Überblick
Aufsichtsratsmitglieder können haftbar gemacht werden, wenn sie ihre Pflichten schuldhaft verletzen und der Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht. Dabei ist ihre Haftung für Schäden der Gesellschaft von jener der Vorstandsmitglieder abzugrenzen, da der Vorstand und der Aufsichtsrat unterschiedlichen Aufgaben- und Verantwortungsbereichen unterliegen. Der OGH hat dies in seiner zuletzt veröffentlichten Entscheidung vom 27.8.2024 (6 Ob 142/23k) bestätigt und hervorgehoben, dass der Aufsichtsrat kein "Supergeschäftsführungsorgan" ist. Für Aufsichtsratsmitglieder gilt daher – im Vergleich zu operativ tätigen Vorstandsmitgliedern – ein anderer, ihrer Funktion entsprechender Sorgfaltsmaßstab.
Aufgaben von Aufsichtsratsmitgliedern
Die Hauptaufgabe der Aufsichtsratsmitglieder liegt in der Überwachung des Vorstands der Gesellschaft. Daneben haben sie den Vorstand bei der Leitung der Gesellschafft und bei Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung zu unterstützen. Laut OGH umfasst das Aufgabengebiet des Aufsichtsrats im Wesentlichen die vergangenheitsbezogene und vorausschauende Überwachung der Geschäftsführung auf ihre Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit sowie die Wahrnehmung besonderer Pflichten in Krisensituationen, wie etwa das Drängen auf die Insolvenzantragstellung durch den Vorstand.
Die Überwachung des Vorstands erfolgt in erster Linie durch die vom Vorstand an den Aufsichtsrat zur Verfügung gestellten Informationen. Daneben besteht für den Vorstand eine Berichtspflicht auf Anforderung des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat darf grundsätzlich auf die ihm erstatteten Informationen vertrauen. Er ist jedoch zur Plausibilitätskontrolle verpflichtet und muss für Aufklärung allfälliger Ungereimtheiten sorgen. Zudem hat der Aufsichtsrat einzuschreiten, wenn Mängel in der Geschäftsführung ersichtlich werden oder der Vorstand ungewöhnlich leichtfertig agiert. Das Ausmaß der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats richtet sich nach der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft und verschärft sich bei einer Krisensituation. Im Konzerngefüge hat der Aufsichtsrat einer Muttergesellschaft auch Entwicklungen in wirtschaftlich relevanten Tochtergesellschaften mitzuverfolgen. Zur umfassenden Aufgabenerfüllung kann der Aufsichtsrat externe Berater hinzuziehen.
Ein weiteres wesentliches Instrument der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats ist die Prüfung des Jahresabschlusses der Gesellschaft. Der Aufsichtsrat ist verpflichtet, den Prüfungsgegenstand auf Grundlage des Prüfberichts eigenständig kritisch zu würdigen und im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung zu hinterfragen. Ergeben sich hierbei Hinweise auf Mängel in der Abschlussprüfung oder der Rechnungslegung, hat der Aufsichtsrat dem nachzugehen – etwa durch gezielte Nachfragen bei Vorstand und Abschlussprüfer:in, durch Vorhalte oder durch das Bestehen auf weitergehende Aufklärung und Ergänzung.
Der Aufsichtsrat hat den Vorstand nicht nur zu überwachen, sondern ihn auch bei der Leitung der Gesellschaft sowie bei Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung zu unterstützen. Nach § 95 Abs 5 AktG sowie gegebenenfalls ergänzenden Regelungen in der Geschäftsordnung des Vorstands bedürfen bestimmte Geschäfte der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats.
Haftung des Aufsichtsrats
Die Haftung eines Aufsichtsratsmitglieds setzt – wie jeder Schadenersatzanspruch – das Vorliegen eines Schadens voraus, der rechtswidrig und schuldhaft verursacht wurde. Es ist somit zu beurteilen, ob das betreffende Aufsichtsratsmitglied schuldhaft pflichtwidrig gehandelt hat und ob zwischen dieser Pflichtverletzung und dem entstandenen Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Haben mehrere Aufsichtsratsmitglieder in rechtswidriger und schuldhafter Weise gehandelt, haften sie grundsätzlich solidarisch für den eingetretenen Schaden der Gesellschaft.
Der OGH hat klargestellt, dass der Sorgfaltsmaßstab für das Verschulden eines Aufsichtsratsmitglieds die Sorgfalt eines „ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds“ (aber eben nicht allgemein die eines gewissenhaften Unternehmers) ist und hat betont, dass sich dieser Maßstab klar vom Maßstab für Vorstandsmitglieder unterscheidet. Nach der Rechtsprechung des OGH haftet ein Aufsichtsratsmitglied bei einem Verstoß gegen jene Sorgfalt, die von einem ordentlichen Aufsichtsratsmitglied unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls zu erwarten ist. Dabei wird vorausgesetzt, dass Aufsichtsratsmitglieder über ein überdurchschnittliches Maß an geschäftlicher und finanzieller Erfahrung verfügen, schwierige rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhänge erkennen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft beurteilen können. Nicht vorausgesetzt werden jedoch außergewöhnliche Fähigkeiten oder außergewöhnlicher Fleiß. Es ist also zu prüfen, wie sich ein „ordentliches und gewissenhaftes Aufsichtsratsmitglied“ im konkreten Fall verhalten hätte. Hätte dieses ein Verhalten gesetzt, wodurch kein Schaden entstanden wäre, dann wird eine Haftung in der Regel zu bejahen sein. Welche Handlungen ein Aufsichtsratsmitglied im konkreten Fall hätte vornehmen oder unterlassen müssen, bestimmt sich nach den üblichen Maßstäben des redlichen Verkehrs unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse der Gesellschaft (z. B. Größe, eingesetztes Vermögen, Art des Gesellschaftszwecks, wirtschaftliche Lage). Ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht ist stets aus einer ex-ante-Perspektive zu beurteilen.
Die Mitglieder des Aufsichtsrats können ihre Sorgfaltspflichten bei der Genehmigung zustimmungspflichtiger Geschäfte, im Rahmen der Überwachung des Vorstands und der Gesellschaft sowie bei der Überwachung während einer Unternehmenskrise verletzen. Im letztgenannten Fall kann eine Sorgfaltswidrigkeit vorliegen, wenn der Aufsichtsrat im Falle einer Insolvenz untätig bleibt, nicht auf die Einleitung des Insolvenzantrags durch den Vorstand drängt und dadurch der Gesellschaft ein Schaden entsteht.
Eine Haftung entsteht jedoch nur, wenn das sorgfaltswidrige Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds kausal für den Schaden war. Laut OGH spielt dabei auch der zeitliche Verlauf der Ereignisse eine Rolle: Wird ein Problem erst erkannt, wenn der Schaden bereits nicht mehr abwendbar ist, fehlt es an der Kausalität, sodass keine Haftung besteht.
Fazit
In der Entscheidung zu 6 Ob 142/23k hat der OGH deutlich die Aufgaben und Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder von jenen der Vorstandsmitglieder abgegrenzt und klargestellt, dass der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab für den Aufsichtsrat klar von jenem des Vorstands zu unterscheiden ist. Sorgfaltsmaßstab für das Verschulden eines Aufsichtsratsmitglieds ist die Sorgfalt eines „ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds“. Eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder kann begründet werden, wenn sie ihre Pflichten rechtswidrig und schuldhaft verletzen und dadurch der Gesellschaft ein Schaden entsteht, der kausal auf ihr Verhalten zurückzuführen ist.