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Kernenergie und die Energiewende – ein unzertrennliches Paar?

Der Weg der Energiewende ist gepflastert von zahlreichen Zielkonflikten - Lösungen gleichen teilweise der Quadratur des Kreises. So soll in Zukunft immer mehr verstromt werden - beispielsweise die Mobilität sowie Wärmelösungen, doch gleichzeitig fehlen effiziente neue Speichertechnologien und existierende konventionelle Kraftwerke werden abgeschaltet. Da stellt sich unweigerlich die Frage: Woher soll bei anhaltender Windflaute und/oder starker Bewölkung der steigende nationale Strombedarf für die Bevölkerung und die Wirtschaft herkommen?

Der schweizerische Stromverbrauch beträgt aktuell ca. 60 TWh pro Jahr, wovon ca. 1/3 aus den verbleibenden vier schweizerischen Kernkraftwerken stammt. Dabei liefern die beiden grössten und neusten Kernkraftwerk der Schweiz – Gösgen und Leibstadt – jeweils ca. 14% des Landesverbrauchs pro Jahr. Die Krux in der Schweizer Stromproduktion liegt in der Saisonalität: In den warmen bzw. heissen Frühlings- und Sommermonaten hat die Schweiz bedingt durch die Schneeschmelze durch die hydraulischen Kraftwerke eine Überproduktion und in den Wintermonaten ist das Land andererseits auf Stromimporte angewiesen. Dabei hilft der Landesversorgung mit Strom auch nicht das vorhandene Speichervermögen der nationalen (Pump-)Speicherwasserkraftwerke, das gemäss dem Bundesamt für Energie bei ca. 9 TWh pro Jahr liegt und somit kein ausreichender saisonaler Speicher darstellt.

Sowohl der nationale als auch europäische Bedarf an elektrischem Strom dürfte in den nächsten Jahren durch die angestrebten elektrischen Wärmelösungen (z.B. Erdwärme), die E-Mobilität sowie die Digitalisierung markant steigen. In den Energieperspektiven geht das Bundesamt für Energie im Szenario «Zero Basis» im Jahr 2035 von einem schweizerischen Stromjahresverbrauch von ca. 75 TWh und im Jahr 2050 von ca. 80 TWh aus – andere Studien kommen auf noch höhere nationale Jahresverbrauchswerte für die Elektrizität. Das Bundesamt für Energie kommt in den Energieperspektiven zum Schluss, dass bei einer Laufzeit der schweizerischen Kernkraftwerke von 50 Jahren die Winterimporte im Jahr 2034 ein Maximum von ca. 16 TWh pro Jahr erreichen. Denkt man an die zähen Verhandlungen unserer Landesregierung mit Vertreterinnen und Vertretern von Deutschland und Italien für gegenseitige Hilfe bei einem Notfall in der Erdgasversorgung sowie das angespannte Verhältnis der Schweiz mit der EU bei Energiefragen, so sind dies alarmierend hohe Werte. Sieht man die aktuell schleppenden Zubauten von Solar- und Windanlagen in der Schweiz an sowie die oftmals fehlende Ertüchtigung des (Stromverteil-) Netzes für die aktuelle Energiewende, so dürften die fehlenden 16 TWh wohl eher noch optimistisch sein.

Würde die Schweiz bis 2035 die noch vorhandenen Kernkraftwerke abschalten (- 20 TWh/a) und die sehr optimistischen Zubauziele aus neuen erneuerbaren Energieanlagen in der Schweiz erreicht werden, so fehlen für die Landesversorgung gemäss den Energieperspektiven immer noch jährlich ca. 16 TWh oder ca. ¼ des aktuellen Jahresverbrauchs. Es ist unwahrscheinlich anzunehmen, dass diese fehlende Strommenge eingespart werden könnte – insbesondere angesichts der angestrebten steigenden Elektrifizierung. Ebenso ist ein weiterer grosser Ausbau der Wasserkraft in der Schweiz fraglich, da geeignete (gute) Standorte begrenzt sind und es unklar ist, ob unter den aktuellen Landschaftsschutzbestimmungen überhaupt ein neues grosses Kraftwerk gebaut werden könnte. Ein massiver Zubau von Windparks in der Schweiz scheint aufgrund der generell mangelnden nationalen Windverhältnisse sowie den Erfahrungen bei den bisherigen Projekten und den immensen Protesten schier unmöglich zu sein. Bleibt somit noch die Lösung aus einer Kombination von einem massiven Ausbau der nationalen Solaranlagen sowie von Batterien zur Zwischenspeicherung des anfallenden Stroms in den Sommermonaten in die Wintermonate. Gemäss Electrosuisse beträgt die Stromproduktion aus Solaranlagen in der Schweiz zwischen 1'000 und 1'500 kWh pro m2 und Jahr. Geht man von einem mittleren Ertrag einer Solaranlage von 1.25 MWh pro m2 und Jahr aus, so benötigen wir mindestens eine Fläche von 12.8 km2 Solaranlagen in der Schweiz. Dies setzt jedoch voraus, dass jederzeit sämtliche Solarmodule in optimaler Weise verfügbar sind – eher realistisch ist eine deutlich grössere Fläche.

Unter der Annahme, dass diese Solaranlagen lediglich 30% des Winterbedarfs von 16 TWh decken könnten, müssten 11.2 TWh in den warmen Monaten produziert und in Batterien zwischengespeichert werden. Gemäss Werksangaben von Tesla liegt die Batteriekapazität eines «Model 3 Long Range» bei 75 kWh. Folglich bräuchte die Schweiz ca. 149 Millionen solcher Teslas, um den Strom für die Wintermonate zu speichern und vorausgesetzt die Fahrzeugbatterie sowie die notwendige Lade- und Entladeinfrastruktur funktioniert zu jeder Zeit. Bei ca. 5 m Länge und 2.2 m Breite eines solchen Fahrzeugs würden c. 1'600 km2 (ca. 4% der Landesfläche) als Stellfläche benötigt. Da 30% des Strombedarfs in den Wintermonaten zeitgleich zum Verbrauch produziert werden sollen, der Stromverbrauch innerhalb des Tages jedoch stark fluktuiert, müsste auch bedeutend mehr Produktionskapazität aufgebaut werden, um damit die Verbrauchsspitzen abdecken zu können.

Realistisch betrachtet benötigen wir deshalb nochmals einige neue Grosskraftwerke in der Schweiz.

Dass in der Schweiz keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden sollen, um die CO2-Ziele nicht zu unterlaufen, dürfte die klare Mehrheitsmeinung sein. Doch auch Gaskraftwerke sind nicht nur durch ihren CO2-Ausstoss problematisch geworden. Die neuen Erdgas-Lieferanten machen den Transport des Primärenergieträgers mittels Schiffen nach Europa teurer und auch preislich volatiler. Fraglich ist zudem auch, wie lange die vorhandene europäische Erdgasstruktur für den Transport von Gas in die Schweiz zur Verfügung steht, da diese umgerüstet und in Zukunft für den Transport von Wasserstoff verwendet werden soll.

Vielversprechende Entwicklungen gibt es bei den Kernkraftwerken: Viele der weltweit gerade fertig gestellten, sich im Bau oder insbesondere in der Planungsphase befindlichen Kernkraftwerke verfügen über neuartige, sogenannt passive Sicherheitssysteme. Sie basieren auf Naturgesetzen wie beispielsweise der natürlichen Zirkulation von Flüssigkeiten und Gasen bei unterschiedlicher Temperatur. Im Unterschied zu aktiven Sicherheitssystemen benötigen passive Systeme keine motorgetriebenen Pumpen oder Ventile für die Zirkulation des Kühlmittels. Sie funktionieren ohne Energiezufuhr von aussen und erfüllen ihre Aufgabe ganz von allein aufgrund von physikalischen Gesetzen. Im Fall einer schweren Fehlfunktion könnten Reaktoren mit passiven Sicherheitssystemen auch während mehrerer Tage ohne Eingriff der Operateure sich selbst überlassen werden, ohne dass es zu einer gefährlichen Situation kommt. Selbst bei einer Kernschmelze könnte die Schmelze im Reaktordruckgefäss zurückgehalten werden und die Wärme kontrolliert abgeführt werden. Das Risiko eines schweren Kernschadens mit schädlichen Auswirkungen sinkt dadurch nochmals markant. Zudem besteht mit der geplanten neusten Generation 4 der Kernkraftwerke das Bestreben, die Anlagen viel kleiner1 sowie modular zu bauen (small modular reactors), wodurch sich auch weniger spaltbares Material in einer Anlage befinden würde – auch im Hinblick auf einen Reaktorunfall. Zudem sollen durch die modulare Bauweise auch die Baukosten eines Kernkraftwerks massiv reduziert werden können – die aktuellen Schweizer und viele der im Ausland aktuell betriebenen Kernkraftwerke sind allesamt massgeschneiderte Sonderanfertigungen mit entsprechend hohen Baukosten. Was die wichtige Frage des Umgangs mit dem radioaktiven Abfall angeht, ist es auch hier wichtig, die Fakten zu kennen: So publizierte BKW für das Kernkraftwerk Mühleberg bei einer Gesamtmasse von 200'000 t einen Anteil von 8%, der radioaktiv verunreinigt ist – der grösste Teil jedoch «nur» gering. Dieses Material lässt sich nach einer speziellen Reinigung als normaler Bauschutt deponieren oder wiederverwerten – übrig bleiben knapp zwei Prozent2 radioaktive Abfälle, die speziell entsorgt werden müssen.

In einer Ende 2023 von Deloitte veröffentlichten Bevölkerungsbefragung3 gaben 29% der Befragten an, dass sie den Bau neuer Kernkraftwerke in der Schweiz unterstützen. Der Anteil der Befürworterinnen und Befürworter von neuen Kernkraftwerken in der Schweiz ist in den letzten Monaten rapide gestiegen: In der jüngsten durch Tamedia am 24. September 2024 veröffentlichten Umfrage, gaben 53% der Befragten an, dass sie den Bau neuer Kernkraftwerke in der Schweiz unterstützen würden.

Unsere Bevölkerungsbefragung von 2023 ergab auch, dass eine klare Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Nutzung von Solarenergie auf Dächern sowie den Ausbau der nationalen Wasserkraft ist – obwohl das Potenzial aus den bereits erwähnten Gründen dabei beschränktist.

Schlussfolgerung: Die Schweiz braucht – wie auch schon in der Vergangenheit – einen hohen Grad an Selbstversorgung mit Elektrizität sowie einen verlässlichen und günstigen Strommix. Dies setzt voraus, dass die Schweiz weiterhin auf die Wasserkraft setzt und gleichzeitig offen ist für neue Technologien inklusiv der weiterenEntwicklung der Kernenergie. Solange die beiden Kernkraftwerke Gösgen und Leibstadt sicher und effizient betrieben werden können, müssen sie weiterlaufen - solange es zumindest keinen ebenbürtigen Ersatz gibt.

Die politische Akzeptanz der Kernenergie erholt sich in vielen Ländern in Europa und auch in der Schweiz und eine Renaissance scheint nun möglich. Aufgrund der langen nationalen Bewilligungsverfahren sowie technischen Entwicklungszeiten von Kernkraftwerken kann es jedoch zehn und
mehr Jahre dauern, bis neue Kernkraftwerke tatsächlich in Betrieb genommen werden können. Vorab muss zudem auch noch die Wirtschaftlichkeit von neuen Kernkraftwerken in der Schweiz geprüft werden.

In der Zwischenzeit können die im Mantelerlass vorgesehenen Investitionen, insbesondere in den Ausbau bestehender Wasserkraftwerke und in dachmontierte Solaranlagen, vorangetrieben werden. Diese Technologien werden, wie unsere frühere Umfrage ergab, von der Öffentlichkeit unterstützt und können somit schneller genehmigt werden als Freiflächen-Solaranlagen oder neue Wasserkraftwerke. Gleichzeitig sollte einebreite Debatte um die sichere, preisgünstige Landesversorgung mit Strom insbesondere auch unter Beach tung der technischen Gegebenheiten gestartet werden.

1Die grössten Anlagen haben heute eine elektrische Leistung von bis zu 1'600 MW – small modular reactors werden mit einer Ausgangsleistung zwischen ca. 70 und 500 MW geplant.
2https://www.bkw.ch/de/energie/energieproduktion/stilllegung-kernkraftwerk-muehleberg/material
3https://www2.deloitte.com/ch/de/pages/energy-and-resources/articles/zwischen-wunsch-und-wirklichkeit-die-schweizer-perspektive-auf-die-energiezukunft.html

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