An den Weltmärkten ist derzeit keine Stabilisierung zu beobachten. Neben den noch immer spürbaren Auswirkungen der COVID-19 Pandemie sorgen gegenwärtig der Krieg in der Ukraine und geopolitische Verwerfungen für Unsicherheiten. Unternehmen haben deshalb mit enormen Herausforderungen wie rasanten Preissteigerungen bei Rohstoffen und Energie oder Lieferkettenproblemen zu kämpfen. Hinzu kommen Ängste vor Inflation und einem konjunkturellen Abschwung.
Wie stark die Immobilienbranche hierzulande davon betroffen ist, beleuchtet die deutsche Ausgabe des Deloitte CFO Survey, bei der Finanzvorstände verschiedenster Branchen halbjährlich nach ihren Zukunftseinschätzungen befragt werden. Dabei konnten für die aktuelle Umfrage vom Frühjahr 2022 insgesamt 143 Teilnehmer gewonnen werden. Im weiteren Verlauf liegt der Fokus dabei auf den Rückmeldungen der Vertreter aus der Immobilienwirtschaft.[1]
Insgesamt sprachen Marktbeobachter für 2021 von einem Rekordjahr für die Immobilienbranche. Noch im letzten Halbjahr gingen Immobilien-CFOs davon aus, dass dieses Niveau auch gehalten werden kann: Pessimistische und optimistische Einschätzungen hielten sich bei der Beurteilung ihrer Geschäftsaussichten im Vergleich zu vor drei Monaten in etwa die Waage, wie Abbildung 1 veranschaulicht.
Im gegenwärtigen Halbjahr verschlechtert sich das Stimmungsbild hingegen drastisch. Mit 48 Prozent Pessimisten und lediglich neun Prozent Optimisten rutscht der Nettosaldo[2] von +8 auf -39 Prozent und findet sich somit deutlich im negativen Bereich wieder. Eine schlechtere Stimmung herrschte im Immobiliensektor lediglich während des Beginns der Corona-Pandemie Anfang 2020.
Abb. 1: „Wie beurteilen Sie die momentanen Geschäftsaussichten Ihres Unternehmens im Vergleich zu den Aussichten vor drei Monaten?“
Über den Ursprung dieses Pessimismus gibt Abbildung 2 Aufschluss. Der Grund für den allgemeinen Stimmungseinbruch ist eindeutig bei den operativen Margen zu suchen: Die überwältigende Mehrheit von 78 Prozent erwartet hier einen Rückgang – ein negativer Rekordwert, der durch die lediglich vier Prozent Optimisten kaum ein Gegengewicht findet.
Abb. 2: „Wie werden sich Ihrer Ansicht nach die Umsätze / operativen Margen in Ihrem Unternehmen über die nächsten zwölf Monate verändern?“
Anders verhält es sich bei den Umsatzerwartungen. Obwohl der Nettosaldo von +64 auf +39 Prozent gefallen ist, bleibt dieser positiv. Die Mehrheit der Finanzvorstände geht dementsprechend immer noch von einem Anstieg der Umsätze innerhalb der nächsten zwölf Monate aus (61 Prozent Optimisten gegenüber 22 Prozent Pessimisten).
Dementsprechend lässt sich schlussfolgern, dass den CFOs der Immobilienwirtschaft derzeit weniger die Einnahmensituation, sondern vor allem die Kostenseite Sorge bereitet. Angesichts der starken Preisanstiege an den Rohstoff- und Energiemärkten ist dies kaum verwunderlich. Lieferengpässe sorgen zudem dafür, dass bestimmte Vorprodukte und Materialien für die Bauindustrie kaum oder nur zu deutlich höheren Preisen zu bekommen sind. Zudem erhöhen sich aufgrund anziehender Inflation die Finanzierungskosten für die Immobilienbranche, welche tendenziell im Vergleich zu anderen Branchen einen hohen Fremdkapitalanteil aufweist.
Diese aktuellen Herausforderungen auf der Kostenseite wirken sich auch auf Investitionen und Neueinstellungen aus. Die Bereitschaft der Immobilien-CFOs, Mittel in diesen Bereichen zur Verfügung zu stellen, hat stark abgenommen. Dies verdeutlicht ein Blick auf Abbildung 3: Trotz eines weiterhin positiven Niveaus nimmt der Nettosaldo für beide Kennziffern erheblich ab.
Abb. 3: „Wie werden sich Ihrer Ansicht nach die Investitionen / die Beschäftigung in Ihrem Unternehmen über die nächsten zwölf Monate verändern?“
Vorsichtiger werden die Finanzvorstände vor allem bei den Investitionsausgaben. Hier sinkt der Nettosaldo auf magere +8 Prozent (voriges Halbjahr: +36 Prozent). Die Zeiten ausgeprägter Wachstumserwartungen in diesem Bereich sind damit vorerst vorbei. Mit einem Wert von +22 Prozent sind die Erwartungen bezüglich der Anzahl an Beschäftigten hingegen etwas optimistischer. Nichtsdestotrotz hält auch hier verstärkt Zurückhaltung Einzug, da eine Halbierung des (positiven) Nettosaldo (voriges Halbjahr: +48 Prozent) zu beobachten ist.
Die erhöhte Umsicht hat ihre Gründe, denn laut Einschätzung der Immobilien-CFOs haben sich die Risiken erheblich verschärft. Insgesamt konnten die Finanzverantwortlichen dabei für unterschiedliche Faktoren angeben, ob diese innerhalb des nächsten Jahres ein hohes Risiko darstellen. Verglichen mit dem Herbst des Vorjahres wurde in Summe deutlich öfter ein pessimistisches Urteil gefällt: Bei sieben von neun Faktoren steigt der Anteil an CFOs, die in einem jeweiligen Faktor ein erhöhtes Gefahrenpotenzial erkennen.
Abbildung 4 listet die einzelnen Risiken genauer auf. An erster Stelle werden dabei steigende Energiekosten genannt. Die überwiegende Mehrheit von 87 Prozent der Befragten sieht diesbezüglich ein Risiko innerhalb der nächsten zwölf Monate. Auch Fachkräftemangel und steigende Rohstoffkosten bleiben weiterhin weit oben auf der Liste der Risiken. Mit 70 und 65 Prozent belegen diese Faktoren Platz zwei und drei.
Abb. 4: „Welche der folgenden Faktoren stellen für Ihr Unternehmen in den nächsten zwölf Monaten ein hohes Risiko dar?“
Betrachtet man die Veränderung zum Herbstwert, so nehmen auch hier die steigenden Energiekosten mit 35 Prozentpunkten die Spitzenposition ein. Deutliche Zunahmen des Risikopotenzials sind außerdem bei steigenden Kapitalkosten (+32 Prozentpunkte) und geopolitischen Risiken (+29 Prozentpunkte) zu verzeichnen. Während Inflationsängste und damit einhergehende Zinserhöhungen für die Angst vor höheren Kapitalkosten hauptverantwortlich sind, ist der Anstieg bei den geopolitischen Risiken auf den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine zurückzuführen. Angesichts dieser Situation rückt die Sorge um eine Zunahme der Regulierung in Deutschland in den Hintergrund. Mit -45 Prozentpunkten ist dies das einzige Risiko, welches angesichts der anderen bestimmenden und aktuellen Risikofaktoren kurzfristig an Bedeutung verliert.
Die Rückmeldungen der Finanzvorstände zeigen: Die Anspannung in der Immobilienwirtschaft ist aktuell groß. Zukunftsprognosen lassen sich nur schwer treffen, die Planungssicherheit ist gering. Ursachen hierfür sind unter anderem die starken Preisschwankungen an Energie- und Rohstoffmärkten, die Verteuerung der Finanzierung, die ansteigende Inflation und die teilweise exponentielle Erhöhung der Baukosten. Risikominimierung ist daher das Gebot der Stunde, expansive Wachstumsstrategien werden zurückgestellt.
Grundsätzlich liegen daher aufgrund dieser unsicheren Gemengelage eher die kurz- und mittelfristigen Geschäftsstrategien im Fokus der Vorstandsetagen. Dennoch dürfen langfristige Ziele nicht aus den Augen verloren werden. Beispielsweise lassen sich die Sicherung der Energieversorgung, das Vorantreiben der seriellen Fertigung oder der Aufbau lokaler Lieferketten kurzfristig nicht umsetzen. Jedoch können entsprechende Maßnahmen künftig dazu beitragen, die Resilienz von Unternehmen gegenüber Krisen mitte- und langfristig zu stärken.
In diesem Zusammenhang gibt es auch eine Vielzahl weiterer Themen, die die Zukunft des Immobiliensektors gestalten und prägen werden. Die Deloitte Real Estate Predictions 2022[3] beschäftigen sich ausführlich mit dieser Materie. Neben Digitalisierung und Smart Buildings wird auch ESG in der Branche eine entscheidende Rolle spielen. Die Auswirkungen all dieser Trends sind bereits jetzt erkennbar, eine genaue Priorisierung von gezielten Investitionen ist angesichts der aktuellen Lage und der unsicheren Rahmenbedingungen wichtiger denn je.
Autor:
Dr. Florian Loipersberger
Senior | Financial Services Research
[1] Der Immobiliensektor macht einen Anteil von ca. 16% aller Befragten deutschen CFOs aus.
[2] Der Nettosaldo ergibt sich aus dem Prozentsatz positiver Antworten abzüglich des Prozentsatzes negativer Antworten.
[3] Hinweis: Es erfolgt eine Weiterleitung auf die niederländische Deloitte Website. Die Inhalte des Artikels sind auf Englisch.
Die Deloitte Industry Briefings analysieren Themen, die die Branchen bewegen, um kurzfristig und agil auf aktuelle Markentwicklungen und Branchenthemen reagieren zu können.