Eine der wichtigsten Fragen bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten ist die Durchsetzung von erwirkten Entscheidungen in anderen Ländern. Während Entscheidungen nationaler Gerichte aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch die letzte Reform der nunmehrigen Brüssel-Ia Verordnung weitgehend innerstaatlichen Entscheidungen gleichgestellt wurden, hinkte die grenzüberschreitende Durchsetzung von Entscheidungen nationaler Gerichte in und aus „Nicht-Mitgliedstaaten“ lange Zeit hinterher. Sofern eine Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nicht durch bilaterale Verträge sichergestellt war, blieb oftmals lediglich die Möglichkeit, zivilrechtliche Streitigkeiten bei internationalen Sachverhalten vor Schiedsgerichten auszutragen, da diese Entscheidungen auf Grundlage des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, das inzwischen 167 Mitgliedsstaaten zählt, praktisch weltweit nach einheitlichen Regeln anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden.
Um diese Lücke zu schließen, wurde nach langen Verhandlungen am 2.7.2019 das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Haager Urteilsübereinkommen - HUÜ) abgeschlossen. Nachdem bis August 2022 Costa Rica, Israel, die Russische Föderation, die Vereinigten Staaten und Uruguay das HUÜ unterzeichnet (bisher allerdings noch nicht ratifiziert) hatten, hat die Europäische Union am 29.8.2022 als erste Vertragspartei ihre Beitrittsurkunde zum HUÜ hinterlegt. Kurz darauf folgte die Ratifizierung des HUÜ durch die Ukraine, sodass das HUÜ am 1.9.2023 in Kraft treten wird.
In den Anwendungsbereich des HUÜ fallen Urteile in Zivil- und Handelssachen sowie sonstige gerichtliche Entscheidungen und Prozessvergleiche, die in einem Vertragsstaat erlassen wurden und in einem anderen Vertragsstaat anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden sollen.
Vom sachlichen Anwendungsbereich ausgenommen sind bestimmte Rechtsgebiete, wie beispielsweise transport- oder familienrechtliche Streitigkeiten oder Streitigkeiten über geistiges Eigentum. Kartellrechtliche Streitigkeiten, insbesondere solche über Kartellschadenersatz, sind vom Übereinkommen umfasst, soweit das kartellrechtswidrige Verhalten und dessen Auswirkungen im Ursprungsland eingetreten sind.
Hinsichtlich des dem anglo-amerikanischen Rechtskreis entspringenden Strafschadenersatz („punitive damages“) sieht das HUÜ vor, dass die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung versagt werden kann, sofern und soweit mit ihr Schadenersatz, einschließlich exemplarischen Schadenersatzes oder Strafschadenersatzes, zugesprochen wird, der eine Partei nicht für einen tatsächlich erlittenen Schaden oder Nachteil entschädigt.
Damit eine gerichtliche Entscheidung im Sinne des HUÜ anerkannt und vollstreckt wird, müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen:
Bei Vorliegen der Voraussetzungen muss der Staat, in dem die Anerkennung und Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidung begehrt wird, die Entscheidung grundsätzlich anerkennen und vollstrecken. Im ersuchten Staat wird keine inhaltliche Prüfung der Entscheidung mehr vorgenommen. Das HUÜ regelt die im ersuchten Staat vorzulegenden Schriftstücke. Ansonsten ist für das Verfahren zur Anerkennung, Vollstreckbarerklärung oder Registrierung zur Vollstreckung sowie für die Vollstreckung der Entscheidung das Recht des ersuchten Staates maßgebend.
Die Anerkennung und Vollstreckung darf nur aus einem der im HUÜ taxativ aufgezählten Gründe versagt werden. Zu diesen Gründen zählen unter anderem:
Das HUÜ hat das Potenzial, die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen zu vereinheitlichen und dadurch für eine maßgebliche Aufwertung staatlicher Urteile zu sorgen. Eine tatsächliche Aufwertung wird daher insbesondere davon abhängen, wie viele Staaten das HUÜ unterzeichnen und ratifizieren. Eine besondere Aufwertung würde das HUÜ durch den Beitritt der Vereinigten Staaten erlangen, die das Übereinkommen zwar bereits im März 2021 unterzeichnet, bisher aber noch nicht ratifiziert haben. Da das Urteilsanerkennungsrecht in den Vereinigten Staaten jedoch in die Kompetenz der Bundesstaaten fällt, wirft dies schwierige Fragen bei der Umsetzung auf, weshalb abzuwarten bleibt, ob mit einem Beitritt überhaupt zu rechnen ist.