In einer Zeit, in der die Energieversorgung der Schweiz vor großen Herausforderungen steht, zeigt unsere Bevölkerungsumfrage die Unsicherheit in der öffentlichen Meinung.
Während die Sicherheit der Energieversorgung und die Abhängigkeit von Energieimporten zu einer wachsenden Sorge werden, werden auch Wissenslücken und Skepsis gegenüber bestimmten Energiequellen deutlich. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung mit den komplexen Fragen der Energiewende zu kämpfen hat, und unterstreichen die Notwendigkeit, dass Politik und Gesellschaft auf eine nachhaltige Energiepolitik hinarbeiten.
Die Energieversorgung der Schweiz, einst ein Inbegriff von Stabilität und Effizienz, sieht sich heute einer wachsenden Welle von Sorgen und Unsicherheiten gegenüber. Laut dem neuesten Credit Suisse Sorgenbarometer 2023 äussern 26% der Befragten Bedenken über Energiefragen, was diese zur fünftgrössten Sorge der Schweizer Bevölkerung macht.1 Die Energiepreiskrise, eingeleitet durch eine wenig durchdachte Energiewendepolitik und verstärkt durch den Ukrainekrieg, hat das Thema Energie zudem verstärkt ins Rampenlicht gerückt, sowohl in den Köpfen der Menschen als auch in den Strategieplänen der Unternehmen. Obwohl die unmittelbare Krise möglicherweise überwunden scheint, bleiben langfristige Herausforderungen monumentaler Natur.
Neben der grundlegenden Sicherung der Energieversorgung steht die Schweiz vor der gewaltigen Aufgabe der Dekarbonisierung.Trotz einer beeindruckenden CO2-Bilanz, die von einem hohen Anteil an Wasserkraft und Kernenergie getragen wird, sind die Herausforderungen enorm. Die Energiestrategie 2050 des Bundes strebt einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie und einen Umbau des Energiesystems bis 2050 an, mit dem Ziel, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und den Anteil erneuerbarer Energien massiv zu steigern.2 Hierbei muss erwähnt werden, dass der Ausstieg aus der Kernenergie das Ziel der Versorgungssicherheit unterminiert und somit ein inhärenter Widerspruch in der Energiestrategie besteht.
Die Realität ist daher komplex und herausfordernd: Abhängig vom Szenario soll bis 2050 knapp die Hälfte des Schweizer Strombedarfs durch neue erneuerbare Energien gedeckt werden3 – ein ambitioniertes Ziel, das aktuell in weiter Ferne liegt. Besonders im Winter, wenn die Nachfrage nach Energie ansteigt und gleichzeitig die Energieproduktion abnimmt, wird das Stromdefizit der Schweiz offensichtlich. Dieses Problem verschärft sich durch die bereits erfolgte und die geplante Abschaltung von Kernkraftwerken. Hinzu kommt, dass der Ausbau erneuerbarer Energien langsamer voranschreitet als erwünscht und die Wasserkraft in Bezug auf Ausbaumöglichkeiten an ihre Grenzen stösst. Zusätzlich verschärft das erwartete grosse Bevölkerungswachstum in den kommenden Jahren die Situation, indem es die Stromnachfrage weiter erhöht.
Ein weiteres Streitthema ist die zunehmende Abhängigkeit von Stromimporten, besonders während der Wintermonate. Dies wird durch den Rückzug vereinzelter europäischer Staaten, einschliesslich Deutschland, aus der Kernenergienutzung und dem Erreichen der Betriebsgrenzen existierender Grosskraftwerke verstärkt. Dadurch steht die Schweizer Strategie bezüglich Stromimporte zunehmend auf unsicheren Füssen.
Um ein breites Verständnis für diese komplexen Themen zu gewinnen und die Meinung der Bevölkerung zu diesen Fragen zu erfassen, führte Deloitte eine Befragung von 1’900 Menschen in der Schweiz durch. Die Ergebnisse dieser repräsentativen Umfrage, die sowohl die aktuellen Herausforderungen als auch die bevorstehenden politischen Entscheidungen in der Energiepolitik der Schweiz beleuchten, bilden einen wichtigen Teil unserer Analyse und Diskussion im weiteren Verlauf dieses Artikels.
Bei der Frage, "wie" die Stromversorgung der Schweiz für die nächsten Jahrzehnte gesichert werden soll, zeigt sich ein breites Spektrum an Einstellungen in der Bevölkerung. Grossflächige Solaranlagen auf Dächern oder ähnlichen Flächen werden mit einer Zustimmungsrate von 63 Prozent als wichtigste Option angesehen, dicht gefolgt vom Ausbau bestehender Stauseen und Wasserkraftwerke, der von 53 Prozent der Befragten unterstützt wird. Im Gegensatz dazu befürworten nur etwa 30 Prozent den Bau neuer und die Instandhaltung bestehender Kernkraftwerke, während die Windenergie ähnlich zurückhaltend beurteilt wird.
Die bevorzugten Energiequellen - Sonnenkollektoren und Wasserkraft - deuten auf ein starkes Umweltbewusstsein hin. Die Grenzen dieser Optionen sind jedoch nicht zu übersehen. Sonnenkollektoren sind von der Jahreszeit, dem Wetter und der Tageszeit abhängig; im Sommer, wenn die Nachfrage geringer ist, erzeugen sie einen Stromüberschuss und führen zu hohen Systemkosten. Das Ausbaupotenzial der Wasserkraft ist in der Schweiz wiederum sehr begrenzt.5
Die mässige Unterstützung für Windenergie und Kernkraft deutet darauf hin, dass diese Energiequellen zwar Gegenstand der Diskussion sind, aber von der Mehrheit der Bevölkerung nicht vollständig akzeptiert werden. In Bezug auf die Kernenergie fällt auf, dass Frauen viel skeptischer sind als Männer. Die Akzeptanz nimmt auch mit dem Alter zu. Interessanterweise gilt das Gleiche aber auch für Sonnenkollektoren. Die Zustimmung zu dieser Option nimmt mit dem Alter zu. So befürworten nur 50 Prozent der 18- bis 34-Jährigen die Installation von Sonnenkollektoren auf Dächern oder anderen Anlagen, während es bei den über 50-Jährigen 69 Prozent sind.
Im Gegensatz dazu zeigt die geringe Zustimmung zu Gas- und Ölkraftwerken eine klare Ablehnung fossiler Brennstoffe. Sie würden auch die Abhängigkeit von importierten Rohstoffen erhöhen.
Stromimporte, ein wesentlicher Bestandteil der Energiestrategie, finden in der Bevölkerung keine breite Unterstützung. Nur zehn Prozent sind für den Import von Strom. Dies unterstreicht den starken Wunsch nach einer Energiepolitik mit Unabhängigkeit und Selbstversorgung. Diese Haltung könnte auf langfristige Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit von Energieimporten zurückzuführen sein, insbesondere in einem geopolitisch instabilen Umfeld. Ausserdem stehen die Nachbarländer, aus denen die Schweiz Strom bezieht, vor ähnlichen Herausforderungen in Bezug auf die Energiesicherheit. Die Skepsis gegenüber der Zuverlässigkeit von Stromimporten in Zeiten hoher Nachfrage, insbesondere im Winter, ist daher verständlich. Eine zusätzliche Frage bestätigt dies. Nur 35 Prozent der Befragten glauben, dass die Nachbarländer der Schweiz im Falle einer europaweiten Stromknappheit weiterhin die vertraglich vereinbarten Stromimporte liefern würden. Die vergangenen globalen Krisen, wie die Covid-Pandemie, haben die Grenzen der internationalen Solidarität aufgezeigt. In Zeiten tiefgreifender Krisen geben viele Länder ihrer eigenen Sicherheit Vorrang vor der ihrer Nachbarn.
In der Schweiz ist der Ausbau der Stromerzeugung durch Grossprojekte der Schlüssel zur Versorgungssicherheit. Dieser Ausbau stösst jedoch häufig auf heftigen Widerstand, oft von "Bananen"-Gruppen, die mit langwierigen Gesetzgebungsverfahren und Blockaden Projekte verzögern, entgleisen lassen und Investoren abschrecken.6
Einwände und Proteste von Interessengruppen, insbesondere von den sogenannten "Nimbys" ("not in my backyard"), stellen eine weitere Herausforderung dar. Sie vertreten die Haltung, dass sie zwar nicht grundsätzlich gegen den Ausbau der Infrastruktur sind, ihn aber entschieden ablehnen, wenn er sie direkt betrifft und wenn die Projekte in ihrem eigenen "Hinterhof" liegen. Die Installation von Windkraftanlagen ist ein Paradebeispiel dafür.
Die Umfrageergebnisse zur Akzeptanz von Windkraftanlagen in der Nähe von Wohnhäusern veranschaulichen diese verbreitete "Nimby"-Haltung. Nur fünf Prozent befürworten einen Abstand von weniger als 500 Metern zu Wohnhäusern, während 58 Prozent einen Abstand von 1.000 Metern oder mehr wünschen. Je näher die Windturbinen an den Häusern stehen, desto weniger werden sie akzeptiert. Während dies in Ländern mit viel Platz und geringer Bevölkerungsdichte vielleicht kein grosses Hindernis darstellt, ist es in der dicht besiedelten Schweiz ein ernstes Problem. Wenn die Mehrheit einen Abstand von mindestens 1.000 Metern wünscht und politisch aktiv ist, werden Standorte in dicht besiedelten Kantonen wie Zürich kaum realisierbar sein. Darüber hinaus könnten viele potenzielle Standorte für Windparks in touristischen Gebieten liegen, was ein weiteres Hindernis für die Umsetzung solcher Projekte darstellt und auf erheblichen Widerstand stossen würde.
Gesetzgeberische Massnahmen sind eine Möglichkeit, dem Widerstand gegen Grossprojekte in der Energiewirtschaft zu begegnen. Dies könnte bedeuten, dass die Möglichkeiten für Einsprüche eingeschränkt und die Verfahren beschleunigt werden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die meisten Menschen mit einem solchen Ansatz einverstanden sind. Auf die Frage nach der Möglichkeit von Einsprüchen, um Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien schneller umsetzen zu können, befürworten 50 Prozent diese Massnahme, 30 Prozent lehnen sie ab und 20 Prozent haben keine Meinung dazu. Interessanterweise befürworten 59 Prozent der Männer Einschränkungen, verglichen mit nur 42 Prozent der Frauen.
Daher dürfte die Situation für neue Turbinen schwierig bleiben. Die Einbindung der Bevölkerung, das Eingehen auf die Sorgen und Bedenken der Menschen und eine faktengestützte Debatte sind entscheidend für die bessere Durchführung von Energiesicherheitsprojekten. Diese muss sich auf solide wissenschaftliche und wirtschaftliche Analysen stützen und nicht auf Populismus oder Ideologie.
Parallel dazu ist es auch wichtig, die Bevölkerung über diese oft technisch komplexen Themen aufzuklären. Es besteht ein deutliches Informations- und Wissensdefizit, wie die Wissensfragen in unserer Umfrage zeigen.
Den Befragten wurden einzelne Wissensfragen zu Energiethemen gestellt, die sie mit "richtig" oder "falsch" beantworten sollten. Diese Fragen betrafen Themen wie Solar- und Windenergie, Endlager für Atommüll und den CO2-Fußabdruck der Schweizer Stromproduktion:
Die Umfrageergebnisse zeigen eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem Wissensstand der Öffentlichkeit und der tatsächlichen Situation und den Fakten in Bezug auf Energiefragen. Diese Diskrepanz, die durch die Komplexität des Themas, die oberflächliche Medienberichterstattung und den politischen Einfluss noch verstärkt wird, unterstreicht die Notwendigkeit einer verbesserten Sensibilisierung und Aufklärung.
Die ambivalente Haltung und das Fehlen eines eindeutigen Lösungswunsches in der Schweizer Bevölkerung reflektieren die seit Jahren bestehende Unsicherheit in der schweizerischen Strompolitik.
Verstärkung von Informations- und Bildungskampagnen: Wir empfehlen, dass Politik und Energieunternehmen in umfangreiche Informationskampagnen und Bildungsinitiativen investieren sollten. Ziel sollte es sein, ein fundiertes Verständnis für Energiefragen zu schaffen, basierend auf wissenschaftlichen und ökonomischen Analysen ohne Ideologien. Dies ist entscheidend, um eine technologieneutrale und erfolgreiche Energiewende in der Schweiz zu ermöglichen und die Bevölkerung in die Lage zu versetzen, sachkundige Entscheidungen zu treffen.
Verfolgen eines kombinierten Ansatzes für eine CO2-neutrale Energieversorgung: Die Förderung einer CO2-neutralen Energieerzeugung, die auch in potenziellen Engpässen während der Wintermonate leistungsfähig bleibt, ist entscheidend.
Obgleich die Ausbaumöglichkeiten der Wasserkraft begrenzt sind, sollte sie zumindest kurzfristig eine Priorität in der Energiestrategie darstellen. Als ein zentraler Bestandteil der Energieversorgung bietet die Wasserkraft planbare Energie und wird von einem Grossteil der Bevölkerung positiv bewertet. Zudem ist ihr Ausbau ein wichtiges Ziel des Energie-Mantelerlasses11, welcher auch im Rahmen des Beschleunigungserlasses in der Wintersession 2023 zur Diskussion steht.12
Gleichzeitig gilt es, die Potenziale der neuen erneuerbaren Energien zu berücksichtigen, ohne die Herausforderungen auszublenden, insbesondere bei Grossprojekten. Der Schutz unberührter Landschaften und die Biodiversität sind häufige Argumente gegen solche Projekte, insbesondere bei grossflächigen Vorhaben wie Grosssolaranlagen oder optisch markanten Anlagen wie Windräder. Während Solarstrom die Winterstromlücke nicht schliessen kann, sollten Solaranlagen auf Dächern und Fassaden als ein Teil der Gesamtlösung betrachtet werden. Sie geniessen breite Zustimmung in der Bevölkerung und finden ebenso Berücksichtigung im Mantelerlass.
Für die Bereitstellung signifikanter Bandenergie sollte die Kernenergie unterstützt werden, da sie eine Energiequelle mit angemessener Akzeptanz in der Bevölkerung, niedrigen CO2-Emissionen und bedeutendem Ausbaupotenzial darstellt. Obwohl dies derzeit nicht Teil des Mantelerlasses ist, sollte es in mittelfristiger Perspektive ein wesentlicher Bestandteil einer lösungsorientierten Debatte werden.
Berücksichtigung von Kosten, Risiken und Technologievielfalt in der Energiepolitik: Bei der Planung der Energiezukunft der Schweiz ist eine ausgewogene Berücksichtigung der Kosten, insbesondere bei der Nutzung von Solaranlagen13, von zentraler Bedeutung. Daher ist es wichtig, die Risiken unsicherer und schwankungsanfälliger Technologien zu beachten und eine technologieoffene Diskussion zu führen, um eine Destabilisierung der Energieversorgung zu vermeiden.
Energieversorgung auch durch Importstrom sicherstellen
Trotz des dezidierten politischen Wunsches, die Energieproduktion auszuweiten, lässt sich dies nicht über Nacht bewerkstelligen. Selbst wenn neue Energieanlagen geplant und gewilligt werden, werden das anhaltende Bevölkerungswachstum und die rapide zunehmende Elektrifizierung anderer Energieformen (z.B. zur Ausweitung der E-Mobilität) kurz- bis mittelfristig wahrscheinlich höhere Importe bedingen. Ein Stromabkommen mit der EU könnte dabei für mehr Rechts- und Versorgungssicherheit bei Stromlieferverträgen sorgen, insbesondere im Falle einer Energiemangellage.
1. https://www.gfsbern.ch/de/news/credit-suisse-sorgenbarometer-2023/
2. https://www2.deloitte.com/ch/de/pages/energy-and-resources/articles/bottlenecks-in-restructuring-swiss-energy-supply.html
3. https://www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/politik/energieperspektiven-2050-plus.html
4. https://www.axpo.com/ch/de/ueber-uns/medien-und-politik/powerswitcher.html
5. Für weitere Details bezüglich national bedeutender Wasserkraftwerksprojekte siehe https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2023/20230314144158356194158159038_bsd121.aspx
6. https://www.avenir-suisse.ch/von-bananas-und-nimbys/
7. https://www.swissgrid.ch/de/home/about-us/strategy/strategy.html
https://www.frankfurt-university.de/de/newsmodule/pressemitteilungen/stabile-stromnetze-trotz-erneuerbarer-energien/
8. https://nfp-energie.ch/en/projects/1003/
9. https://www.nzz.ch/schweiz/atomendlager-so-erlaeutert-die-nagra-ihren-entscheid-ld.1702275
10. https://www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/versorgung/statistik-und-geodaten/energiestatistiken/elektrizitaetsstatistik.html
11. https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2023/20230926104211456194158159038_bsd057.aspx
12. https://www.are.admin.ch/are/de/home/raumentwicklung-und-raumplanung/raumplanungsrecht/erneuerbare-energien/beschleunigungsvorlage.html
13. https://www.axpo.com/ch/de/ueber-uns/medien-und-politik/powerswitcher.html