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Financial Industry Briefing: Vorsichtiger Optimismus beendet Krisenstimmung

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Stolze 23 Prozent – um diesen Wert heben die Top 15 Finanzdienstleister in Europa ihre Dividenden im Schnitt für 2023 an.1 Dass dieses Geld nicht zur Stärkung der Bilanzen benötigt wird, sondern in die Hände von Aktionären fließt, lässt Zuversicht innerhalb des Sektors vermuten. Denn durch die Ausschüttungen lassen Vorstandsetagen nicht nur Anteilseigner an gestiegenen Gewinnen partizipieren, sondern senden auch ein Signal der finanziellen Robustheit an die Kapitalmärkte.

Doch trotz guter Quartalszahlen gibt es in der aktuellen Lage auch eine Vielzahl an Unsicherheiten. Die jüngsten Turbulenzen am amerikanischen Regionalbankenmarkt sind hierfür ein eindrucksvoller Beleg. Im Fall der Silicon Valley Bank löste beispielsweise mangelndes Vertrauen einen Bank Run aus, der zu einem massiven Liquiditätsengpass führte. Schlussendlich konnte die Bank diesen nicht mehr bedienen und rutschte in die Insolvenz.

Dass sich derartige Risiken und Chancen gegenwärtig in etwa die Waage halten, zeigt der Deloitte-CFO Survey für das Frühjahr 2023. Dabei umfasst die halbjährliche Umfrage unter europäischen Finanzvorständen in der aktuellen Ausgabe die Einschätzungen von über 1.300 Teilnehmern.2 Der Fokus liegt im Folgenden auf den Rückmeldungen der 192 Befragten aus der Finanzindustrie. Die Analyse lässt erkennen, dass die derzeitige Gemütslage zwar sehr durchmischt, im Schnitt jedoch von vorsichtigem Optimismus geprägt ist. Damit ist die Krisenstimmung der letzten beiden Halbjahre vorläufig beendet, von Euphorie kann jedoch noch keine Rede sein.

 

Hoffnung auf ausbleibende Rezession beendet Abwärtstrend

 

Genaueres hierzu verrät ein Blick auf die Zahlen in Abbildung 1: Bei der Beurteilung ihrer Geschäftsaussichten herrscht Uneinigkeit unter den CFOs der Finanzbranche. Während 34 Prozent mit Zuversicht in die Zukunft blicken, bleiben 28 Prozent pessimistisch gestimmt. Zusammengenommen führt das zu einem positiven Nettosaldo (Prozentsatz positiver Antworten abzüglich des Prozentsatzes negativer Antworten) von sechs Prozentpunkten. Insgesamt entspricht das zwar einem Anstieg von 46 Prozentpunkten zum letzten Halbjahr, verglichen mit dem pandemiebedingten Einbruch im Frühjahr 2020 erweist sich der Weg aus der Krise jedoch als deutliche zäher: Damals hatte der Anstieg stolze 67 Prozentpunkte betragen.

Abb. 1: „Wie beurteilen Sie die momentanen Geschäftsaussichten Ihres Unternehmens im Vergleich zu den Aussichten vor drei Monaten?“

Dass sich der Optimismus diesmal spürbar verhaltener zeigt, begründet sich unter anderem im allgemeinen Konjunkturausblick, von dem das Wachstum der Finanzindustrie besonders stark abhängt. Hoffnung machen dabei sowohl die Normalisierung der Energiepreise als auch die rückläufigen Inflationsraten. Dank der jüngsten Zinsanhebungen scheint der Zenit hier vorerst überschritten. Angesichts dieser positiven Signale kann eine Rezession im Jahr 2023 höchstwahrscheinlich abgewendet werden, für ein Wachstum deutlich oberhalb der Nulllinie gibt es jedoch kaum Anhaltspunkte.3

 

Zinsumfeld begünstigt Profitabilitätswachstum

 

Dieses gemischte Stimmungsbild verdeutlicht gut, welche gegenläufigen Effekte der aktuelle Zinserhöhungszyklus der Zentralbanken für die Finanzindustrie mit sich bringt. Zu den positiven Auswirkungen zählen vor allem die steigenden Margen, welche sich immer deutlicher in den Bilanzen der Finanzunternehmen widerspiegeln. Banken freuen sich beispielsweise über eine höhere Zinsdifferenz zwischen vergebenen Krediten und entgegengenommenen Einlagen. Versicherer können unter anderem von höheren Renditen ihrer Anlageportfolios bei Neuinvestitionen profitieren.

Abb. 2: „Wie werden sich Ihrer Ansicht nach die Umsätze / operative Margen in Ihrem Unternehmen über die nächsten zwölf Monate verändern?“

Abbildung 2 verdeutlicht, wie stark dieser Effekt aktuell ausgeprägt ist. Mit 48 Prozent geht derzeit fast die Hälfte aller Finanz-CFOs von einem Anstieg ihrer Margen aus, lediglich 20 Prozent erwarten einen Rückgang. Während der Durchschnitt hier im letzten Halbjahr noch stark pessimistisch eingestellt war, steigt der Nettosaldo nun um einen Rekordwert von 49 Prozentpunkten.

Doch die Tatsache, dass Geld nun wieder einen Preis hat, sorgt nicht notwendigerweise nur für Begeisterung. Die gestiegene Zinslast senkt die Nachfrage nach Finanzdienstleistungen und bringt insbesondere hoch verschuldete Unternehmen in Bedrängnis. Im schlimmsten Fall drohen Kreditausfälle, welche Finanzindustrie und Konjunktur belasten.

Sorgen um einen Rückgang des Geschäfts stehen jedoch aktuell weniger im Vordergrund: Stattliche 70 Prozent der Befragten rechnen mit Umsatzsteigerungen in ihren Unternehmen (siehe Abb. 2). Die Gruppe der Pessimisten ist mit zwölf Prozent in der klaren Minderheit. Der entsprechende Nettosaldo von fast 60 Prozentpunkten bewegt sich somit in einem äußerst stabilen Bereich.

Als weitere Gefahr verursacht der Zinsanstieg auch Wertberichtigungen im Anlageportfolio von Banken und Versicherungen. Die höheren Zinsen für Neuemissionen lassen niedriger verzinste Altbestände an Anleihen weniger attraktiv erscheinen. Die Folge ist ein signifikanter Einbruch ihres Marktwertes. Wenn die Zinspapiere bis zum Ende der Laufzeit gehalten werden, stellt dieser Mechanismus keine existenzielle Bedrohung dar, denn der volle Nominalbetrag wird zurückgezahlt. Falls ein vorzeitiger Verkauf notwendig ist, müssen die Verluste realisiert werden. Zweiteres wurde der Silicon Valley Bank zum Verhängnis. 4,5

 

Zukunftsinvestitionen kommen wieder in Betracht

 

Solche Risiken verhindern zwar, dass Euphorie aufkommt, dennoch betreten die CFOs der Finanzbranche wieder vorsichtig den Wachstumspfad. Genauere Details liefert ein Blick auf Abbildung 3. Mit 31 Prozent übersteigt die Zahl der CFOs, welche einen Anstieg ihrer Investitionen erwarten, die Zahl der Pessimisten (16%) um fast das Doppelte.

Dies ist zwar kein Rekordwert, jedoch ist der Nettosaldo von 15 Prozentpunkten nun wieder deutlich im positiven Bereich. Noch im Herbst 2022 konnte hier lediglich ein neutraler Wert von drei Prozentpunkten beobachtet werden. Die Zeiten der reinen Existenzabsicherung sind damit vorerst vorbei. Stattdessen werden wieder vermehrt Mittel für Zukunftsinvestitionen freigegeben.

Abb. 3: „Wie werden sich Ihrer Ansicht nach die Investitionen / die Beschäftigung in Ihrem Unternehmen über die nächsten zwölf Monate verändern?“

Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Pläne in Bezug auf Neueinstellungen. Während 35 Prozent der Befragten eine Aufstockung ihrer Belegschaft prognostizieren, rechnen 16 Prozent mit einem Personalabbau. Auch hier ließ sich im vorigen Halbjahr noch kein bedeutendes Wachstum erkennen: Der Nettosaldo betrug gerade einmal vier Prozentpunkte. Dank des aktuellen Werts von 19 Prozentpunkten zeigt der Trend also wieder aufwärts.

Die digitale Transformation des Finanzsektors sowie die erhöhten regulatorischen Anforderungen dürften für diese Entwicklung maßgeblich mitverantwortlich sein. Gesucht werden hierbei vorrangig IT-Spezialisten und Regulierungsexperten. Der Fachkräftemangel sorgt dafür, dass beides aktuell nicht einfach auf dem Markt zu finden ist.

 

Weichenstellungen schwieriger denn je

 

Der verhaltene Optimismus, der gegenwärtig im Finanzsektor vorherrscht, zeigt vor allem eines: Die aktuelle Lage ist ausgesprochen komplex. Während die zahlreichen Risiken weiterhin für Zurückhaltung sorgen, werden auch Chancen zunehmend greifbar. Die richtige Mischung zwischen Wachstumsorientierung und defensiven Maßnahmen zu finden, ist angesichts der uneindeutigen Marktlage alles andere als einfach. Entscheidungsträger müssen hier ein außerordentliches Fingerspitzengefühl beweisen.

Dabei sollten aufkommende Chancen identifiziert und gezielt genutzt werden. Potenzial ergibt sich unter anderem bei Sparprodukten und Lebensversicherungen. Im neuen Zinsumfeld gewinnen derartige Angebote für Kunden wieder zunehmend an Attraktivität. Nur wer innovative Produkte mit exzellenten Konditionen anbietet, kann sich diesen Umstand zu Nutze machen. Wer stattdessen zu zögerlich agiert, läuft Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden.

Für entsprechende Wachstumsstrategien müssen jedoch auch Risiken eingegangen werden. Unternehmen, die diese unterschätzen oder nicht angemessen managen, können derzeit sehr schnell in Bedrängnis geraten. Die ausgesprochen schnellen Zinsänderungen sind dabei nur einer von vielen Faktoren, die gegenwärtig für enormen Handlungsbedarf in der Finanzbranche sorgen. Bei einer unzureichenden Absicherungsstrategie gegen entsprechende Gefahren können innerhalb kürzester Zeit existenzbedrohende Verluste entstehen. Die aktuellen Verwerfungen am amerikanischen Regionalbankenmarkt sind hierfür ein warnendes Beispiel.

Doch Umsichtigkeit ist auch rund um das Thema innovative Technologien geboten. Die Studie Pushing through undercurrents, welche aus einer Kooperation zwischen Deloitte und dem Weltwirtschaftsforum entstanden ist, liefert hierzu eine detailreiche Analyse. In der Publikation werden systemrelevante Risiken, die durch neue Technologien entstehen, identifiziert. Zudem enthält die Veröffentlichung wertvolle Anregungen im Umgang mit diesen. Neben Strategien zur Risikominimierung wird auch aufgezeigt, welche neuen Gelegenheiten sich ergeben können.

Klar ist daher: Dieser schmale Grat zwischen Chance und Risiko bietet erhebliches Potenzial für Umwälzungen in der Finanzindustrie. Falsche Entscheidungen von beteiligten Playern können derzeit sehr schnell dazu führen, dass die Karten neu gemischt werden. Denn nur wer Fehltritte konsequent vermeidet und trotzdem Wachstumsmöglichkeiten ergreift, kann eine Spitzenposition in diesem Marktumfeld einnehmen.

Autor:

Florian Loipersberger

Senior Research Analyst | Financial Services Research

1 Eigene Analyse, Datenquelle: Refinitiv Workspace, Top 15 nach Mitarbeiterzahl, nur börsengelistete Unternehmen. Für Unternehmen, die typischerweise eine Zwischendividende zum Herbst ausschütten und diese zum Zeitpunkt der Analyse für 2023 noch nicht angekündigt worden ist, bezieht sich das Dividendenwachstum nur auf die Ausschüttungen zum Frühjahr.

2 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

3 tagesschau (2023): Deutschland vermeidet 2023 Rezession, zuletzt abgerufen am 23.05.2023.

4 The Guardian (2023): Why did Silicon Valley Bank fail?, zuletzt abgerufen am 23.05.2023.

5 Die Ereignisse rund um die Silicon Valley Bank spielten sich während des Umfragezeitraums des CFO-Survey ab. Ein Teil der Befragten konnte diesen Vorfall deshalb noch nicht in seinen Einschätzungen berücksichtigen.

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Prof. Dr. Carl-Friedrich Leuschner

Deutschland
Partner | FS Industry Lead

Prof. Dr. Carl-Friedrich Leuschner, seit den neunziger Jahren in der Wirtschaftsprüferbranche tätig, ist FS Industry Lead und Partner im Geschäftsbereich FSI Audit & Assurance. Er verfügt über umfangreiche Erfahrung im Bereich Abschlussprüfungen von national und international tätigen Kreditinstituten. Als Honorarprofessor für Betriebswirtschaftslehre lehrt er seit 1994 an der Universität Osnabrück am Lehrstuhl für Wirtschaftsprüfung und International Accounting.