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Verwaltungsräte beurteilen eigene Geschäftsaussichten optimistischer als die Konjunktur – wird Digitalisierungsschub nun genutzt?

Zürich/Genf/Luzern 23. August 2020

Wegen der Corona-Krise sind die Schweizer Verwaltungsratsmitglieder für die Konjunkturaussichten für die nächsten zwölf Monaten sehr negativ gestimmt und erwarten einschneidende wirtschaftlichen Folgen für viele Branchen, vor allem den Tourismus und das Gastgewerbe. Andere Branchen wie die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) sowie die Pharma und Gesundheit sind jedoch zuversichtlicher. Allgemein schätzen die 457 im Juli 2020 befragten Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräten die Geschäftsaussichten ihrer eigenen Unternehmen besser als die Konjunkturaussichten ein – was Mut macht. Der aktuelle swissVR Monitor zeigt, dass es auch beim Krisenmanagement und den Bewältigungsmassnahmen grosse Unterschiede je nach Branche und Unternehmensgrösse gibt. Die Lehren aus der Krise reichen von mehr Digitalisierung, Stärkung der Resilienz und Förderung neuer Arbeitsmodelle bis hin zum vermehrten Denken in Szenarien und zu einer besseren Liquiditätsplanung.

Gemäss dem von der Vereinigung swissVR zusammen mit dem Beratungsunternehmen Deloitte und der Hochschule Luzern erstellten aktuellen swissVR Monitor werden die Wirtschaftsaussichten für die Schweiz sehr pessimistisch eingeschätzt: 55% der befragten Verwaltungsratsmitglieder erwarten in den nächsten zwölf Monaten eine Verschlechterung der Konjunktur und nur gerade 8% eine Verbesserung; 37% beurteilen die Aussichten als neutral. Die Branchenaussichten werden von 33% negativ und nur von 17% positiv eingeschätzt (50% neutral).

Weniger pessimistisch hingegen fällt das Urteil bei den Geschäftsaussichten des eigenen Unternehmens aus: 23% der Befragten erwarten eine negative Entwicklung, 47% beurteilen die Aussichten als neutral und fast ein Drittel (30%) gar als positiv. Der Anteil mit positiven Einschätzungen liegt mit 30% zwar um 25 Prozentpunkte tiefer als vor einem halben Jahr, ist aber immer noch fast doppelt so hoch wie bei den Branchenaussichten und vier Mal so hoch wie bei den Konjunkturaussichten.

«Die Schweizer Verwaltungsratsmitglieder beurteilen die eigenen Geschäftsaussichten deutlich positiver als die Branchenaussichten und die für die Gesamtwirtschaft. Ihre Einschätzung der Konjunktur stützt sich wohl sehr auf das in den Medien und durch Ökonomen verbreitete Meinungsbild. Wir interpretieren dies als grundsätzlich positives Signal, sind doch die eigenen Geschäftsaussichten für Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte besser einschätzbar – und bilden in der Regel exakter die Wirklichkeit ab,» sagt Cornelia Ritz Bossicard, Präsidentin von swissVR.

Geschäftsaussichten: Grosse Unterschiede je nach Branche und Unternehmensgrösse

Stark negative wirtschaftliche Folgen der Corona-Krise spüren vor allem die Tourismus- und Gastgewerbe-branche: In diesen Branchen werden die Geschäftsaussichten am pessimistischsten bewertet, mit einem überdurchschnittlichen Anteil der negativen Einschätzungen von 55%. Einzig die IKT-Branche schätzt die Geschäftsaussichten weiterhin mehrheitlich als positiv ein (Anteil der positiven Bewertungen von 53%). Auch in der Branche Pharma, Life Sciences, Medtech und Gesundheit fallen mit 38% die positiven Einschätzungen überdurchschnittlich aus; diese liegen aber deutlich unter den Werten von Anfang 2020.

Entsprechend haben diese zwei Branchen einen optimistischeren Ausblick für die nächsten Monate. Die Zuversicht der IKT-Branche beruht stark auf dem Digitalisierungsschub, den Unternehmen im Zuge der Krise angestossen haben. Die Gesundheitsbranche verspricht sich wohl positive Impulse von der gestiegenen Nachfrage nach und den höheren staatlichen Investitionen in Medizinprodukte und Gesundheitsdienstleistungen.

Grosse Unterschiede in der Einschätzung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise gibt es auch je nach Unternehmensgrösse: Grossunternehmen sind weniger pessimistisch als KMUs. Grössere Unternehmen verfügen über ein besseres Krisenmanagement und wohl auch grössere finanzielle und personelle Ressourcen um die Anfänge der Corona-Krise und die Zeit danach zu managen.

Krisenmanagement: Auf dem Papier, aber nicht ganz in der Praxis vorbereitet

Bei der Mehrheit der Befragten hatte das Unternehmen vor der Corona-Krise eine Krisenorganisation festgelegt (75%) und eine Business-Continuity-Management-Strategie definiert (61%). Hier sieht man aber deutliche Diskrepanzen je nach Grösse: 90% der Grossunternehmen hatten eine Krisenorganisation festgelegt, bei den mittelgrossen (76%) und Kleinunternehmen (59%) waren es viel weniger. Die grössere Verfügbarkeit von finanziellen Mitteln und Ressourcen spielt hier sicher eine Rolle.

Bei den konkreten Krisenvorbereitungsmassnahmen sieht das Bild jedoch anders aus: Bei nur je einem Drittel der Unternehmen wurden vor Ausbruch der Corona-Krise Übungen mit dem Krisenstab (32%) durchgeführt oder eine Pandemieplanung (32%) gemacht.

Auch unter den Branchen gab es Unterschiede in der Krisenbereitschaft: In der Finanzdienstleistungsindustrie und in der Branche Pharma, Life Sciences, Medtech und Gesundheit wurden überdurchschnittlich Krisenorganisationen vorgesehen und Übungen durchgeführt. Unterdurchschnittlich vertreten waren die Krisenvorbereitungsmassnahmen im Tourismus und Gastgewerbe – zwei Branchen, die kurz- und mittelfristig am stärksten von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise betroffen sind.

Gesundheit der Mitarbeitenden und der Firma oberste Priorität

Die Gesundheit und der Schutz von Mitarbeitenden, Geschäftspartnern, Lieferanten und Kunden hatten im Krisenmanagement für die grosse Mehrheit der befragten Verwaltungsratsmitglieder (88%) in den letzten Monaten oberste Priorität. Auch die Überwachung der Finanzlage und Liquiditätssicherung (87%) sowie die Risikobeurteilung und Anpassung der Geschäftsplanung (87%) waren sehr wichtige Aspekte des Krisenmanagements in der VR-Tätigkeit.

«Dieser starke Fokus auf Controlling und Risikomanagement zeigt, dass die grundsätzlichen Mechanismen des Krisenmanagements in den Verwaltungsräten gut funktionieren,» erläutert Reto Savoia, CEO von Deloitte Schweiz. «Und dass 81% der befragten Verwaltungsratsmitgliedern zudem Chancen, die sich aus der aktuellen Krise ergeben, als wichtigen Krisenmanagementaspekt ansehen, stimmt zuversichtlich.»

Geschäftsmodelle kurz- und mittelfristig anpassen

Mehr als die Hälfte der befragten Verwaltungsratsmitglieder (59%) gaben an, dass die Corona-Krise erlaubte, strategische Initiativen wie beispielsweise die Digitalisierung oder Automatisierung mit Hochdruck voranzutreiben. In der Finanzdienstleistungsbranche (75%) und bei Grossunternehmen (65%) ist das Momentum am höchsten; klar unterdurchschnittlich ist es hingegen in der IKT-Branche (48%) sowie im Detailhandel und in der Konsumgüterindustrie (49%).

Bei 43% der befragten Unternehmen wurden zudem kurz-, mittel- und langfristig die strategischen Ziele wegen der Krise angepasst. Im Tourismus und Gastgewerbe liegt die Zustimmung bei 77% stark über dem Durchschnitt. Rund ein Viertel (26%) der Unternehmen hat die Strategie kurzfristig an die Krise angepasst und neue Geschäftsfelder oder -modelle entwickelt. Hierzu zählen beispielsweise die Umrüstung medizinischer Produkte, der Offerierung von Transportkapazitäten oder die Umstellung auf Heimlieferungen.

Savoia sieht hier unternehmerische Chancen: «In den vergangenen Monaten hat sich der Innovationsgeist der Schweizer Unternehmen eindrücklich gezeigt. Neue Geschäftsfelder erforschen und Innovationen vorantreiben: Genau darin sollte der mittelfristige Fokus der Wirtschaftschefs liegen. Sie sollten den Schub Richtung Digitalisierung und Flexibilität von Arbeitsmodellen nutzen und tatkräftige Lehren aus der Krise ziehen.»

Digitalisierung und Home Office: Werden die Lehren aus der Krise genutzt?

Prof. Dr. Christoph Lengwiler, Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern und Vizepräsident von swissVR stimmt dem zu: «Wir haben gesehen, was in ausserordentlichen Zeiten möglich ist. Sowohl in der Politik (z.B. COVID19-Kredite, Kurzarbeit) als auch in den Unternehmen wurden quasi über Nacht Lösungen realisiert, die in normalen Zeiten wohl Monate oder gar Jahre lang diskutiert worden wären. Grosse Veränderungen brauchen manchmal Sichtbarkeit und Druck, wie wir sie nun erleben. Wir müssen aus der Krise lernen und Opportunitäten konstruktiv nutzen. Hier sehe ich sowohl für die Wirtschaft als auch für die Politik Chancen, um nachhaltige Akzente zu setzen.»

Als wichtigste Lehre will eine deutliche Mehrheit der befragten Verwaltungsratsmitglieder (88%) die Digitalisierung weitertreiben, wobei dies bei Grossunternehmen stärker der Fall ist als bei Kleinunternehmen. 72% der Befragten – unabhängig der Unternehmensgrösse – wollen künftig die betriebliche und finanzielle Resilienz stärken. Mit 71% ist die dritt meistgenannte Lehre aus der Krise das vieldiskutierte Thema ‘neue Arbeitsmodelle’. Die Diskussionen über Home Office, dezentrale Co-Working-Spaces und andere Arbeitsplatz- und Arbeitsweisenmodelle stehen vor allem bei Grossunternehmen (76%) und in der Finanzdienstleistungsindustrie (93%) hoch auf der Agenda.

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