Das dritte Quartal 2020 bringt den ersehnten ökonomischen Lichtblick für Deutschland. Nach dem historischen Einbruch von fast zehn Prozent im zweiten Quartal des Jahres ist die deutsche Wirtschaft auf den Wachstumspfad zurückgekehrt. Wir gehen von einem Plus von sechs Prozent im Vergleich zum Vorquartal aus, offizielle Daten werden Ende Oktober veröffentlicht. Der konjunkturelle Aufwärtstrend im Zeitraum Juli bis September 2020 dürfte dynamischer verlaufen sein als von vielen Beobachtern erwartet, sodass die meisten Konjunkturprognosen für das Gesamtjahr schrittweise angehoben wurden. Bei der Betrachtung der Prognosen von 20 führenden Wirtschafts- und Finanzinstituten sieht man im September einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von im Schnitt -5,6 Prozent für das Gesamtjahr und damit eine ähnliche Größenordnung wie der Einbruch in der Finanzkrise 2009 (-5,9 Prozent). Noch wenige Monate zuvor waren Prognosen von -10 Prozent und mehr für 2020 keine Seltenheit, im Mai lag der durchschnittlich antizipierte Einbruch noch bei knapp 8 Prozent. Deloitte geht aktuell von einem Rückgang von 6,1 Prozent aus; der vergleichsweise etwas negativere Ausblick liegt an der Gefahr lokaler Einschränkungen im Herbst und Winter infolge steigender Infektionszahlen.
Viele wirtschaftliche Frühindikatoren unterstützen den positiveren Konjunkturausblick. Der Einkaufsmanagerindex befindet sich seit einigen Monaten über dem Schwellenwert von 50, was auf wirtschaftliche Expansion deutet. Der Deloitte CFO Survey hat eine überraschend optimistische Einschätzung der deutschen Finanzvorstände gezeigt.
Gleichzeitig steigen die Exporte seit Mai stetig an und lagen im August nur noch acht Prozent unter dem Vorjahresmonat. Besonders der Handel mit China, einem der größten Handelspartner Deutschlands, ist wieder angestiegen. Die Exporte dorthin lagen im August nur noch 1,1 Prozent unter dem Vorjahresmonat und damit nur leicht unter dem Vorkrisenniveau. Auch die Aufträge der Industrie lagen im August 2020 lediglich um zwei Prozent unter dem Vorjahresmonat.
Allerdings trifft die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Rezession die Branchen stark unterschiedlich. Manche leiden nach wie vor unter bestehenden Pandemie-bedingten Einschränkungen, andere sind relativ konjunkturunabhängig und damit stabil. Wieder andere dürften 2020 trotz des scharfen konjunkturellen Gegenwindes sogar wachsen. Deswegen dürfte der Aufschwung – stärker als sonst – sehr branchenabhängig verlaufen.
Kombiniert man die Deloitte-Konjunkturprognose mit einer Analyse der Konjunkturabhängigkeit der deutschen Sektoren über die letzten 20 Jahre und der sektorspezifischen Entwicklungen in der Corona-Krise, wird die unterschiedliche Dynamik in 2020 deutlich.
Während manche Branchen von der aktuellen Krise unbeeinflusst blieben oder sogar profitieren konnten, sind die Umsätze exportorientierter und vom Lock Down betroffener Industrien stark eingebrochen.
Veränderung der Umsätze ausgewählter Branchen (2019/2020)
Es gibt also durchaus auch Gewinner, die vor allem aus dem Bereich digitale Dienstleistungen kommen und damit den Digitalisierungsschub der Corona-Krise widerspiegeln. Der Versand- und Internet-Einzelhandel wird 2020 voraussichtlich ein starkes Plus (+18,5 Prozent) einfahren. Immer noch fast zehn Prozent könnte der Bereich Datenverarbeitung, Hosting und Webportale zulegen, während die IT-Dienstleistungen um gut fünf Prozent wachsen dürften. Unmittelbar vom E-Commerce-Boom profitieren die Post- und Kurierdienste, während sich die Nachfrage in einigen anderen Branchen – wie in der Nahrungsmittel- und der Pharmaindustrie sowie im Einzelhandel – immerhin noch leicht positiv entwickelt hat.
Die Jahreswerte überdecken teilweise die aktuell positive Entwicklung und den Aufholprozess nach dem tiefen Fall im zweiten Quartal 2020. Die Autoindustrie beispielsweise wurde durch den Lockdown extrem stark getroffen. Im April lag die Automobilproduktion in Deutschland um 97 Prozent unter dem Vorjahresmonat. Der Autoabsatz brach im selben Monat um über 60 Prozent ein und der Umsatz wurde im zweiten Quartal 2020 gegenüber dem Vorjahreszeitraum fast halbiert.
So erheblich der Einbruch jedoch war, die Erholung ist ebenfalls bemerkenswert. Im September 2020 wurden sogar acht Prozent mehr Fahrzeuge als im Vorjahresmonat verkauft, und insgesamt liegt der Absatz im dritten Quartal 2020 nur noch 6,7 Prozent unter dem entsprechenden Wert aus dem Vorjahr.
Im Einzelhandel verläuft die Trennlinie zwischen dem stark wachsenden E-Commerce und dem Lebensmitteleinzelhandel auf der einen Seite und dem durch Lockdowns stark betroffenen stationären Handel auf der anderen Seite, der ein deutliches Minus verzeichnen dürfte. Der Internet-Versandhandel hatte seinen Höhepunkt im Mai, in welchem er um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat wuchs. Mit der schrittweisen Öffnung des stationären Handels flachten diese extrem steilen Wachstumsraten wieder etwas ab.
Die Branche, die nach wie vor am stärksten unter den Folgen der Pandemie leidet, ist das Gastgewerbe. Fortdauernde Reisebeschränkungen im In- und Ausland, der Ausfall von Kongressen, Messen und Meetings verhindern eine nachhaltige Erholung. Im April 2020 waren die Umsätze um fast 90 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gefallen – nach der Lockerung der Beschränkungen im Sommer lag das Minus immer noch bei fast einem Drittel, wenn man beispielsweise den Monat Juli 2020 mit seinem Vorjahrespendant vergleicht.
Obwohl das konjunkturelle Ausmaß der Rezession nach den letzten Konjunkturprognosen mit dem der Finanzkrise vergleichbar ist, ist die sektorale Betroffenheit eine völlig andere. Gewinner und Verlierer auf Branchenebene unterscheiden sich deutlich.
Die größten Unterschiede gibt es beim Gastgewerbe und E-Commerce. Während die Finanzkrise die Reise- und Ausgehlust der Konsumenten nur vergleichsweise gering senkte und es keinerlei Beschränkungen gab, gestaltet sich dies in der Corona-Krise völlig anders. Auch war 2009 die Digitalisierung noch weitaus weniger fortgeschritten, sodass die positiven Effekte für E-Commerce, IT-Dienstleistungen und Datenverarbeitung erstmalig in der derzeitigen Rezession auftreten. In anderen Branchen, wie beispielsweise dem Maschinenbau oder der Elektroindustrie, fiel die Rezession 2009 noch deutlich gravierender aus als die aktuelle.
Die sehr großen Unterschiede zwischen den Sektoren sowohl in der Ausprägung des konjunkturellen Rückgangs wie auch in der aktuellen Erholungstendenz zeigen, dass Prognosen in der derzeitigen Lage die sektorale Komponente berücksichtigen sollten. Es wird jedoch auch deutlich, dass die Herausforderungen für Unternehmen sich je nach Sektor stark unterscheiden. Während in manchen Branchen das Krisenmanagement auch in den kommenden Monaten im Vordergrund stehen dürfte, liegt der Fokus in den digitalen Bereichen eher auf dem Management des Wachstums.
Die Economic Trend Briefings analysieren die wichtigsten kurz- und langfristigen Herausforderungen sowie die relevantesten Trends für die deutsche Wirtschaft.