Weiterentwicklung ist das Gebot der Stunde: Die Versicherungsindustrie befindet sich derzeit in einem Anpassungsprozess an die tiefgreifenden Veränderungen des Branchenumfelds. Insbesondere die Digitalisierung erzeugt akuten Handlungsdruck; eröffnet aber zugleich auch neue Handlungsspielräume. Dies gilt insbesondere für das IT-Paradigma der Cloud-Technologie. Viele IT-Systeme in der Branche werden heute immer noch nach herkömmlichen Mustern betrieben, was die Implementierung neuer, datengetriebener Ansätze erschwert oder verzögert. Diese können nun durch Cloud-Technologie modular eingeführt und bei Bedarf schnell skaliert werden.
Das kann sich spürbar auszahlen. Beispielsweise für einen Versicherer, dessen Geschäft traditionell sprunghaft im Herbst ansteigt, wenn der Kfz-Versicherungswechsel möglich ist. Dieses saisonale Geschäft kann das Unternehmen deutlich effizienter und kostengünstiger abwickeln, indem die nötige zusätzliche Serverleistung punktuell bedarfsgerecht aus der Cloud bezogen und bezahlt wird, statt kostspielige Kapazitäten übers ganze Jahr hin bereitzuhalten. Besonders attraktiv an der Cloud-Technologie ist aber auch die Vielzahl an neuen Produkten, Tarifen und Geschäftsmodellen, die – z.B. in Kooperation mit Dritten – für Versicherer realisierbar werden (bspw. Annex Produkt mit Einbruchmeldeanlage).
Festzuhalten ist allerdings auch, dass ein derartiger technologischer Paradigmenwechsel in der IT ein umfassendes Transformationsprojekt darstellt. Die Einführung von Cloud-Lösungen wirft viele eigene Herausforderungen auf, beispielsweise bezüglich Datenverfügbarkeit und -qualität, Auswahl einer geeigneten Kombination von Diensten, Gestaltung von offenen Programmierschnittstellen (Application Programming Interface, API) oder Fragen der Cyber Security. Auch der prinzipielle Ökosystem-Charakter des Cloud-Ansatzes sollte strategisch berücksichtigt werden. Nötig sind außerdem eine Anpassung des Operating Models, eine organisatorische Einbettung und passend befähigte Mitarbeiter.
Versicherungsunternehmen begegnen aktuell in einer ganzen Reihe von Dimensionen fundamentalen Herausforderungen – den fünf übergeordneten Megatrends der Versicherungsbranche.
Für viele davon eignet sich der Einsatz digitaler Lösungen, und hier stehen vor allem Cloud-Anwendungen als typische Transformations-Enabler im Fokus. Zu den spezifischen Vorteilen des Cloud-Ansatzes gehört beispielsweise bei der Produktentwicklung die Verkürzung der Time-to-Market durch agile Organisation sowie eine effizientere Abwicklung: Die Verfügbarkeit der Services wird um bis zu um 95 Prozent verbessert, der Zeitbedarf für Code- und Bereitstellungs-Rollouts kann um das Achtfache reduziert, die Markteinführungszeit um das Vierfache verkürzt werden (Deloitte Pekin Insurance Case). Weitere Vorteile der Cloud sind der friktionslose Datenzugriff, die Möglichkeit der Einbindung von Drittanbietern sowie die Verfügbarkeit von extrem leistungsfähigen und dabei ebenso flexiblen wie effizienten Analytics-Lösungen bis hin zu Real-Time Analytics.
Was bedeutet dies nun konkret für den Umgang mit den fünf Megatrends der Versicherungsbranche?
1. Hybrider Kunde: Die Kundenansprache muss heute vermehrt über verschiedenartige Kanäle erfolgen. Cloud-Technologie ist ideal für Omnichannel-Ansätze, denn sie schafft Unabhängigkeit vom Endgerät und erlaubt durch die hohe Skalierbarkeit schnelle Anpassung an die Bedarfslage.
2. Individuelle Tarife: Zunehmend werden risikogerechte, persönliche Policen nachgefragt. Hier hilft die Cloud durch datengestützte Risikoprofile, Social Listening, niedrigschwellige Innovationsmöglichkeiten und einen Cloud Data Lake zur Schärfung der Kundenpersonas.
3. On-Demand & Modular: Zeitgemäße, flexiblere Versicherungsmodelle werden ermöglicht durch Echtzeitdesign, flexibles Datenmanagement und eine ereignisgesteuerte Architektur auf der Basis von serverlosen Cloud-Diensten.
4. Intelligente Prozesse: Cloud-basierte Lösungen aus den Bereichen Datenanalyse, Automatisierung und künstliche Intelligenz verbessern die Prozesseffizienz.
5. Ökosystem: Die Zusammenarbeit mit Partnern wird auch für Versicherer immer wichtiger, etwa bei der Umsetzung von Point-of-Sale-Angeboten. Cloud Ecosystems bieten die ideale Plattform – durch offene APIs, Skalierbarkeit und hohe Geschwindigkeit sowie die Austauschbarkeit von Daten über Anwendungsgrenzen hinweg.
Darüber hinaus verspricht Cloud-Technologie noch viele weitere Vorteile entlang der Wertschöpfungskette eines Versicherers. Durch Automatisierung wird die Sicherheit erhöht. Die Zufriedenheit sowohl von Mitarbeitern als auch von Kunden steigt. Auch die Innovation im Unternehmen wird gestärkt, etwa durch schnellere Entwicklungs-Zyklen, agile Arbeitsweisen und einfacheren Zugang zu neuartigen Technologien. Zusammen mit den erwähnten Vorteilen wie geschäftlicher Agilität und besserem Kostenmanagement ergeben sich somit viele gewichtige Argumente für den Schritt ins Cloud-Zeitalter.
Derzeit herrschen zugleich äußerer Anpassungsdruck und eine interne Notwendigkeit, die durch historisch gewachsende Anwendungen angesammelte „Technologie-Schulden“ endlich abzutragen. Genau diese Situation macht jetzt den graduellen Einstieg in die Möglichkeiten der Cloud zu einer strategischen Option. Das geschäftliche Potenzial ist erheblich. Die Bandbreite der Use Cases lässt sich entlang der Megatrends und auch der Customer Journey auffächern – von der ersten Aufmerksamkeit auf ein Angebot über die Kaufentscheidung bis zur Verlängerung einer Police. Schon angesprochen wurden die datengestützte Optimierung von Tarifen oder die schnellere Einführung innovativer Produkte durch agile Entwicklung. Dazu kommen viele weitere Anwendungen wie dynamische Tarife, Betrugsbekämpfung oder Schadensvermeidung.
Auf drei Use Cases soll im Folgenden detaillierter eingegangen werden:
Use Case 1: Datengetriebenes Lead Management
Der erste Case greift gleich zu Beginn der Customer Journey. Die Cloud ermöglicht den Aufbau eines kanalübergreifenden Lead Managements und damit eine digitale Steuerung des Vertriebs. Online- und Offline-Aktivitäten verschmelzen, dezentral verfügbare Daten und Anwendungen in Quasi-Echtzeit sind hierfür die entscheidenden Fähigkeiten. Im ersten Schritt helfen Cloud-Anwendungen bei der Erzeugung von Leads durch die Analyse von Kundeninteraktionen mit dem Versicherer, ergänzt durch Daten und Analyseergebnisse von integrierten Drittanbietern aus dem Ökosystem. Im zweiten Schritt werden diese angereicherten Leads zur Personalisierung der Kundenansprache ausgewertet und können unmittelbar an den bedarfsgerechten Vertriebskanal ausgesteuert werden. Praktische Anwendungsmöglichkeiten lassen sich entlang typischer Customer Journeys leicht ausfindig machen, etwa das Beispiel einer Mutter, die eine Krankenhausrechnung für die Entbindung einreicht. Die Cloud-basierte 360°-Kundensicht führt mehrere wichtige Informationen zusammen: Mutterschaft, Präferenz für E-Mail-Kommunikation, Hausratversicherung wurde beim Hauskauf erworben. Das digitale Lead Management identifiziert eine Lebensversicherung als geeignetes Produkt (wegen des bestehenden finanziellen Risikos durch den Hauskauf sowie der typischen Risikoaversion von Eltern). Aufgrund der Kommunikationshistorie und der Komplexität des Produkts wird der Ausschließlichkeitsvertrieb (AO) als passender Vertriebskanal ermittelt. Der AO-Mitarbeiter bekommt als zielführende Aktion eine Gratulation zur Geburt per E-Mail vorgeschlagen, in der auch ein Beratungstelefonat zum Thema Lebensversicherungstarife angeboten wird.
Use Case 2: Effizienzsteigerung
Oben wurde schon die Produktentwicklung als ein beispielhaftes Segment angeführt, in dem Cloud-Technologie in der Versicherungsbranche Effizienzpotenziale freisetzen kann. Dies gilt auch für viele anderen Prozesse und Bereiche in einem Versicherungsunternehmen, wie etwa die Entwicklung von Anwendungen oder die Infrastruktur. Für die Implementierung existieren drei typische Strategien mit spezifischen Vor- und Nachteilen. 1. „Rehost“: Durch ein „Lift and Shift“ der bisherigen Anwendungen können Kosten für Infrastruktur und Einrichtungen reduziert werden, die erreichbaren Ressourceneinsparungen sind jedoch begrenzt. 2. „Refactor“: Durch eine fundamentale Transformation der bisherigen Anwendungen werden zusätzliche Ressourceneinsparungen durch Automatisierung erzielt, die Infrastrukturkosten sinken. 3. „Retire“: Eine Rationalisierung der Anwendungen führt zu Ressourceneinsparungen sowie einer Reduktion der Infrastrukturkosten.
Alle drei Varianten erfordern jedoch auch eigene Aufwände, die einen Teil der erzielten Einsparungen neutralisieren. Dazu kommen Kosten für die Cloud-Funktionen sowie verschiedene Einmalkosten (z.B. Verrechnung von Finanzierungsleasing). Die typische Ressourceneffizienz beträgt so bei Anwendungsentwicklern 20 bis 25 Prozent, beim Qualitätsmanagement / Testing 30 bis 40 Prozent und beim Infrastruktur-Management 50 bis 60 Prozent. Bei der Infrastruktur lassen sich durch Infrastructure-as-a-Service (IaaS) 10 bis 25 Prozent einsparen, durch kontinuierliche Cloud-basierte Optimierung 15 bis 20 Prozent und durch reduzierten Platzbedarf in Rechenzentren 10 bis 30 Prozent. Dazu kommen hohe Einsparungen bei Anwendungen, z.B. je 15 bis 20 Prozent durch Rationalisierung und Service-Delivery-Effizienz, 10 bis 30 Prozent durch SaaS-Anwendungen und 50 bis 70 Prozent Zeitersparnis bei der Bereitstellung (Deloitte Market Research, 2019).
Use Case 3: Kundenzentrierte Kommunikation
Auch in späteren Abschnitten der Customer Journey spielen Cloud-Ansätze ihre Vorteile aus, etwa beim Bearbeiten von Schadensfällen oder bei der Verlängerung von Verträgen. Ein wichtiges Werkzeug hierfür ist die Cloud-gestützte Ermöglichung einer kundenzentrierten Kommunikation. Durch die Integration eines virtuellen Assistenten kann ein Kundenservice der nächsten Generation aufgebaut werden. Conversational AI (künstliche Intelligenz) hilft bei der Automatisierung von Anfragen in natürlicher Sprache. Dabei sind verschiedene Leistungslevel möglich, bis hin zu einer anspruchsvollen Kundeninteraktion. Grundlage hierfür ist die Orchestrierung von Geschäftssystemen, Sentiment-Erkennung und Sprachtechnologien. Virtuelle Assistenten kommen sowohl intern als auch extern zum Einsatz. Mitarbeiter-orientierte Anwendungsfälle sind z.B. interne Helpdesks (IT, HR usw.) oder Kommunikation zu Themen wie Rekrutierung oder Umfragen. Als kundenorientierte Einsatzgebiete bieten sich beispielsweise Kundencenter-Dienstleistungen oder datengestütztes Marketing an. Die Vorteile sind vielfältig: Erzielen lassen sich eine Kostenreduktion durch gesteigerte Effizienz, eine Verbesserung des Kundenfokus, die Freisetzung von Produktivität für andere anspruchsvolle Aufgaben, ein umfassender On-Demand-Service sowie generell eine gesteigerte operative Exzellenz.
Wie wird ein transformatives Cloud-Vorhaben bei einem Versicherungsunternehmen konkret umgesetzt? Vor allem schnell, so die Erfahrung der Cloud-Experten von Deloitte. Einen typischen Projektverlauf und die zugrundeliegende digitale Strategie veranschaulicht ein Kundenbeispiel der jüngsten Zeit. Hierbei wurde innerhalb von zwölf Monaten für einen großen Konzern ein neuer Direktversicherer aufgebaut. Wesentliches Merkmal war der durchgängige Cloud-Infrastruktur-Ansatz. Umgesetzt wurde er in einem agilen Organisationsmodell mit flachen Hierarchien. Die Eckpfeiler der Transformation bestanden aus einem kundenzentrischen Vorgehensmodell, einer Echtzeit-Datenstrategie, einer Microservices-Architektur / API-Strategie sowie einem Kulturwandel hin zur DevOps-Methodik. Besonders letztere trug wesentlich zur Realisierung des Hauptziels bei: einer schnellen Time-to-Market.
Mit voranschreitender Digitalisierung und zunehmender digitaler Vernetzung ist die Cloud auch für Versicherer ein wichtiger Enabler zur Umsetzung neuer Geschäftsmodelle und zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit.
Marc Funk, Director, Cloud Transformation & Systems Engineering
Bei der Einführung innovativer Cloud-Anwendungen bieten die Experten von Deloitte den Unternehmen der Versicherungsbranche wertvolle Unterstützung. Sie bringen fundierte Branchenerfahrungen und Technologie-Kenntnisse mit und sie können zusätzlich jederzeit das umfangreiche Know-how des globalen Deloitte-Netzwerks sowie die strategischen Allianzen von Deloitte mit den Hyperscalern für ihre Kunden mobilisieren. Deloitte Legal berät umfassend in großen Transformationsprojekten wie auch in Detailfragen etwa zum Versicherungsaufsichtsrecht, gerade betreffend Outsourcing, zu IT/IP und zum Datenschutz.
Auch wenn es sich beim Thema Cloud um einen anspruchsvollen technologischen und strategischen Paradigmenwechsel für Unternehmen handelt: Der Einstieg wird gerade durch die modulare Natur der Cloud-Anwendungen erleichtert. Sie können punktuell eingeführt und zügig skaliert werden, weitere Lösungen schließen sich an, die Innovation beschleunigt sich kontinuierlich. Für eine schnelle Orientierung auf diesem weiten Gebiet bietet Deloitte ein kompaktes Cloud Transformation Lab an. Dieses konzentrierte Workshop-Format wird auf unterschiedliche Phasen der Transformation ausgerichtet und liefert maßgeschneiderte Einsichten zu Aspekten wie Business Disruption, Migration Strategy oder Cyber Risk / Security.
Ob im Lab-Format oder bei Transformationsprojekten im Unternehmen: Die breite, cross-funktionale Expertise der Fachleute von Deloitte, einschließlich Deloitte Legal gewährleistet eine ebenso umfassende wie individuelle Beratung.