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Deloitte Affluent-Studie: Wohlhabende Kundschaft überschätzt eigenes Finanzwissen – Schweizer Banken könnten grosses Marktpotenzial nutzen

Zürich/Genf

Retail Banking für weniger Vermögende einerseits, Private Banking für Reiche andererseits – das grosse Feld dazwischen lassen Schweizer Banken allerdings weitgehend brach liegen. Das zeigt eine exklusive Befragung von Deloitte. Die Befragten geben zwar an, über ein solides Finanzwissen zu verfügen. Ihre Investitionsentscheide lassen jedoch daran zweifeln, denn sie lassen sich Steuerersparnisse und Renditen entgehen. Die wohlhabende Kundschaft wünscht sich tiefe Gebühren und eine Bank als lebenslangen Finanzcoach mit spezifischer Beraterfunktion, denn ihre brennenden Themen sind die Altersvorsorge und der Unterhalt der Familie. Schweizer Banken könnten mit individueller, digital unterstützter Beratung attraktive Wachstumschancen in diesem Marktsegment wahrnehmen. Sie müssten hierfür allerdings eine Strategie definieren, nachvollziehbare Preise anbieten und die Digitalisierung vorantreiben.

Rund ein Viertel der Erwachsenen in der Schweiz verfügt gemäss Bund über ein Anlagevermögen von CHF 200’000 bis CHF 2 Millionen. Damit gelten sie bei den Banken als wohlhabend («affluent»), qualifizieren sich aber meist noch nicht für das klassische Private Banking. Obschon dieses mittlere Segment rund 40 Prozent der hiesigen Vermögenswerte vereinigt und das entsprechende Anlagevolumen bis 2025 auf rund CHF 750 Milliarden anwachsen wird, fehlte es bisher an aussagekräftigen Marktdaten zu diesem Segment. Mit der Studie «Swiss Affluent Clients» hat das Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte diese Lücke gefüllt.

«Unsere Studie legt nahe, dass die meisten Schweizer Banken keine Strategie haben, um die spezifischen Bedürfnisse und Anliegen von Menschen mit einem mittleren Vermögen zu befriedigen. Dabei sind die Bedürfnisse dieses Kundensegments stabil. Der Markt bietet ein grosses ungenutztes Potenzial, das monetarisiert werden könnte», fasst Jean-François Lagassé, Leiter Finanzdienstleistungen bei Deloitte Schweiz und Leiter Vermögensverwaltung bei Deloitte weltweit, die Erkenntnisse der Studie für die Schweizer Banken zusammen.

Gebühren sind wichtig

 

Für fast drei Viertel (74%) der Befragten sind niedrige Gebühren der entscheidende Punkt bei der Wahl einer Bank. Nahtlose und hochmoderne Bankdienstleistungen über alle Kanäle – wie Online-Banking, eine mobile Banking-App sowie persönliche Beratung – sind ein weiterer wichtiger Entscheidungsfaktor bei dieser Wahl (siehe Grafik 1).

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Download de Studie (auf Englisch)

Heute greift lediglich ein Viertel (25%) dieser wohlhabenden Kundinnen und Kunden auf das Beratungsangebot der Banken zurück und nur ein Fünftel (21%) von ihnen mandatiert die eigene Bank mit dem Management ihrer Ersparnisse. Ein gutes Drittel wickelt (35%) Aufträge wie den Kauf und Verkauf von Aktien ohne Beratung ab. Dies liegt nicht etwa an mangelndem Vertrauen in die eigene Bank, im Gegenteil: Die klassische Hausbank geniesst bei der vermögenden Kundschaft nach wie vor grosses Vertrauen (76%), während nur gerade acht Prozent der Befragten ihr Geld einem Technologieunternehmen anvertrauen würden. «Der Mangel an massgeschneiderten und relevanten Anlagevorschlägen sowie die verbesserungsfähige Integration der verschiedenen Kundenkanäle sind die auffälligsten Defizite der Schweizer Banken bei der Betreuung dieser speziellen vermögenden Zielgruppe», erklärt Patrik Spiller, Head of Swiss Wealth Management bei Deloitte.

Grosse Widersprüche beim Finanzwissen

 

Der Grund für das Desinteresse an aktiver Beratung dürfte also nicht am fehlenden Vertrauen gegenüber den Banken liegen. Es liegt der Schluss nahe, dass dieses Kundensegment sich zum einen von den Banken nicht abgeholt fühlt und zum anderen als ausreichend versiert in Bezug auf die eigene Anlagekompetenz einstuft. 71 Prozent dieser Kundinnen und Kunden sind überzeugt, dass sie einschätzen können, welchen Risikograd sie eingehen sollten. Fast zwei Drittel (63%) können nach eigener Einschätzung bei Finanzthemen kompetent mitreden. Mehr als die Hälfte (55%) vertraut den eigenen Fähigkeiten, wenn es um die Anlage der eigenen Ersparnisse geht, und glaubt abschätzen zu können, wie viel Geld nach der Pensionierung zur Verfügung stehen wird.

Diese Selbsteinschätzung in Bezug auf das eigene Finanzwissen passt jedoch nicht zu den Investitionsentscheiden dieser vermögenden Kundschaft. Nur 28 Prozent der Befragten haben sich beim Investieren klare Renditeziele gesetzt und nur 16 Prozent verstehen komplexere Finanzinstrumente wie Derivate (siehe Grafik 2). Auch legen drei Viertel (75%) ihr Geld in Aktien an, aber nur knapp die Hälfte (48%) investiert in Fonds oder ETFs (Exchange Traded Funds), die sich besonders gut für das untersuchte Segment eignen würden. Ferner verfügen 31 Prozent nicht über ein Konto der Säule 3a – dabei hilft so ein Konto massgebend beim Aufbau eines Altersvermögens und bietet erhebliche Steuervorteile.

Potenzial bei dritter Säule und nachhaltigem Anlegen

 

Diese Widersprüche zeigen auf, wo bei den Banken noch ungenutztes Potenzial brach liegt: Beim steuerlich begünstigten Sparen und beim nachhaltigen Investieren. Allein bei der dritten Säule sind es rund eine halbe Million Kundinnen und Kunden, die gewonnen werden könnten. Ähnliches gilt bei der Nachhaltigkeit: So sagen knapp drei Viertel (72%) der Befragten, dass Nachhaltigkeit (ESG) ihnen wichtig oder sehr wichtig sei. Allerdings haben nur zwölf Prozent mehr als die Hälfte ihres Geldes in Assets angelegt, die als nachhaltig gekennzeichnet sind.

Befragt nach den Finanzthemen, welche die vermögenden Kundinnen und Kunden am meisten beschäftigen, schwingt die Planung der Altersvorsorge (59%) oben aus. Ebenfalls oft genannt wird der Unterhalt der Familie mit 45 Prozent. Wie die Ergebnisse der in zwei Etappen erfolgten Befragung weiter zeigen, stehen diese Themen trotz des Ukrainekrieges und der steigenden Inflation weiterhin unverändert an der Spitze. «Die Altersvorsorge und die finanzielle Absicherung der Familie sind klassische Themen, mit denen sich Banken auskennen. Das ist eine grosse Chance. Als Partnerinnen bei der Vermögensplanung entlang dieser wichtigen Lebensabschnitte können sie Menschen mit einem mittleren Vermögen einen klaren Mehrwert bieten», führt Patrik Spiller aus.

Individueller dank Daten und Analytik

 

Die wohlhabende Kundschaft vermisst gemäss der Studie auch auf sie persönlich zugeschnittene Anlageideen. Um auch diesen Kundinnen und Kunden personalisierte Produkte anbieten zu können, sollten hiesige Banken ihre Kundendaten noch besser nutzen und zu deren Analyse auch künstliche Intelligenz einsetzen. Das führt zu einer höheren Kundenzufriedenheit und ist kosteneffizient. Einfach strukturierte und verständliche Gebühren schaffen Transparenz und sind einfach zu kommunizieren.

«Zwar legt die Kundschaft Wert auf die Meinung ihres Beraters oder ihrer Beraterin, sie will aber auch eigenständig passende Anlagelösungen finden – und das am liebsten via Online-Banking oder Smartphone-App. Um im Segment der mittleren Vermögen erfolgreich zu sein, müssen die Schweizer Banken zum einen eine klare Strategie mit attraktiven Gebühren erarbeiten und zum anderen ihre mobilen und digitalen Kanäle auf die nächste Stufe bringen und so die Kundinnen und Kunden effizient und individuell abholen», betont Patrik Spiller.

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