Überblick
In seiner Erkenntnis vom 14.1.2025 (RV/3100842/2018) beschäftigte sich das BFG mit der Frage, ob ein ausländischer Arbeitgeber auch ohne inländische Betriebsstätte nach § 82 EStG für Lohnsteuer haften kann – konkret in Verbindung mit § 5 Abs 3 der DBA-Entlastungsverordnung (in der damals geltenden Fassung). Ausgangspunkt war die Personalgestellung durch eine britische Limited an ihre österreichische Tochtergesellschaft.
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin (Bf) ist eine britische Reiseveranstalterin in der Rechtsform einer Limited mit Sitz in London, die ihrer österreichischen Tochtergesellschaft im Rahmen einer Personalgestellung Arbeitskräfte überließ. Im Zuge einer gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben erließ das Finanzamt Haftungsbescheide sowie Bescheide über die Festsetzung von Säumniszuschlägen. Die Bf wurde dabei als Arbeitgeberin für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer herangezogen.
Im Rahmen ihrer Beschwerde führte die Bf aus, dass sie in Österreich weder eine Geschäftsleitung noch eine Betriebsstätte unterhielt. Ihre Tätigkeit beschränkte sich auf den Verkauf von Pauschalreisen nach Österreich, hauptsächlich an britische Touristen. Das überlassene Personal war lediglich saisonal – von Dezember bis April – in Österreich tätig und blieb jeweils unter der 183-Tage-Grenze, weshalb es der beschränkten Steuerpflicht unterlag.
Trotz des Fehlens einer Betriebsstätte führte die Bf - gestützt auf die damalige Verwaltungspraxis - auf freiwilliger Basis eine Lohnverrechnung durch, worüber das Finanzamt schriftlich informiert wurde.
Zusätzlich stellte die Bf Anträge auf Entlastung an der Quelle gemäß § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung, woraufhin Befreiungsbescheide ergingen. Diese Bescheide enthielten jedoch keinen ausdrücklichen Hinweis auf eine Haftung nach § 82 EStG. Das Finanzamt ging dennoch von einer solchen Haftung aus.
Die Beschwerde gegen die Haftungsbescheide wurde zunächst abgewiesen. Die Bf beantragte daraufhin die Vorlage an das BFG.
Entscheidung
Das BFG stellte klar: Da im maßgeblichen Zeitraum keine inländische Betriebsstätte der Bf vorlag, bestand keine gesetzliche Grundlage für einen Lohnsteuerabzug. Ein freiwilliger Lohnsteuerabzug mag zwar nach damaliger Verwaltungspraxis möglich gewesen sein, eine gesetzliche Verankerung dafür wurde jedoch erst ab 2019 mit der Änderung des § 47 EStG geschaffen.
Ohne Betriebsstätte bestehen daher weder Einbehaltungs- noch Abfuhrpflichten – und somit auch keine Haftung nach § 82 EStG. Die DBA-Entlastungsverordnung schafft keine zusätzlichen Verpflichtungen, sondern lediglich eine Option, die keine Auswirkungen auf die materiellen Voraussetzungen der Lohnsteuerpflicht hat.
Auch laut BMF-Erlass vom 10.3.2006 ist vorgesehen, dass ein ausländischer Arbeitgeber ein Finanzamt für die lohnsteuerliche Überwachung auswählen kann. Daraus folgt jedoch weder eine Verpflichtung zur Erfüllung lohnsteuerlicher Pflichten noch eine Haftung gemäß § 82 EStG.
Da die Befreiungsbescheide keine ausdrückliche Haftungsverpflichtung enthielten und keine Betriebsstätte gegeben war, konnte die Bf nicht zur Haftung herangezogen werden.
Mangels höchstgerichtlicher Judikatur zur Frage, ob eine Haftung nach § 82 EStG iVm § 5 Abs 3 DBA-Entlastungsverordnung auch ohne inländische Betriebsstätte möglich ist, erklärte das BFG die ordentliche Revision für zulässig. Die Finanzverwaltung hat entsprechend eine Amtsrevision eingebracht, über die zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht entschieden wurde.
Fazit
Das BFG bestätigt: Die DBA-Entlastungsverordnung konnte das nationale Steuerrecht nicht erweitern oder eine Haftung nach § 82 EStG begründen, wenn keine inländische Betriebsstätte besteht. Bis zur Änderung des § 47 EStG 2019 war eine solche Betriebsstätte Voraussetzung für die Lohnsteuerpflicht.
Aus heutiger Sicht ist besonders relevant, dass das BFG-Erkenntnis zur alten Rechtslage ergangen ist – die DBA-Entlastungsverordnung ist mittlerweile auf Arbeitskräftegestellung nicht mehr anwendbar. Stattdessen gilt nun die Verordnung zur Abzugssteuerentlastung bei Arbeitskräftegestellung, die in § 3 Abs 2 Z 2 lit b hinsichtlich der Überlassung von Arbeitern sowie der gewerblichen Arbeitskräfteüberlassung nunmehr ausdrücklich verlangt, dass „das ausländische Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen die Pflichten des Arbeitgebers im Sinne des § 82 EStG 1988 wahrnimmt“.
Offen bleibt jedoch die Frage, ob sich aus dieser neuen Regelung eine Haftung auch ohne inländische Betriebsstätte ergibt – oder ob die Rechtsprechung des BFG zur alten Rechtslage auch unter der neuen Verordnung weiterhin Bedeutung hat. Die Klarstellung dieser Frage bleibt der zukünftigen Judikatur vorbehalten.