Nachhaltigkeit ist für Unternehmen, die einen Börsengang (auch Initial Public Offering “IPO“) anstreben, ein unverzichtbarer und zentraler Werttreiber. Regulatorische Anforderungen, wie die am 5. Januar 2023 in Kraft getretene Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sowie die hohe Erwartungshaltung der Investoren machen Nachhaltigkeits- und ESG-Aspekte (Environmental, Social und Governance) zu elementaren Bestandteilen für den Platzierungserfolg zum Zeitpunkt des IPOs ebenso wie für die langfristige Performance der Aktien. Hierbei können die beiden Begriffe "ESG" und "Nachhaltigkeit", die häufig synonym verwendet werden, wie folgt voneinander abgegrenzt werden: ESG wird vor allem im Finanzsektor als Rahmen zur Bewertung der Performance in Bezug auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung verwendet. Nachhaltigkeit bietet darüber hinaus eine übergreifende Sicht mit dem qualitativen Ziel, negative Auswirkungen zu vermeiden.
Die Integration einer überzeugenden Nachhaltigkeitsstory in den IPO birgt das Potenzial für eine höhere Bewertung, eine verbesserte Aktienperformance und niedrigere Kapitalkosten. Unternehmen, die Nachhaltigkeit systematisch in ihr Geschäftsmodell integrieren und transparent für Anleger agieren, können somit mehr Investitionen anziehen und ein Underpricing-Risiko verringern. Dies hat sich auch bei Markteinbrüchen wie der COVID-19-Pandemie bestätigt, bei denen Unternehmen mit einer starken ESG-Performance eine höhere Resilienz bewiesen. Diese Stärke spiegelte sich in nachhaltigen Aktienfonds wider, bei denen 59 Prozent der betrachteten Fonds ihre traditionellen Pendants übertrafen.1 Dabei legen Retail- ebenso wie institutionelle Investoren bei ihren Anlageentscheidungen insbesondere zum Risikomanagement und zur Renditesicherung zunehmend Wert auf Nachhaltigkeitsfaktoren. Ein Beleg für diesen Paradigmenwechsel: Laut FNG-Marktbericht 2022 stieg zwischen 2019 und 2021 das in nachhaltige Anlagen investierte Privatkapital in Deutschland um 230 Prozent und die Anzahl der ESG-getriebenen Entscheidungen für Anlageobjekte institutioneller Investoren um 26 Prozent an.2
Tatsächlich geben laut einer Studie der Index Industry Association 85 Prozent der Asset Manager an, dass ESG für ihre Investments von hoher Priorität ist. Gleichzeitig äußern über 30 Prozent Bedenken hinsichtlich der Transparenz und Offenlegung von Nachhaltigkeitsaktivitäten.3 Dies ist u.a. auf das sogenannte Greenwashing zurückzuführen. Greenwashing bezeichnet den Versuch von Unternehmen, sich ein nachhaltiges Image zu geben, ohne entsprechende Nachhaltigkeitsmaßnahmen systematisch ins Geschäftsmodell zu integrieren.
Aber nicht nur Investoren, sondern auch Verbraucher stellen Nachhaltigkeitsaspekte zunehmend in den Vordergrund. So geben laut der Deloitte Climate Sentiment Studie 2022 63 Prozent der Verbraucher an, dass sie ihr Konsum- und Kaufverhalten anpassen, um den Auswirkungen des Klimawandels entgegenzuwirken. Ein authentisches Nachhaltigkeitsversprechen und dessen konsequente Umsetzung sind essenziell, um das Vertrauen der Verbraucher, Investoren und der breiteren Öffentlichkeit zu gewinnen und zu halten.
Nachhaltigkeitsstrategie und -Reporting sind somit ein elementarer Bestandteil in der Vorbereitung auf den Kapitalmarkt – und finden Berücksichtigung in diversen Prozessschritten, von der IPO Due Diligence zur Identifikation von Risiken über die Etablierung einer nachhaltigkeitsbezogenen Corporate Governance bis hin zur Entwicklung einer überzeugenden Equity Story und deren Abbildung in der Regulatorik-konformen Nachhaltigkeitsberichterstattung. Im Rahmen des Kapitalmarktangangs dient der Wertpapierprospekt als eine Grundlage für die Offenlegung aller Nachhaltigkeitsbestreben, einschließlich der Nachhaltigkeitsstrategie, ihrer Auswirkungen auf die operative Geschäftstätigkeit und der ESG-Risikobewertung. Daneben gibt es die jährliche Nachhaltigkeitsberichterstattung, die in Europa zukünftig auf Basis der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) erfolgen soll. Unternehmen, die der NFRD (Non-Financial Reporting Directive) bzw. zukünftig der CSRD unterliegen, sind durch die EU-Taxonomie verpflichtet, Angaben dazu zu machen, inwieweit ihre Geschäftsaktivitäten als ökologisch nachhaltig einzustufen sind.
Unternehmen, die Regulatorik und Berichterstattungsanforderungen (z.B. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), CSRD) im Rahmen von Nachhaltigkeit nicht oder nur teilweise erfüllen, riskieren Strafzahlungen, negative Publicity und Bewertungsabschläge. Hingegen ist die erfolgreiche Integration der Nachhaltigkeitsstrategie in die Equity Story, unter Berücksichtigung der Erwartungen der Investoren, entscheidend und sichert langfristigen Erfolg bei einer wachsenden Nachfrage nach nachhaltigen und sozial verantwortlichen Investments. Daher sollten Unternehmen, die einen Kapitalmarktangang erwägen, Nachhaltigkeitsaspekte von Beginn an und über sämtliche Prozessaspekte hinweg in die Transformation zur Herstellung der IPO- und Kapitalmarktreife miteinbeziehen.
1 Ali Masarwah, “Nachhaltigkeitsfonds leben (und performen) nachhaltiger“, Morningstar, abgerufen am 27.06.2023
2 FNG – Forum Nachhaltige Geldanlagen, “Marktbericht nachhaltige Geldanlagen 2022“, abgerufen am 27.06.2023
3 Index Industry Association, “2022 ESG Survey Report”, abgerufen am 27.06.2023