Enorme Anstiege von Rohstoff- und Energiepreisen sowie der rasante Zinserhöhungszyklus sind nur einige der Faktoren, die in den letzten Monaten zu außergewöhnlichen Belastungen für den Immobiliensektor geführt haben. Die daraus resultierende Konsolidierungswelle am Markt betrifft Projektentwickler besonders stark1. Dabei wird deutlich, dass die gegenwärtige Situation weiterhin herausfordernd ist. Doch wie steht es um die Zukunft der Immobilienwirtschaft? Wird die Branche noch länger mit den Folgen der jüngsten Krisen zu kämpfen haben oder sind bereits erste Signale für eine Trendwende zu erkennen?
Für die aktuelle Deutschlandausgabe des halbjährlich durchgeführten Deloitte CFO-Survey wurden 193 Finanzvorstände aus unterschiedlichen Industrien zu ihren Zukunftseinschätzungen befragt. Die folgende Analyse konzentriert sich auf die Rückmeldungen aus der deutschen Immobilienwirtschaft2. Die aktuellen Ergebnisse aus dem Herbst 2023 zeigen eindeutig, dass ein Erholungstrend, der sich noch im letzten Halbjahr angedeutet hatte, nicht fortgesetzt wird.
Stimmungsaufhellung nicht nachhaltig
Nachdem die Stimmung unter Immobilien-CFOs noch im Herbst 2022 auf ein neues Rekordtief gefallen war, konnten bereits im darauffolgenden Frühjahr erste optimistische Tendenzen beobachtet werden. Gegenwärtig sind mit 46 Prozent (siehe Abb. 1) wieder fast die Hälfte der Befragten pessimistisch, was die eigenen Geschäftsaussichten im Vergleich zu vor drei Monaten betrifft. Der Anteil an optimistischen Einschätzungen ist mit 18 Prozent erheblich geringer, was einen merklich negativen Nettosaldo (Differenz zwischen optimistischen und pessimistischen Antworten) von -29 Prozentpunkten zur Folge hat.
Abb. 1: „Wie beurteilen Sie die momentanen Geschäftsaussichten Ihres Unternehmens im Vergleich zu den Aussichten vor drei Monaten?“
Auch wenn der momentane Pessimismus seinen Tiefststand von vor einem Jahr noch nicht wieder erreicht hat, besteht Anlass zur Sorge, denn der Wert befindet sich im unteren Teil der Zeitreihe. Demzufolge wird klar, dass der Immobilienwirtschaft absehbar schwierige Zeiten bevorstehen. Aktuelle Herausforderungen sind längst nicht überwunden und werden die Branche deutlich länger begleiten, als es noch im letzten Halbjahr erwartet worden war. Von der erhofften schnellen Erholung ist somit keine Rede mehr.
Negativer Trend auch bei den Kennzahlen
Konkret spiegelt sich die eingetrübte Stimmung auch in den Erwartungen bezüglich bestimmter betriebswirtschaftlicher Kennzahlen wider (siehe Abb. 2). Besonders die operativen Margen geraten dabei unter hohen Druck: Hier gehen mit 64 Prozent fast zwei Drittel der CFOs von einem Rückgang aus. Der entsprechende Nettosaldo von -46 Prozentpunkten rutscht damit von einem leicht negativen in einen stark pessimistischen Bereich. Ein wesentlicher Grund hierfür ist auch das angespannte wirtschaftliche Gesamtumfeld, welches es derzeit nicht zulässt, gestiegene Kosten in Form von höheren Preisen vollständig weiterzugeben.
Abb. 2: „Wie werden sich Ihrer Ansicht nach die Umsätze / operativen Margen in Ihrem Unternehmen über die nächsten zwölf Monate verändern?“
Auch die Umsatzerwartung ist mit einem Nettosaldo von -14 Prozentpunkten klar rückläufig. Durch Steigerungen im Bereich von Bau- und Finanzierungskosten werden viele Projekte unwirtschaftlich, die sich zuvor noch als rentabel erwiesen hätten. Hinzu kommen die derzeit stagnierenden Reallöhne3 sowie ein negativer wirtschaftlicher Gesamtausblick. Daraus ergibt sich eine Gemengelage, die wenig Hoffnung auf ein nachfrageinduziertes Anspringen der Umsätze macht.
Abb. 3: „Wie werden sich Ihrer Ansicht nach die Investitionen / die Beschäftigung in Ihrem Unternehmen über die nächsten zwölf Monate verändern?“
Als Reaktion auf den vorherrschenden Pessimismus setzen Immobilien-CFOs gegenwärtig auf defensive Strategien, wie Abbildung 3 zeigt. Fast 40 Prozent der Befragten geben an, einen Rückgang bei ihren Investitionen zu erwarten, während gerade einmal 18 Prozent von einem Anstieg ausgehen. Daher schrumpft der Nettosaldo auf -21 Prozentpunkte und bleibt das dritte Halbjahr in Folge negativ.
Ein besonders starker Einbruch kann bei den Einschätzungen in Bezug auf die Beschäftigungsentwicklung beobachtet werden: Ausgehend von einer soliden positiven Basis stürzt der Nettosaldo um beachtliche 43 Prozentpunkte auf ein neues Rekordtief von -21 Prozentpunkten – eine Bewegung, die in etwa mit dem Corona-Einbruch vom Frühjahr 2020 vergleichbar ist. Der Nachfrageeinbruch, der sich beispielsweise anhand der aktuellen Stornowelle im Wohnungsbaumarkt4 bemerkbar macht, lässt folglich auch eine signifikante Zahl an Arbeitsplätzen wegfallen.
Wie groß der aktuelle Pessimismus ist, zeigt die Tatsache, dass ein Personalabbau erwartet wird, obwohl eine reduzierte Belegschaft vor dem Hintergrund von demografischem Wandel und Fachkräftemangel nicht ohne weiteres wieder aufgebaut werden kann, sobald sich die Immobilienwirtschaft wieder auf dem Wachstumspfad befindet.
Inlandsnachfrage bleibt größtes Risiko
Grund für die überwiegend vorsichtigen Einschätzungen der Immobilien-CFOs ist die weiterhin hohe Risikolage. Die größte Sorge bereitet die bereits erwähnte schwächere Inlandsnachfrage: 68 Prozent aller Befragten sehen hier ein Risiko über die nächsten zwölf Monate. Damit belegt der Faktor, wie auch schon im ersten Halbjahr, den ersten Platz. Die Tatsache, dass derzeit kaum Anzeichen für einen konjunkturellen Aufschwung in Deutschland zu erkennen sind5, wirkt hier zusätzlich belastend.
Platz zwei des Risiko-Rankings teilen sich die steigenden Kapitalkosten sowie Sorgen um eine zunehmende Regulierung in Deutschland mit je 61 Prozent der Rückmeldungen. Im Hinblick auf die Finanzierungslage stellt das hohe Zinsniveau weiterhin eine große Herausforderung für die Immobilienbranche dar. Zwar könnte sich der aktuelle Zinserhöhungszyklus bald einem Ende zuneigen6, aber wann genau Zinssenkungen und damit Entlastungen für die Real Estate Branche zu erwarten sind, bleibt unklar und sorgt deshalb für Unsicherheit. Demgegenüber stehen beim Faktor Regulierung besonders Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte im Fokus. Eine erwartete Verschärfung bei Themen wie beispielsweise der Heiztechnik lässt potenziell Kosten in die Höhe schnellen.
Abb. 4: „Welche der folgenden Faktoren stellen für Ihr Unternehmen in den nächsten zwölf Monaten ein hohes Risiko dar?“
Betrachtet man geopolitische Risiken, so ergibt sich zum Zeitpunkt der Befragung noch ein gegenteiliges Bild. Während sich dieser Faktor mit 56 Prozent noch im Frühjahr unter den Top fünf des Rankings befand, fällt er mit nun lediglich 18 Prozent auf den letzten Platz. Hierbei ist unbedingt zu beachten, dass die Erhebung der Studienergebnisse vor der jüngsten Eskalation im Nahostkonflikt durchgeführt wurde. Daher spiegeln sich diese Ereignisse nicht in den vorliegenden Befragungsergebnissen wider. In diesem Kontext bleibt abzuwarten, wie die Folgen der zugespitzten, geopolitischen Rahmenbedingungen im nächsten Halbjahr von den CFOs bewertet werden.
Fahrt auf Sicht weiterhin notwendig
Angesichts dieser Gesamtlage wird klar, dass sich der Hoffnungsschimmer des ersten Halbjahres 2023 vorerst als eine vorschnelle, zu positive Einschätzung entpuppt hat. Damit gilt weiterhin, dass Real Estate Unternehmen auf Sicht fahren müssen, um nicht in eine übermäßige Gefahrenlage zu geraten. Dies bedeutet insbesondere, dass Kostenreduktion und eine konservative Aufstellung der Finanzierungsstruktur weit oben auf der Agenda stehen sollten.
Besonders komplex ist dabei das Thema Personal. Vor allem Talente in Schlüsselpositionen müssen unter allen Umständen gehalten werden, denn der Fachkräftemangel macht adäquate Neueinstellungen, insbesondere im IT-Umfeld, zu einem späteren Zeitpunkt zur Herkulesaufgabe. Kosteneinsparungen in diesem Bereich können im nächsten Aufschwung als erhebliches Wachstumshemmnis wirken.
In diesem dynamischen Umfeld ist es zudem essenziell, neu aufkommende Risiken schnellstmöglich zu identifizieren, bekannte Risiken regelmäßig neu zu bewerten und entsprechende Absicherungsstrategien zu implementieren. Für Unternehmen, die einzelnen Risiken in zu hohem Maße ausgesetzt sind, kommt dabei auch eine Diversifikation des Geschäftsmodells in Betracht. Ein nachhaltiger Trend hin zum Homeoffice wird beispielsweise bei einem reinen Fokus auf Büroimmobilien zu einer existenziellen Gefahr. Eine Ergänzung durch andere Assetklassen kann die Risikolage abschwächen. Dabei spielt auch der zeitliche Horizont eine wichtige Rolle: Unternehmen, die hauptsächlich als Investoren auftreten, können eine derartige Diversifikation beispielsweise erheblich schneller umsetzen als Projektentwickler mit bereits laufenden Projekten.
Auch die neuen Möglichkeiten, welche sich dank der rasanten Entwicklungen im Bereich der generativen Künstlichen Intelligenz (KI) bieten, sollten auf ihren Einsatz geprüft werden. Noch steckt das Thema in der Real Estate Branche in den Kinderschuhen, wird aber aller Voraussicht nach innerhalb der nächsten Jahre stark an Bedeutung gewinnen. Besonders vielversprechend wirkt dabei das Potenzial, Geschäftsabläufe zu optimieren und dadurch Kosten zu reduzieren.
Trotz alledem darf nicht vernachlässigt werden, nach ersten Erholungsanzeichen Ausschau zu halten. Denn selbst wenn momentan andere Herausforderungen im Fokus stehen, so werden sich auch für die Immobilienbranche wieder Wachstumschancen ergeben. Ein Ansatzpunkt für Real Estate Unternehmen besteht beispielsweise darin, ein stärkeres Selbstverständnis als Serviceanbieter zu entwickeln. Interessante Möglichkeiten hierzu ergeben sich unter anderem durch die Verknüpfung des bereitgestellten physischen Raums mit digitalen Angeboten. Die Deloitte Studie Future of real estate: Shift to phygital beschäftigt sich hiermit im Detail.
Zudem ist für die CO2-intensive Immobilienwirtschaft davon auszugehen, dass das Marktumfeld weiterhin vom Thema Nachhaltigkeit als Langfristtrend bestimmend geprägt werden wird. Wer in diesem Bereich optimal aufgestellt ist, wird erhebliche Potenziale sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite erfolgreich für sich nutzen können. Klar ist deshalb, wie wichtig eine möglichst schnelle Überwindung des Krisenmodus für die Immobilienbranche und ihre Akteure ist – nicht zuletzt auch, um sich wieder stärker auf die zentralen Zukunftsthemen fokussieren zu können.
Autor
Florian Loipersberger
Senior | Financial Services Insights
1 zdf.de (2023): Insolvenzen in Immobilienbranche. Pleitewelle verschärft Wohnungsnot, zuletzt abgerufen am 02.11.2023
2 Dies sind ca. 15 Prozent aller Befragten.
3 Statistisches Bundesamt (2023): Pressemitteilung Nr. 340 vom 29. August 2023, zuletzt abgerufen am 02.11.2023.
4 haufe.de (2023): Wohnungsbau im Teufelskreis. Es muss wiederbelebt werden, zuletzt abgerufen am 02.11.2023.
5 tagesschau.de (2023): Deutschland als Schlusslicht, zuletzt aufgerufen am 02.11.2023.
6 boerse-frankfurt.de (2023): Lagarde: EZB-Zinsen bleiben so lange hoch wie nötig, zuletzt abgerufen am 21.11.2023.