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Interview mit Philippe Weber

Mitglied des Verwaltungsrats und des Vergütungsausschusses von EDAG Engineering Group, Leonteq, Medacta und PolyPeptide

Die Herausforderungen, Offenlegung und Rechtsfragen der VR-Vergütung

Philippe Weber

Mitglied des Verwaltungsrats und des Vergütungsausschusses von EDAG Engineering Group, Leonteq, Medacta und PolyPeptide

Philippe Weber hat an der Universität Zürich Jura studiert und dort 1995 promoviert (summa cum laude). Nach einem LL.M. (with distinction) am Europäischen Hochschulinstitut (Fiesole) wurde er Mitarbeiter bei Niederer Kraft Frey, wo er seit 2002 Partner ist. In den Jahren 2015 bis 2021 war er der Managing Partner von NKF. Als Co-Head des NKF Transaction Teams vertritt Philippe Weber regelmässig Schweizer und internationale Klienten, einschliesslich Unternehmen, Unternehmer, Private Equity und Staatsfonds, in grossen und komplexen Corporate-/M&A- und Kapitalmarkt-Transaktionen. Beispielsweise war er der leitende Schweizer Anwalt in den IPOs von Stadler Rail, SFS, VAT, Landis+Gyr, Medacta, PolyPeptide, EFG International und EPIC Suisse AG. Chambers Global und andere Verzeichnisse klassieren ihn seit Jahren als Top Tier für M&A und Capital Markets. Zuletzt wurde er von LegalCommunity als Swiss M&A Lawyer und Swiss Capital Markets Lawyer of the Year 2022 ausgezeichnet.

swissVR Monitor: Was sind die Do’s und Dont’s bei der VR-Vergütung?

Philippe Weber: Aus meiner Sicht sind die folgenden drei Aspekte wichtig: Angemessenheit, Unabhängigkeit und Transparenz. Der Lohn sollte dem Verwaltungsrat ermöglichen, seine Aufsichtsfunktion gegenüber der Geschäftsleitung mit dem notwendigen Aufwand und gehöriger Sorgfalt wahrzunehmen, in guten und in schlechten Zeiten. Bei der Beurteilung der Angemessenheit helfen Benchmarks, d. h. Vergleiche mit anderen Unternehmen möglichst aus derselben Industrie und von vergleichbarer Grösse (sog. «Peer Review»). Allerdings muss man immer im Auge behalten, dass der persönliche Aufwand und das Risiko eines VR-Amts stark von den konkreten Umständen im Einzelfall abhängen, z. B. der Grösse, Komplexität, Finanzkraft und dem Reifegrad bzw. Dynamik des Unternehmens, dem regulatorischen Umfeld, der Eigentümerstruktur, der Grösse des VR und den besonderen Fachkenntnissen seiner Mitglieder, der Anzahl der Ausschüsse und der Sitzungen sowie dem Verhältnis des VR zur Geschäftsleitung. Sodann sind der Aufwand sowie das rechtliche und reputationsmässige Risiko für den VR eines börsenkotierten Unternehmens regelmässig höher als bei privat gehaltenen Unternehmen. Kurz, die Angemessenheit der Vergütung muss umfassend beurteilt werden, ein blosser Vergleich mit anderen Unternehmen ist nicht zielführend.

Insbesondere bei kotierten Gesellschaften kommt dem Kriterium derUnabhängigkeit des VR zunehmend Bedeutung zu. Für unabhängige VRMitglieder ist es meines Erachtens daher wichtig, dass sie auch eine hinreichende finanzielle Unabhängigkeit bewahren, mit anderen Worten, sie sollten nicht derart von der Vergütung abhängig sein, dass sie in ihrem Handeln nicht mehr frei sind. Gleichzeitig wird oft gefordert, dass auch der VR «skin in the game» hat. Die Zuteilung von Aktien, die möglicherweise für eine gewisse Zeit gesperrt sind, als Bestandteil einer Fixvergütung kann daher sinnvoll sein. Auch aus Sicht des Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance sind hingegen Optionen und dergleichen bei der VR-Vergütung eher abzulehnen. Ebenso wird in der Regel davon abgesehen, nicht-exekutiven Mitgliedern des VR einen erfolgsabhängigen Bonus zu zahlen oder diese in mehrjährige Long Term Incentive Pläne einzubinden.

Dank der nun in das revidierte Aktienrecht überführten Bestimmungen der Vergütungsverordnung, die auf die sogenannte «Minder-Initiative» zurückgehen, kann man allgemein sagen, dass bei börsenkotierten Unternehmen ein sehr hohes Mass an Transparenz herrscht. Transparenz ist hier somit gesetzlich gewährleistet. Bei nicht-kotierten Gesellschaften gelten hingegen auch unter dem revidierten Aktienrecht lediglich rudimentäre gesetzliche Transparenzregeln (insbesondere Art. 697 ff. des revidierten Obligationenrechts). Im Einzelfall kann es sich daher empfehlen, in den Statuten weitergehende Bestimmungen aufzunehmen, beispielsweise zur Festlegung bzw. Genehmigung der VR-Vergütung durch die GV anstelle der gesetzlich vorgesehenen Festlegung durch den VR selbst. Bei grösseren nicht kotierten Gesellschaften ist auch eine freiwillige Anwendung (von Teilen) des Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance oder der gesetzlichen Vergütungsregeln für kotierte Gesellschaften denkbar. Dies muss aber jeweils im Einzelfall sehr sorgfältig abgewogen werden.

swissVR Monitor: Welche sind die grössten Herausforderungen bei der VR-Vergütung (z. B. angemessene Höhe, gerechte Verteilung/Unterschiede zwischen VR-Mitgliedern etc.)?

Philippe Weber: Ich kann hier weitgehend auf das zuvor Gesagte verweisen. Nach meiner Erfahrung kommt es selten vor, dass die unterschiedliche Vergütung von VR-Mitgliedern zu Diskussionen führt, solange auf objektive Kriterien abgestellt wird. Z. B. gibt es oft eine fixe Basisvergütung, die für jedes Mitglied identisch ist, und Zusatzfunktionen (z. B. Präsidium, «Lead Independent Director», Vorsitz oder Mitgliedschaft in einem Ausschuss) werden zusätzlich vergütet, in gewissen Fällen sieht man auch Sitzungsgelder. Wie erwähnt sind variable Vergütungen nicht-exekutiver VR-Mitglieder m. E. zu Recht die Ausnahme.

In den letzten Jahren war der Aufwand für VR bedingt durch die CovidPandemie, den Krieg in der Ukraine, Schwierigkeiten in der Lieferkette, die Zinswende und steigende Inflation usw. in vielen Unternehmen ausserordentlich hoch. Oft wird die Meinung vertreten, wenn es einem Unternehmen schlecht geht, sollte auch der VR seine Vergütung kürzen. Selbstverständlich bedarf es hier stets Augenmass. Dennoch ist zu beachten, dass der VR in der Regel nur ein fixes Gehalt bezieht. So wie es in guten Zeiten keinen variablen Bonus gibt, ist es fair, wenn ein VR in schwierigen Zeiten für seinen hohen Aufwand und sein oftmals erhöhtes rechtliches und reputationsmässiges Risiko angemessen vergütet bleibt

swissVR Monitor: Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die Offenlegung der VR-Vergütung gegenüber verschiedenen Anspruchsgruppen wie zum Beispiel den Aktionären?

Philippe Weber: Die Aktionäre sind die Eigentümer des Unternehmens und verdienen Transparenz bei der VR-Vergütung. Insofern begrüsse ich die fortschrittlichen Schweizer Regeln für kotierte Unternehmen, die mit Annahme der sogenannten «Minder-Initiative» eingeführt wurden und nun im revidierten Aktienrecht gesetzlich verankert sind. Der Zwang zur Transparenz hat meines Erachtens auch die Qualität der Arbeit von Vergütungsausschüssen kotierter Unternehmen erhöht, indem zum Beispiel der Stellenwert von Vergütungsfragen erhöht wurde. Bei nicht-kotierten Gesellschaften bestehen wie gesagt nur beschränkte gesetzliche Informationsrechte der Aktionäre und deren gerichtliche Durchsetzung ist anspruchsvoll. Im Einzelfall, z. B. bei grossen Gesellschaften, die sich auf einen Börsengang vorbereiten, empfiehlt es sich daher unter Umständen, in den Statuten oder im Aktionärsbindungsvertrag weitergehende Informationsrechte zu vereinbaren oder gewisse Regeln, die für kotierte Gesellschaften gelten, freiwillig anzuwenden.

swissVR Monitor: Wie entwickelt sich die besagte Offenlegung der VRVergütung über die Zeit hinweg – ist bei Unternehmen in diesem Punkt mehr Transparenz festzustellen?

Philippe Weber: Ich rede von kotierten Unternehmen. Hier stelle ich fest, dass der Detaillierungsgrad von Vergütungsberichten tendenziell kontinuierlich steigt. Dies ist nicht nur Folge des Gesetzes, sondern auch davon, dass Aktionärsvertreter, sogenannte Proxi-Advisors, und weitere Stakeholder Vergütungsberichte kritisch prüfen und versuchen, Einfluss zu nehmen. Dies kann beispielsweise erfolgen, indem Empfehlungen zum Stimmverhalten an der Generalversammlung abgegeben oder detaillierte Inputs an Unternehmen gegeben werden. Ein beliebtes Instrument sind inzwischen auch Corporate Governance Ratings durch solche Institutionen, die unter anderem Vergütungsaspekte berücksichtigen.

Interessanterweise werden Unternehmen mitunter von Aktionärsvertretern oder Medien dafür abgestraft, wenn sie in Vergütungsfragen freiwillig mehr Transparenz liefern als gesetzlich gefordert oder wenn sie transparenter sind als ihre Vergleichsunternahmen (Peers). In diesem Sinn ist es wichtig, das richtige Mass an Transparenz zu finden. Ebenso sind eine gewisse Kontinuität und Konsistenz bei der Berichterstattung wichtig, um die Vergleichbarkeit mit der Information aus den Vorjahren zu wahren.

swissVR Monitor: Aus Ihrer Sicht als Rechtsanwalt: Was ist bei der VRVergütung rechtlich gesehen zu beachten?

Philippe Weber: Die Vergütungsregeln für kotierte Gesellschaften im Obligationenrecht sind sehr detailliert und rigid und ihre Verletzung kann erhebliche Folgen haben, bis hin zur persönlichen Strafbarkeit und zum dauerhaften Verlust der eigenen Reputation. Die strikte Einhaltung dieser Regeln ist daher zwingend. Ist ein VR bei der Anwendung der Vergütungsregeln unsicher, beispielsweise ob eine Leistung als «Vergütung» qualifiziert oder durch die Statuten abgedeckt ist, gilt der altbewährte Grundsatz: «Lass Dich beraten». Fehler passieren, aber wenn ein VR nachweisen kann, dass er sorgfältig war, d. h. er hat sich an die gesetzlichen Formalitäten gehalten, allfällige Interessenkonflikte wurden offengelegt und in der Sache hat sich der VR von einem Experten beraten lassen, wird es sehr schwierig, einem VR rechtlich Vorwürfe zu machen. Rechtliche Risiken sind aber nur das eine, ebenso wichtig ist heutzutage die Reputation. Neben einer rechtlichen Analyse empfehle ich daher in kritischen Fragen jeweils auch einen sogenannten «smell test» zu machen. Es gibt heute verschiedene Beispiele, in denen man sich zwar formell an das Gesetz gehalten hat, der Verlust von Augenmass aber dennoch die Reputation langfristig beschädigt hat. Bei nicht-kotierten Gesellschaften besteht allgemein mehr Flexibilität. Aber auch hier ist zu beachten, dass Leistung und Gegenleistung nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis stehen dürfen und ungerechtfertigte Vergütungen unter gewissen Voraussetzungen rückerstattet werden müssen.

Ein anspruchsvolles Thema ist die sozialversicherungsrechtliche Behandlung von VR-Vergütungen. Grundsätzlich gilt die Verwaltungsratstätigkeit gegenüber der AHV als persönliche, unselbständige Erwerbstätigkeit, d. h. VR-Honorare unterliegen grundsätzlich der AHV und auch die BVG-Pflicht ist zu beachten. Die konkrete Anwendung dieser Bestimmungen im Einzelfall kann aber sehr komplex sein, z. B., wenn Mitglieder des VR ihren Wohnsitz im Ausland haben, wenn sie einer weiteren Beschäftigung nachgehen und/oder wenn sie bereits im Ruhestand sind. In solchen und anderen komplexen Sachverhalten sollte man sich durch einen Experten beraten lassen, zumal eine Verletzung dieser Regeln im worst case die persönliche Haftbarkeit von VR-Mitgliedern zur Folge haben kann.

Obwohl rechtlich nicht ein Vergütungsbestandteil, sollte ein VR darauf achten, dass die Gesellschaft eine angemessene «Directors & Officers Insurance» (D&O) abgeschlossen hat. «Angemessen» bezieht sich nicht nur auf die Höhe der Versicherungsdeckung, sondern es ist auch auf ungewöhnliche Ausschlüsse (z. B. Deckung bei Klagen in den USA) zu achten.

Will man insgesamt ein Fazit ziehen, lässt sich sagen, bei kotierten Gesellschaften ist die VR Vergütung engmaschig reglementiert und deren Einhaltung wird nicht nur von Aktionären, sondern auch von Aktionärsvertretern (Proxy Advisors), Medien und weiteren Stakeholders aufmerksam verfolgt. Hält sich ein VR nicht an die Grundsätze von Angemessenheit und Transparenz, kann das daher nicht nur rechtliche, sondern auch erhebliche nachteilige Folgen für die Reputation des Unternehmens und der einzelnen VRMitglieder haben. Bei nicht-kotierten Gesellschaften besteht naturgemäss von Gesetzes wegen weniger Transparenz und es ist den Aktionären überlassen, auf vertraglichem Weg bzw. in den Statuten weitergehende Regeln aufzustellen.