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Interview mit Aldo Schellenberg

Verwaltungsratsmitglied bei skyguide und Swiss Innovation Forces

Die Rolle des Verwaltungsrats beim Management geopolitischer Entwicklungen

swissVR Monitor: Wo sehen Sie die grössten geopolitischen Risiken für Schweizer Unternehmen innerhalb des nächsten Jahres?

Aldo Schellenberg: Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine verstärken zum einen die schon seit Jahren bekannten Risiken und Abhängigkeiten in den Bereichen internationaler (globaler) Lieferketten, Energieversorgung (Gas, Strom), Nahrungsmittelversorgung und Staatsverschuldung. Gerade die Corona-Pandemie hat dabei auch gezeigt, dass Staaten keine Freunde haben, nur (bestenfalls gemeinsame) Interessen. Sie reagieren in Situationen mit Mangellagen deshalb reflexartig nationalistisch und protektionistisch. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Versorgungslage für Schweizer Unternehmen, sondern auch auf Wechselkurse, Inflation und Wirtschaftswachstum. Die Geschichte zeigt zudem, dass als Konsequenz von Angebotsschocks die Gefahr einer Stagflation erheblich steigt. Zum anderen hat mit dem russischen Angriff auf die Ukraine die bisherige sicherheitspolitische Architektur Europas, mit der Leitidee «Wandel durch Handel», Schiffbruch erlitten. Eine neue Sicherheitsarchitektur ist erst am Entstehen. Sie wird konfrontativer und spannungsgeladener sowie auf Misstrauen und Sanktionen aufgebaut sein. Geopolitisch wird sie geprägt sein von neuen Blockbildungen mit wirtschaftlicher, technologischer und militärischer Konkurrenz und Protektion. Das wird den wirtschaftlichen Handlungsspielraum von Schweizer Unternehmen spürbar einschränken.

swissVR Monitor: Wie kann der Verwaltungsrat dazu beitragen, diese geopolitischen Risiken zu bewältigen?

Aldo Schellenberg: Schon Emile de Girardin hat richtig festgestellt: «Gouverner, c’est prévoir; et ne rien prévoir, c’est courir à sa perte» (La politique universelle, 1852). Der Verwaltungsrat ist als strategisches Führungsorgan in der Verantwortung, geopolitische Entwicklungen aktiv zu verfolgen und die daraus entstehenden Chancen und Risiken für die eigene Branche und das Unternehmen aufzuzeigen sowie Konsequenzen für das eigene Handeln daraus abzuleiten. Dazu braucht der Verwaltungsrat neben Branchen- und Fachkompetenz auch Analyse- und Handlungskompetenz für geopolitische Herausforderungen.

swissVR Monitor: Wie verändert die heutige VUCA-Welt (hohe Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität) die Rolle des Verwaltungsrats?

Aldo Schellenberg: Die VUCA-Welt verkürzt die Planungshorizonte und ruft nach unternehmerischer Agilität. Die Antwort auf VUCA heisst deshalb VUCA: Vision, Understanding, Clarity, Agility. Die VUCA-Welt verlangt vom Verwaltungsrat noch stärker als bisher gesamtheitliches und vernetztes Denken und Handeln. Ergänzend zum rückwärtsgerichteten Lagebild sind mögliche zukünftige Lageentwicklungen aufzuzeigen. Es ist also ein Denken in Szenarien gefordert, das weit über die klassische SWOT-Analyse hinausgeht und sowohl (geo)politische, ökologische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, rechtliche als auch technologische Entwicklungspfade miteinander verknüpft. Ziel ist es, mögliche Entwicklungen und potenzielle Disruptionen zu erkennen und deren Auswirkungen auf das Unternehmen aufzuzeigen. Die Geschäftsleitung hat dem Verwaltungsrat in der Folge für die verschiedenen Szenarien Strategien vorzulegen, wie die sich daraus ergebenden Chancen und Risiken genutzt bzw. mitigiert werden können. Ein Risikomanagement, das auf Szenarien aufgebaut ist, ist zwingende Voraussetzung für eine agile Unternehmensführung und eine erfolgreiche Krisenbewältigung.

swissVR Monitor: Wird der Verwaltungsrat zunehmend zum Krisenmanager?

Aldo Schellenberg: Der Verwaltungsrat ist das strategische Führungsorgan des Unternehmens. Er hat eine klare Vision zu erarbeiten, ein unternehmensweites Verständnis für die VUCA-Welt zu schaffen, Klarheit (Transparenz) in die Governance und die damit verbundenen Rollen und Erwartungen zu vermitteln sowie die Voraussetzungen für permanente Innovation und Adaption zu schaffen. Dazu gehört auch ein adäquates, auf Szenarien basiertes Risikomanagement und ein daraus abgeleitetes wirkungsvolles Krisenmanagement. Es besteht die latente Gefahr, dass der Verwaltungsrat in der Krise in operative Hektik verfällt, anstatt seine strategische Rolle beizubehalten. Das eigentliche Krisenmanagement (Führung des Krisenstabes) liegt bei der Geschäftsleitung, die dem Verwaltungsrat im Bedarfsfall Anträge unterbreitet. In diesem Sinne wird der Verwaltungsrat zukünftig wohl tatsächlich zeitlich und thematisch mehr gefordert sein. Aber in seiner eigentlichen strategischen Rolle. Erfolgreiches Krisenmanagement erfordert Leadership und Erfahrung in systematischer und gesamtheitlicher Entscheidfindung unter Zeitdruck und Unsicherheit. Es liegt in der Verantwortung des Verwaltungsrats, diese Kernkompetenz in der Geschäftsleitung (und allenfalls bei sich selbst) zu entwickeln.

Aldo Schellenberg


Verwaltungsratsmitglied bei skyguide und Swiss Innovation Forces

Aldo C. Schellenberg lebt in Zürich, ist verheiratet und hat vier Kinder. Seit 30 Jahren ist er Gründer und Inhaber von schellenberg consulting und begleitet mittlere und grössere Unternehmen verschiedener Branchen in strategisch wichtigen Projekten. Dank seiner grossen Erfahrung – auch als Verwaltungsrat – wurde er regelmässig als betriebswirtschaftlicher Gutachter in Zivil- und Strafverfahren beigezogen. Von 2012 bis 2020 war er in verschiedenen Funktionen in der obersten Armeeführung tätig: als Kommandant der Luftwaffe, als Chef des Kommando Operationen und als Stellvertreter des Chefs der Armee. Heute ist Aldo C. Schellenberg u.a. als Verwaltungsrat bei Skyguide, der schweizerischen Flugsicherung, und bei Swiss Innovation Forces AG tätig und berät Unternehmen in den Bereichen Governance und Krisenmanagement.