Der Start in die neue Dekade wurde durch die Folgen der Corona-Pandemie und aufgrund der Kriegshandlungen in der Ukraine massiv belastet. Dieser Einschnitt zwingt Unternehmen und Politik in vielen Bereichen zur Neuausrichtung. Für Deutschland liegt darin aber auch die große Chance, über die aktuelle Krise hinaus entscheidende Weichenstellungen für die Sicherung von nachhaltigem Wachstum und Wohlstand vorzunehmen, vor allem in den Dimensionen Erwerbsbeteiligung und Produktivität. Durch gezielte Anstrengungen in ausgewählten Handlungsfeldern könnte das durchschnittliche jährliche Wachstum bis 2030 verdoppelt oder sogar verdreifacht werden.
Deutschland ist eine führende Industrienation und blickt auf ökonomisch erfolgreiche Jahrzehnte zurück. Auch das letzte Jahrzehnt verlief trotz der weltweiten Finanzkrise positiv, was Wachstum und Arbeitsmarkt angeht. Doch inzwischen mehren sich problematische Vorzeichen, die über den Horizont der aktuellen Krisen weit hinausgehen. Drei große langfristige Herausforderungen werden die Wirtschaft bis 2030 maßgeblich beeinflussen: Demographie, Digitalisierung und Klimawandel. Wenn Politik und Unternehmen in diesen Themenfeldern ihre Bemühungen gegenüber dem Status quo nicht verstärken, könnte dies das Wachstum empfindlich bremsen. Schafft die Wirtschaftspolitik jedoch mit durchdachten Maßnahmen den richtigen Rahmen, dann könnte dies einen echten Aufbruch für Deutschland zur Folge haben, wie die neue Deloitte Studie „Perspektiven 2030 – Wachstumschancen für Deutschland“ darlegt. Ein wesentlich höheres Wachstum wäre erzielbar – mit all seinen positiven Implikationen für die Beschäftigung, die soziale Sicherheit und die Nachhaltigkeitstransformation.
Ein Aufbruch und eine Aufholjagd in den Bereichen Arbeitsmarkt, digitale Wirtschaft und Unternehmensdynamik können das Wirtschaftswachstum in den 2020er-Jahren beschleunigen und auf ein neues Niveau heben.
Dr. Alexander Börsch
Chefökonom & Director Research
Die Studie erkundet vor diesem Hintergrund, durch welche Maßnahmen die Politik die Problemfelder angehen und Wachstumschancen erschließen kann. Grundsätzlich sind zwei Ziele zu verfolgen: eine Produktivitätssteigerung und eine Steigerung des Anteils der Erwerbstätigen. Bei der Analyse wurden zunächst zwölf ausgewählte Indikatoren in drei Bereichen betrachtet, die für das Wachstum besonders wichtig sind (Arbeitsmarkt und Kompetenzen, digitale Ökonomie, Unternehmensdynamik). In diesen Bereichen wurde der Wirtschaftsstandort Deutschland dann mit anderen OECD-Ländern verglichen. Anzumerken ist hierbei, dass beim OECD-Benchmarking aufgrund der Datenlage nur auf 28 der 38 OECD-Volkswirtschaften zurückgegriffen wurde. Schließlich wurde ermittelt, welcher Wachstumsbeitrag durch ein Aufholen im Bereich der jeweiligen Indikatoren erzielbar wäre, also wie stark sich entsprechende Aktivitäten auszahlen würden.
Hierfür wurden zwei unterschiedlich ambitionierte Szenarien definiert, bei denen der Rückstand zum jeweiligen OECD-Spitzenreiter in allen Bereichen um ein Viertel (Szenario „Beschleunigung“) beziehungsweise um die Hälfte aufgeholt wird (Szenario „Aufbruch“). Für das Basisszenario (keine verstärkten Bemühungen gegenüber heute) projiziert die Studie von 2022 bis 2030 ein jährliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,2 Prozent. Beim Szenario „Beschleunigung“ ist dagegen mit 2,3 Prozent zu rechnen, beim Szenario „Aufbruch“ wären es sogar 3,4 Prozent. Pro Kopf würde das BIP hierbei im Schnitt um bis zu 8.600 Euro steigen.
In der deutschen Wirtschaft müssen sich die Unternehmen in der kommenden Dekade mit einer Vielzahl von Entwicklungen befassen: Gestaltung des Aufstiegs der Datenökonomie, Verankerung von Nachhaltigkeit, digitale Transformation von Technologien und Geschäftsmodellen sowie ein zielführendes Management der Arbeitskräfteknappheit. Dabei wirken sich die voraussichtlichen Trends je nach Sektor unterschiedlich aus. In einem abschließenden Ausblick erläutern die Studienautoren detailliert die besonderen Herausforderungen für die einzelnen Branchen (Automobilindustrie, Maschinenbau, chemische Industrie, Technologiesektor, Gesundheit, Einzelhandel, Energie, Telekommunikation, Finanzsektor).
Die Politik kann die Bewältigung dieser Aufgaben durch geeignete Maßnahmen wesentlich erleichtern. Dazu gehört auch ein Fokus auf die soziale Ausgewogenheit der ökologischen Transformation sowie eine generell flexiblere Regulatorik. Wenn Deutschland die entsprechenden Weichenstellungen vornimmt, ist die Perspektive für 2030 aber insgesamt äußerst positiv. Die Chance auf eine Verdoppelung oder gar Verdreifachung der Wachstumsrate sollte auf jeden Fall ergriffen werden.
Der demographische Wandel wird durch die zunehmende Alterung der Gesellschaft zu einer Verringerung der Anzahl der Arbeitnehmer führen und somit zu einem negativen Wachstumseffekt. Bis 2030 wird die Erwerbsbevölkerung voraussichtlich um 3,5 Millionen Menschen zurückgehen (8 Prozent). Dies wird durch die zunehmende Automatisierung nur teilweise ausgeglichen.
Die deutsche Wirtschaft weist im Hinblick auf die digitale Wettbewerbsfähigkeit noch erheblichen Nachholbedarf auf, was bei diesem zentralen Zukunftsthema spürbare Wachstumsnachteile mit sich bringen dürfte. Die Industrienation Deutschland könnte dadurch im internationalen Vergleich auf entscheidenden Feldern abgehängt werden.
Der Klimawandel erfordert enorme Investitionen und eine umfassende Transformation des Wirtschaftens. Zwar wird sich dies langfristig für Deutschland auszahlen, sowohl durch die Vermeidung von Klimafolgeschäden als auch durch neue geschäftliche Chancen. Bis 2038 ist der Wachstumsbeitrag der Transformation laut Berechnungen allerdings negativ. Das bedeutet, dass die Anstrengungen in den anderen Gebieten nochgrößer ausfallen müssen, um dies auszugleichen.