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ESG in der M&A-Strategie

Warum ist ESG ein zunehmender Treiber in Transaktionsentscheidungen?

ESG-Faktoren gewinnen bei M&A-Entscheidungen an strategischer Bedeutung. Sie sind immer öfter über den kompletten M&A-Lifecycle zu berücksichtigen, werden zugleich aber auch als Motivation für Transaktionen selbst zunehmend relevanter. Aus ESG-Perspektive reichen die Motive für eine M&A-Transaktion von einer Anpassung der Unternehmensstrategie über Risikominderung bis hin zu einer allgemeinen Wertsteigerung des Unternehmensportfolios. Diese Motive haben zudem auch Auswirkungen auf die operative Umsetzung der Transaktionen.

Was versteht man unter Nachhaltigkeit? 

 

Nachhaltigkeit ist ein vielschichtiger und oft missverstandener Begriff. Dies liegt auch daran, dass die Terminologie seitens der Rechtsprechung noch nicht eindeutig definiert ist. Das Akronym ESG wird oft im Zusammenhang mit nachhaltigen Aktivitäten verwendet und bricht das Thema auf die drei Hauptthemen Environment, Social und Governance herunter. Unter diesen Säulen des Nachhaltigkeitsbegriffs subsumiert, sollen die Wirtschaftsaktivitäten von Unternehmen berichtet werden, die alle nichtfinanziellen Chancen und Risiken umfassen. Ein Unternehmen gilt somit als nachhaltig, wenn es im Einklang mit Bevölkerung und Umwelt gewinnbringend wirtschaftet.  

Es kann aus zwei Perspektiven auf Nachhaltigkeit innerhalb eines Unternehmens geblickt werden – so gibt es das Geschäftsmodel, also die Auswirkungen der Produkte und Dienstleistungen auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, und den Betrieb des Unternehmens selbst. Ein nachhaltiges Geschäftsmodell ist eines, in dem die Produkte und Dienstleistungen zur Aufrechterhaltung bzw. Verbesserung des sozialen und ökologischen Ist-Zustands beitragen. Gehen die Bemühungen des Unternehmens hinsichtlich des Betriebs über gesetzliche Mindestanforderungen hinaus, so bezeichnet man dies als Corporate Social Responsibility (CSR). CSR meint demnach verantwortungsbewusstes, unternehmerisches Handeln, das ökologisch und sozial relevante Aspekte in der eigentlichen Geschäftstätigkeit berücksichtigt und dabei die Interessen aller Stakeholder im Blick behält. Nachhaltigkeit wird auch im Transaktionsgeschehen aus vielerlei Hinsicht immer wichtiger. Neben einem Einfluss auf einzuhaltende Mindestkriterien in Transaktionen ist auch die Implementierung von Nachhaltigkeitsaspekten in die M&A-Strategie über den gesamten Prozess zu beobachten. Der Antrieb für erhöhtes Deal-Aufkommen liegt demnach sowohl in der Risikominimierung durch Portfoliodiversifizierung als auch in der Wertsteigerung durch vielversprechende Zukunftsaussichten von ESG-Investitionen verankert. Im Folgenden wird dies aus strategischer und operativer Sicht betrachtet. 

 

Nachhaltigkeit als Beweggrund für M&A-Deals

 

Der Reifegrad und die Dringlichkeit von Nachhaltigkeit variieren je nach Branche, Unternehmen und Deal. Im Folgendem liegt der Schwerpunkt auf M&A-Transaktionen, die durch Nachhaltigkeit motiviert werden. 

Beispiele für solche Transaktionen beinhalten vor allem kohlenstoffintensive Branchen und Unternehmen. M&A-Transaktionen können hier den Übergang von bisher CO2-intensiven Prozessen in Unternehmen zu klimafreundlicheren Prozessen vereinfachen. Erreicht werden kann dies unter anderem durch den Zukauf von Unternehmen mit fortschrittlicheren Technologien und Kompetenzen. Analog können auch in anderen Branchen und Sektoren M&A-Transaktionen dazu dienen, die Erfüllung der Erwartungen der Konsumenten und gesellschaftlichen Trends in Richtung Nachhaltigkeit zu beschleunigen. Unternehmen können durch M&A-Transaktionen beispielsweise ihr Portfolio durch erneuerbare Energiequellen diversifizieren oder kohlenstoffintensive Anlagen veräußern. 

Im Sinne von Nachhaltigkeit lassen sich hier intern und extern motivierte Aktivitäten unterscheiden. 

 

M&A-Transaktionen auf Basis neuer Zielsetzungen

 

Auf der einen Seite stehen Zielsetzungen, die sich durch M&A-Transaktionen verwirklichen lassen können, etwa die bereits erwähnte Diversifizierung des Unternehmensportfolios oder die Veräußerung von gestrandeten und leistungsschwachen Anlagen. Ersteres zeigt sich besonders dann, wenn etablierte Unternehmen M&A-Transaktionen nutzen, um ihre Portfolios schneller auf nachhaltige Alternativen auszurichten als sie organisch aufgebaut werden können. Sowohl im Zuge der Unternehmensstrategie (die sich durch eine erhöhte Nachfrage nach Nachhaltigkeit verändert) als auch zur Verbesserung der finanziellen Performance (ESG-Investitionen haben nachweislich ein höheres Alpha und performen daher finanziell besser als gewöhnliche Investitionsprodukte), bietet sich Unternehmen so die Möglichkeit, ihr Portfolio zu erweitern. 

Ein Beispiel aus dem Energiesektor ist die Akquisition eines Photovoltaikunternehmens durch ein Multi-Energie-Unternehmen. Im Rahmen des Ziels, bis 2050 Net-Zero-Treibhausgasemissionen zu erreichen, baut dieses ein Portfolio von Aktivitäten in den Bereichen erneuerbare Energien auf. Somit dient die Mehrheitsbeteiligung an dem PV-Unternehmen dazu, Synergien mit dem eigenen Solarenergie-Portfolio zu schaffen und B2B-Kunden umfassendere Energielösungen anbieten zu können. 
Darüber hinaus können sich M&A-Transaktionen im Kontext von gestrandeten und leistungsschwachen Anlagen als äußerst nützlich erweisen. Gemeint sind damit beispielsweise Investitionen oder Ressourcen, die einst einen Wert besaßen oder Erträge erbrachten, dies aber nicht mehr tun, was in der Regel auf externe Veränderungen zurückzuführen ist, z. B. auf Veränderungen der Technologie, der Märkte und der gesellschaftlichen Gewohnheiten. 

Dies trifft insbesondere auf Unternehmen zu, zu deren Anlagen Kohlekraftwerke zählen. Aufgrund von neuer staatlicher Regulatorik, die die Nutzung fossiler Brennstoffe einschränkt (z.B. durch Kohlenstoffpreise) und einer veränderten Nachfrage (Verlagerung hin zur Nutzung erneuerbarer Energien aufgrund niedrigerer Energiekosten), kann es für diese Unternehmen in Zukunft schwierig werden, Kohlekraftwerke zu verkaufen. Somit kann es in CO2-intensiven Sektoren sinnvoll sein, diese Vermögenswerte frühzeitig zu veräußern. Ein Beispiel ist das Vorgehen eines multinationalen Öl- und Gaskonzerns, der sich verpflichtet hat, bis 2025 Vermögenswerte im Wert von 25 Mrd. USD zu veräußern, um seine strategische Umstellung auf erneuerbare Energien voranzutreiben. Im Zuge dessen veräußerte dieser Konzern im vergangenen Jahr einen Anteil an seinen omanischen Gasfeldern und Ölinteressen in der britischen Nordsee. 

Daneben existieren jedoch auch weiterhin Unternehmen, für die es interessant sein kann, diese gestrandeten und leistungsschwachen Anlagen zu kaufen. Ein Beispiel ist ein globales Chemieunternehmen, das ungewollte Assets kauft, die mit fossilen Ressourcen arbeiten. Es handelt sich dabei um ein privates Unternehmen, das erwartet, dass die regulatorische Gesetzänderungen es weniger betreffen wird und dass der eigene Marktanteil, aufgrund der Verkäufe verschiedener leistungsschwacher Anlagen erhöht wird [1]. Außerdem erwarten Investoren generell eine Entschädigung für das Halten dieser Art von Vermögensgegenständen [2]. Tendenziell sitzen die Käufer eher im Nahen Osten und in Asien.

 

M&A-Transaktionen motiviert durch Investoren im Markt

 

Auf der anderen Seite befinden sich Investoren im Markt, durch die vermehrt M&A-Transaktionen entstehen können.  Dazu gehören zum Beispiel Investoren aus dem Private Equity (PE) oder aktive Aktionäre, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. 

ESG-motivierte Transaktionen rücken bei PE-Investoren immer weiter in den Vordergrund. Deren verwaltetes Vermögen in auf ESG spezialisierten Fonds hat sich von 2015 bis 2020 verdoppelt. Einerseits liegt dieses Wachstum daran, dass PEs generell interessiert an schnell wachsenden Industrien und Unternehmen sind. Somit ist die Überschneidung mit ESG-Transaktionen groß, da diese die genannten Wachstumsraten und erhöhte Value Premia aufweisen. Studien zeigen, dass immer mehr nachhaltige Energieunternehmen börsennotierte Unternehmen für fossile Brennstoffe in diesen Aspekten übertreffen, welches zu erhöhter PE-Aktivität in dem Bereich führt. Andererseits lässt sich das erhöhte Aufkommen auch dadurch begründen, dass PEs versuchen, durch nachhaltiges Handeln die eigene Reputation zu verbessern, während sie sich gleichzeitig dem sich verändernden Konsumentenverhalten anpassen. 

PEs versuchen somit durch gezielte Zukäufe ihre Portfolioperformance im ESG-Bereich zu verbessern, wodurch eine langfristig verbesserte finanzielle Performance erwartet werden kann. Letztendlich führen diese Faktoren dazu, dass der Zugang zu Kapital für bewusste Investoren vereinfacht wird. 

Neben PE-Investoren finden sich im Markt vermehrt aktivistische Investoren, die mit Hilfe ihrer Beteiligung an einem Unternehmen versuchen, die Unternehmensstrategie zu beeinflussen. Umwelt- und Sozialthemen nehmen einen immer größeren Anteil an deren Forderungen ein und werden zu einem Hauptbestandteil von Kampagnen, etwa solchen, die sich auf Treibhausgase konzentrieren und sich meist gegen große Ölkonzerne richten. 

Ein Beispiel[3] bietet ein US-amerikanischer Hedge Fund, der sich mit rund 750 Millionen USD an einem multinationalen Öl- und Gaskonzern beteiligt hat und nun die Aufspaltung des Unternehmens in "mehrere eigenständige Unternehmen" fordert, die konkurrierende Aktionärsinteressen berücksichtigen könnten. Zu diesen Unternehmen könnte eine Einheit gehören, die das Öl- und Gasfördergeschäft umfasst, und eine weitere, die sich mit erneuerbaren Energien und Flüssigerdgas beschäftigt.  

 

Umsetzung der Strategie in der Praxis

 

Kommt es zur praktischen Umsetzung der Strategien, haben ESG-Aspekte auch einen erheblichen Einfluss auf die rechtlichen Aspekte einer M&A-Transaktion. Dies äußert sich besonders in neuen gesetzlichen Regelungen (z.B. das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie). Überdies stellen vor allem der Wandel der Wahrnehmung von Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit mit einhergehenden Imagerisiken sowie Vorgaben von Investoren weitere Herausforderungen für die praktische Implementierung dar. Aufgrund dieser neuen und strengeren regulatorischen Anforderungen an die Wirtschaft ist ein Mindestmaß an zu überprüfenden Nachhaltigkeitsrisiken und -kriterien im M&A-Prozess unvermeidlich. Neben risikominimierenden können aber auch wertsteigernde Effekte durch strategische Zukäufe oder gezielte Portfolio-Bereinigungen das Transaktionsgeschehen beeinflussen. ESG-Kriterien als zusätzliche Parameter vervollständigen den Einblick in mögliche Targets und erhöhen bei entsprechender Performance die Verkaufsargumente bei anspruchsvollen Käufern. Diese Aspekte werden subsumiert unter den Gesichtspunkten des Chancen- und Risiko-Assessments im Rahmen einer ESG Due Diligence betrachtet.

Damit einher geht eine Verschiebung der Fokusbereiche der Legal Due Diligence. ESG-Einzelaspekte wie Arbeitssicherheit und Umweltschutz sind zwar längst Teil einer Legal Due Diligence, werden aber im klassischen Kontext und nicht unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten gewürdigt. In der neuen Fokussierung werden diese Einzelaspekte um weitere ESG-Themen ergänzt und mit erhöhter Relevanz in einem separaten Kapitel der Legal Due Diligence gewürdigt. Dieser Teil wird dabei die ESG Due Diligence ergänzen, beispielsweise in den Bereichen des Arbeitsrechts (soziale Standards, Arbeitssicherheit) und der Lieferketten (ESG-bezogene Klauseln in Lieferanten- und Kundenverträgen).

ESG und die damit verbundenen Risiken finden sich auch vermehrt in den Kaufverträgen wieder. ESG-Garantien werden bald zum Standardgarantiekatalog gehören, was die Warranty & Indemnity Versicherer dazu veranlasst, eine Versicherbarkeit solcher Risiken in diesem Zusammenhang zu prüfen. Auch ESG-bezogene Material Adverse Change Klauseln, nach denen bestimmte wesentliche Verschlechterungen in ESG-Bereichen zu einem Kündigungsrecht des Käufers führen, sind vereinzelt schon zu beobachten.

Insgesamt lässt sich also zusammenfassen, dass Nachhaltigkeit entlang der M&A-Wertschöpfungskette eine immer signifikantere Rolle spielt, sei es aus strategischer oder rechtlicher Sicht. Die Entwicklung am Markt bleibt somit spannend und ist weiterhin genau zu beobachten. 

 

 [1] Financial Times: „A $140bn asset sale: the investors cashing in on Big Oil’s push to net zero”, unter: https://www.ft.com/content/4dee7080-3a1b-479f-a50c-c3641c82c142 (aufgerufen am 26.10.2022)

 [2] ScienceDirect: „Climate policy, stranded assets, and investors’ expectations”, unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0095069618307083 (aufgerufen am 26.10.2022)

 [3] The Economist: „An activist investor targets Shell”, unter: https://www.economist.com/business/2021/10/30/an-activist-investor-targets-shell (aufgerufen am 31.10.2022)

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