert heruntergefahren. Nach der GO-Entscheidung wurde dann das weltweite Business in geordneter Reihenfolge wieder hochgefahren. Das Projekt ging damit in die HyperCare-Phase über.
Organisatorisch: Als großer Vorteil hat sich erwiesen, den Umfang der Verbesserungen in die drei Phasen Pre-Big-Bang, Big-Bang und Post-Big-Bang aufzuteilen, und Themen mit großem Veränderungspotential noch im Altsystem oder erst nach dem Big-Bang umzusetzen. So konnte die Systemstabilität nach dem Go-Live aufrechterhalten und das Business sicher hochgefahren werden. Auch erwies sich der „Time-Box“ Ansatz als sehr vorteilhaft, um den anvisierten Go-Live Termin einzuhalten.
Technisch: Wenn möglich, sollte das Altsystem mit der gesamten Konfiguration in ein „Shell System“ auf S/4HANA konvertiert werden, aus dem man sich dann bedienen kann, um das Entwicklungssystem aufzubauen. Als technisch höchst anspruchsvoll hat sich zudem das „Lift&Shift“ Verfahren der einzelnen technischen Objekte herauskristallisiert, da fehlende Komponenten wie User Exits in den Testphasen schwer zu identifizieren sind.
Datenmigration: Mit der Datenmigration so früh wie möglich zu starten, ist essenziell, um frühzeitig Grund- und transaktionale Daten für erste Testphasen zur Verfügung zu haben. Datenchecks sollten integrativ in jeden Testzyklus eingebaut werden, um die Datenqualität schnell auf ein hohes Niveau zu heben.
Testing: Um die Anzahl von Fehlern nach dem Go-Live aus der Vielzahl von Standorten überschaubar zu halten, muss die Fehlerrate in vorgehenden Testzyklen deutlich geringer sein als in Go-Lives einzelner Länder. Das bedeutet, dass eine hohe Testabdeckung (Test aller Prozesse in allen Ländern) erreicht werden muss. Testen muss integraler Bestandteil in jeder Projektphase sein und frühzeitig auch mit Beteiligung der Länder starten (Pre-Integration Test)
Cutover: Ein Cutover Plan beinhaltet typischerweise eine Vielzahl an Einzelaufgaben und Beteiligte, und muss zum Go-Live auf den Punkt genau ausgeführt werden. Um einen reibungslosen Ablauf eines solch komplexen Vorhabens zu garantieren, sollte er mindestens drei Mal zuvor in „Dress rehearsal Runs“ geübt werden.
Fazit
Ein Selective Brownfield Projekt mit einem Big-Bang Go-Live stellt erhebliche Anforderungen an Planung und Umsetzung durch das Projektteam. Neben den technischen Herausforderungen ist es vor allem die große Anzahl von Ländern, Standorten und Key Usern, die systematisch orchestriert werden müssen, um einen reibungslosen Go-Live sicherzustellen.