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Cross-Industry Briefing: Metaverse - Die Zukunft des Internets?

Einmal kurz aus dem Alltag in eine virtuelle Welt abtauchen – diese Zukunftsvision ist der Stoff zahlreicher Filme und Science-Fiction Romane. Jetzt scheint diese Vorstellung Realität zu werden: Große Tech-Unternehmen arbeiten mit Hochdruck am Aufbau des Metaverse. Doch was genau steckt dahinter? Wofür wird es genutzt und was sind die relevanten Erfolgsfaktoren, damit sich das Metaverse durchsetzt? Welche Chancen und Risiken ergeben sich für Nutzer und Unternehmen aus verschiedenen Sektoren? Wir erklären es im aktuellen Deloitte Cross-Industry Briefing. Dieser Artikel ist der erste in einer mehrteiligen Serie zum Metaverse.

 

Was ist das Metaverse?

 

Das Metaverse ist die aktuell meistdiskutierte Zukunftsvision des Internets und wird oft bereits als die nächste Iteration des mobilen Internets bezeichnet. In diesem verschwimmen die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt immer weiter. Durch Technologien wie Virtual, Mixed und Augmented Reality werden immersive, virtuelle Räume geschaffen, in denen sich Nutzer in Gestalt von Avataren mit Freunden und Kollegen treffen, gemeinsam arbeiten, spielen oder shoppen. Es entsteht ein digitales Abbild (Digital Twin) unserer analogen Welt, in der Menschen eine virtuelle Identität besitzen – so die Vorstellung.

Die angestrebte Vision des Metaverse zeichnet sich durch vier wesentliche Charakteristika aus. Das Verständnis dieser Eigenschaften ist elementar für die weitere Betrachtung und Diskussion.

  • Das Metaverse ist live und kennt keine Pause. Es besteht fort, auch wenn ein User sich auf einer Plattform abmeldet und kann in der Zwischenzeit von anderen Nutzern verändert werden.
  • Das Metaverse ist grenzenlos. Es gibt weder eine Obergrenze für die Teilnehmerzahl noch für die Anzahl der Erlebnisse.
  • Das Metaverse ist interoperabel. Es soll aus zahlreichen virtuellen und realen Plattformen bestehen, die über offene Schnittstellen miteinander verbunden sind. So können virtuelle Assets und Identitäten von einer Plattform zur nächsten mitgenommen werden.
  • Das Metaverse ist dezentral organisiert. Anstatt aus wenigen zentralisierten Plattformen, die eine marktbeherrschende Stellung einnehmen, soll sich das Metaverse aus zahlreichen dezentralen Plattformen zusammensetzen. Dabei hat weder eine Einzelperson noch ein Unternehmen alleinige Kontrolle über das Metaverse.

 

 

Der Wettlauf ums Metaverse hat begonnen

 

Die Umbenennung des Facebook-Konzerns in „Meta Platforms“ suggeriert, dass das Metaverse ausschließlich von diesem Unternehmen aufgebaut wird. Tatsächlich jedoch gibt es eine Vielzahl an Akteuren, die allesamt daran arbeiten, die Zukunftsvision des Metaverse zu realisieren.

Zu den Stakeholdern gehören Tech-Unternehmen wie Microsoft oder NVIDIA, ebenso wie die Internet-Giganten Tencent und Alibaba. Große Konkurrenz kommt auch aus dem Gaming-Bereich, allen voran vom Softwareunternehmen Epic Games (der Entwickler des Erfolgs-Games Fortnite). Daneben gibt es zahlreiche Start-ups, die mit ihren Hard- und Software-Innovationen, Avataren und Asset-Marktplätzen das Metaverse-Ökosystem komplementieren.

 

 

Wieso gerade jetzt?

 

Die Vision eines Metaversums ist keine neue Idee. Bereits 1991 prägte Neal Stephenson den Begriff in seinem Science-Fiction Roman „Snow Crash“. Doch warum ist die Euphorie und der Wettlauf um die Entwicklung des Metaversums erst jetzt entbrannt, wenn die erste Vision vom Metaverse bereits vor 30 Jahren existierte? Nach Angaben von Tech-Investor Matthew Ball [1] müssen acht zentrale Komponenten erfüllt sein, damit das Metaverse Realität wird. Bislang war der Entwicklungsstand einiger Bereiche noch unausgereift, doch in den letzten Jahren wurden große Fortschritte in den nachfolgenden Kategorien erzielt, weshalb die Vision nun in greifbare Nähe rückt.

 

8 Treiber des Metaverse:
 
  1. Hardware: Extended-Reality (XR)-Hardware bildet die Hardware-Basis für ein immersives Metaverse. Auch wenn XR weiterhin auf den großen Durchbruch wartet, wurden hier in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte erzielt.
  2. Vernetzung: Stabile Internetverbindungen und hohe Bandbreiten in Kombination mit kurzen Latenzzeiten sind eine Grundvoraussetzung für das Metaverse und sind inzwischen breit verfügbar.
  3. Rechenleistung: Die Darstellung von virtuellen Welten in Echtzeit ist datenintensiv, kann aber mittlerweile von immer größeren Rechenleistungen umgesetzt werden.
  4. Virtuelle Plattformen: Mit Decentraland, Sandbox, Roblox oder Fortnite existieren bereits mehrere immersive Welten, in denen sich Nutzer und Unternehmen aufhalten, miteinander interagieren und an einer Vielzahl von Aktivitäten teilnehmen können.
  5. Austauschbare Tools und Standards: Standards für Interoperabilität (wie etwa einheitliche Tools und Protokolle) ermöglichen die Mitnahme von virtuellen Assets von Plattform zu Plattform.
  6. Zahlungssystem: Die Blockchain Technologie ermöglicht die sichere Bezahlung mittels Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether.
  7. Content, Services und Assets: Virtuelle Güter, Assets und Services können von Unternehmen und Nutzern fürs Metaverse kreiert, durch NFTs geschützt und sicher verkauft werden.
  8. Nutzungsverhalten: Seit dem Beginn der Corona-Pandemie ist eine enorme Veränderung des Digitalverhaltens zu beobachten. So wurden Online-Shopping und Zoom-Meetings zur neuen Normalität und Hemmnisse gegenüber digitalen Erlebnissen wurden abgebaut. Der Shift von einer Online-Umgebung in einen virtuellen Raum ist somit nicht mehr weit.

 

Das Metaverse bietet zahlreiche Nutzungsmöglichkeiten

 

Die Euphorie ums Metaverse hängt zweifelsohne mit der Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten zusammen. Egal ob Arbeitsleben, Einkaufserlebnis, Bildung oder Entertainment – das Metaverse besitzt das Potenzial, unzählige Industrien nachhaltig zu prägen.

So wird sich die Art und Weise ändern, wie wir mit Kollegen zusammenarbeiten. Anstelle von zweidimensionalen Online-Konferenzen könnten bald schon virtuelle 3D-Meetings der neue Standard werden. Zum Kollaborieren und Brainstormen verabredet man sich zukünftig in Gestalt eines Avatars in der digitalen Nachbildung (Digital Twin) des jeweiligen Unternehmens-Hauptsitzes.

Auch den Bildungsbereich revolutioniert das Metaverse potenziell. Je immersiver Lerninhalte sind, desto leichter kann man sich an sie erinnern. Das gilt nicht nur für die Schulausbildung, sondern auch für Fort- und Weiterbildungen im Berufsleben.

Neben der Arbeit kommt das Vergnügen im Metaverse natürlich nicht zu kurz. Mit Freunden spielen und ebenso vielfältige wie phantasievolle Welten erkunden, Musikkonzerte, Kunstausstellungen oder Konferenzen besuchen – all das ist im Metaverse möglich.

Darüber hinaus eröffnet das Metaverse immense Commerce-Möglichkeiten: Fashion-Unternehmen eröffnen virtuelle Stores, in denen sie reale und virtuelle Produkte verkaufen, Automobilhersteller verlagern das Autohaus ins Metaverse und bieten virtuelle Testfahrten an, und Investoren erwerben digitale Immobilien, um diese gewinnbringend zu vermieten oder wieder verkaufen zu können.

 

 

Die Relevanz variiert je nach Sektor

 

Trotz der breiten Palette an innovativen Nutzungsmöglichkeiten und Geschäftsmodellen, wird der Einfluss des Metaversums von Sektor zu Sektor unterschiedlich stark ausfallen.

  • Hohe Relevanz: Technologischer Fortschritt und Decentralized Banking gehören zu den Grundpfeilern des Metaversums. Aus diesem Grund wird der Einfluss auf den Technologie- und Banking-Sektor am gravierendsten sein. Ebenfalls essenziell für das Metaverse sind immersive Erlebnisse und der Handel virtueller Produkte, weshalb sowohl der Media & Entertainment-Sektor als auch Handel und Konsumgüter potenziell stark vom Metaverse profitieren.
  • Mittlere Relevanz: Das Metaverse eröffnet der Automobil-, Reise-, und Immobilienbranche sowie dem Gesundheitssektor neue Geschäftsmöglichkeiten und innovative Wege, mit Kunden in Kontakt zu treten. Die physischen Produkte und Dienstleistungen dieser Bereiche wird das Metaverse jedoch niemals voll ersetzen können.
  • Niedrige Relevanz: Einen vergleichsweise geringen Einfluss wird das Metaverse für den Energiesektor haben. Obwohl das Betreiben des Metaversums eine enorme Menge an Storm benötigt, bleibt das grundlegende Geschäftsmodell der Energiebranche vom Metaverse unangetastet. Auch für den öffentlichen Sektor werden sich die Auswirkungen erst einmal in Grenzen halten. Zwar gibt es bereits Beispiele von Behörden oder Konsulaten im Metaverse, die den Gang zum Amt überflüssig machen. In Deutschland steht jedoch erst einmal die Digitalisierung der Verwaltung an, bevor der nächste Schritt von 2D zu 3D erfolgen kann.

 

Kryptowährungen und NFTs regeln Bezahlung und Besitz

 

Die Bezahlung von Produkten und Services wird im Metaverse mittels Kryptowährungen über die Blockchain abgewickelt. Je nach Plattform wird eine andere Währung verwendet. Nutzer benötigen für die Transaktionen lediglich ein Krypto-Wallet.

Doch wie wird sichergestellt, dass virtuelle Produkte einzigartig sind und nicht einfach dupliziert werden können? Hier kommen sogenannte Non-fungible-Tokens (NFTs) ins Spiel. Diese sind – wie die Übersetzung aus dem Englischen bereits vermuten lässt – nicht austauschbar. NFTs stellen eine Art Besitzurkunde für gekaufte virtuelle Assets dar. Wechselt der Besitzer eines virtuellen Assets (z.B. eines virtuellen Kunstwerkes oder eines virtuellen Grundstücks), so wechselt auch der Besitzanspruch. Dieser Vorgang ist transparent über die Blockchain nachvollziehbar, Fälschung ausgeschlossen.

 

 

Offenheit und Interoperabilität entscheiden über Erfolg

 

Ob sich das Metaverse langfristig durchsetzen wird und nicht nur ein vorübergehender Hype ist, hängt entscheidend davon ab, ob die beteiligten Stakeholder zur Kooperation und der Festlegung einheitlicher Standards und Schnittstellen bereit sind. Nur wenn das Metaverse plattformübergreifend nutzbar ist (sprich, wenn virtuelle Assets zwischen verschiedenen virtuellen Welten transferierbar sind), entsteht eine Customer Experience mit nachhaltigem Mehrwert für die Nutzer. Da viele der großen Tech-Unternehmen in der Vergangenheit eher auf geschlossene Ökosysteme gesetzt haben, ist es allerdings fraglich, ob sich dies beim Aufbau des Metaverse ändert.

 

 

Die potenzielle Kehrseite des Metaversums

 

Bei all der Begeisterung um die zukünftigen Möglichkeiten des Metaversums muss auch ein Wort der Warnung ausgesprochen werden. Das Metaverse wird die Risiken des Web 2.0 perspektivisch noch verschärfen. Dazu zählen Bedenken rund um Datenschutz, Privatsphäre und Cyber Security.

Bereits im Web 2.0 wird das Suchverhalten von Internet-Usern unentwegt getrackt: Welche Websites werden besucht, worauf wird geklickt und welche Inhalte werden gelesen? Im Metaverse ist es darüber hinaus möglich, körperliche Reaktionen zu messen. So kann mittels Eye-Tracking in VR-Headsets nachvollzogen werden, wo der erste Blick eines Nutzers hinfällt oder welche emotionalen Reaktionen ausgelöst werden. Diese meist unterbewussten Reflexe sind vor allem für Werbetreibende höchst interessant, als personenbezogene Daten aber schützenswert.

Daneben steigt die Gefahr von Cyber Crime. Werden Teile unserer realen Welt – wie etwa eine Behörde oder ein Konsulat – in Form eines digitalen Zwillings im Metaverse abgebildet, dann wird auch Hackern eine größere Angriffsfläche geboten. Gleiches gilt für unsere virtuelle Identität. Wenn wir zukünftig im Metaverse in Gestalt von Avataren agieren, müssen diese gegen Deepfakes2 geschützt werden.

Auch die physischen und mentalen Auswirkungen des Metaverses sind bisher noch schwer abschätzbar. Welche Effekte wird es auf Menschen – insbesondere auf Kinder – haben, die den Großteil des Tages in einer virtuellen Welt verbringen? Vor dem Hintergrund der nachgewiesenen negativen Effekte von sozialen Medien auf die mentale Gesundheit löst diese Vorstellung Besorgnis aus.

Die aufgeführten Punkte verdeutlichen: Das Metaverse bringt einige ethische Risiken mit sich. Genau jetzt, in der Entstehungsphase des Metaverse, ist der geeignete Zeitpunkt, sich mit diesen zu beschäftigen und einen regulatorischen Rahmen festzulegen. Unabhängig davon sollten sich Unternehmen im Rahmen ihrer unternehmerischen Verantwortung (Corporate Digital Responsibility) mit diesen Themen auseinandersetzen und Leitlinien entwickeln, wie sie im Metaverse wirtschaften wollen.

 

1 Matthew Ball: The Metaverse Primer, 2021

2 Deepfakes sind Video- oder Audiodateien von Personen, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz manipuliert wurden, aber täuschend echt wirken.

 

Autorin:

Anna Elin Seidel

Associate Manager | Trend & Consumer Research

aseidel@deloitte.de