Einmal kurz aus dem Alltag in eine virtuelle Welt abtauchen – diese Zukunftsvision ist der Stoff zahlreicher Filme und Science-Fiction Romane. Jetzt scheint diese Vorstellung Realität zu werden: Große Tech-Unternehmen arbeiten mit Hochdruck am Aufbau des Metaverse. Doch was genau steckt dahinter? Wofür wird es genutzt und was sind die relevanten Erfolgsfaktoren, damit sich das Metaverse durchsetzt? Welche Chancen und Risiken ergeben sich für Nutzer und Unternehmen aus verschiedenen Sektoren? Wir erklären es im aktuellen Deloitte Cross-Industry Briefing. Dieser Artikel ist der erste in einer mehrteiligen Serie zum Metaverse.
Das Metaverse ist die aktuell meistdiskutierte Zukunftsvision des Internets und wird oft bereits als die nächste Iteration des mobilen Internets bezeichnet. In diesem verschwimmen die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt immer weiter. Durch Technologien wie Virtual, Mixed und Augmented Reality werden immersive, virtuelle Räume geschaffen, in denen sich Nutzer in Gestalt von Avataren mit Freunden und Kollegen treffen, gemeinsam arbeiten, spielen oder shoppen. Es entsteht ein digitales Abbild (Digital Twin) unserer analogen Welt, in der Menschen eine virtuelle Identität besitzen – so die Vorstellung.
Die angestrebte Vision des Metaverse zeichnet sich durch vier wesentliche Charakteristika aus. Das Verständnis dieser Eigenschaften ist elementar für die weitere Betrachtung und Diskussion.
Die Umbenennung des Facebook-Konzerns in „Meta Platforms“ suggeriert, dass das Metaverse ausschließlich von diesem Unternehmen aufgebaut wird. Tatsächlich jedoch gibt es eine Vielzahl an Akteuren, die allesamt daran arbeiten, die Zukunftsvision des Metaverse zu realisieren.
Zu den Stakeholdern gehören Tech-Unternehmen wie Microsoft oder NVIDIA, ebenso wie die Internet-Giganten Tencent und Alibaba. Große Konkurrenz kommt auch aus dem Gaming-Bereich, allen voran vom Softwareunternehmen Epic Games (der Entwickler des Erfolgs-Games Fortnite). Daneben gibt es zahlreiche Start-ups, die mit ihren Hard- und Software-Innovationen, Avataren und Asset-Marktplätzen das Metaverse-Ökosystem komplementieren.
Die Vision eines Metaversums ist keine neue Idee. Bereits 1991 prägte Neal Stephenson den Begriff in seinem Science-Fiction Roman „Snow Crash“. Doch warum ist die Euphorie und der Wettlauf um die Entwicklung des Metaversums erst jetzt entbrannt, wenn die erste Vision vom Metaverse bereits vor 30 Jahren existierte? Nach Angaben von Tech-Investor Matthew Ball [1] müssen acht zentrale Komponenten erfüllt sein, damit das Metaverse Realität wird. Bislang war der Entwicklungsstand einiger Bereiche noch unausgereift, doch in den letzten Jahren wurden große Fortschritte in den nachfolgenden Kategorien erzielt, weshalb die Vision nun in greifbare Nähe rückt.
Die Euphorie ums Metaverse hängt zweifelsohne mit der Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten zusammen. Egal ob Arbeitsleben, Einkaufserlebnis, Bildung oder Entertainment – das Metaverse besitzt das Potenzial, unzählige Industrien nachhaltig zu prägen.
So wird sich die Art und Weise ändern, wie wir mit Kollegen zusammenarbeiten. Anstelle von zweidimensionalen Online-Konferenzen könnten bald schon virtuelle 3D-Meetings der neue Standard werden. Zum Kollaborieren und Brainstormen verabredet man sich zukünftig in Gestalt eines Avatars in der digitalen Nachbildung (Digital Twin) des jeweiligen Unternehmens-Hauptsitzes.
Auch den Bildungsbereich revolutioniert das Metaverse potenziell. Je immersiver Lerninhalte sind, desto leichter kann man sich an sie erinnern. Das gilt nicht nur für die Schulausbildung, sondern auch für Fort- und Weiterbildungen im Berufsleben.
Neben der Arbeit kommt das Vergnügen im Metaverse natürlich nicht zu kurz. Mit Freunden spielen und ebenso vielfältige wie phantasievolle Welten erkunden, Musikkonzerte, Kunstausstellungen oder Konferenzen besuchen – all das ist im Metaverse möglich.
Darüber hinaus eröffnet das Metaverse immense Commerce-Möglichkeiten: Fashion-Unternehmen eröffnen virtuelle Stores, in denen sie reale und virtuelle Produkte verkaufen, Automobilhersteller verlagern das Autohaus ins Metaverse und bieten virtuelle Testfahrten an, und Investoren erwerben digitale Immobilien, um diese gewinnbringend zu vermieten oder wieder verkaufen zu können.
Trotz der breiten Palette an innovativen Nutzungsmöglichkeiten und Geschäftsmodellen, wird der Einfluss des Metaversums von Sektor zu Sektor unterschiedlich stark ausfallen.
Die Bezahlung von Produkten und Services wird im Metaverse mittels Kryptowährungen über die Blockchain abgewickelt. Je nach Plattform wird eine andere Währung verwendet. Nutzer benötigen für die Transaktionen lediglich ein Krypto-Wallet.
Doch wie wird sichergestellt, dass virtuelle Produkte einzigartig sind und nicht einfach dupliziert werden können? Hier kommen sogenannte Non-fungible-Tokens (NFTs) ins Spiel. Diese sind – wie die Übersetzung aus dem Englischen bereits vermuten lässt – nicht austauschbar. NFTs stellen eine Art Besitzurkunde für gekaufte virtuelle Assets dar. Wechselt der Besitzer eines virtuellen Assets (z.B. eines virtuellen Kunstwerkes oder eines virtuellen Grundstücks), so wechselt auch der Besitzanspruch. Dieser Vorgang ist transparent über die Blockchain nachvollziehbar, Fälschung ausgeschlossen.
Ob sich das Metaverse langfristig durchsetzen wird und nicht nur ein vorübergehender Hype ist, hängt entscheidend davon ab, ob die beteiligten Stakeholder zur Kooperation und der Festlegung einheitlicher Standards und Schnittstellen bereit sind. Nur wenn das Metaverse plattformübergreifend nutzbar ist (sprich, wenn virtuelle Assets zwischen verschiedenen virtuellen Welten transferierbar sind), entsteht eine Customer Experience mit nachhaltigem Mehrwert für die Nutzer. Da viele der großen Tech-Unternehmen in der Vergangenheit eher auf geschlossene Ökosysteme gesetzt haben, ist es allerdings fraglich, ob sich dies beim Aufbau des Metaverse ändert.
Bei all der Begeisterung um die zukünftigen Möglichkeiten des Metaversums muss auch ein Wort der Warnung ausgesprochen werden. Das Metaverse wird die Risiken des Web 2.0 perspektivisch noch verschärfen. Dazu zählen Bedenken rund um Datenschutz, Privatsphäre und Cyber Security.
Bereits im Web 2.0 wird das Suchverhalten von Internet-Usern unentwegt getrackt: Welche Websites werden besucht, worauf wird geklickt und welche Inhalte werden gelesen? Im Metaverse ist es darüber hinaus möglich, körperliche Reaktionen zu messen. So kann mittels Eye-Tracking in VR-Headsets nachvollzogen werden, wo der erste Blick eines Nutzers hinfällt oder welche emotionalen Reaktionen ausgelöst werden. Diese meist unterbewussten Reflexe sind vor allem für Werbetreibende höchst interessant, als personenbezogene Daten aber schützenswert.
Daneben steigt die Gefahr von Cyber Crime. Werden Teile unserer realen Welt – wie etwa eine Behörde oder ein Konsulat – in Form eines digitalen Zwillings im Metaverse abgebildet, dann wird auch Hackern eine größere Angriffsfläche geboten. Gleiches gilt für unsere virtuelle Identität. Wenn wir zukünftig im Metaverse in Gestalt von Avataren agieren, müssen diese gegen Deepfakes2 geschützt werden.
Auch die physischen und mentalen Auswirkungen des Metaverses sind bisher noch schwer abschätzbar. Welche Effekte wird es auf Menschen – insbesondere auf Kinder – haben, die den Großteil des Tages in einer virtuellen Welt verbringen? Vor dem Hintergrund der nachgewiesenen negativen Effekte von sozialen Medien auf die mentale Gesundheit löst diese Vorstellung Besorgnis aus.
Die aufgeführten Punkte verdeutlichen: Das Metaverse bringt einige ethische Risiken mit sich. Genau jetzt, in der Entstehungsphase des Metaverse, ist der geeignete Zeitpunkt, sich mit diesen zu beschäftigen und einen regulatorischen Rahmen festzulegen. Unabhängig davon sollten sich Unternehmen im Rahmen ihrer unternehmerischen Verantwortung (Corporate Digital Responsibility) mit diesen Themen auseinandersetzen und Leitlinien entwickeln, wie sie im Metaverse wirtschaften wollen.
1 Matthew Ball: The Metaverse Primer, 2021
2 Deepfakes sind Video- oder Audiodateien von Personen, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz manipuliert wurden, aber täuschend echt wirken.
Autorin:
Anna Elin Seidel
Associate Manager | Trend & Consumer Research
Die Deloitte Industry Briefings analysieren Themen, die die Branchen bewegen, um kurzfristig und agil auf aktuelle Markentwicklungen und Branchenthemen reagieren zu können.