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Automotive Industry Briefing: Transformation und globale Risiken sorgen für Unsicherheit

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Die Deloitte Industry Briefings analysieren Themen, die die Branchen bewegen, um kurzfristig und agil auf aktuelle Markentwicklungen und Branchenthemen reagieren zu können.

Die Transformation hin zu Elektromobilität und Software-Defined-Vehicles, globale geopolitische Risiken, dazu eine wirtschaftlich angespannte Lage – all diese Aspekte stellen die Automobilindustrie vor große Herausforderungen.  Dementsprechend angespannt ist die Lage in der Branche: Während resilientere Lieferketten und die allmählich abflauende Inflation in vielen Industrien für Erholung sorgen, sind die Erwartungen in der Automobilbranche weiterhin von Unsicherheit geprägt. Gleichzeitig wird deutlich, wie heterogen die Industrie und damit auch die Perspektive der Unternehmen ist: Wer neue Technologien bereits adaptiert und sich an die veränderten Marktanforderungen angepasst hat, der kann bereits deutlich positiver in die Zukunft blicken. Das geht aus der Frühjahrsausgabe des Deloitte CFO-Survey hervor, für den 1.199 Finanzvorstände europäischer Unternehmen, davon 43 aus der Automobilindustrie, nach ihren Erwartungen für das kommende Quartal befragt wurden [1; 2]. 

Positive Entwicklung – und doch weit abgeschlagen

 

Nach einer herausfordernden zweiten Jahreshälfte 2023, die besonders in Deutschland stark von Rezession und einer hohen Inflation geprägt wurde, fallen die Erwartungen für das Jahr 2024 über alle Branchen hinweg deutlich positiver aus. Die Automobilindustrie folgt diesem Trend, hinkt im Vergleich jedoch hinterher. Das Nettosaldo von optimistischen und pessimistischen Geschäftserwartungen ist zwar um 21 Prozentpunkte gestiegen, liegt mit -5 Prozent aber weiterhin im negativen Bereich. Damit ist die Automobilindustrie die einzige von insgesamt 13 analysierten Branchen, in denen die Geschäftserwartungen weiterhin mehrheitlich pessimistisch sind (siehe Abb.1). Gleiches gilt auch für die Umsatz- und Gewinnerwartungen. Auch hier landet die Automobilindustrie im Vergleich mit anderen Sektoren weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. 

Die Gründe für die pessimistischen Erwartungen sind vielfältig: Insbesondere bei E-Autos stagniert die Nachfrage aktuell. Dies dürfte auch an den nach wie vor hohen Zinsen liegen, welche die insbesondere bei Elektrofahrzeugen beliebten Leasing-Angebote verteuern. Trotz der von der EZB im Juni beschlossenen Leitzinssenkung verbleiben die Zinsen vorerst auf hohem Niveau und drücken den privaten Konsum und damit den Absatz nach unten [3]. Darüber hinaus wurden sowohl in Deutschland als auch in weiteren europäischen Ländern zuletzt staatliche Prämien für den Kauf von E-Autos gekürzt oder nicht verlängert [4].

Eine heterogene Industrie im Umbruch

 

Betrachtet man die Erwartungen in der Automobilindustrie im Zeitverlauf fällt zudem auf: Die Branche scheint von einem Extrem ins nächste zu fallen. Noch im Herbst 2022 waren die Geschäftserwartungen in dem Sektor negativer als in allen anderen Industrien. Ein halbes Jahr später machte sich dann scheinbar überschwänglicher Optimismus breit – nur um im Herbst 2023 erneut in ein pessimistisches Tief zu fallen (siehe Abb.1).Wirft man einen genaueren Blick auf die Geschäftserwartungen der Automobil-Finanzvorstände, wird jedoch deutlich, wie unterschiedlich die Aussichten in der Branche sind: Einerseits bewerteten 35 Prozent der befragten CFOs die Geschäftsaussichten negativ. Demgegenüber stehen jedoch auch 30 Prozent, welche die Geschäftsaussichten tendenziell optimistischer sehen als noch vor drei Monaten (siehe Abb.2). Ursächlich für diese Diskrepanz ist der fundamentale Umbruch in der Branche, der die beteiligten Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen stellt. Je nachdem, an welchem Punkt der Transformation sich diese befinden, unterscheiden sich ihre Perspektiven erheblich. 

Investitionen steigen – aber reicht das aus?

 

Worin sich jedoch alle Befragten einig sind: Um den tiefgreifenden Wandel in der Automobilindustrie zu meistern, braucht es enorme Investitionen. Insbesondere im Bereich Elektromobilität und Batterietechnik sind hohe Ausgaben notwendig, um Technologien weiter zu verbessern und Kosten zu senken.

Wie die diesjährige Ausgabe des Deloitte Global Automotive Consumer Study gezeigt hat, haben Konsument:innen nach wie vor große Bedenken in Bezug auf Reichweite, Ladezeiten sowie Anschaffungskosten. Investitionen in diesem Bereich sind also dringend notwendig, um die Nachfrage nach E-Autos zu steigern. In dieser Hinsicht gibt der aktuelle CFO-Survey vorsichtigen Grund zur Hoffnung: Zwar ist das Nettosaldo (Differenz zwischen positiven und negativen Investitionserwartungen) mit -7 Prozent weiterhin im negativen Bereich, im Vergleich zum Herbst 2023 ist der Wert jedoch um immerhin 22 Prozentpunkte gestiegen. Um im Rennen mit globalen Wettbewerbern und neuen Marktteilnehmern Schritt zu halten, reicht das allein jedoch längst nicht aus. Dazu braucht es über einen längeren Zeitraum Investitionen im großen Stil – auch und gerade in den Bereichen Software-Entwicklung und Batterietechnik, die keine klassischen Kernkompetenzen von traditionellen OEMs sind. Die neuesten Zahlen des CFO-Survey sind diesbezüglich ein erster Schritt in die richtige Richtung. Fraglich ist jedoch, wie nachhaltig diese Entwicklung ist. Setzt sich der aktuelle Aufwärtstrend fort oder kommt bald das nächste Tief?

Sorge vor Protektionismus aufgrund fehlender Resilienz?

 

Als exportorientierte Industrie, die in besonderem Maße von globalen Lieferketten abhängig ist, ist die Automobilindustrie stärker als viele andere Branchen anfällig für globale Entwicklungen und Krisen. In der diesjährigen Ausgabe des CFO-Survey lag ein besonderes Augenmerk auf der Einschätzung verschiedener geopolitischer Risiken – und die Automobilindustrie zeigte sich dabei in vielerlei Hinsicht besonders besorgt.

Auf die Frage, welche geopolitischen Risiken sie am wahrscheinlichsten halten, nannten zwei Drittel der befragten CFOs ein mögliches Technologie-Decoupling zwischen China und westlichen Märkten. Damit lag dieser Wert 26 Prozentpunkte über dem Industriedurchschnitt. Das Auseinanderdriften chinesischer und westlicher Märkte und Technologiestandards als Folge politischer Entscheidungen kann zum einen den Zugang zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt erschweren. Insbesondere für deutsche Top-OEMs, die 2024 geschätzt 39 Prozent ihres Umsatzes in der Volksrepublik erzielen werden [5], stellt diese mittlerweile den mit Abstand größten und wichtigsten Markt dar. Zum anderen ist China wichtiger Lieferant von Zwischenprodukten und für Batterien benötigten Rohstoffen wie Lithium und Graphit. Eine radikale Entkopplung kann daher zum Abreißen von Lieferketten führen, die Produktion im großen Stil bremsen sowie die Nutzung positiver Skaleneffekte verhindern. Dies hätte wiederum zur Folge, dass eine Reduzierung der Kosten kaum erreichbar ist. Damit gefährdet ein zu starkes Decoupling nicht nur die Marktposition europäischer Hersteller, sondern auch den Hochlauf der Elektromobilität sowie die damit verbundenen politischen Ausbauziele. Dementsprechend stuften fast die Hälfte der befragten CFOs das Risiko eines möglichen Decouplings als „schwerwiegend“ bzw. „sehr schwerwiegend“ ein.

Überhaupt zeigt sich die Automobilindustrie besorgt über eine Blockbildung im Welthandel und steigenden Protektionismus. 66 Prozent der befragten CFOs halten eine Zunahme dieser Tendenzen für wahrscheinlich und 69 Prozent sehen darin große Risiken für ihr Unternehmen. Außerdem rechnen 70 Prozent – 23 Prozentpunkte mehr als der Industriedurchschnitt – mit schwerwiegenden Folgen, sollte der Zugang zu wichtigen Rohstoffen wie beispielsweise Lithium beschränkt werden. 

Damit ergibt sich das Bild einer Automobilindustrie, die zwar leichte Aufwärtstendenzen zeigt und in Teilen durchaus positive Erwartung hat, gleichzeitig jedoch mit Sorge auf globale Entwicklungen blickt. Diese nach wie vor starke Abhängigkeit von geopolitischen Trends macht die Branche besonders anfällig für Schwankungen und Extreme. Um die Transformation der europäischen Automobilindustrie erfolgreich zu gestalten, ist somit nicht nur ein entsprechendes Investitionsumfeld notwendig, sondern ebenso resilientere und diversifiziertere Lieferketten. Diese schaffen langfristige Planungssicherheit und machen OEMs und Zulieferer unabhängiger von geopolitischen Entwicklungen.


[1] Die Industrien Freizeit, Raumfahrt, öffentlicher Sektor und Verpackungsmaterialien wurden aufgrund der geringen Zahl an Antworten in der Auswertung nicht berücksichtigt.

[2] Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, meint die gewählte Formulierung alle Geschlechter.

[3] RND (2024). Nach Leitzins-Senkung der EZB: Zinsen auf Tagesgeld sinken – aber nicht für Kredite. zuletzt abgerufen 17.07.2024.

[4] Merkur (2023). Aus für E-Auto-Kaufprämie in Deutschland: So machen es andere Länder in Europa und der Welt, zuletzt abgerufen am 18.07.2024.

[5] GlobalData (2024). Light Vehicles Sales Forecast. zuletzt abgerufen am 18.07.2024

 

Autor

 

Jonas Thiel

Nicolas Zauner

Industry Insights – Automotive 

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Dr. Harald Proff

Sector Lead Automotive

Harald Proff arbeitet seit 2015 bei Deloitte und ist Automotive Sektorleiter für Global/DCE/Deutschland. Sein Fokus liegt auf Transformationsprogrammen und neuen Geschäftsmodellen der industriellen Fertigung sowie der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung von Industrieunternehmen. Er ist der Gründer der Deloitte Digital Factory in Düsseldorf. Neben Deutschland hat er auch länger in Südkorea und Brasilien gelebt und gearbeitet. Nach seinem Studium in der Fachrichtung Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenbau und anschließender Promotion an der TU Darmstadt startete er als Manager für Industrialisierungsprojekte bei Mercedes Benz in das Berufsleben. Der Automobilindustrie ist er auch als Berater immer treu geblieben. Vor seiner Rolle als Automotive Sektorleiter war Herr Proff Lead Partner Operations Deutschland.