Verfahren anhängig: Der Generalanwalt des Obersten Gerichtshofes ist der Ansicht, dass die territoriale Beschränkung einer USt-Organschaft ein gerechtfertigter Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit sei
Im derzeit noch anhängigen Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof der Niederlande ist der Generalanwalt (Advocate General) der Ansicht, dass die territoriale Beschränkung einer niederländischen USt-Organschaft einen gerechtfertigten Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellt und dass der Oberste Gerichtshof der Niederlande nicht verpflichtet sei, diese Frage dem Gerichtshof der Europäischen Union mittels Vorabentscheidungsfragen vorzulegen.
The Advocate General to the Supreme Court of the Netherlands is of the opinion that the territorial restriction of the VAT group to Netherland is a justifiable breach of the freedom of establishment and that the Dutch Supreme Court is not obliged to refer preliminary questions to the Court of Justice of the European Union.
Das Urteil bezieht sich auf eine niederländische USt-Organschaft, die Teil eines internationalen Konzerns ist, welcher Versicherungs- und Vermögensverwaltungsdienstleistungen erbringt.
Die niederländische USt-Organschaft erhält von ihrer deutschen Muttergesellschaft konzerninterne Verrechnungen für diverse Dienstleistungen (Management Fees). Diese Leistungen unterliegen in den Niederlanden iRd Reverse-Charge Besteuerung der Umsatzsteuer. Aufgrund der überwiegenden Umsatzsteuerbefreiung ihrer Tätigkeiten (insb Versicherungstätigkeiten) kann die USt größtenteils nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden.
Die Beschwerdeführerin (Bf) vertrat die Ansicht, dass die territoriale Begrenzung der USt-Organschaft auf die Niederlande (dh nur in den Niederlanden ansässige Steuerpflichtige können einer USt-Organschaft beitreten) ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Artikel 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) darstelle.
Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht folgten der Argumentation der Bf nicht.
Derzeit ist der Fall vor dem Obersten Gerichtshof der Niederlande anhängig. Die Generalanwaltschaft (Advocate General) hat ihre Schlussanträge in dieser Angelegenheit bereits veröffentlicht.
Nach einer sehr ausführlichen Analyse des Konzepts der USt-Organschaft des EuGH-Urteils in der Rechtssache Danske Bank und der Regelungen zur Niederlassungsfreiheit kommt die Generalanwaltschaft zu dem Schluss, dass die territoriale Beschränkung auf die Niederlande einen gerechtfertigten und verhältnismäßigen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellt.
In Anbetracht dieser Rechtsansicht kommt die Generalanwaltschaft außerdem zum Ergebnis, dass der Fall nicht dem EuGH vorgelegt werden sollte. Es bleibt abzuwarten, ob der Oberste Gerichtshof sich dieser Ansicht anschließt oder ein weiterer Fall zur USt-Organschaft beim EuGH landet.
In Österreich wurde iRd jüngsten UStR-Wartungserlass in Rz 236 die Entscheidung des BFH vom 18.1.2023, XI R 29/22, welche als Nachfolgeentscheidung zum Urteil des EuGH vom 1.12.2022, C-141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie mbH, ergangen ist, eingearbeitet (siehe hierzu auch unseren Artikel EuGH-Urteil zur umsatzsteuerlichen Organschaft). Demzufolge wird die finanzielle Eingliederung als Voraussetzung für das Vorliegen einer USt-Organschaft weiters präzisiert: Beträgt die stimmrechtliche Beteiligung 50%, kann eine finanzielle Unterordnung auch dann vorliegen, wenn die Willensdurchsetzung des Organträgers gegenüber der Organgesellschaft dadurch gesichert ist, dass der Organträger eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er deren einzigen Geschäftsführer stellt (vgl BFH 18.1.2023, XI R 29/22, Nachfolgeentscheidung zu EuGH 1.12.2022, Rs C-141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie mbH).
Die Regelungen zur USt-Organschaft sind in den letzten Jahren Anlass für zahlreiche Verfahren – sowohl vor nationalen Gerichten als auch vor dem EuGH. Aus der Sicht der Praxis ist zu begrüßen, dass im Wartungserlass auf die aktuelle EuGH-Rechtsprechung iZm der finanziellen Eingliederung reflektiert wird. Inwieweit ein Verfahren – wie das in den Niederlanden – beim EuGH iSd Bf mit Erfolg gekrönt wäre, ist nach Ansicht der Autori:nnen zweifelhaft, da der EuGH die gebietsmäßige Beschränkung einer Mehrwertsteuergruppe in vergangenen Entscheidungen (zB EuGH 11.3.2021, Danske Bank, C-812/19) nicht als EU-widrig betrachtet hat.