Das Krisenmanagement im Verwaltungsrat
Philipp Perren doktorierte zum Thema «Haftpflichtprobleme bei Weltraumtätigkeit» und erhielt 1996 das Anwaltspatent des Kantons Zürich. Parallel zur Dissertation war er als Ingenieur bei Contraves in Zürich tätig und als Jurist bzw. später als Anwalt bei einer international ausgerichteten Kanzlei in Zürich (mit Schwerpunkt Luftrecht sowie Haftpflicht-, Versicherungs-, Gesellschafts- und Erbrecht). Ab 2001 war er Partner einer führenden Zürcher Anwaltskanzlei. 2024 verlegte er seine selbständige Tätigkeit in eine eigene Kanzlei in Zug und wurde Konsulent bei Avanta Legal GmbH. Seit 1995 ist er Verwaltungsrat, seit 2014 Vizepräsident und seit 2018 Präsident der Air Zermatt AG und seit 2020 Verwaltungsratspräsident der Air-Glaciers. Ausserdem ist er seit 2020 Stiftungsrat der neu gegründeten FFAC Foundation for Aviation Competence, St. Gallen. At Air Zermatt AG, he has been a member of the Board of Directors since 1995 and President of the Board since 2018. Since 2020, he has also been President of the Board of Directors of Air-Glaciers. Since 2020, Philipp Perren has been a member of the Board of the newly created Foundation for Aviation Competence (FFAC), based in St. Gallen.
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swissVR Monitor: Sie sind Verwaltungsratspräsident von Unternehmen, die unter anderem Rettungs- und Transportflüge bei Notfalleinsätzen durchführen. Welche sind für Sie die kritischen Faktoren, damit solche Einsätze erfolgreich verlaufen?
Philipp Perren: Damit solche Einsätze erfolgreich durchgeführt werden können, müssen eine Reihe von internen und auch externen Voraussetzungen gegeben sein. Notfalleinsätze sind meist zeitkritisch. Damit kommt – bei den externen Faktoren – zuerst einmal der Alarmierung und der Organisation, welche die Rettungsmittel aufbietet, eine wesentliche Bedeutung zu. Jeder sollte die Notfallnummer kennen – der Sanitätsnotruf ist schweizweit die Nummer 144, wobei die Sanitätsnotrufzentralen kantonal geregelt sind. Diese Sanitätsnotrufzentrale muss einfach erreichbar sein, sie muss die Sprache des Alarmierenden verstehen, sie muss sämtliche allenfalls erforderlichen Mittel direkt aufbieten können, sie muss wissen, wo sich die einzelnen Einsatzmittel aktuell befinden, und sie muss die Einsatzmittel koordinieren können. Dazu gehören bei Unfällen in den Bergen nicht nur der Helikopter mit dem Arzt, sondern auch der Bergretter und gegebenenfalls weitere Spezialisten. Die Sanitätsnotrufzentrale sollte aber nicht nur die Helikopter disponieren können, sondern auch die Ambulanzen. Denn vielfach braucht es beide Mittel, oder es kann auch die Ambulanz aufgrund der Erreichbarkeit oder des Wetters das Mittel der ersten Wahl sein. Diesbezüglich sind das Wallis und die in der Zentrale von Schutz & Rettung Zürich zusammengeschlossenen Kantone gut aufgestellt, denn diese 144-Zentralen stellen sämtliche Mittel aus einer Hand zur Verfügung. Andere Kantone dagegen bieten heute noch die Luftrettung nicht selbst auf, sondern leiten solche Alarme an die 1414 weiter.
Sodann – damit kommen wir zu den internen Faktoren – braucht es eine entsprechende Organisation im Unternehmen: Es braucht Personen und Einsatzmittel, die nicht nur auf Pikett sind, sondern die auch entsprechend ausgebildet und ausgerüstet und überdies regelmässig trainiert sein müssen.
Bevor Sie nun weiterlesen: Raten Sie, wie viele Vollzeitäquivalenzstellen (VZÄ) ein Rettungshelikopter, der rund um die Uhr auf Pikett ist, erfordert. Und schätzen Sie einmal, wie viele Rettungseinsätze mit der Winde oder einer sogenannten Long Line eine Crew pro Jahr in etwa fliegt.
Ein Piketthelikopter ist immer mit (mindestens) drei Personen besetzt: Pilot, Arzt und Rettungssanitäter (Windenoperateur). Erfahrungsgemäss verlangen 24h / 7 Tage Positionen pro Stelle rund 5,5 VZÄ. Das heisst, es sind über sechzehn Personen auf einem einzigen Rettungshelikopter!
All diese Personen müssen ein regelmässiges Training haben – und zwar nicht im Klassenzimmer oder in Übungen, sondern im effektiven Einsatz. Auch diesbezüglich sind wir mit den Luftrettungsunternehmen, die auch im kommerziellen Bereich tätig sind, äusserst vorteilhaft aufgestellt: Jede unserer Rettungscrews führt pro Jahr zwischen 5'000 und 8'000 Flüge mit Unterlasten durch, bei denen die Last am Abflugort punktgenau aufgenommen und am Zielort punktgenau abgesetzt oder sogar montiert werden muss – und ist damit bestens vorbereitet für die hundert bis zweihundert Windeneinsätze, die sie im Rettungsbereich fliegt.
swissVR Monitor: Welche Lehren lassen sich aus diesen Notfalleinsätzen auf die Arbeit von Verwaltungsräten im Allgemeinen übertragen?
Philipp Perren: Notfalleinsätze lassen sich nicht planen, sondern sie überraschen einen immer aufs Neue. Planen kann man aber die entsprechende Organisation, die passende Personaldisposition, die optimale Ausrüstung und das regelmässige Training, und zwar möglichst als wiederkehrendes Training on the job. Vor allem aber auch sollte jeder überraschende, neue Einsatz in ein regelmässiges Debriefing einfliessen, so dass man auf den nächsten überraschenden, neuen Einsatz hoffentlich besser vorbereitet ist.
Auch die Arbeit von Verwaltungsräten ist nicht vollständig planbar, sondern immer wieder mit Überraschungen verbunden. Als Lehre aus den Notfalleinsätzen für die Tätigkeit als Verwaltungsrat lässt sich vor allem Folgendes mitnehmen: Den Notfall kann man nicht planen, aber man kann versuchen, sich möglichst gut gegen Unvorhergesehenes zu wappnen und sich möglichst gut auf Unvorhersehbares vorzubereiten. Dies einerseits durch entsprechende Planung und Organisation. Zum anderen aber auch durch ein regelmässiges «Debriefing» des VR mit der operativen Ebene. Überhaupt bin ich aufgrund der Erkenntnisse aus dem Notfallbereich der Auffassung, dass eine strikte Aufteilung zwischen operativer Ebene und strategischer Führung sehr oft der falsche Ansatz ist. Vielmehr muss eine gewisse Durchlässigkeit bestehen. Es müssen zwischen den beiden Ebenen nicht nur neue Erkenntnisse und Lehren ausgetauscht werden, sondern es müssen einander auch nur schon neu erfahrene Überraschungen weitergegeben werden. Oder wie dies in der Einführung erwähnt wird: Eine resiliente Organisation sollte nicht nur und nicht erst beim Eintreten eines Krisenereignisses reagieren können, sondern Risiken und Krisen vielmehr schon vorher antizipieren.
swissVR Monitor: Unsere Befragung unter Verwaltungsratsmitgliedern zeigt, dass das Krisenmanagement im Fall einiger kritischer Ereignisse (z. B. Unfälle) nur von einer Minderheit der Verwaltungsräte geprobt wird. Auf welche wichtigen Krisensituationen sollten Verwaltungsräte im Jahr 2025 ungeachtet der Branche vorbereitet sein?
Philipp Perren: In der Aviatik müssen die Unternehmen einen sogenannten Emergency Response Plan dokumentiert haben. Dieser wird von der Aufsichtsbehörde geprüft und gegebenenfalls auch kritisiert. Etwas Analoges macht gewiss in allen Unternehmen Sinn, und zwar auch auf Stufe des VR. Ein solcher Plan muss bezüglich der kritischen Ereignisse möglichst offen, breit und allgemein sein. Betreffend der Reaktionen und der anzugehenden/einzubeziehenden Personen und Stellen aber muss der Plan möglichst ins Detail gehen.
swissVR Monitor: Welche konkreten Massnahmen empfehlen Sie Verwaltungsräten, um solche Krisensituationen zu erproben?
Philipp Perren: Proben lässt sich Unvorhersehbares nicht wirklich – sonst wäre es nicht Unvorhersehbares. In gewissem Sinne «üben» lassen sich Krisensituationen wohl am ehesten durch eine Art Simulation, ähnlich einem «Moot Court», bei welcher ein Teil des VR und/oder der GL sich eine bestimmte Krisensituation ausdenkt und den anderen Teil des VR/GL dann mit dieser Situation konfrontiert. Dieser Teil der Leitungsorgane muss dann konkret reagieren und Massnahmen ergreifen, während der erste Teil die Krise weiterentwickelt und eskalieren lässt.
swissVR Monitor: Welche Parameter sollte der Verwaltungsrat beim Erproben des Krisenmanagements messen beziehungsweise dokumentieren (zum Beispiel Reaktionszeit)?
Philipp Perren: Messen lassen sich an sich nur Hard Facts – Krisen bestehen aber meist aus einer Vielzahl von Soft Facts. Entsprechend lassen sich beim Erproben eines Krisenmanagements nur die wenigen Hard Facts messen, die übrigen Elemente sind nur qualitativen Würdigungen zugänglich. Auch hier bin ich dafür, dass möglichst alle Ebenen eines Unternehmens, und zwar bis «hinunter» zu den Leuten an der Kundenfront, einbezogen werden. Bei einer kritischen Bewertung oder sogar Benotung möglichst aller Elemente der Krisenreaktion durch alle Ebenen lassen sich auch bei Soft Faktoren vielfach klare Erkenntnisse über die Qualität des Krisenmanagements erhalten.