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Alternde Schweiz: Jedes zweite Unternehmen spürt Auswirkungen – und fast alle fordern staatliches Handeln

Zürich, 28. Februar 2025

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Der demografische Wandel setzt den Arbeitsmarkt und die Altersvorsorge unter Druck. Unternehmen spüren die Auswirkungen bereits deutlich und sehen tiefgreifende Veränderungen auf sich zukommen. Gleichzeitig wird das Thema in den Verwaltungsräten noch wenig diskutiert, wie der aktuelle swissVR Monitor zeigt. Die meisten VR-Mitglieder hoffen zudem auf staatliche Reformen wie eine Erhöhung des Rentenalters. Doch die wenigsten Unternehmen haben die Arbeitsbedingungen altersgerecht ausgestaltet.

Steigende Lebenserwartung, rückläufige Geburtenraten und anhaltende Migration: Die Bevölkerungsstruktur der Schweiz verändert sich rasant. Da mehr Menschen in Rente gehen als junge Erwerbstätige nachrücken, droht eine massive Verknappung der Arbeitskräfte. Laut Prognosen werden in der Schweiz bis 2040 über 430’000 Fachkräfte fehlen. Darum haben die Verwaltungsratsvereinigung swissVR, das Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte und die Hochschule Luzern 360 Mitglieder von Verwaltungsräten zu den Auswirkungen des demografischen Wandels befragt.

Pharma unter Druck
 

Der Anpassungsdruck, aber auch die Chancen, sind in der Pharma- und der Gesundheitsbranche besonders gross: 60 Prozent der Unternehmen in diesen Branchen spüren die Auswirkungen bereits deutlich. Insgesamt geben 40 Prozent der Befragten an, aktuell Auswirkungen des Wandels in ihrem Unternehmen festzustellen, weitere 20 Prozent erwarten Auswirkungen in den nächsten drei Jahren (Abb. 1).

Dennoch haben erst 57 Prozent im vergangenen Jahr im Verwaltungsrat über den demografischen Wandel diskutiert. «Verwaltungsräte müssen proaktiv handeln. Sie müssen die für ihr Unternehmen relevanten Risiken des demografischen Wandels verstehen, analysieren und nachhaltig bewältigen. Dies betrifft nicht nur den Fachkräftemangel, sondern auch das Dienstleistungs- und Produktangebot», warnt Isabelle Amschwand, Präsidentin von swissVR. «Die Entwicklung wird sich weiter zuspitzen und könnte die Unternehmensstrategie gefährden.»

Wandel bedroht Geschäftsmodelle
 

Eine klare Mehrheit der VR-Mitglieder ist sich einig, dass der demografische Wandel grundlegende Auswirkungen auf die Unternehmensführung haben wird: Insbesondere die Organisation der Arbeit (69%), die Unternehmensstrategie sowie die Unternehmens- und Führungskultur (68%) würden sich verändern. Trotzdem geben knapp die Hälfte (45%) der Befragten an, dass sich ihr Gremium nicht genügend Zeit für die Diskussion des Themas nimmt.

Die alternde Schweiz verändert auch bestehende Geschäftsmodelle. Die Art und Weise, wie Unternehmen mit ihrer Kundschaft kommunizieren und Produkte verkaufen (65%), wo und wie Kosten anfallen (61%) und was überhaupt angeboten wird (59%), wird sich gemäss den Befragten verändern. Dennoch haben erst 26 Prozent ihr Geschäftsmodell angepasst. «Viele Unternehmen unterschätzen, wie stark der demografische Wandel nicht nur den Arbeitsmarkt, sondern auch Absatzmärkte und Kundenstrukturen beeinflusst», sagt Mirjam Gruber-Durrer, Professorin für Normatives Board Management an der Hochschule Luzern. «Verwaltungsräte müssen diese Marktveränderungen antizipieren und aus den daraus resultierenden Risiken und Chancen die richtigen Ableitungen für die Unternehmensstrategie treffen.»

Steuervorteile bei der Altersvorsorge belassen


Die Mehrheit der Unternehmen sieht den Staat in der Verantwortung, die Auswirkungen des demografischen Wandels und die daraus entstehenden Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt zu bewältigen (Abb. 2). Die Zustimmung für Steuervorteile bei der Altersvorsorge (97%) ist überwältigend – dies entgegen den aktuellen Plänen des Bundesrats, Kapitalbezüge aus der 2. und 3. Säule stärker zu besteuern. Eine erdrückende Mehrheit wünscht sich zudem steuerliche Anreize für das Arbeiten über die Pensionierung hinaus (90%), ein flexibleres Arbeitsrecht (87%), gezielte Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte (86%) oder eine Erhöhung des Rentenalters (85%).

Bisher setzen nur wenige Unternehmen effektive Massnahmen zur Bewältigung des demografischen Wandels um. Die meisten setzen angesichts der alternden Bevölkerung und des Fachkräftemangels auf altbewährte Rezepte wie flexible Arbeitsmodelle (66%) und Weiterbildung (52%). Bloss ein Viertel (25%) rekrutiert im Ausland, und nur 16 Prozent haben ihre Arbeits- und Anstellungsbedingungen an die Bedürfnisse älterer Mitarbeitender angepasst.

«Unternehmen sollten sich angesichts der rasch alternden Gesellschaft nicht auf staatliche Massnahmen verlassen», betont Reto Savoia, CEO von Deloitte Schweiz. «Es braucht innovative und umfassende Lösungen. Dazu gehören attraktive Karrieremodelle, die über das Rentenalter hinausgehen, flexible interne Rekrutierungsstrategien und nicht zuletzt auch massive Produktivitätssteigerungen durch Technologie. Den demografischen Wandel sollten wir zudem nicht bloss als Gefahr sehen. Es entstehen auch finanzstarke Zielgruppen für neue Produkte und Dienstleistungen.»

Neue Massnahmen gefragt


Eine parallel zum swissVR Monitor erstellte und aktuell gestartete Studienserie mit dem Titel Alternde Schweiz: Zeit zum Handeln analysiert die demografischen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Der erste von sechs geplanten Themenreports fokussiert auf den Arbeitsmarkt und gibt neue Handlungsempfehlungen ab. Interne Talente können durch klare Karrierepfade, temporäre Positionswechsel oder «Quiet Hiring» – die gezielte Weiterqualifizierung für Führungspositionen – im Unternehmen gehalten werden.

Überhaupt gewinnt die interne Talententwicklung gegenüber der externen Personalsuche an Bedeutung. Dabei gilt es auch, Frauen mit höheren Pensen und ohne längere Unterbrüche im Unternehmen zu halten. Zudem sollen ältere Mitarbeitende gezielter gefördert und für das Arbeiten über das Rentenalter hinaus motiviert werden – zum Beispiel durch schrittweise Karriereübergänge bis zur vollständigen Pensionierung oder ein Senior-Jobsharing.

Freude an der Arbeit


Die Veränderungen in der Altersstruktur erfordern zudem eine viel strategischere Personalplanung. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Wissenstransfer von Alt zu Jung. IT-Unternehmen müssen beispielsweise immer wieder schmerzlich feststellen, dass mit der Pensionierung von Babyboomern wichtiges Wissen über alte Systeme verloren geht. Mentoring-Programme können helfen, das vorhandene Know-how an jüngere Mitarbeitende weiterzugeben und gleichzeitig deren Karrieren zu unterstützen. Zudem sind die technologischen Fähigkeiten aller Mitarbeitenden gezielt zu stärken.

Auch wird die klassische Strategie, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, langfristig nicht ausreichen. Daher sollten Unternehmen verstärkt das inländische Potenzial aktivieren – insbesondere durch die gezielte Rekrutierung und Förderung von Frauen und älteren Mitarbeitenden. Der Deloitte-Report Alternde Schweiz: Arbeitsmarktdynamik für nachhaltiges Wachstum überdenken zeigt auch, dass sinnstiftende Arbeit und ein grösseres Vertrauen in die Wirtschaft entscheidend sind, damit Menschen gerne mehr und länger arbeiten.

Über den swissVR Monitor
Die halbjährliche Umfrage swissVR Monitor zielt darauf ab, die Einschätzungen von Verwaltungsratsmitgliedern zu Geschäftsaussichten, Strategien und strukturellen Themen zu erfassen. Für die aktuelle Ausgabe Demografischer Wandel – Was zu tun ist, damit der Verwaltungsrat morgen nicht alt aussieht wurden von swissVR in Zusammenarbeit mit Deloitte und der Hochschule Luzern im Zeitraum vom 22. November 2024 bis zum 5. Januar 2025 360 VR-Mitglieder online befragt. Die Teilnehmenden repräsentieren Verwaltungsräte von börsenkotierten Unternehmen wie auch von KMU und stammen aus allen relevanten Branchen. 35 Prozent der Teilnehmenden sind Verwaltungsratsmitglieder in grossen, 32 Prozent in mittelgrossen und 33 Prozent in kleinen Unternehmen.

Über den Demografie-Report zum Arbeitsmarkt
Der neue Deloitte-Bericht Alternde Schweiz: Arbeitsmarktdynamik für nachhaltiges Wachstum überdenken des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Deloitte ist Teil der Publikationsserie Alternde Schweiz: Zeit zu handeln, die die Auswirkungen des demografischen Wandels auf diverse Bereiche der Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft untersucht. Im Rahmen dieser Analyse über den Schweizer Arbeitsmarkt wurden zwischen Oktober 2024 und Januar 2025 zahlreiche Interviews mit Expertinnen und Experten geführt – darunter über 20 persönliche Gespräche mit Führungskräften von Schweizer Unternehmen sowie mit Fachpersonen kantonaler und nationaler Behörden und Verbände. Zudem sind auch die umfassenden Erfahrungen von Deloitte in der Beratung von Unternehmen zu Human-Capital-Themen in den Bericht eingeflossen.