Mit der Energiestrategie 2050 hat der Bund die Schweizer Energiepolitik neu ausgerichtet. Das Konzept soll einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie und einen langsamen Umbau des Schweizer Energiesystems bis 2050 ermöglichen, wobei die Versorgungssicherheit mindestens auf dem gleichen Niveau bleiben soll. Dabei sollen die Energieeffizienz drastisch erhöht, die erneuerbaren Energiequellen massiv ausgebaut und die energiebedingten CO2-Emissionen deutlich reduziert werden. Um die Fortschritte bei der Umsetzung der Energiestrategie 2050 zu überwachen, veröffentlicht die Bundesregierung regelmässig einen Bericht unter der Federführung des Bundesamts für Energie (BFE). Der Bericht für das Jahr 2018 wurde Mitte November veröffentlicht. Im Folgenden werden wir eine Reihe von Punkten im Zusammenhang mit diesem Bericht erörtern.
Die ersten Maßnahmen für "niedrig hängende Früchte" zeigen bereits ihre Wirkung. So wurde beispielsweise der Energieverbrauch pro Person und pro Jahr gesenkt und die Energienachfrage hat sich mehr oder weniger ausgeglichen - mit einem sehr geringen Anstieg. Dennoch stellen sich einige neue Herausforderungen für den Energieverbrauch in der Schweiz. Insbesondere das Bevölkerungswachstum und die angestrebte rasche Zunahme der Elektromobilität werden die Energieversorgung mittel- und langfristig beeinflussen.
Wir sehen schon heute, dass wir in der Schweiz im Winter mit Stromengpässen konfrontiert werden. Die Abschaltung des Kernkraftwerks Mühleberg Ende 2019, das etwa drei (3) Terawattstunden pro Jahr (TWh/a) oder rund 5% des Schweizer Strombedarfs erzeugt, wird dieses Defizit noch verschärfen. Andererseits sieht die Energiestrategie der Schweiz zwischen 2010 und 2020 einen Nettozuwachs von drei (3) TWh/a an Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen (ohne Wasserkraft) vor. Ende 2017 waren laut dem aktuellen Bericht 75,1% davon umgesetzt. Zum Vergleich: Zwischen Juli 2016 und März 2018 verzeichneten Schweizer Investoren ausserhalb der Schweiz laut dem Bericht von Energiezukunft Schweiz einen Zuwachs an installierter Leistung von 615 Megawatt (MW), d.h. einen Energiezuwachs von 1,66 TWh/a, wobei weitere Anlagen noch im Bau sind. Doch diese Investitionen werden der Schweizer Energiewende nur einen begrenzten Schub verleihen. Zum einen gibt es kein bilaterales Stromabkommen mit der EU und damit keine regulatorische Sicherheit. Andererseits ist es ungewiss, ob grössere Stromengpässe in Ländern, in denen neue alternative Kraftwerke stehen, verhindern werden, dass dieser Strom in die Schweiz exportiert werden kann.
Ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft ist nach wie vor die heimische Wasserkraft, auch wenn hier ein Großteil des Potenzials bereits ausgeschöpft ist. Die Energiestrategie 2050 sieht bis 2035 einen Zuwachs von 1,5 TWh/a zusätzlich zu den derzeitigen 35,9 TWh/a vor. Davon befinden sich derzeit 0,26 TWh/a im Bau, und für weitere 0,059 TWh/a liegen Anträge auf Investitionsbeiträge vor. Große Wasserkraftprojekte wie Chlus hängen immer noch in der finanziellen Schwebe und werden ohne neue Subventionen oder einen deutlichen Anstieg der Strompreise unrealistisch bleiben.
Es liegen noch grosse Herausforderungen vor uns: Neue, restriktivere Vorschriften zur Restwassereinsparung könnten zu einer Verringerung der Produktion führen. Aufgrund von Ablagerungen und den damit verbundenen Spülproblemen wird das Volumen einer Reihe von Speicherbecken in den nächsten Jahren abnehmen und damit den Sommer-Winter-Umverteilungsprozess einschränken. Darüber hinaus werden bei einer voraussichtlichen Laufzeit von 60 Jahren beide Blöcke des Kernkraftwerks Beznau sowie das Kernkraftwerk Gösgen bis 2039 vom Netz gehen. Zusammen produzieren diese beiden Anlagen 13 TWh/a Strom, was etwa 20% des aktuellen Bedarfs der Schweiz entspricht.
Der letzte Hoffnungsschimmer ist der Import von Strom aus den Nachbarländern. Doch auch hier ist die Zukunft mehr als ungewiss. Deutschland zum Beispiel hat beschlossen, bis 2022 vollständig aus der Kernenergie auszusteigen, und in vielen anderen europäischen Ländern laufen die bestehenden Grosskraftwerke allmählich am Ende ihres Lebenszyklus aus. Die neuen Grosskraftwerke für erneuerbare Energien, einschliesslich Offshore-Windparks, werden in Gebieten mit nicht optimaler Netzanbindung gebaut, und aufgrund des Widerstands der lokalen Bevölkerung sowie aufgrund wirtschaftlicher Faktoren werden nicht alle notwendigen Netzausbauprojekte realisiert. Diese Engpässe werden in Zukunft den grenzüberschreitenden Stromaustausch weiter einschränken und den Import von Strom in die Schweiz behindern. Die geplanten nationalen Hochspannungsnetzausbauprojekte werden hier leider keine Abhilfe schaffen. Ganz zu schweigen davon, dass der angestrebte Ausbau des Verteilnetzes den neuen Anforderungen der dezentralen Erzeugung, der neuen Speichermöglichkeiten und der Netzkonvergenz nicht gerecht wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schweiz noch weit von der angestrebten Umstrukturierung des Stromsystems entfernt ist. Von der Politik, den Unternehmen und nicht zuletzt den Verbrauchern (als Endverbraucher) wird in den nächsten Jahrzehnten viel verlangt werden.