Hallo, mein Name ist Grit und ich bin mit Herz und Seele Pflegemutter.
Was das genau bedeutet, wie es dazu kam, wie mein Alltag ausschaut, welche Höhen und Tiefen damit verbunden sind, wie mich Deloitte als Arbeitgeber hierbei unterstützt und welche Tipps ich Interessierten mit auf den Weg geben kann, erzähle ich euch gerne im Folgenden.
Du bist Pflegemama und schenkst einem 5 jährigen Jungen eine Familie und somit ein liebevolles Zuhause. Wie kam es zu dieser großen und wichtigen Entscheidung und wie hat sich seither dein Leben verändert?
Ich bin schon seit meinem 14. Lebensjahr ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendarbeit unterwegs, insbesondere in der Sportjugend als lizensierte Trainerin sowie als Sportwart in einem Schwimmverein, der sehr viel offene Kinder- und Jugendarbeit betreibt. In der langen Zeit habe ich viele Schicksale kennengelernt und viel mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderung aber auch mit Heimkindern, Pflegekindern und Adoptivkindern zu tun gehabt. 2016 erlitt auch ich mit dem Tod meines Mannes einen persönlichen und schweren Schicksalsschlag. Wir hatten schon vorher über das Thema Pflege- und/oder Adoptionskind gesprochen. Ich fand damals auch viel Halt in meinem Verein und kam dort in engeren Kontakt mit einer Pflegefamilie. So kam das Thema auch bei mir wieder auf und Anfang 2018 erfuhr ich bei einem Beratungsgespräch im Jugendamt, dass ich auch alleinerziehend ein Kind aufnehmen könnte. Dann ging es ganz schnell: Ich reichte alle notwendigen Unterlagen ein und qualifizierte mich nach deren Überprüfung in Seminaren als Pflegemutter. Schon im zweiten Seminar kam der Vorschlag. Und im Sommer 2018 zog dann nach einer zweimonatigen Anbahnung mein Pflegesohn bei mir ein. Er war damals 2 Jahre alt.
Mein Leben hat sich seitdem komplett verändert. Für meinen Pflegesohn bin ich seine soziale Mama. Er nennt mich auch so und ich verhalte mich ebenfalls so, d.h. ich habe in meinem Ehrenamt zwei Jahre „Elternzeit“ genommen und zeitweise auch meine Arbeitsstunden bei Deloitte reduziert.
Erzähle uns gerne mehr über deine Rolle und deinen Alltag als Pflegemama. Zudem: Was sind hierbei die Besonderheiten und wo liegt beispielsweise der Unterschied zu einer Adoptivfamilie?
Der Unterschied ist, dass ein Pflegekind per se erst einmal ein „Kind auf Zeit“ ist. In der Realität bleibt ein Pflegekind oft bis zur Verselbständigung, also dem 18. Lebensjahr, in der Pflegefamilie, so ist es auch bei uns angedacht. Allerdings gibt es keine „Garantie“. Es kann auch passieren, dass ein Kind in die leibliche Familie zurückgeführt wird. Die Schicksale sind hier sehr vielfältig – so gibt es Kinder, die nur vorübergehend in Pflegefamilien sind, beispielsweise bei längerer Krankheit der leiblichen Eltern. Im Unterschied zu Adoptivkindern behalten Pflegekinder auch ihren eigenen Nachnamen. Außerdem liegt das Sorgerecht bzw. die Personensorge bei Pflegekindern oft teilweise noch bei den leiblichen Eltern oder aber bei einem Amtsvormund – das ist im Alltag oft sehr schwierig. Zum Glück ist dies bei uns nicht so – ich habe seit zwei Jahren gerichtlich übertragen das Sorgerecht. Nichtsdestotrotz muss ich immer eng mit dem Jugendamt zusammenarbeiten. Und es gibt noch einen weiteren wichtigen Unterschied: Pflegekinder haben in der Regel so genannte Umgänge mit ihren leiblichen Eltern – in Dauerpflege oft 1x im Monat. Auch das ist momentan bei uns aus verschiedenen Gründen nicht der Fall, wird aber sicher wieder ein Thema werden.
Meine Rolle als Pflegemama ist sicher der anderer Mütter ähnlich. Wir leben einen ganz normalen Alltag mit Kindergarten, Arbeit, Sport, Wochenendaktivitäten und Familienleben. Nicht ganz so alltäglich ist der Umgang mit dem so genannten „emotionalen Rucksack“, den fast jedes Pflegekind mitbringt. In der Regel haben die Kinder vieles erlebt, was Kinder eigentlich nicht erleben sollten – beispielsweise Verwahrlosung, Vernachlässigung oder auch Missbrauch. All das hat viele Gesichter und viele Ausprägungen und manche Geschichten sind sehr schwer zu ertragen. Auch bei meinem Pflegesohn hat sich im Laufe der Zeit einiges herausgestellt, u.a. eine schwere neurologisch bedingte Sprecherwerbsstörung, d.h. er hat Probleme beim Sprechen lernen. Ungefähr wie bei manchen Schlaganfallpatienten – er versteht fast alles, weiß auch wie die Gegenstände heißen, ist aber nicht in der Lage bewusst Wörter anzusteuern. Er spricht also nur sehr eingeschränkt, konnte bis vor kurzem nicht einmal seinen eigenen Namen aussprechen, obwohl er natürlich weiß wie er heißt. Für den Alltag bedeutet das für uns zahlreiche Therapien jede Woche. Auch die Entwicklung ist aufgrund seiner Erlebnisse verzögert, zwar hat er kognitiv aufgeholt, ist aber insbesondere emotional noch nicht 5 sondern ca. 1 bis 1,5 Jahre jünger. Also ein kräftiger, kognitiv normaler 5jähriger, der allerdings Wutanfälle hat wie ein 3,5 Jähriger – das bringt uns oft schräge Blicke und Bemerkungen ein, denn niemand sieht ja die Geschichte hinter dem „unerzogenen“ Kind.
Inwiefern prägen dich deine Rolle als Pflegemama und die daraus entstehenden Höhen, Tiefen wie auch täglichen Herausforderungen als Person und in deinem Arbeitsalltag bei Deloitte?
Als Person machen sie mich härter und weicher zugleich. Härter, weil ich tatsächlich in den letzten Jahren auch in viele „Abgründe“ geblickt habe, was die Geschichten anderer Pflegefamilien angeht. Vielleicht hat jemand „Systemsprenger“ gesehen? Ich kann nur sagen – meine Freunde und Nicht-Pflegeeltern im Kino mussten weinen, die meisten Pflegeeltern nicht. Weil wir es jeden Tag so ähnlich mit unseren „Bonuskindern“ erleben. Aber es hat mich auch weicher gemacht. Ich urteile weniger wenn ich Eltern mit „unerzogenen“ Kindern sehe, denn man kennt die Geschichte nicht, die dahinter steht. Und ich bin aufmerksamer, achte mehr auf Kinder und auf Anzeichen dafür, ob es ihnen wirklich gut geht.
Natürlich prägen die vielen Termine auch mein Arbeitsleben. Oft muss ich hier sehr flexibel reagieren, weil es einen Facharzttermin gibt oder einen Termin im Jugend- oder Sozialamt. Da ist ein gutes Miteinander im Team notwendig.
Was sind für dich persönlich die schönsten Momente als Pflegemama und was die schwierigsten?
Am schönsten ist es zu sehen, wie sich mein Pflegesohn entwickelt hat. Von dem 2 jährigen Jungen, der sich nicht trösten ließ, keine Nähe ertragen konnte, keine Schmerzreize zeigte und nicht sprach zu einem, zugegebenermaßen oft herausfordernden, neugierigen 5 Jährigen, der Nähe annehmen kann und sogar sucht, der lacht und in vielen Bereichen eben einfach Kind ist. Jeder kleine Schritt ist ein Erfolg – so hat er vor kurzem das erste Mal geschafft seinen Namen zu sagen. Das sind riesige Erfolge für uns, auch wenn andere das nicht verstehen. Und das gibt mir viel zurück, gerade für die schwierigen Tage.
Am schwierigsten sind oft die Reaktionen anderer Menschen, die uns ständig bewerten – und das vollkommen ohne Hintergrundwissen. Oft sehen Menschen ein „unerzogenes“ Kind und meinen dieses „erziehen“ zu müssen. Das hat in der Vergangenheit zu bösen Szenen geführt, insbesondere wenn Erwachsene meinen ihn ungefragt anfassen zu müssen, beispielsweise um ihn wegzuziehen. Aufgrund seines Traumas kann es dann passieren, dass er quasi wieder in seinem Trauma und somit im Flucht- oder Panikmodus ist. Da schlägt er dann auch blind um sich, wenn er sich nicht verstecken kann oder man eventuell versucht ihn festzuhalten. Zum Glück kommt das nur sehr selten vor – der letzte „Vorfall“ ist mittlerweile mindestens ein halbes Jahr her.
Schwierig war auch, dass sich mein Pflegesohn am Anfang selbst verletzt hat – ganz schlimm wurde es mit Corona. Zuschauen zu müssen, wie er mit dem Kopf gegen die Wand schlägt, sich selbst beißt oder mit der Faust gegen den Kopf schlägt – das war wirklich auch für mich schwer auszuhalten und abzufangen. Das ging wirklich bis hin zu blauen Flecken. Mittlerweile kommt es dazu nur noch ganz selten – auch das ist ein ganz großer Erfolg.
Neben deiner Rolle als Pflegemama besuchst du in deiner Freizeit regelmäßig Seminare wie auch eine sonderpädagogische Fortbildung. Wie helfen dir diese Schulungen in eurem Familienalltag weiter, wie bekommst du das „Mama sein“ mit deiner Vollzeitstelle unter einen Hut und welche unterstützende Rolle spielt dabei Deloitte für dich?
Über den Verein der Pflege- und Adoptiveltern, in dem ich mich seit Jahren engagiere, werden regelmäßig Seminare organisiert, sowohl zu rechtlichen Themen wie den Aufgaben eines Vormunds aber auch zu praxisnahen Themen. Sehr geholfen hat mir beispielsweise eine Schulung zum Thema Trauma. Da ging es darum wie Traumata entstehen und was dabei im Gehirn passiert. Tatsächlich führen frühkindliche Traumata nämlich zu nachweisbaren Veränderungen im Gehirn. Für den Alltag bringen solche Schulungen viel, denn sie erklären mir warum sich mein Pflegesohn in manchen Situationen verhält wie er es tut. Es hilft mir Trigger also auslösende Situationen zu erkennen und ggfls. zu vermeiden. Und es hilft mir zu verstehen, dass bestimmte Dinge eben nicht „meine Schuld“ sind, dass es keine Frage der „Erziehung“ ist. Im nächsten Jahr möchte ich eine sonderpädagogische Fortbildung machen und damit am Ende über ein Kolloquium die sonderpädagogische Qualifizierung erhalten. Im Anschluss kann ich auch noch eine über 2 Jahre laufende heilpädagogische Weiterbildung anschließen.
Deloitte unterstützt meine Rolle als Pflegemutter in starkem Maße. So kann ich beispielsweise im Home Office arbeiten, was mir eine hohe Flexibilität ermöglicht. Auch ist mir Deloitte entgegengekommen als ich zeitweise meine Arbeitszeit reduziert habe. Durch die hohe Flexibilität kann ich auch tagsüber Termine wahrnehmen, wenn notwendig. Unterstützung habe ich außerdem auch durch eine Freistellung im Rahmen des Corporate Volunteering erhalten. Das Ganze ginge natürlich nicht ohne unser wundervolles Team des Bereichs Übersetzen – dafür kann ich mich gar nicht genug bedanken. Wir haben als Team ein sehr familiäres Verhältnis und kümmern uns auch außerhalb der Arbeitszeit umeinander und sei es nur mit dem offenen Ohr bei privaten Sorgen. Das schafft eine sehr gute Arbeitsatmosphäre.
Am schönsten ist es zu sehen, wie sich mein Pflegesohn entwickelt hat. Das gibt mir viel zurück, gerade für die schwierigen Tage.
Bestimmt gibt es einige, die auch über die Aufnahme eines Pflegekinds nachdenken, um pflegebedürftigen Kindern ein sicheres Zuhause zu geben. Was sind deine persönlichen Tipps, um diese große Sache erfolgreich anzugehen und zu meistern?
Zuerst einmal ehrlich mit sich selbst sein. Was kann ich leisten? Auf was bin ich ggfls. bereit zu verzichten? Pflegeeltern werden eng überprüft, auch wenn die Anforderungen von Jugendamt zu Jugendamt variieren. Neben der Offenlegung der eigenen Finanzen (damit man sich am Pflegegeld nicht bereichert) ist ein polizeiliches Führungszeugnis für alle im selben Haus lebenden volljährigen Personen notwendig. Außerdem muss ein Arzt die körperliche und psychische Befähigung bestätigen. Bei unserem Jugendamt musste ich einen Art Lebensbericht einreichen – das muss man eben wollen. Auch gibt das Jugendamt einen Fragebogen aus, auf dem man ziemlich genau definiert, welche Art von Pflegekind man sich vorstellen kann bzw. auch nicht: Geschlecht, Alter, Behinderungen, Vorerfahrungen (soweit bekannt), kultureller/religiöser Background, uvm. Es mutet ein bisschen wie eine Katalogbestellung an, aber es ist ganz wichtig hier offen und ehrlich mit sich selbst zu sein. Wichtig ist, dass ein gutes Jugendamt versucht, dass Kind und Pflegeeltern zueinander passen – eine Familie, die gerne und viel reist, sollte beispielsweise unter Umständen kein Kind mit Migrationshintergrund aufnehmen. Ist der Aufenthaltsstatus nicht geklärt, könnte man mit dem Kind vielleicht nicht ins Ausland reisen, ggfls. nicht einmal innerhalb Deutschlands. Auch das Alter ist entscheidend. Je nach Jugendamt wird beispielsweise bei Kindern unter 3 Jahren verlangt, dass ein Elternteil in Elternzeit geht. Anrecht auf Elternzeit haben Pflegeeltern dabei, aber Elterngeld gibt es keins – solche Aspekte muss man berücksichtigen. Nichts ist schlimmer, als ein Kind, dass eine Familie wieder verlassen muss, weil es nicht klappt – jeder Bindungsabbruch ist schlimm, denn so gut wie alle Pflegekinder leiden durch das Erlebte von vornherein an einer Bindungsstörung.
Wichtig ist der Konsens innerhalb der eigenen Familie – alle, auch eigene Kinder, sollten dahinterstehen. Entscheidend ist ein gutes familiäres oder anderweitiges Netzwerk. Und ein gewisses Organisationstalent – zwar sind Strukturen unerlässlich, aber Flexibilität im Alltag und Bürokratie mit den Behörden gehören auch dazu.
Ich kann jedoch jedem nur ans Herz legen, wenn er sich physisch und psychisch gefestigt dafür fühlt, einem Pflegekind eine Familie zu geben. Sie geben so viel zurück! Ich möchte meinen Pflegesohn in meinem Leben nicht missen, auch wenn die Tage manchmal sehr schwierig sind, denn aus dem Kind, das nur noch nicht spricht ist doch ein kleiner Junge mit recht großem Rucksack und einer schweren Sprecherwerbsbehinderung geworden. Dennoch hoffe ich, dass er wirklich bei mir bleiben kann bis er volljährig ist. Nicht nur er hat sich an mich gebunden, sondern auch ich an ihn. Ansprechpartner:innen sind in der Regel die örtlichen Jugendämter. Es empfiehlt sich aber bei Interesse einfach mal danach zu googeln, ob im eigenen Wohnumfeld ein Pflegeelternverein existiert – sicherlich kann man dort einen ersten Eindruck bekommen.
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