Die Dekarbonisierung der weltweiten Wirtschaft bis 2050 ist ein beispielloser Kraftakt für Politik, Unternehmen und die ganze Gesellschaft. Um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, wird in den nächsten drei Jahrzehnten eine regelrechte grüne industrielle Revolution stattfinden müssen. Die damit einhergehenden Umwälzungen bewirken tiefgreifende Veränderungen für die Arbeitnehmer – ebenso wie die immer spürbareren physikalischen Auswirkungen des Klimawandels an sich. Eine vorausschauende, koordinierte Wirtschaftspolitik sollte hier ansetzen und durch die Schaffung und Förderung einer „Green Collar Workforce“ – zum Beispiel durch Upskilling – negative Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt verhindern oder kompensieren und neue Jobs schaffen. In der Deloitte-Studie Work toward net zero. The rise of the Green Collar workforce in a just transition werden denkbare Entwicklungen analysiert und entsprechende Prioritäten abgeleitet.
Durch den Klimawandel und den Übergang zur klimaneutralen Wirtschaft sind laut der Studie Millionen Arbeitsplätze weltweit gefährdet, besonders in Asien und Afrika. Zugleich entstehen durch die Nachhaltigkeitstransformation aber auch viele neue Arbeitsplätze. Wenn die Umsetzung der Klimaziele bis 2050 intensiviert wird, hat das voraussichtlich darüber hinaus langfristige positive Folgen für das weltweite Wachstum im Zeitraum bis 2070. Wichtige Dimensionen der Wirtschaftspolitik sind dabei insbesondere die Aspekte Wohlstand und Fairness. Nur wenn die Transformation nicht zulasten besonders anfälliger Gruppen geht, ist ein stabiler „Gesellschaftsvertrag“ zum Nachhaltigkeitsthema zu erreichen – also ein Konsens zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen, bei dem die Einzelinteressen bestmöglich berücksichtigt und ausgeglichen werden.
Dieser Konsens wiederum ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Transformation selbst. Denn immerhin sind es die Arbeitnehmer, die die praktische Umsetzung bewerkstelligen. Die Wirtschaftspolitik sollte diesem Umstand Rechnung tragen, indem beispielsweise existierende Kompetenzlücken in der Workforce durch vorausschauende Maßnahmen geschlossen werden – und zwar schon im Vorfeld der zu erwartenden Disruptionen. Gerechtigkeit ist in diesem Zusammenhang alles andere als ein Nebenthema, sondern ein zentraler Hebel für die Transformation. Um die Auswirkungen unterschiedlicher Politikansätze zu analysieren, wird bei der Deloitte-Studie das proprietäre D.Climate-Modell zugrunde gelegt. Im Ergebnis konnte eine attraktive „Job-Dividende“ identifiziert werden, die sich durch eine zügige Umsetzung der Net-Zero-Agenda und eine entsprechende politische Förderung der „Green Collar Workforce“ ergeben kann.
Die gegenwärtigen multiplen Krisen erhöhen den Transformationsdruck. Politik und Wirtschaft sind gefordert, entschlossen und zielgerichtet zu handeln. Klimaschutzmaßnahmen und Investitionen in den grünen Umbau der Wirtschaft müssen weiterhin zügig auf den Weg gebracht werden. Deutschland kann dabei auch künftig eine Vorreiterrolle übernehmen. International braucht es eine koordinierte Dekarbonisierungspolitik, um neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, wirtschaftliche Disruption zu verringern und den Lebensstandard weltweit zu verbessern. Prof. Dr. Bernhard Lorentz, Global Consulting Sustainability & Climate Strategy Leader
Prof. Dr. Bernhard Lorentz, Global Consulting Sustainability & Climate Strategy Leader
Die Weltwirtschaft ist von enormen geographischen Unterschieden und einer hohen Arbeitsteilung geprägt. Die Regionen sind unterschiedlich exponiert, was die Auswirkungen des Klimawandels angeht – sowohl in physischer Hinsicht (Überschwemmungen, Hitze etc.) als auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Implikationen der Dekarbonisierung für den Arbeitsmarkt. Um dies konkret nachvollziehen zu können, hat das Deloitte Economics Institute den „Job Vulnerability Index“ entwickelt. Aus der Analyse ergibt sich eine besondere Anfälligkeit von Regionen mit einem hohen Anteil an Arbeitnehmern aus folgenden Bereichen: Branchen mit hoher Betroffenheit durch Klimaextreme (z. B. Hitzestress in der Produktion), kapitalintensive Branchen, in denen Produktivität und Investitionen durch Naturkatastrophen gefährdet sind sowie energie- und emissionsintensive Branchen, die von Disruption betroffen sind. Zu den vulnerablen Branchen zählen Landwirtschaft, Energie und Bergbau, Schwerindustrie und Verarbeitendes Gewerbe, Transport sowie Bauwesen.
Länder in Asien und Afrika, wie beispielsweise China oder Indien, weisen besonders hohe Risiken auf: Bis zu 40 Prozent der Arbeitnehmer sind dort potenziell betroffen. Zugleich sind diese in vielen Fällen den direkten physischen Folgen des Klimawandels deutlich stärker ausgesetzt als andere Regionen. Weltweit sind laut der Studie 800 Millionen Arbeitsplätze gefährdet („vulnerable“) – ein Viertel der globalen Arbeitnehmerschaft insgesamt. Auch in Regionen, die relativ gesehen besser dastehen als Asien und Afrika, gibt es viel zu tun: In Südamerika sind so z.B. mit 170 Millionen ebenfalls sehr viele Jobs betroffen. Dass sich mit der doppelten Belastung durch die Kombination der physischen und branchenbezogenen Auswirkungen die Betroffenheit dieser Regionen im Lauf der Zeit potenzieren wird, macht ein koordiniertes Vorgehen umso dringender.
Eine der zentralen Fragen wird es sein, wie die Teilhabe der Menschen an einer dekarbonisierten Zukunft gesichert werden kann. Der Schlüssel sind Investitionen in die Kompetenzförderung – von der Schul- und Hochschulbildung bis zur betrieblichen Aus- und Weiterbildung. Dies muss zu den Top-Prioritäten für Politik und Unternehmen gehören. Maren Hauptmann, Partnerin und Human Capital Lead bei Deloitte
Maren Hauptmann, Partnerin und Human Capital Lead bei Deloitte
Die mögliche „Job-Dividende“ durch den Übergang zur Klimaneutralität beträgt demgegenüber laut Deloitte-Berechnungen mehr als 300 Millionen Stellen. Um dies zu realisieren, ist allerdings eine aktive Gestaltung des Wandels durch die Politik nötig. Regierungen müssen ihre Investitionen, Regulierungen und Anreizsetzungen entsprechend planen und steuern. Eine umfassende Einbeziehung der Workforce macht die Transformation dabei nicht nur gerechter, sondern auch effektiver. Im Endeffekt profitieren somit nicht nur die gegenwärtigen, sondern auch die zukünftigen Generationen. Ein zentraler Punkt ist dabei das Entstehen neuer bzw. angepasster Jobprofile, die sowohl von etablierten Unternehmen im Wandel als auch in neuen, erst noch entstehenden Bereichen nachgefragt werden. Bei der „Green Collar Workforce“ kann es sich um körperliche Jobs ebenso handeln wie um Verwaltungstätigkeiten – solange ein zentraler Bezug zur Dekarbonisierung besteht.
Bemerkenswert ist die Erkenntnis der Studie, dass die benötigten Skills der neuen oder transformierten „Green Collar Jobs“ der Zukunft schon zu 80 Prozent bei der heutigen Arbeitnehmerschaft vorhanden sind. In vielen Fällen können also Upskilling-Programme ausreichen, um die Transformation in den individuellen Jobprofilen zu meistern. In der Studie werden die Implikationen für fünf verschiedene Job-Typen innerhalb der „Green Collar Workforce“ noch genauer spezifiziert: Negativ sind die Auswirkungen für emissionsintensive und von Klimaextremen betroffene Stellen. Neutral sieht die Lage für solche Jobs aus, die erhalten bleiben, aber sich wandeln. Zusatznachfrage entsteht bei Stellen rund um Dekarbonisierung (z.B. grüner Wasserstoff: Ingenieure, Techniker) sowie bei gänzlich neuen Stellen für zukünftige Geschäftsfelder und Technologien wie etwa Brennstoffzellen.
Bei der Bewältigung der Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität benötigen Wirtschaft und Gesellschaft Unterstützung durch die Wirtschaftspolitik. Aus Sicht der Studienautoren sind dabei fünf Felder besonders relevant:
1. Ambitionierte Zwischenziele: Durch geeignete Zwischenziele zur Emissionsreduktion entstehen größere Transparenz und Verbindlichkeit für alle Beteiligten. Planung und Timing von Maßnahmen können so wesentlich verbessert werden, wovon auch die Arbeitnehmer profitieren werden.
2. Systembezogene Industriepolitik: Die Industriepolitik sollte sich nicht auf einzelne Aspekte wie Branchen oder Märkte beschränken, sondern das Gesamtsystem ins Auge fassen (z.B. das Energiesystem). Entscheidend sind Kooperation und Arbeitnehmerzentriertheit.
3. Hochwertige Arbeitsplätze: In der Übergangsphase zur Klimaneutralität sollten gute Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten Priorität haben, gerade für besonders betroffene Arbeitnehmer, Sektoren und Regionen.
4. Anpassungsfähige Bildungspolitik: Der Bildungs- und Weiterbildungssektor muss sich entlang des Pfads zur Klimaneutralität ebenfalls weiterentwickeln, um die gewandelten Kompetenzanforderungen der Wirtschaft zu erfüllen, etwa durch größeres Angebot, veränderte Kursinhalte, neue Kurse und Vermittlungsmethoden.
5. Kohortenzentrierte Weiterbildungspolitik: Für eine gezieltere Unterstützung beim Up- und Reskilling ist ein „Portfolio-Ansatz“ zu empfehlen, bei dem nach gruppenspezifischen Bedürfnissen differenziert wird. Dies ist ein Schlüsselelement für die erfolgreiche Gestaltung der Dekarbonisierungspolitik.
Laden Sie hier die vollständige Deloitte-Studie Work toward net zero. The rise of the Green Collar Workforce in a just transition herunter und lesen Sie alle Ergebnisse im Detail.