Geopolitische Ereignisse und die Energiewende prägen die Energiemärkte und drücken sich in größeren Volatilitäten und Preissprüngen aus. Insbesondere Industrieunternehmen und Energieversorger stehen vor großen und breitgefächerten Herausforderungen. Kostenmanagement, Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit sowie die Vorhersehbarkeit der Einnahmen aus der Energieversorgung und die Resilienz in Krisenzeiten rücken stärker denn je in den Fokus der Energieunternehmen. Für die erfolgreiche Bewältigung dieser Herausforderungen wird ein effektives Risikomanagement immer wichtiger. Dabei stellt innerhalb des Risikomanagements die Risikomessung eine zentrale Säule dar. In diesem Beitrag stellen wir die verbreitetsten Methoden zur Risikomessung für die wesentlichsten Risiken – Marktpreisrisiko, Kreditrisiko, Liquiditätsrisiko und operationelles Risiko – für Energieunternehmen dar.
Die Energiekrise im Jahr 2022 hat die Volatilität auf den Energiemärkten stark erhöht und somit die Notwendigkeit eines robusten Marktpreisrisikomanagements verdeutlicht. Auch in Zeiten normaler Marktbedingungen bleiben extreme Preisausschläge und die Unsicherheiten über zukünftige Preisentwicklungen eine Herausforderung für viele Energieunternehmen. Schwankende Marktpreise verursachen finanzielle Unsicherheit, weshalb die Messung und effektive Steuerung von Marktpreisrisiken unerlässlich ist, um finanzielle Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten.
Das verbreitetste Instrument zur Steuerung von Marktpreisrisiken ist die Limitierung von offenen Positionen sowie Volumen- und Preislimits. Sensitivitätsanalysen spielen u.a. auch für nicht-lineare Positionen eine zentrale Rolle im Risikomanagement. Sie quantifizieren die Auswirkungen von Parameteränderungen auf den Marktwert der Positionen. Damit können Energieunternehmen ihre Anfälligkeit gegenüber Preisfluktuationen verstehen und gezielte Absicherungsstrategien entwickeln.
Darüber hinaus bildet für Energiehändler der Value at Risk (VaR) eine wesentliche Kennzahl zur Risikomessung und Steuerung, die zunehmend auch bei Energieversorgern Verwendung findet. Der VaR bietet den Vorteil, dass er als einfach zu interpretierende Risikokennzahl die Risikokommunikation erleichtert. Er gibt zu einem gegebenen Wahrscheinlichkeitsniveau an, welche Verlusthöhe innerhalb eines gegebenen Zeitraums (Haltedauer) mit dieser Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Zudem ermöglicht der VaR eine detaillierte Analyse der Risikoverteilung, wodurch ein besseres Verständnis für das Verhalten des Portfolios in Bezug auf verschiedene Risikofaktoren erzielt werden kann. Aufgrund der Aktualisierung der Marktdaten im Rahmen der regelmäßigen, meist täglichen, VaR-Berechnung werden die aktuellen Marktbewegungen in der Risikomessung berücksichtigt.
Quelle: Eigene Darstellung
Nicht zuletzt durch die Finanzkrise wurden aber auch die Limitationen des VaR deutlich. Insbesondere die beschränkte Aussagekraft in Stressphasen wird kritisiert, da der VaR keine Aussage über die Höhe des erwarteten Verlustes über das Konfidenzniveau hinaus trifft. Um den Beschränkungen des VaR zu begegnen, können ergänzende Methoden wie Expected Shortfall und regelmäßige Stresstests eingesetzt werden. Der Expected Shortfall gibt Auskunft über den durchschnittlichen Verlust, der im vom VaR nicht betrachteten Quantil (z.B. dem schlechtesten ein Prozent der Fälle) zu erwarten ist. Damit liefert der Expected Shortfall Informationen über die Höhe der Verluste im ungünstigsten Fall.
Stresstests wiederum simulieren extreme Marktbewegungen und ermöglichen die Analyse der Auswirkungen solcher Szenarien auf das Portfolio bzw. das Geschäftsmodell. Üblicherweise werden starke Veränderungen einzelner Risikofaktoren und die kombinierte Veränderung mehrere Risikofaktoren betrachtet. Zudem können damit Risiken aus nicht-linearen Produkten besser abgebildet werden.
Eine weitere Kennzahl für das Risikomanagement ist der Profit-at-Risk (PaR), der insbesondere bei der Steuerung langfristiger Positionen, etwa bei Green Power Purchase Agreements (PPAs) oder bei der Absicherung des Preis-Mengen-Risikos von Versorgungsverträgen verwendet wird. Der PaR gibt an, welchen Gewinnrückgang ein Unternehmen mit einem Vertrag oder Produkt innerhalb eines bestimmten Zeitraums und eines bestimmten Konfidenzniveaus erwarten könnte.
Die Wahl der Risikomessmethoden sollte in Abhängigkeit des Geschäftsmodells getroffen werden, um im Kosten-Nutzen-Verhältnis ein robustes Risikomanagement zu ermöglichen, das sowohl alltägliche als auch außergewöhnliche Marktbedingungen abbilden kann.
In einem volatilen Marktumfeld ist das Kreditrisikomanagement für Energieversorger von essenzieller Bedeutung. Kreditrisiken bzw. Adressenausfallrisiken bestehen in der Energiewirtschaft insbesondere in Form von Kontrahentenrisiken. Sie sind stark bonitätsinduziert, wobei die finanzielle Gesundheit eines Geschäftspartners maßgeblich das Risiko beeinflusst. Ein weiteres wichtiges Element ist das Kreditexposure, das sich aus dem Vorleistungs- und Ersatzrisiko zusammensetzt.
Für eine effektive Risikomessung wird üblicherweise die Kennzahl Credit Value-at-Risk (Credit VaR) eingesetzt. Der Credit VaR gibt zu einem gegebenen Wahrscheinlichkeitsniveau an, welche Verlusthöhe bedingt durch Kontrahentenrisiken innerhalb eines gegebenen Zeitraums mit dieser Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Neben der Berechnung des Credit VaR ist das kontinuierliche Monitoring von Ratings und Marktberichten entscheidend. Dies ermöglicht eine laufende Bewertung der Bonität der Geschäftspartner und ein frühzeitiges Erkennen potenzieller Ausfälle.
Konzentrationen, also hohe Engagements bei einzelnen Geschäftspartnern oder Gruppen, können das Risiko weiter erhöhen. Konzentrationen können z.B. über den Herfindahl-Hirschman-Index (HHI) gemessen werden. Darüber hinaus spielen auch Länderrisiken eine wesentliche Rolle, da geopolitische und wirtschaftliche Bedingungen in unterschiedlichen Regionen das Ausfallrisiko beeinflussen. Zur Begrenzung von Kreditrisiken sind effektive Steuerungsinstrumente unverzichtbar. Über Limitsysteme kann das Exposure und die handelbaren Produkte anhand der Bonität des Geschäftspartners gesteuert werden. Diese Systeme müssen flexibel sein und sich an die aktuelle Marktsituation anpassen können. Risikominderungsstrategien wie das Einfordern von Sicherheiten und die Diversifikation der Geschäftspartner tragen ebenfalls zur Reduktion des Kreditrisikos bei.
Während der Energiekrise waren Energieunternehmen starken Liquiditätsrisiken ausgesetzt, insbesondere aufgrund hoher Sicherheitenanforderungen aus dem OTC-Handel sowie Liquiditätsanforderungen aus Margining und Clearing. Die Bereitstellung großer Mengen an Liquidität schränkt die Handlungsfähigkeit der Unternehmen ein und es besteht die Gefahr, dass sowohl Sicherheitenanforderungen als auch operative finanzielle Verbindlichkeiten nicht mehr bedient werden können.
Um diesen Risiken effektiv zu begegnen, setzen Energieunternehmen verschiedene Messinstrumente ein. Ein zentraler Bestandteil ist die Liquiditätsplanung und
-prognose, die die laufende Überwachung und Planung von Ein- und Auszahlungen ermöglicht, sodass potenzielle Engpässe frühzeitig erkannt werden können.
Darüber hinaus sind Stresstests und Szenarioanalysen wichtige Instrumente zur Bewertung des Liquiditätsrisikos. Durch die Simulation extremer Marktbedingungen und deren Auswirkungen auf die Liquidität kann die Widerstandsfähigkeit in Krisensituationen getestet werden. Diese Analysen identifizieren Schwachstellen im Liquiditätsmanagement und ermöglichen die Planung gezielter Maßnahmen zur Stärkung der finanziellen Stabilität.
Durch Liquiditätspläne und -reserven sollte sichergestellt werden, dass in Krisenzeiten ausreichend liquide Mittel verfügbar sind. Ergänzend dazu können Kreditlinien und alternative Finanzierungsquellen genutzt werden, um die Flexibilität und Liquidität des Unternehmens zu erhöhen. Dabei sollte auch auf die Diversifizierung der Refinanzierungsquellen geachtet werden.
Die Energieversorgung ist stark von reibungslosen Prozessen abhängig und gilt als kritische Infrastruktur. Gleichzeitig ist sie Ziel von bewusst herbeigeführten Störungen wie Cyberangriffen oder Sabotage, wie die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine eindrücklich gezeigt haben. Generell können Betriebsunterbrechungen, Systemausfälle und menschliches Versagen erhebliche finanzielle und organisatorische Auswirkungen auf die Energieversorger haben. Diese müssten entsprechend in poten-ziellen Schadenszenarien strukturiert und vollständig erfasst werden. Ein nützliches Instrument hierfür ist das OpRisk-Self-Assessment, das eine strukturierte Erfassung und Bewertung operationeller Risiken über die verschiedenen Abteilungen und Bereiche eines Unternehmens ermöglicht.
Zur Quantifizierung operationeller Risiken wird häufig der Operational Value at Risk (OpVaR) verwendet, der analog zum Markt- und Kreditrisiko z.B. mittels Monte-Carlo-Simulationen modelliert werden kann. Hierbei sind wesentliche Eingangsgrößen die Schadenhöhe sowie die Eintrittswahrscheinlichkeit für jedes Szenario. Die Kalibrierung erfolgt idealerweise anhand historisch beobachteter Schadensfälle. Allerdings besteht die Herausforderung darin, dass häufig nicht genügend Schadensfälle vorliegen, sodass auf Expertenschätzungen zurückgegriffen werden muss. Hierbei sollten verfügbare interne und externe Daten herangezogen werden, um die Schätzung zu untermauern.
Die Risikomessung und -steuerung bildet den Kern eines jeden Risikomanagementsystems. Eine regelmäßige Risikoinventur zur Identifikation wesentlicher Risiken und die Definition einer auf das Geschäftsmodell abgestimmten Risikostrategie ermöglichen eine sinnvolle Auswahl an Instrumenten. Darüber hinaus bildet die Risikomessung ein wesentlicher Bestandteil der Risikotragfähigkeit.
Wir bieten Ihnen Konzepte zur Risikomessung und -steuerung, die wir aus den Best Practices der Energiewirtschaft und Finanzindustrie zusammengeführt haben. Die Ausgestaltung und Implementierung schneiden wir anhand des Umfangs und Risikogehalts Ihrer Geschäftstätigkeit auf Ihre Bedürfnisse zu und unterstützen Sie bei der Integration in Ihr Risikomanagementsystem.
Wir unterstützen Sie in folgenden Bereichen:
Mit unserer umfassenden Expertise und unserem interdisziplinären Team unterstützen wir Sie dabei, Ihr Risikomanagement auf die nächste Stufe zu heben, um Ihre Wettbewerbsvorteile zu sichern.
David Schindler
Senior Manager I Financial Industry Risk & Regulatory
dschindler@deloitte.de
+49 211 87724906