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Automotive Industry Briefing: Noch kein Licht am Ende des Tunnels

Als umsatzstärkster Wirtschaftszweig in Deutschland durchläuft die Autobranche zurzeit turbulente Zeiten. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 begünstigte noch nie dagewesene Herausforderungen wie die anhaltende Chipkrise und die Lieferkettenschwierigkeiten. Hinzukommen die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine in Form von explodierenden Energiepreise sowie die steigende Inflation als zusätzliche Herausforderungen. Die aktuelle Situation bietet tatsächlich keinen Grund zur Zuversicht. Das zeigen auch die Ergebnisse der Herbstausgabe des Deloitte CFO-Survey, für den 1.151 Finanzverantwortliche europäischer Unternehmen befragt wurden davon 40 aus der Automobilindustrie1.

Wenig Optimismus in der Autobranche

 

Mehr als zwei Drittel der Finanzvorstände aus der Automobilindustrie (68%) beurteilt die Lage ihrer Branche pessimistischer als vor drei Monaten. Damit sind die befragten CFOs aus der Autobranche die einzigen aus den 17 untersuchten Industrien, welche die aktuelle Lage nicht positiver wahrnehmen als noch vor drei Monaten. Abbildung 1 illustriert die jeweiligen Nettosalden („optimistisch“ minus „pessimistisch“) im Verlauf der vergangenen vier Jahre. Dabei wird deutlich, dass sich die Stimmung in der Automobilindustrie auf einem Tiefpunkt befindet.

Abb. 1: Wie beurteilen Sie die Geschäftsaussichten für Ihr Unternehmen* im Vergleich zu vor drei Monaten?

Rückgang der Finanzkennzahlen erwartet

 

Ein Blick auf die verschiedenen Schlüsselkennzahlen offenbart, dass der Abwärtstrend laut Einschätzung der Finanzverantwortlichen zumindest in den nächsten zwölf Monaten anhalten dürfte (siehe Abb. 2). Sowohl die Mitarbeiterzahl als auch die Margen und die Investitionsausgaben werden in absehbarer Zeit weiter abnehmen. Die Ausnahme bildet der Umsatz. Diesbezüglich rechnen mehr CFOs eher mit einer Steigerung als mit einer Verringerung im nächsten Jahr. In diesem Fall spielt allerdings die Inflation eine wesentliche Rolle als (nominaler) Umsatztreiber, da diese die Fahrzeugpreise erheblich erhöht. Außerdem werden die derzeit von den Automobilunternehmen erzielten Einnahmen höchstwahrscheinlich direkt reinvestiert werden, da die Hersteller und Zulieferer die enorme Umstellung auf neue Antriebsarten und autonomes Fahren vorfinanzieren müssen.

Abb. 2: Wie beurteilen Sie die Aussichten für Ihr Unternehmen in den nächsten 12 Monaten (Nettosaldo*)?

Äußerst schlecht im Branchenvergleich 

 

Ein Blick auf das aktuelle Stimmungsbild offenbart, dass die Autobranche im Industrievergleich auffallend schlecht abschneidet. Abbildung 3 illustriert, dass die Aussichten bei allen Kennzahlen deutlich hinter dem Branchendurchschnitt liegen. Sowohl bei Umsatz- als auch bei Margenerwartungen sind Automobil-CFOs pessimistischer als ihre Kollegen in anderen Industrien. Hier macht sich die schwächelnde Konjunktur in Europa klar bemerkbar, die unmittelbar die Kaufkraft der Verbraucher beeinträchtigt. Gleichzeitig setzen die Unterbrechungen von Lieferketten (z.B. bei Halbleitern) die Branche zusätzlich unter Druck. 

Die Prognosen bei den Punkten Investitionen und Mitarbeiterentwicklung fallen ebenfalls ernüchternd aus. Während der Industriedurchschnitt entweder einen neutralen oder sogar positiven Ausblick zeigt, offenbart sich bei der Automobilindustrie ein deutlich anderes Bild. Eine klare Mehrheit unter den Fi-nanzvorständen der Branche erwartet eine stark negative Entwicklung beider Kennzahlen in den nächs-ten zwölf Monaten. Nettosalden von -36 Prozent (CAPEX) und -20 Prozent (Mitarbeiterzahl) belegen, dass Investitionen und Arbeitsplätze wahrscheinlich in Zukunft schrumpfen werden. Jedoch bleibt es abzuwarten, ob der hohe Auftragsbestand seit Beginn der COVID-19-Pandemie den von den CFOs erwarteten Abwärtstrend bremsen kann. Der europäische Automobilherstellerverband (ACEA) meldete nämlich Ende Oktober 2022 für den dritten Monat in Folge einen Aufwärtstrend bei den Autoverkäufen.

Abb. 3: Wie beurteilen Sie die Aussichten für Ihr Unternehmen in den nächsten 12 Monaten (Nettosaldo*)?

Inflation als nächste Herausforderung

 

Mit der steigenden Inflation steht der Markt vor einer großen Herausforderung, so die Einschätzung der befragten Finanzverantwortlichen. Diese erwarten für das Jahr 2023 eine Inflationsrate von sechs Prozent, für 2024 sehen sie einen Rückgang auf vier Prozent. Angesichts dessen haben die Unternehmen bereits Maßnahmen ergriffen, um auf die steigenden Preise zu reagieren. Abbildung 4 zeigt, welche Schritte die CFOs in diesem Kontext für besonders wichtig halten und welcher Fokus speziell in der Autobranche gesetzt wird.

Abb. 4: Welche der folgenden Strategien sind für Ihr Unternehmen wichtig, um mit den steigenden Preisen umzugehen? *

Wie auch in anderen Industrien sind aus der Sicht der europäischen Automobilfinanzverantwortlichen zahlreiche Maßnahmen möglich und relevant im Hinblick auf die Bewältigung der aktuellen Preissteigerungen. An erster Stelle und somit häufiger als im Branchendurchschnitt wird eine Weitergabe von Kostensteigerungen durch Preiserhöhungen genannt. Die Autopreise sind in den letzten Jahren bereits deutlich gestiegen, teilweise sogar schneller als die Inflation2. Auch die Reduktion des Energieverbrauchs wird in dieser Diskussion häufig erwähnt. Dies ist kaum verwunderlich, da Energiekosten zuletzt massiv in die Höhe geschossen sind und in der Automobilherstellung dementsprechend viel Energie verbraucht wird. 

 

Gleichzeitig werden in der aktuellen Situation die Verbesserung des Cashflow-Managements sowie eine Fokussierung auf Märkte und Angebote mit höheren Margen von den CFOs aus der Autobranche als entscheidende Instrumente bewertet. Dagegen kommen stärkere Investitionen zur Kostensenkung oder die Verringerung von Margen für die Finanzverantwortlichen seltener infrage als für Kollegen aus anderen Industrien. 

Fazit: Unsichere Zeiten stehen bevor

 

Die Rückmeldungen der CFOs aus der Automobilbranche im Rahmen des CFO Survey Herbst 2022 verdeutlichen, dass die Aussichten für das nächste Jahr nicht ermutigend sind. Der Ausblick auf das Jahr 2024 ist ebenfalls wenig optimistisch. Auch wenn die Erholung hinsichtlich der Neuwagen-Zulassungen in den letzten zwei Monaten spürbar ist, liegen die Verkaufszahlen noch deutlich unter dem Vorjahreswert.

Vor diesem Hintergrund müssen die Akteure in der Autobranche reagieren und dementsprechend handeln. Dabei sollten die Bemühungen auf Kostensenkungen fokussiert werden. Darüber hinaus können höhere Autopreise zu einer verstärkten Reparatur und Aufrüstung älterer Fahrzeuge führen. Somit gewinnen Investitionen in OTA-Upgrades (Over-the-Air) und digitale Dienste an Bedeutung, um einen stetigen Umsatzstrom aufrechtzuerhalten. Daher müssen die digitalen Geschäftsmodelle gestärkt und die Verlagerung der Einnahmen auf vernetzte Dienstleistungen unterstützt werden.

Dennoch bleibt ungewiss, ob die Strategien führender Akteure der Automobilindustrie zur Bekämpfung der aktuellen Herausforderungen wirklich erfolgreich sind. Angesichts des steigenden Absatzes von Elektroautos und der Ankündigung von Investitionen in die regionale Produktionskapazität von EV-Batterien und Halbleitern werden die nächsten Monate entscheiden, ob für die Autobranche das Licht am Ende des Tunnels näher rückt.

Autor

 

Nicolas Zauner

ES Professional | Automotive Research

nzauner@deloitte.de

[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

[2] ADAC (2022): Autopreise. Neuwagen immer teurer. Doch muss das sein?, https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/auto-kaufen-verkaufen/neuwagenkauf/preissteigerungen-neuwagen-werden-immer-teurer/, 06.12.2022.

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Dr. Harald Proff

Sector Lead Automotive

Harald Proff arbeitet seit 2015 bei Deloitte und ist Automotive Sektorleiter für Global/DCE/Deutschland. Sein Fokus liegt auf Transformationsprogrammen und neuen Geschäftsmodellen der industriellen Fertigung sowie der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung von Industrieunternehmen. Er ist der Gründer der Deloitte Digital Factory in Düsseldorf. Neben Deutschland hat er auch länger in Südkorea und Brasilien gelebt und gearbeitet. Nach seinem Studium in der Fachrichtung Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenbau und anschließender Promotion an der TU Darmstadt startete er als Manager für Industrialisierungsprojekte bei Mercedes Benz in das Berufsleben. Der Automobilindustrie ist er auch als Berater immer treu geblieben. Vor seiner Rolle als Automotive Sektorleiter war Herr Proff Lead Partner Operations Deutschland.