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Deloitte-Umfrage: Krankenkassen unter Zugzwang

Zürich/Genf, 12. Juni 2024

Rasant steigende Krankenkassenprämien führen zu einer hohen Wechselbereitschaft bei den Versicherten: Gemäss einer neuen Studie von Deloitte Schweiz zum Thema Krankenversicherung hat beinahe ein Drittel der Befragten auf das neue Jahr hin die eigene Grundversicherung angepasst, während 44 Prozent im kommenden Herbst ihre bisherigen Prämien und Leistungen vergleichen wollen. Der Leidensdruck und die Veränderungs¬bereitschaft wachsen: Die Studie zeigt auf, dass rund zwei Drittel der Bevölkerung in der Schweiz die Abschaffung der heutigen Krankenkassen befürworten, warnt gleichzeitig jedoch vor überzogenen Hoffnungen auf Prämienreduktionen durch die Schaffung einer Einheitskasse. Die Umfrage deckt auch den wachsenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Druck auf die Krankenversicherer auf: Um diesem Druck zu begegnen, müssen die Versicherer ihre Geschäftsmodelle kontinuierlich weiterentwickeln, ihr Angebot an neue regulatorische Herausforderungen anpassen und ihre Effizienz laufend steigern. Für innovative Kassen bieten sich gute Chancen für ein erweitertes Rollenverständnis und die Entwicklung neuer Gesundheitsangebote: Nehmen sie diese Chancen wahr, stärken sie das Vertrauen der Versicherten – sowohl in ihr Unternehmen als auch generell in das System der privaten Krankenkassen.

Die Wechselbereitschaft der Schweizer Versicherten hat gemäss einer neuen, im März 2024 durchgeführten Umfrage des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Deloitte abermals einen sehr hohen Wert von 30 Prozent erreicht. 12 Prozent der rund 1‘250 Befragten haben auf das neue Jahr hin ihre Krankenkasse gewechselt. 18 Prozent sind zwar beim bestehenden Anbieter geblieben, haben jedoch ihre Franchise oder ihr Versicherungsmodell angepasst. Diese hohe Optimierungsquote von insgesamt 30 Prozent ist zuallererst auf die stark steigenden Prämien und den finanziellen Druck auf die Versicherten zurückzuführen. 44 Prozent wollen daher dieses Jahr ihre aktuellen Prämien mit den Angeboten anderer Versicherer vergleichen (siehe Grafik 1). Besonders in der Westschweiz, wo die Gesundheitskosten höher sind und die Kaufkraft geringer ist, sind die Wechselabsichten hoch.

Marcel Thom, Leiter Krankenversicherungen bei Deloitte, erklärt: «Der Kostendruck macht die Menschen offen für Veränderungen: Immer mehr Versicherte wechseln die Kasse, suchen Alternativen bei der Zusatzversicherung, sind digitalen Lösungen gegenüber positiver eingestellt oder favorisieren sogar eine Einheitskasse. Die intensiven Diskussionen im Zuge der beiden Volksinitiativen zu den Gesundheitskosten und die teilweise knappen Abstimmungsergebnisse unterstreichen die Dringlichkeit weiterer Reformen, wobei die Lösungsvorschläge nach wie vor stark divergieren. Die anhaltende Wechselbereitschaft setzt die Krankenversicherer zweifelsohne unter Zugzwang: Sie müssen noch innovativer und effizienter werden und regelrecht um ihre Kundschaft kämpfen.»

Digitale Angebote gewinnen an Bedeutung

 

Digitale Technologien haben das grosse Potenzial, das Schweizer Gesundheitswesen noch effizienter zu machen. Laut der Studie ist es für 43 Prozent der Befragten wichtig, dass ihre Krankenversicherung attraktive und zeitgemässe digitale Angebote bereitstellt. Drei Viertel der Menschen in der Schweiz (74%) können sich zudem aktuell vorstellen, digitale staatliche Lösungen wie das Elektronische Patientendossier (EPD) zu nutzen, um ihre Gesundheitsdaten digital zu speichern und bestimmen zu können, wer auf sie zugreifen darf. In einer repräsentativen Umfrage von Deloitte bei der Schweizer Bevölkerung im Jahr 2022 befürwortete erst ein gutes Drittel (35%) die digitale Erfassung und Weitergabe der eigenen persönlichen Gesundheitsdaten.

«Es ist zwar positiv zu werten, dass die Menschen in der Schweiz offener gegenüber der Digitalisierung des Gesundheitswesens werden. Staatliche Lösungen wie das Elektronische Patientendossier sind allerdings erst von geringem effektivem Nutzen; zudem sind die Krankenkassen nicht in das EPD eingebunden. Um die erheblichen Effizienzvorteile digitaler Technologien im Gesundheitswesen umzusetzen und deren praktischen Nutzen aufzuzeigen, braucht es zielgruppengerechte Informationen und noch mehr Überzeugungsarbeit seitens aller Player im Gesundheitswesen sowie die Schaffung klarer rechtlicher Grundlagen», ist Marcel Thom überzeugt.

Gesundheitsdaten müssen zwingend geschützt werden und sicher sein

 

Der Schutz und die Sicherheit der eigenen Gesundheitsdaten sind für 84 Prozent der Befragten von grosser oder sehr grosser Bedeutung. Die Krankenversicherer haben das zwar erkannt, doch die Umsetzung gestaltet sich – gemäss den Erfahrungen und Einschätzungen von Deloitte – anspruchsvoll. In den letzten Jahren gingen bei Cyberangriffen zum Teil auch Personendaten verloren und die meisten Krankenversicherer gehen von weiteren gravierenden Cyberattacken aus.

«Das Vertrauen in digitale Lösungen hängt massgeblich davon ab, wie gut persönliche Daten geschützt sind. Es ist unerlässlich, dass Krankenversicherer einerseits das neue Datenschutzgesetz konsequent umsetzen, andererseits die Risiken von Cyberangriffen ernst nehmen und robuste Abwehr- und Präventionsmassnahmen ergreifen. Erfolgreiche Cyberattacken könnten die Fortschritte bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens stark gefährden», warnt Marcel Thom.

Hoffnung auf tiefere Prämien macht Einheitskasse immer beliebter

 

Die Deloitte Studie zeigt weiter auf, dass rund zwei Drittel (65%) der Bevölkerung in der Schweiz die Abschaffung der heutigen Krankenkassen befürworten. Besonders hoch ist die Zustimmung für eine staatliche Einheitskasse in der Romandie und im Tessin sowie bei den 30- bis 44-Jährigen. 42 Prozent der Befürwortenden erhoffen sich von einer Einheitskasse die Vermeidung von Werbung, 28 Prozent weniger Aufwand und 22 Prozent gar eine bessere medizinische Versorgung. Das wichtigste Argument sind aber – mit 83 Prozent Zustimmung – günstigere Prämien.

Über ein Viertel (26%) aller Befragten geht sogar davon aus, dass die Grundversorgungsprämien dank einer Einheitskasse um 20 Prozent oder mehr sinken werden. Die Deloitte Studie warnt allerdings vor überzogenen Hoffnungen. «Die Verwaltungskosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung liegen derzeit bereits bei einem tiefen Anteil von rund fünf Prozent. Selbst wenn eine staatliche Einheitskasse sehr effizient arbeiten würde, liessen sich kaum signifikante Prämienreduktionen erzielen. Die Erwartungen an eine Einheitskasse sind stark überzogen», ist Marcel Thom überzeugt.

Pharmaindustrie als Hauptverantwortliche für steigende Gesundheitskosten

 

Trotz der Sympathien für eine Einheitskasse und der erhofften Einsparungen sieht nur eine Minderheit der Befragten (36%) die Krankenkassen in der Hauptverantwortung für die steigenden Gesundheitskosten. Als primär verantwortliche Kostentreiber sehen sie die Pharmaindustrie (63%) und sich selbst (59%). Dass die Menschen immer älter und die Behandlungen immer teurer werden, sind weitere mutmassliche Gründe für das Kostenwachstum im Gesundheitswesen. Staatliche Stellen sind dagegen nur für 22 Prozent der Befragten für steigende Gesundheitskosten verantwortlich (siehe Grafik 2).

Mehr Fokus auf Gesundheit der Versicherten

 

Lediglich 40 Prozent der Menschen in der Schweiz erachten ihre Krankenkasse als vertrauenswürdige und kompetente «Gesundheitspartnerin», obwohl sich die Kassen in den vergangenen Jahren insbesondere in diesem Bereich mit neuen Angeboten und Kommunikationskanälen aufwändig positioniert haben. Nur eine einzige Kasse erzielt in diesem Bereich über 50 Prozent Zustimmung. Die Studie identifiziert indes ein grosses Potenzial bei den Gesundheitsangeboten – allen voran für ältere Versicherte und für Familien: Die Krankenversicherer könnten sich durch massgeschneiderte Dienstleistungen und Programme differenzieren und dadurch mehr Vertrauen seitens der Versicherten generieren.

«Trotz erheblicher Investitionen und Bemühungen gelingt es den Krankenversicherern noch nicht vollumfänglich, ihren Mehrwert für die Kundschaft und das Gesundheitssystem überzeugend darzustellen. Zudem sind auch die wirtschaftlichen Herausforderungen durch die Kostensteigerungen nicht zu unterschätzen. Krankenversicherer müssen daher in Zukunft ihren konkreten Beitrag für ein gesünderes Leben der Versicherten klar aufzeigen und ihren konstruktiven Beitrag zur Unterstützung eines zukunftsfähigen Schweizer Gesundheitswesens darlegen», so Marcel Thom abschliessend.

Über die Studie

Die Deloitte Umfrage Krankenversicherung Schweiz 2024 basiert auf einer repräsentativen Online-Befragung von 1‘246 in der Schweiz lebenden erwachsenen Personen und wurde im März 2024 durchgeführt. Die Befragung deckt alle relevanten demografischen Gruppen ab, um ein umfassendes Bild der Meinungen und Präferenzen der Versicherten zu erhalten. Deloitte hat gleichzeitig aus verschiedenen öffentlich zugänglichen Daten ein Faktenpaket zum Schweizer Krankenversicherungsmarkt erstellt.

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