Der Industriesektor in Europa droht im globalen Vergleich ins Hintertreffen zu geraten. Das neue Whitepaper von Deloitte bietet sieben mögliche Wege zum Erfolg der europäischen Industrie, die auch für in der Schweiz ansässige und global aufgestellte Hersteller wichtig sind. Sie reichen von der Einführung eines agilen Footprints über stärker kundenorientierte Ansätze bis hin zur gemeinsamen Innovation mit Ökosystempartnern. Die Förderung von mehr Resilienz und Nachhaltigkeit ist für die Zukunft von entscheidender Bedeutung, während Künstliche Intelligenz und globale Remote-Arbeitsstrategien angesichts des zunehmenden globalen Wettbewerbs und des Talentmangels Erfolgsfaktoren sein könnten.
Laut den aktuellen Schlagzeilen ist Europa zu einem schwierigen Ort für die industrielle Produktion geworden: Übermässige Bürokratie, steigende Energiepreise und chronischer Arbeitskräftemangel machen es vielen Herstellern schwer, auf dem Wachstumspfad zu bleiben. In der Schweiz hat sich in den letzten Jahren der starke Schweizer Franken als zusätzliche Herausforderung für exportorientierte Industrieunternehmen erwiesen. Er erschwerte die Produktion an einem Hochkostenstandort und erforderte mehr Effizienz und Innovation, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Zudem hat die Beseitigung allfälliger Unsicherheiten rund um die Weiterführung der bilateralen Verträge mit der EU, dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz, weiterhin oberste Priorität für die Zukunft der Schweizer Industrie.
Die grossen Industrieunternehmen Europas und der Schweiz sind dennoch führend was die Technologie und Qualität in vielen Segmenten betrifft und sie können weltweit mit Wettbewerbern aus Asien und Nordamerika konkurrieren. Das Risiko steigt aber, dass sie ihre führende Position verlieren. Was braucht es, um die europäische und schweizerische Industrie auf Wachstumskurs zu bringen? Basierend auf verschiedenen Analysen und Erkenntnissen aus unseren jüngsten Beratungsprojekten zeigt das neue Whitepaper einen umfassenden Überblick über die aktuelle Situation und bietet Herstellern Lösungsansätze im aktuellen wirtschaftlichen und politischen Umfeld.
Europäische Industrieunternehmen stehen bis 2030 vor erheblichen geopolitischen Herausforderungen, vor allem weil die Spannungen zwischen China und den USA die globale Wirtschaftsdynamik prägen. Viele europäische Hersteller berücksichtigen diese Trends bereits in ihren Investitionsentscheidungen. Angesichts der neuen geopolitischen Dynamik werden auch für Schweizer Industrieunternehmen ein agilerer Ansatz und die Priorisierung sowohl einer globalen Reichweite als auch einer starken lokalen Präsenz von entscheidender Bedeutung sein.
Die globale Qualitätslücke schliesst sich zunehmend bei den Industriegütern und viele Hersteller sehen in digitalen Lösungen eine grosse Chance, sich von der globalen Konkurrenz abzuheben. Gemäss der aktuellen Deloitte Perspektive zum B2B-Handel greifen Schweizer Hersteller den E-Commerce-Trend aber nur langsam auf. Mit ihrer langen Tradition von «Made in Switzerland» sollten sie erwägen, ihre hochwertigen Produkte um digitale Lösungen mit umfassenden Servicepaketen zu ergänzen und langfristige Partnerschaften mit ihren Kunden aufzubauen («Lock-in-Effekt»).
Bis 2030 müssen die Industrieunternehmen in Europa auch ihre Innovationskraft verstärken. Ökosysteme und Partnerschaften – auch unter Wettbewerbern – könnten hier richtungsweisend sein. Wenn diese Beziehungen weniger transaktional und mehr strategisch gestaltet werden, besteht ein enormes Potenzial für die Entwicklung neuer und verbesserter Geschäftsmodelle. Dies ist auch für die hochinnovative Schweizer Industrie von zentraler Bedeutung, wie die Deloitte Studie Innovation als Wachstumstreiber hervorhebt.
Nachhaltigkeit wird bis 2030 ein Top-Thema für europäische Industrieunternehmen bleiben. Auch wenn Europa als grüner Vorreiter anerkannt ist, stehen das verarbeitende Gewerbe und andere emissionsintensive Industrien unter Druck, ihre Praktiken zu ändern. Auch Schweizer Industrieunternehmen müssen sich frühzeitig entscheiden, welche Rolle sie bei der Energiewende spielen wollen: Indem sie beispielsweise zu Pionieren werden, um Energieunabhängigkeit zu erreichen, oder indem sie nachhaltigere Produktlinien und Dienstleistungen hinzufügen.
In Zukunft ist mit mehr politischen Spannungen, regulatorischen Zwängen und Cyberkriminalität zu rechnen. Hersteller, die sich ausschliesslich auf Effizienz- und Kostenoptimierung konzentrieren, sollten darauf achten, Themen wie die Sicherheit der Lieferkette, Verbesserung intelligenter Abläufe (einschliesslich Cybersicherheit) oder Agilität in Produktionsprozessen nicht zu vernachlässigen. Die Deloitte Studie Resilienz von kritischen Ressourcen zeigt, wie Schweizer Industrieunternehmen ihre Abläufe mit umfassenden Resilienzmassnahmen krisensicher machen können, um den Zugang zu kritischen Komponenten wie Halbleitern und Mikrochips zu erhalten.
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und Data Analytics in Software und Chatbots hat ein enormes Potenzial, den Industriesektor bis 2030 wettbewerbsfähiger zu machen. KI verbessert bereits Produktionsprozesse, Qualitätskontrolle und vorbeugende Wartung, unterstützt Kundeninteraktionen und ermöglicht automatisierte Softwarecodierung. Wie ihre europäischen Mitstreiter haben auch Schweizer Hersteller nur eine begrenzte Zeit, um in KI-Lösungen zu investieren und die Weichen für ihre digitale Zukunft zu stellen – sonst laufen sie Gefahr, den Anschluss komplett zu verpassen.
Der bestehende Fachkräftemangel in der Industrie in Europa wird bis weit in das Jahr 2030 hinein anhalten, auch wenn von Bewerbern erwartet wird, dass sie mehr Fähigkeiten mitbringen. Die Rekrutierung und Bindung von Talenten bleibt die grösste Herausforderung. Gleichzeitig verfügen viele Hersteller nicht über die Kompetenzen, die sie für Industrie 4.0 benötigen. In der Schweiz bleibt der Fachkräftemangel ein Problem, trotz dualer Berufsausbildung und erstklassiger Hochschulen. Darüber hinaus sind der Bedarf an kontinuierlicher Schulung, Weiterbildung und Remote-Arbeitsstrategien wesentliche Elemente bei der Anpassung an die sich ständig ändernde Technologielandschaft.
Es gibt viele Herausforderungen für Schweizer Industrieunternehmen, die Aussichten auf mittel- und langfristiges Wachstum sind aber gegeben. Auf ihrem Weg zum Erfolg müssen Schweizer Hersteller weiterhin auf End-to-End-Lösungen fokussieren, innerhalb der Ökosysteme besser zusammenarbeiten, eine aktive Rolle bei der Nachhaltigkeitswende spielen, die Widerstandsfähigkeit ihrer Organisationen erhöhen und insgesamt viel agiler werden.
Peter Vickers, Industrial Products & Construction Leader