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Automotive Industry Briefing: Neue Wege zum Autokauf – vom Showroom zum Bildschirm

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Die Deloitte Industry Briefings analysieren Themen, die die Branchen bewegen, um kurzfristig und agil auf aktuelle Markentwicklungen und Branchenthemen reagieren zu können.

Die brachialen Umwälzungen innerhalb der Automobilindustrie machen auch vor der Vertriebsseite nicht halt. Der Onlinekanal gewinnt aktuell immer mehr an Bedeutung und trifft inzwischen auf eine große Offenheit bei deutschen Verbrauchern.[1] Altersübergreifend können sich 45 Prozent vorstellen, ein neues Auto ausschließlich im Internet zu kaufen, und wären bereit, auf den Gang ins Autohaus gänzlich zu verzichten. Mittels Technologien wie Extended Reality (XR) könnte sich der Autokauf der Zukunft in den kommenden Jahren sogar weiter verändern und zu einem echten digitalen Erlebnis werden. Tatsächlich sind viele Konsumenten gegenüber dem Einsatz neuer Technologien im Fahrzeugvertrieb aufgeschlossen. Das zeigen die Rückmeldungen von 1.000 Teilnehmern, die im Februar 2024 im Rahmen einer repräsentativen Online-Erhebung zu ihren Präferenzen beim Autokauf befragt wurden. Die Ergebnisse belegen aber auch: Längst nicht jeder würde auf den Besuch beim Händler vor Ort verzichten.

Die Transformation des Autohandels hin zu Agenturmodellen und Online-Sales ist in vollem Gange. Die Ursache dafür liegt in erster Linie bei den OEMs selbst. Denn der Autokauf im Internet flexibilisiert den Vertriebsprozess, macht zusätzliche Kundendaten verfügbar und führt langfristig zu Kosteneinsparungen. Hersteller treiben daher die Umgestaltung ihrer Vertriebslandschaften konsequent voran und machen mitunter selbst vor dem Verkauf der werkseigenen Niederlassungen nicht halt. Schließlich haben die neuen Akteure im Automobilmarkt gezeigt, dass hierzulande signifikante Marktanteile auch ohne größeres stationäres Händlernetz zu gewinnen sind. 

 

Online-Autokauf hat die Nische verlassen

 

Die Motivation der Anbieterseite, künftig zunehmend auf den digitalen Vertrieb zu setzen, ist nachvollziehbar. Doch wie steht es um die Bereitschaft der Konsumenten zum Online-Autokauf? Die Studienergebnisse belegen hier eine beträchtliche Offenheit. Schon heute wäre rund jeder Zweite (45%) grundsätzlich bereit, ein Auto ausschließlich über digitale Kanäle zu kaufen. In den Segmenten unter 45 Jahren sind sogar mehr als sechs von zehn der Befragten offen für den Online-Kauf. Mit steigendem Alter nehmen jedoch die Vorbehalte spürbar zu. In der Generation 65+ schließlich wollen rund 80 Prozent nicht auf die persönliche Interaktion im traditionellen Autohaus verzichten. 

Möchten OEMs also alle Kundensegmente gleichermaßen ansprechen, geht es derzeit noch nicht ohne den Händler vor Ort. Gleichzeitig verfügt der Online-Vertrieb bereits über ein beträchtliches Potenzial – das in den kommenden Jahren absehbar weiterwächst. Denn digitale  Transaktionen werden sich in vielen weiteren Bereichen des Alltags über alle Altersgruppen hinweg etablieren und für Verbraucher immer mehr zur Gewohnheit. Damit steigt auch die Offenheit für den Online-Autokauf. 

Für OEMs lohnt es sich also, in den digitalen Vertrieb zu investieren. Dazu gehört auch, diesen mittels neuer technologischer Konzepte weiterzuentwickeln. Eine wesentliche Innovation in diesem Kontext ist XR (Extended Reality). Diese verspricht einerseits eine neuartige und deutlich interaktivere Nutzererfahrung, erfordert aber von Verbrauchern noch einmal ein zusätzliches Maß an Offenheit für digitale Angebote.

 

XR-Technologien als Online-Booster?

 

In 2D-Anwendungen lassen sich bereits Fahrzeuge konfigurieren und vor verschiedenen Hintergründen im Webbrowser inszenieren. Evolutionär betrachtet sind Virtual Reality und Augmented Reality hierbei die nächsten relevanten Konzepte. Nahezu alle großen Automobilhersteller haben bereits die Nutzung von VR- oder AR-Anwendungen in Form von virtuellen Showrooms, Produktkampagnen oder virtuellen Konfiguratoren angestoßen.

Mittels Virtual Reality können neben Fahrzeugkonfigurationen auch Fahrsimulationen und gamifizierte Inhalte verwendet werden. Aufgrund der benötigten VR-Brillen und deren aktuell überschaubarer Marktpenetration ist anzunehmen, dass solche Anwendungen in den nächsten Jahren vor allem für das Luxussegment bedeutsam sein werden. 

Die einfacher zugängliche Technologie für Sales-Kanäle ist aktuell und perspektivisch Augmented Reality, bei der Nutzer ihre Konfigurationen mithilfe eines mobilen Endgeräts, beispielsweise eines Smartphones oder Tablets, visuell in ihr eigenes Wohnzimmer oder ihre Garage stellen können. Dies trägt das Betrachten von Fahrzeugen vom Autohaus direkt in das eigene Zuhause und unterstützt die Vorstellungskraft potenzieller Käufer. 

Ein signifikanter Anteil deutscher Konsumenten würde solche XR-Technologien im Zusammenhang mit dem Fahrzeugkauf verwenden, sei es für digitale Verkaufsgespräche, 3D-Konfigurationen oder digitale Testfahrten. Die Aufgeschlossenheit der Verbraucher unterscheidet sich dabei stark in den verschiedenen Alterssegmenten (s. Abb. 1). Während in den mittleren Altersgruppen etwa jeder Zweite XR-Angebote verwenden würde, sinkt die Bereitschaft bei älteren Kunden erheblich. An Konsumenten über 55 Jahren lassen sich solche Lösungen bislang nur sehr begrenzt adressieren. Junge Verbraucher zwischen 18 und 24 Jahren sind zwar grundsätzlich offen für neue Technologien, das Interesse ist aber limitiert durch die geringere Relevanz des Themas Autokauf in dieser Altersgruppe.

 

Abb. 1 – Frage: „Wären Sie daran interessiert, das Auto über XR-Technologien in einer digitalen Umgebung zu erkunden, mit Verkäufern zu sprechen und schließlich virtuell zu konfigurieren und zu testen? (wenn Ihnen bspw. ein Hersteller eine Brille leihweise zur Verfügung stellt)

Die Mehrheit präferiert (noch) das traditionelle Autohaus

 

Mit zunehmenden Aktivitäten der OEMs im Bereich des digitalen Fahrzeugvertriebs haben Verbraucher immer häufiger die Wahl zwischen dem Besuch im klassischen Autohaus und digitalen Alternativangeboten. Auch eine Mischform aus traditionellen und digitalen Elementen ist dabei möglich. Dabei punkten beide Wege zum Autokauf mit ihren jeweils spezifischen Vorteilen. Die Interaktion direkt beim Händler vor Ort ermöglicht die persönliche Beratung durch einen häufig schon bekannten Ansprechpartner. Auch das haptische Erleben von Fahrzeugen, beispielsweise im Rahmen einer Probefahrt, ist nur im realen Autohaus möglich. Auf der anderen Seite ist der Online-Kauf bequem, flexibel und ermöglicht Angebote auch aus weiter entfernten Regionen. Informationen und Angebote werden beim Online-Kauf objektiv, aktuell und unabhängig von den individuellen Präferenzen eines Verkaufsberaters bereitgestellt. 

Es gibt also gute Gründe sowohl für den Online- als auch für den Offline-Kauf, ebenso wie für die Nutzung digitaler Elemente. Doch was präferieren die deutschen Konsumenten? Tatsächlich würden bei Verbrauchern unter 45 Jahren vier von zehn der Befragten bereits die digitale Erfahrung dem persönlichen Besuch im Autohaus vorziehen. Erreichen Konsumenten das Alter von 45 Jahren, so vollzieht sich ein klarer „digitaler Bruch“ bei der Akzeptanz entsprechender Angebote. In den älteren Segmenten wünscht eine klare Mehrheit den Vor-Ort-Kontakt. Online-Vertrieb und XR präferieren hier deutlich weniger als 20 Prozent.

 

Abb. 2 – Frage: „Inwiefern stimmen Sie der folgenden Aussage zu: Ich würde solche virtuelle Erfahrungen dem traditionellen Besuch im Autohaus vorziehen.“    

Fazit und Handlungsfelder

 

Die hohe Offenheit junger Autokäufer für den Online-Vertrieb und für digitale Verkaufs- und Marketinginstrumente ist bekannt. Bei der Analyse der Studienergebnisse zeigt sich zudem, dass die Bereitschaft der Konsumenten zur Nutzung von digitalen Elementen auch beim Autokauf bereits heute ein außerordentliches Ausmaß erreicht hat. OEMs sollten dieses Momentum nutzen und entsprechende Angebote bereithalten, auch um als innovativ wahrgenommen zu werden. Auf der anderen Seite ist das Interesse an neuen Vertriebsansätzen bei älteren Verbrauchern weiterhin sehr überschaubar. Auch hier ist insbesondere die Größenordnung der Lücke bemerkenswert, die sich zwischen Jung und Alt beim Interesse an immersiven Elementen auftut.

Die Rückmeldungen der Verbraucher machen deutlich: Zunächst werden sowohl traditionelle Autohäuser als auch innovative, digitale Vertriebsansätze in den kommenden Jahren ihre Daseinsberechtigung haben. Gleichzeitig zeigen sich die Zielgruppen deutlich fragmentiert: Die alleinige Betrachtung von jungen vs. älteren Autokäufern reicht nicht aus. Denn innerhalb der Altersgruppen gibt es durchaus Unterschiede. So wollen besonders auto- und technikaffine Käufer unabhängig von ihrem Alter das neue Auto vor Ort erleben. Anderseits würde eine ältere, besonders preissensitive Klientel dann ein Fahrzeug online kaufen, wenn ein entsprechender Preisvorteil vorhanden ist.

Dennoch bieten die altersspezifisch sehr unterschiedlichen Kundenpräferenzen den OEMs attraktive Handlungsoptionen: So lassen sich Technologien wie XR ideal mit spezifischen Use Cases für die jüngeren Zielgruppen oder technikaffine Ältere kombinieren. Diese sollten dann deutlich über eine immersive Visualisierung bei der Fahrzeugkonfiguration oder interaktive Informationen im digitalen Autohaus hinausgehen. Beispiele hierfür sind soziale Plattformen, Gamification und digitale Produkteinführungen.

Besonders vielversprechend aus Anbietersicht sind neue Möglichkeiten, Produkte noch stärker zu emotionalisieren, beispielsweise mit digitalen Launch-Events für neue Fahrzeuge. Auch lässt sich die Vorfreude auf ein neues Auto steigern, indem Kunden die Herstellung des persönlichen Fahrzeuges live beim Besuch einer digitalen Produktionshalle miterleben dürfen. Wenn in diesem Kontext zusätzlich noch interessante und emotionale Hintergründe zu Unternehmens- und Entwicklungsgeschichte vermittelt werden, lässt sich die Begeisterung der Kunden für Marke und Produkt weiter steigern. Geeignete Instrumente sind hierbei beispielsweise AR-basierte, spielerisch umgesetzte Einführungen in die Fahrzeugbedienung oder eine im Fahrzeug integrierte Sprachassistenz, die Fragen zum neuen Auto beantwortet.

OEMs müssen aber dafür Sorge tragen, dass diese Angebote gut umgesetzt sind. Allein die Tatsache, dass beispielsweise eine Fahrzeugpräsentation digital stattfindet, reicht längst nicht aus. Stattdessen müssen Verbraucher in den Genuss einer erstklassigen Experience kommen und idealerweise einen echten Mehrwert wahrnehmen. Kommen XR-Anwendungen dagegen lieblos und unkreativ daher, so führt dies auf Nutzerseite unweigerlich zu Enttäuschung und im schlechtesten Fall sogar zu Vorbehalten hinsichtlich der weiteren Nutzung. Hier müssen neue Angebote gleich mehrere Schritte weiter sein.

Ältere Verbraucher werden wohl auch mittelfristig den Gang ins Autohaus vor Ort präferieren. Dass alle von ihnen dauerhaft auf neue Technologien im Kaufprozess verzichten werden, ist aber keineswegs ausgemacht. Spätestens wenn sich entsprechende Anwendungen etabliert und in den jüngeren Segmenten bewährt haben, wird absehbar ein Umdenken erfolgen. Bis dahin sollten traditionelle Vertriebskanäle bereitgehalten werden, um möglichst allen Kundenpräferenzen beim Autokauf gerecht zu werden. 

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

 

Autor

 

Nicolas Zauner

Senior | Automotive Research

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Dr. Harald Proff

Sector Lead Automotive

Harald Proff arbeitet seit 2015 bei Deloitte und ist Automotive Sektorleiter für Global/DCE/Deutschland. Sein Fokus liegt auf Transformationsprogrammen und neuen Geschäftsmodellen der industriellen Fertigung sowie der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung von Industrieunternehmen. Er ist der Gründer der Deloitte Digital Factory in Düsseldorf. Neben Deutschland hat er auch länger in Südkorea und Brasilien gelebt und gearbeitet. Nach seinem Studium in der Fachrichtung Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenbau und anschließender Promotion an der TU Darmstadt startete er als Manager für Industrialisierungsprojekte bei Mercedes Benz in das Berufsleben. Der Automobilindustrie ist er auch als Berater immer treu geblieben. Vor seiner Rolle als Automotive Sektorleiter war Herr Proff Lead Partner Operations Deutschland.