Muss ein Unternehmen aussergewöhnlich gut geführt sein, um erfolgreich zu sein? Andreas Bodenmann glaubt das nicht - aber aussergewöhnlich gut geführte Unternehmen sind in der Regel länger erfolgreich. Was sind die Kennzeichen dieser 'Best Managed Companies'?
Bringen wir es auf den Punkt: Was machen aussergewöhnlich gut geführte Unternehmen besser als andere?
Andreas Bodenmann: Eines ihrer herausragenden Merkmale ist das so genannte agile Management. Sie haben sich intern so aufgestellt, dass sie Anzeichen für bevorstehende Veränderungen frühzeitig erkennen und bei Bedarf schnell darauf reagieren können.
Die COVID-19-Pandemie brachte viele Veränderungen mit sich. Bedeutete das, dass sie auch einen interessanten Test darstellte?
In der Tat. Wie man so schön sagt: Wer nicht plant, plant zu scheitern. Nahezu jedes Unternehmen war gezwungen, angesichts der durch die Pandemie auferlegten Einschränkungen zu handeln. Es war ein perfekter Test für ein agiles Unternehmensmanagement.
Können Sie ein Beispiel für agile Unternehmensführung nennen?
Wir verzichten bewusst darauf, einzelne Aspekte hervorzuheben, die ein Unternehmen als agil kennzeichnen. Denn je nachdem, wie ein bestimmtes Unternehmen aufgestellt ist, kann ein und dasselbe ein Zeichen für eine starke oder widersprüchliche Unternehmensführung sein. Ein Beispiel, das mich jedoch sehr beeindruckt hat, betrifft ein Lebensmittelunternehmen, das nach der Pandemie innerhalb weniger Tage vom stationären Verkauf in den eigenen Geschäften auf den Online-Handel umstellen musste.
Wie hat das Management auf dieses Bedürfnis reagiert?
Es war verblüffend. Sie stellten den Mitarbeitern sofort ein Lagerhaus zur Verfügung, in dem sie in kürzester Zeit Regale aufbauten und Verpackungslinien einrichteten. Auf diese Weise konnten sie die Logistik für einen vollwertigen E-Commerce-Betrieb in nur wenigen Tagen auf die Beine stellen. Gleichzeitig verlieh das Unternehmen seinem Online-Shop ein professionelleres Aussehen. Dank dieses schnellen Handelns überlebte das Unternehmen die Pandemie, ohne viele Entlassungen vornehmen zu müssen.
Sie sind verantwortlich für das Programm 'Best Managed Companies' (BMC) in der Schweiz, bei dem ein unabhängiges Gremium die besten Unternehmen in Privatbesitz auszeichnet. Was ist die Bedeutung dieser Auszeichnung?
Es ist ein Gütesiegel für aussergewöhnliche Unternehmensführung, die auf nachhaltiges Unternehmenswachstum ausgerichtet ist. Das Programm wurde vor 30 Jahren in Kanada ins Leben gerufen. Heute wird der Titel 'Best Managed Companies' in fast 50 Ländern verliehen. Der Erhalt der Auszeichnung hilft den ausgezeichneten Unternehmen auch, ihr Profil in der Öffentlichkeit zu schärfen. Das ist viel wert, und zwar nicht nur in Bezug auf Marketing und Kommunikation: Vielen Unternehmen in Privatbesitz fehlt immer noch der Blick von aussen, und die detaillierte Bewertung, der sie sich während ihres BMC-Audits unterziehen, hält ihnen sozusagen den Spiegel vor. Es ermöglicht ihnen, ihre internen Prozesse und Geschäftspraktiken aus einer externen Perspektive zu betrachten.
Warum ist diese Prüfung von aussen wichtig?
Die am besten geführten Unternehmen suchen bewusst nach einer Reihe von Meinungen und Standpunkten und nehmen diese auf. Für Unternehmen in Privatbesitz kann dies bedeuten, dass dem Vorstand oder dem Managementteam nicht nur Familienmitglieder angehören, sondern auch Personen von ausserhalb, z.B. jemand, der in einer ähnlichen Branche oder bei einem viel grösseren oder kleineren Unternehmen arbeitet. Oder jemand mit Fähigkeiten, über die das Unternehmen nicht verfügt.
Frauen neigen dazu, unabhängiger zu denken, sie legen Wert auf Nachhaltigkeit und Integration, sie lassen sich weniger leicht beeinflussen und gehen oft anders mit Risiken um als ihre männlichen Kollegen.
Andreas Bodenmann ist Partner bei Deloitte Schweiz und leitet das Programm 'Best Managed Companies'.
Sie sagen 'jemand' - ich nehme an, Sie haben absichtlich nicht 'ein Mann' oder 'eine Frau' gesagt.
Ja. Der Eindruck, den ich seit vielen Jahren habe - und der auch durch zahlreiche Studien bestätigt wird - ist, dass Frauen dazu neigen, unabhängiger zu denken, dass sie Wert auf Nachhaltigkeit und Integration legen, dass sie weniger leicht zu beeinflussen sind und dass sie oft anders mit Risiken umgehen als ihre männlichen Kollegen. Dies sind alles gute Gründe, Frauen in Entscheidungsgremien zu bringen.
Welche weiteren Stärken zeichnen die Best Managed Companies aus?
Sie binden Mitarbeiter aus verschiedenen Hierarchieebenen in die Unternehmensführung ein und delegieren Verantwortung an sie. Erstens sind diese Mitarbeiter in der Regel näher an den Kunden dran und haben eine genauere Vorstellung davon, was sie brauchen. Dieses Wissen ist Gold wert. Zweitens sind diese Kollegen die wichtigsten Botschafter des Unternehmens. Wenn sie eine aktive Rolle bei der Entwicklung der Strategie spielen, sind sie motivierter, diese umzusetzen.
Gibt es nicht einen Widerspruch zwischen dem Wunsch eines Unternehmens, agil zu sein und gleichzeitig eine langfristige Strategie zu verfolgen?
Wie bringt ein gut geführtes Unternehmen beides unter einen Hut?Unternehmen, die aussergewöhnlich gut geführt werden, müssen sich so aufstellen, dass sie sich schnell an Veränderungen in ihrem Umfeld anpassen können. Das ist der Schlüssel. Die Strategie ist das erste von vier Kernelementen. Das zweite sind unternehmensspezifische Innovationen und Fähigkeiten. Das dritte bezieht sich auf die Unternehmenskultur und die emotionale Bindung, die die Mitarbeiter zu ihrem Arbeitgeber empfinden.
Und das vierte Element?
Einerseits umfasst es die Strukturen, Richtlinien und Prozesse, die zur Verwaltung und Überwachung eines Unternehmens eingesetzt werden. Andererseits bezieht es sich auf die finanzielle Gesundheit und Leistung des Unternehmens. Um langfristig erfolgreich zu sein, muss ein Unternehmen diese vier Elemente miteinander in Einklang bringen - aber es muss auch so strukturiert sein, dass es die Dynamik aller vier Elemente nutzen kann, um agil zu sein. Darin liegt kein Widerspruch.
Wie können Unternehmen mit einer agilen Managementstruktur ihren unternehmerischen Fokus beibehalten?
Es stimmt, dass die am besten geführten Unternehmen in der Regel auch die am stärksten fokussierten Unternehmen sind, weil sie eine klare Vorstellung davon haben, was sie tun wollen. Hier ein weiteres Beispiel, ohne Namen zu nennen: Ein Unternehmen, das eine Auszeichnung als "Best Managed Companies" erhalten hat, stellt Produkte her, die dank ihrer markengerechten Verpackungen für jedermann erkennbar sind. Das Unternehmen hat jedoch festgestellt, dass es bei den Materialien, die für seine Verpackungen verwendet werden, grossen Verbesserungsbedarf gibt. Jetzt verwendet es zu diesem Zweck nur noch recycelbare Rohstoffe - ein grosser Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Dies veranlasste die Geschäftsleitung auch zu der Frage, ob das Unternehmen diversifizieren sollte, indem es beispielsweise sein Verpackungs-Know-how anderen Unternehmen anbietet. Aufgrund der begrenzten Ressourcen entschied sich die Geschäftsleitung jedoch schliesslich dagegen.
Welche Rolle spielt das Glück im Leben eines Geschäftsinhabers?
Das Glück spielt im Leben von Unternehmen definitiv eine wichtige Rolle, aber es hängt wirklich davon ab, wie proaktiv Sie es "suchen". Unternehmerisch denkende Manager, die offen für Neues sind, sind besser in der Lage, Chancen zu ergreifen, und Unternehmen, die sich ein agiles Management zu eigen machen, sind besonders gut in der Lage, diese Chancen zu erkennen und zu nutzen. Wenn es um Unternehmensführung geht, bedeutet Agilität, dass man schnell auf Veränderungen reagieren und Entscheidungen effizient in die Praxis umsetzen kann. Mit anderen Worten: Glück kann den Erfolg beschleunigen, wenn es mit intelligenter Unternehmensführung kombiniert wird.
Jedes Unternehmen sollte wissen, wo seine grössten Risiken liegen. Um diese Risiken zu minimieren, muss es Instrumente zur Risikoüberwachung einführen.
Andreas Bodenmann
Wie sollten Sie als CEO oder Eigentümer eines Unternehmens mit potenziellen Risiken für Ihr Unternehmen umgehen?
Jedes Unternehmen sollte wissen, wo seine grössten Risiken liegen. Um diese Risiken zu minimieren, muss es Instrumente zur Risikoüberwachung einsetzen. Nehmen wir das Beispiel eines Unternehmens, das High-Tech-Produkte für die Luftfahrtindustrie entwickelt. Es ist eine gute Idee, zunächst Szenarien mit Eintrittswahrscheinlichkeiten für bestimmte Risiken zu definieren und dann zu bestimmen, was zu tun wäre, wenn tatsächlich Probleme auftreten. Es ist gängige Praxis, dem Vorstand vierteljährlich über den Status des Produktportfolios des Unternehmens und die Entwicklung der einzelnen Risiken zu berichten. Natürlich braucht nicht jedes Unternehmen einen so nuancierten Risikomanagementansatz.
Ich möchte unser Gespräch mit drei Zitaten von aussergewöhnlichen Unternehmern abschliessen. Darf ich Sie um einige kurze Gedanken dazu bitten?
Lassen Sie uns mit diesem Zitat von Steve Jobs beginnen: "Innovation unterscheidet zwischen einem Leader und einem Follower". Was meinen Sie? Es gibt überhaupt keinen Grund, warum der Leader innovativer sein muss als der Follower. Ebenso wenig ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ein Leader automatisch bessere Wachstumschancen hat und profitabler ist als ein Follower. Wichtig ist nur, dass Sie sich bewusst für einen Ansatz entscheiden und diesen bei der Führung des Unternehmens konsequent verfolgen.
Der Unternehmer Richard Branson sagte: "Erfolg im Geschäft hängt davon ab, dass Sie Ihre Mitarbeiter motivieren. Es gibt nichts Wichtigeres als das." Würden Sie dem zustimmen?
Die richtige Führung der Mitarbeiter ist entscheidend. Genauso wichtig sind aber auch die Strukturen. Ein Mangel an Strukturen birgt die Gefahr, dass die Mitarbeiter nicht zielgerichtet eingesetzt werden. Das wird dazu führen, dass die Motivation schnell nachlässt. Jack Welch, CEO von General Electric in den 1980er und 1990er Jahren, sagte einmal: "Bevor man eine Führungskraft ist, geht es beim Erfolg darum, sich selbst zu entwickeln.
Wenn Sie eine Führungspersönlichkeit werden, geht es bei Ihrem Erfolg darum, andere wachsen zu lassen." Was halten Sie von dieser Aussage?
Ich würde sagen, dass 'andere wachsen lassen' für alle Managementebenen gilt - hoffentlich hört es nicht beim CEO auf.
Andreas Bodenmann ist Partner bei Deloitte und leitet das Programm 'Best Managed Companies', mit dem private Unternehmen mit herausragenden Managementpraktiken ausgezeichnet werden.