Seither ist er dem Unternehmen treu geblieben. Er arbeitete im Bereich Finanzen und Controlling und schloss daneben das Studium an der Fernuniversität Hagen ab. Er übernahm diverse operative Führungspositionen, u.a. war er für die Integration von Nokia Networks mit Siemens Networks zuständig, später entwickelte er Offshore-Windfarmen in England. Nach viereinhalb Jahren als Leiter des Vorstandsbüros von Siemens CEO Joe Kaeser wurde er 2018 CFO von Siemens Schweiz. Er ist verheiratet und lebt in Bergdietikon. In der Freizeit spielt Harde Schach, reist gerne nach Griechenland, der Heimat seiner Frau, geht Wandern und im Winter Skifahren.
Deloitte: Wie sehen Sie die Rolle von CFOs in Krisen wie der Covid-19 Pandemie? Womit konnten Sie als CFO Ihrem Unternehmen in der Krise besonders helfen?
Jörn Harde: In der Anfangsphase der Pandemie standen drei Dinge im Vordergrund: Erstens natürlich die Gesundheit unserer über 5’000 Mitarbeitenden und unserer Kunden und Partner. Hier war Krisenmanagement gefragt, ging es darum, schnell und unbürokratisch die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Zweitens galt es unseren Kunden zu helfen, den Betrieb kritischer Infrastruktur sicherzustellen und bei der Produktion kritischer Güter wie beispielsweise Ventilatoren zu unterstützen. Erst drittens ging es um das finanzielle Krisenmanagement, die Bilanz und Liquidität im Griff haben. Hier war engere Führung und Kontakt intern sowie mit Kunden, Lieferanten und Behörden essentiell um Abweichungen und Engpässe rechtzeitig zu erkennen und zu bearbeiten.
Nachdem die Anfangsphase überstanden war, ging es auch darum, Weichen für die Zukunft zu stellen, zu erkennen welche Chancen sich ergeben. So hat Siemens beispielsweise schon früh kommuniziert, dass wir auch in Zukunft Remote- bzw. Hybrid-Working unterstützen werden. In der Krise hat sich gezeigt, dass wir unabhängig vom Arbeitsort produktiv sind und uns auch ohne ständige Büropräsenz vertrauen können. Diese positive Entwicklung der Firmenkultur soll nicht mehr zurückgedreht werden.
Deloitte: Welche bleibenden Änderungen, denken Sie, hat die Pandemie auf die zukünftige Rolle des CFOs?
Jörn Harde: Unser Geschäft ist stark geprägt von den beiden Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Bei beiden haben wir während der Krise mehrere Schritte nach vorn gemacht und diese Fortschritte gilt es nun dauerhaft zu nutzen. Überall ist es das Ziel, die in der Krise gewonnene Effizienz zu behalten und gleichzeitig den Menschen in den Vordergrund zu stellen.
Das gilt erstens extern, bei der Digitalisierung, neuen Geschäftsmodellen, neuen Modellen der Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten. Kunden sind offener für die virtuelle Zusammenarbeit geworden, und zwar in all unseren Arbeitsgebieten: Von Energie- und Gebäudetechnik über Mobilität zu Industrie, bis hin zum Gesundheitswesen. Wir erkennen eine Beschleunigung der sich bereits zuvor abzeichnenden Digitalisierung, mit effizienteren Abläufen, die sowohl Siemens als auch unseren Kunden nutzen.
Zweitens wollen wir die internen, positiven Veränderungen beibehalten. Sei es bei der Prozessvereinfachung, weiterer Prozessdigitalisierung, aber auch bei neuen Formen der Zusammenarbeit. Wir haben in der Krise schnell viel geändert, viel gelernt. Diese positiven Impulse wollen wir jetzt verankern. Dies wirkt sich auch aus auf die Zusammenarbeit in den Büros. Dort geht es um Kreativität und Innovation, mehr We-Space und weniger Me-Space . Bei Siemens Schweiz werden die Arbeitsplätze schrittweise entsprechend umgestellt.
Spezifisch für uns als Finanzfunktion geht es darum, wie wir die erwähnten Trends optimal unterstützen können. Da erkenne ich drei wichtige Bereiche. Erstens die stärkere Nutzung von Robotics, das heisst die Digitalisierung und Automatisierung von Workflows. Zweitens, im Controlling, eine Entwicklung Richtung Self Analytics, um intern Plattformen für die Selbstanalyse von Daten bereitzustellen. Und drittens, im Forecasting / Budgeting, der Übergang zu einem rollierenden Fokus mit prädiktiven Vorhersagen aus Daten.
Deloitte: Die Covid-19 Krise hat für viele einen Sprung in der Digitalisierung bedeutet, von dem sie auch nach der Krise profitieren können. Gibt es aus Ihrer Sicht umgekehrt Grenzen der Digitalisierung?
Jörn Harde: Ich glaube, wir haben sowohl was die Firmenkultur als auch was die Digitalisierung angeht, krisenbedingt in fünf Wochen so viel erreicht wie sonst in fünf Jahren. Die Digitalisierung darf aber kein Selbstzweck sein, sondern muss den Menschen dienen. Vertrauen entsteht zwischen Menschen und nicht zwischen Algorithmen. Die persönliche Zusammenarbeit schafft Emotionen, aus denen neue Ideen entstehen. Diese Kreativität aufgrund von spontanen, menschlichen Begegnungen lässt sich nicht digitalisieren.
Aber daneben gibt es auch auf der Sachebene Grenzen der Digitalisierung, Stichwort Cyber Security. Dies bedeutet einerseits neue Risiken, die man managen muss, intern wie extern. Sicherheit und Datenschutz sind uns sehr wichtig. Wir müssen uns schützen und wir müssen unsere Kunden schützen. Kundendaten gehören unseren Kunden und niemandem sonst. Andererseits entstehen aus diesen Risiken neue Chancen für die Zusammenarbeit mit Kunden oder Lieferanten.
Deloitte: Von der Wirtschaftserholung könnten nicht zuletzt Industrieunternehmen profitieren. Wie sehen Sie die Chancen für Ihr Unternehmen?
Jörn Harde: Wir sind insgesamt gut durch die Krise gekommen, wie ja die Schweiz im internationalen Vergleich auch. Daher gibt es einen entsprechend geringeren Erholungseffekt. Die Nachfrage entwickelt sich gut, teilweise verzeichnen wir einen erheblichen Anstieg. Die Prognoseunsicherheit bleibt aber hoch. Es ist nicht klar, ob alle Einkäufe nachhaltiges Wachstum bedeuten, oder ob nicht einige Kunden ihre Vorratshaltung erhöhen, aufgrund von bestehenden oder befürchteten Einschränkungen in der Lieferkette.
Dass Digitalisierung und Nachhaltigkeit in unserem Geschäft eine grosse Rolle spielen, kommt uns darüber hinaus zugute. Im Bereich Nachhaltigkeit erkenne ich gleich mehrere interessante Möglichkeiten. Neue Formen der Mobilität erfordern zum Beispiel entsprechende Lademöglichkeiten für Elektrofahrzeuge. Ein wachsender Markt für Siemens auch in der Schweiz. Die veränderte Art der Zusammenarbeit, wie wir sie ja auch anstreben, bedeutet neue Anforderungen an Gebäude. Diesen können wir durch IoT-Technologie begegnen. Global verursachen Gebäude rund 40 % der CO2-Emissionen. Moderne Lösungen für eine effizientere nachhaltigere Nutzung von Gebäuden und für deren Energiesteuerung sind dementsprechend ein grosser Hebel.
Der Standort Schweiz bleibt dabei für uns sehr wichtig. Wir wollen nahe beim Kunden sein und sind daher an 20 Standorten in allen Landesteilen präsent. Mit dem globalen Hauptsitz für Smart Infrastructure in Zug bieten wir zudem globale Lösungen aus der Schweiz heraus an - das stärkt die Bedeutung des Standortes Schweiz für Siemens noch zusätzlich.