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Alternde Schweiz – Was für Unternehmen auf dem Pfad zur Netto-Null bis 2050 zu bedenken ist

Die Schweiz und ihre Unternehmen haben in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte in Hinblick auf das Netto-Null-Ziel bis zum Jahr 2050 gemacht. Doch die Alterung der Gesellschaft wird dem weiteren Emissionsabbau voraussichtlich teilweise entgegenwirken und könnte die Netto-Null-Erreichung in einigen Sektoren verzögern. Unternehmen sind daher angehalten, die Auswirkungen der Alterung auf ihre Emissionen zu eruieren und gegebenenfalls ihre Nachhaltigkeitsbemühungen weiter zu intensivieren.

Die Schweiz hat im letzten Jahrzehnt deutliche Anstrengungen unternommen, um nachhaltiger zu werden. Auf der Basis des internationalen Übereinkommens von Paris aus dem Jahr 2015 sowie dessen Ratifikation zwei Jahre später setzte der Bundesrat 2019 das Ziel, die Treibhausgasemissionen der Schweiz bis zum Jahr 2050 auf Netto-Null zu senken. Daraufhin erarbeitete das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK die «Langfristige Klimastrategie der Schweiz». Am 18. Juni 2023 wiederum nahm das Stimmvolk mit 59 Prozent Ja-Stimmen das Klima- und Innovationsgesetz an, womit das Netto-Null-Ziel gesetzlich verankert wurde.

Das Netto-Null-Ziel verlangt, dass die Schweiz bis 2050 nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre ausstösst, als durch natürliche und technische Speicher aufgenommen werden. Dies gilt nicht nur für Kohlendioxid (CO2), sondern alle international geregelten Treibhausgase, zum Beispiel auch Methan. Ferner bezieht sich das Ziel im Einklang mit dem Pariser Übereinkommen auf die Emissionen innerhalb der Schweizer Landesgrenzen (Territorial- bzw. Absatzprinzip), was alle Sektoren des Treibhausgasinventars umfasst. Hierzu gehören unter anderem die Energie(erzeugung), industrielle Prozesse und Produktenutzung sowie die Landwirtschaft und Landnutzung.

Grundsätzlich bedeutet das Netto-Null-Ziel, dass Unternehmen und Haushalte in der Schweiz 2050 emissionsfrei wirtschaften müssen. Die dafür nötige Reduktion ausgehend vom heutigen Emissionsniveau soll in erster Linie durch technischen Fortschritt erreicht werden. Gleichzeitig berücksichtigt das Ziel die Tatsache, dass bestimmte Bereiche wie die Nahrungsmittelproduktion oder die Zementherstellung auch 2050 nicht vollständig emissionsfrei sein werden (siehe «Langfristige Klimastrategie der Schweiz»). Daher soll das in solchen Anwendungsbereichen entstehende CO2 nahe der Quelle abgeschieden und eingelagert beziehungsweise wiederverwertet werden.

Die «Langfristige Klimastrategie der Schweiz» konkretisiert das Netto-Null-Vorhaben durch spezifische Ziele und Herausforderungen für verschiedene Sektoren. Im Jahr 2022 entfielen rund drei Viertel der territorialen Emissionen auf die Sektoren Verkehr (Strassen, Luft, Schienen und Gewässer), Gebäude (Privathaushalte und Dienstleistungssektor) und Industrie. Zusätzlich formuliert die Klimastrategie Ziele für den internationalen Luftverkehr ab der Schweiz, die Landwirtschaft und Ernährung, den Finanzmarkt, den Abfallsektor sowie synthetische Gase.

Positive Entwicklung der Treibhausgasemissionen in der Schweiz

Über die letzten Jahrzehnte hat die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen deutlich reduziert. Während im Jahr 1990 noch circa 54 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (CO2eq) ausgestossen wurden, lag dieser Wert 2023 bei etwa 40 Millionen Tonnen CO2eq (siehe dunkelgrüne Balken). Dies entspricht einem Rückgang von rund 28 Prozent. Berücksichtigt man, dass die Bevölkerung der Schweiz in diesem Zeitraum von 6,7 Millionen auf 8,8 Millionen Menschen gewachsen ist, zeigt sich eine noch beachtlichere Abnahme der Emissionen (siehe gelbe Linie). So ging der Pro-Kopf-Ausstoss von 8,1 Tonnen CO2-Äquivalenten im Jahr 1990 auf 4,5 Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2023 zurück, was einen Rückgang von über 40 Prozent bedeutet. Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz bei den territorialen Emissionen pro Kopf bei etwa der Hälfte des europäischen Durchschnitts (9,3 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr) .

Deutlicher Rückgang der Emissionen, aber ein weiter Weg zu Netto-Null

Treibhausgasemissionen der Schweiz insgesamt (linke Achse) und pro Kopf (rechte Achse; ohne internationalen Luft- und Schiffsverkehr)

Neben den territorialen Emissionen verursacht die Schweizer Bevölkerung jedoch durch ihren Konsum von Importgütern ebenfalls Ausstösse im Ausland. Berücksichtigt man auch die dadurch entstehenden importierten Emissionen, ergibt sich ein Pro-Kopf-Fussabdruck von fast 14 Tonnen CO2 pro Jahr (Stand 2022). Dieser Wert entspricht etwa dem Dreifachen des globalen Durchschnitts und einem der höchsten Pro-Kopf-Fussabdrücke weltweit.

Betrachtet man lediglich die territorialen Emissionen, erreichte die Schweiz im Jahr 2022 das geplante Etappenreduktionsziel von unter circa 45 Millionen Tonnen CO2eq (siehe «Langfristige Klimastrategie der Schweiz», S. 55). Dieser Fortschritt stellt ein positives Zwischenresultat dar. Die weitere Entwicklung der territorialen Treibhausgasemissionen wird vor allem durch Veränderungen auf den folgenden drei Ebenen beeinflusst: bei der Bevölkerung, dem Wohlstand und beim technologischen Fortschritt. Zum Beispiel führt wachsender Wohlstand grundsätzlich zu einem höheren Konsumniveau, was in der Regel steigende Emissionen mit sich bringt. Technologischer Fortschritt wiederum kann die Effizienz erhöhen und dadurch Emissionen reduzieren oder umgekehrt auch steigern, wie das Beispiel der wachsenden Nutzung künstlicher Intelligenz zeigt. Vor dem Hintergrund des fortschreitenden und sich zuspitzenden demografischen Wandels stellt sich die Frage, wie die Alterung der Schweiz die weitere Entwicklung der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 beeinflussen wird.

Alterung beeinflusst zukünftige Emissionen und Netto-Null-Erreichung

Das Bundesamt für Statistik prognostiziert, dass die Gruppe der mindestens 65-Jährigen von allen Altersgruppen zukünftig am stärksten wachsen wird und zwar bis zum Jahr 2050 um über 40 Prozent. Damit wird Mitte des Jahrhunderts ein Viertel der Bevölkerung 65 Jahre oder älter sein. Der zweitgrösste Anstieg wird für die 40- bis 64-Jährigen erwartet, die in diesem Zeitraum um zwölf Prozent mehr werden. Da die jüngeren Altersgruppen nur marginal wachsen werden, wird die Schweizer Bevölkerung im Jahr 2050 durchschnittlich deutlich älter sein als heute.

Die Altersgruppe 65+ wächst zukünftig am stärksten

Bevölkerung der Schweiz nach Altersgruppen (in Millionen)

Da verschiedene Altersgruppen unterschiedliche Lebensstile und Konsummuster haben, wird die Alterung in der Schweiz die zukünftigen Treibhausgasemissionen beeinflussen. Beispielsweise sinkt mit zunehmendem Alter grundsätzlich der ökologische Fussabdruck. Während laut einer Berechnung von Sotomo und Helion in der Altersgruppe der 18-35-Jährigen hierzulande der Durchschnitt bei 11,3 Tonnen CO2 im Jahr liegt, verursachen die über 55-Jährigen jährlich lediglich 9,8 Tonnen CO2. Aufgrund der Tatsache, dass diese Werte jedoch sowohl die inländischen als auch die importierten Emissionen beinhalten, geben sie nur bedingt Auskunft über den Einfluss der Alterung auf die territorialen Treibhausgasemissionen. Daher sei im Folgenden betrachtet, wie sich die Alterung der Schweiz auf die Nachfrage in den drei emissionsreichsten Sektoren Verkehr, Gebäude und Industrie auswirkt.

Ökologischer Fussabdruck sinkt mit dem Alter

Durchschnittlicher Fussabdruck (in Tonnen CO2) nach Altersgruppen

Klare Tendenzen im Verkehrs- und Gebäudesektor, gemischtes Bild in der Industrie

Der Verkehrssektor umfasst in der «Langfristigen Klimastrategie der Schweiz» den Strassenverkehr, inländischen Luftverkehr (ohne Militär), Bahn, inländischen Schiffsverkehr und Pipelinetransport. Da die Mobilität mit dem Alter in der Regel abnimmt, ist zu erwarten, dass die gesellschaftliche Alterung die Treibhausgasemissionen reduzieren wird. So verursachen die 18-35-Jährigen in der Schweiz durch ihr Fahren und Fliegen durchschnittlich einen Ausstoss von 4,2 Tonnen CO2 im Jahr, die 36-55-Jährigen von 3,3 Tonnen CO2 im Jahr und die über 55-Jährigen lediglich von 2,7 Tonnen CO2 im Jahr. Zwar fällt beim Fliegen ein Grossteil des Fussabdrucks nicht in der Schweiz an und zählt damit nicht zu den territorialen Treibhausgasemissionen, doch gilt ungeachtet dessen, dass die Emissionswerte über die Altersgruppen hinweg sinken. Folglich wird die Alterung der Schweiz die hiesigen Emissionen im Verkehrssektor tendenziell reduzieren und die Erreichung des Netto-Null-Ziels begünstigen.

Der Gebäudesektor setzt sich in der «Langfristigen Klimastrategie der Schweiz» aus den Emissionen der privaten Haushalte und des Dienstleistungssektors zusammen. In diesem Zusammenhang wird sich die Alterung der Gesellschaft wahrscheinlich vor allem auf die Emissionen der privaten Haushalte auswirken. Denn der durchschnittliche Fussabdruck beim Wohnen steigt mit dem Alter an und liegt bei den über 55-Jährigen mit 1,8 Tonnen CO2 jährlich 20 Prozent über dem der 36-55-Jährigen (1,5 Tonnen CO2 im Jahr) und sogar knapp 30 Prozent über dem der 18-35-Jährigen (1,4 Tonnen CO2 im Jahr). Dies liegt in erster Linie an zwei Gründen. Erstens nehmen ältere Personen oft mehr Wohnraum in Anspruch, da nach dem Auszug der eigenen Kinder der Wechsel in kleinere vier Wände finanziell häufig nicht lohnend erscheint. Zweitens verbringen insbesondere Pensionäre in der Regel mehr Zeit zu Hause und verbrauchen dadurch mehr Energie zum Heizen, Kochen und dergleichen, was die Haushaltsemissionen erhöht; ausser bei ausschliesslichem Bezug von erneuerbaren Energien. Damit wird die Alterung der Schweiz die territorialen Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor tendenziell erhöhen und der Erreichung des Netto-Null-Ziels entgegenwirken.

Weniger eindeutig ist der Einfluss der Alterung auf den Industriesektor. Zwar stellen beispielsweise die durchschnittlichen Fussabdruckwerte in den Bereichen Konsum und Ernährung ein erstes Indiz dar, jedoch sind erstens die Unterschiede über die Altersgruppen hinweg im Vergleich zum Verkehrs- und Gebäudesektor deutlich weniger stark ausgeprägt. Zweitens bestehen der Konsum und die Ernährung der Schweizer Bevölkerung zu einem massgeblichen Anteil aus Importen, deren Emissionen nicht der Eidgenossenschaft zugerechnet werden. Und drittens gehen Prognosen von AARP davon aus, dass sich die Konsumgewohnheiten der Altersgruppe 50+ bis 2050 verändern werden. So soll der Anteil von Erholungs- und Kulturgütern am Warenkorb älterer Personen von 2020 bis 2050 um knapp die Hälfte (+45%) sowie der von Wohneinrichtung und laufenden Haushaltskosten um knapp ein Drittel (+27%) steigen. Andersherum werden zur Mitte des Jahrhunderts Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke knapp ein Fünftel weniger vom Budget als aktuell ausmachen (-19%). Solche Veränderungen werden die Emissionsbilanz sowohl negativ als auch positiv beeinflussen. Folglich zeigen die Auswirkungen der Alterung auf die industriellen Treibhausgasemissionen der Schweiz ein gemischtes Resultat auf.

Die Altersgruppe 50+ wird zukünftig anders konsumieren als heute

Änderungen der Konsumanteile ausgewählter Güter für die Altersgruppe 50+ bis zum Jahr 2050

Im Fazit wird die Alterung voraussichtlich einen merklichen Einfluss auf die territorialen Emissionen und damit die Netto-Null-Erreichung haben, jedoch unterschiedlich je nach Sektor. Während es im Verkehr voraussichtlich zu einer Emissionsreduktion kommen wird, ist im Gebäudesektor wahrscheinlich von einer zukünftigen Erhöhung der Ausstösse auszugehen. In der Industrie dürfte die Alterung zu einem gemischten Einfluss auf die Erreichung des Netto-Null-Ziels führen.

Aufgrund der beschriebenen unterschiedlichen Auswirkungen sind Unternehmen angehalten, den Einfluss der Alterung auf ihr Geschäft kontextspezifisch zu eruieren. Aus dieser Analyse ist anschliessend abzuleiten, in welchen Unternehmensbereichen die Nachhaltigkeitsbemühungen zu intensivieren sind, um das Netto-Null-Ziel bis zum Jahr 2050 zu erreichen.

Die Alterung hat verschiedene Auswirkungen auf die Netto-Null-Erreichung

Handlungsempfehlungen für Unternehmen

Als Erstes gilt es zu analysieren, wie die verschiedenen Stakeholder des Unternehmens von der Alterung betroffen sein werden. In diesem Zusammenhang sind unter anderem (End-)Kunden aufgrund der beschriebenen Konsummuster und Angestellte wegen ihres betriebsinternen Fussabdrucks zu berücksichtigen.

In einem zweiten Schritt ist zu bestimmen, welche Auswirkungen die Alterung der verschiedenen Stakeholdergruppen auf die Nachhaltigkeitsbilanz des Unternehmens hat. Werden ältere Kunden nachhaltigere Produkte oder Dienstleistungen nachfragen oder weniger nachhaltige? Wird eine ältere Belegschaft den Fussabdruck des Unternehmens eher reduzieren oder erhöhen?

Als Drittes sind Massnahmen zu identifizieren, um allfällige zusätzliche Emissionen aufgrund der Alterungsfolgen der verschiedenen Stakeholdergruppen zu reduzieren. Diese Massnahmen setzen unmittelbar an den Ausstossquellen an, wobei idealerweise mehrere Massnahmen pro Emissionsquelle eruiert werden.

Auf Grundlage der ersten Auswahlliste sind im Anschluss die Machbarkeit, Kosten und das Reduktionspotenzial jeder Massnahme zu analysieren. Diese Parameter können sich über die Zeit hinweg verändern, zum Beispiel insofern, dass sich eine Massnahme einfacher umsetzen lässt, günstiger wird oder mehr Emissionen reduziert.

Bei der finalen Auswahl beziehungsweise Umsetzung sind kostensparende Massnahmen zu priorisieren, sprich jene, die sowohl die Emissionen reduzieren als auch langfristig den Gewinn steigern. Ob eine Massnahme wirtschaftlich vorteilhaft ist, kann sich ebenfalls im Zeitverlauf ändern und ist daher periodisch (neu) zu evaluieren.

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