In der Praxis wird oftmals erst dann erkannt, dass Abgaben unrechtmäßig vorgeschrieben wurden, wenn der Abgabenbescheid bereits rechtskräftig ist. In diesen Fällen sind die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten, den rechtswidrigen Bescheid zugunsten des:der Abgabepflichtigen abzuändern, beschränkt. Ein Verfahrenstitel, welcher diese unbillige Abgabeneinhebung bereinigen könnte, ist ein Antrag auf Abgabennachsicht. In einer jüngst ergangenen Entscheidung stellte der VwGH (28.7.2022, Ra 2022/13/0016-6) allerdings klar, dass rechtswidrige Abgabenfestsetzungen sowie Judikaturänderungen per se noch keine Unbilligkeit darstellen, die eine Abgabennachsicht zulassen, sondern vielmehr besondere Umstände hinzutreten müssen.
Dem Revisionsverfahren zur Abgabennachsicht war die Frage vorausgegangen, ob die Überlagerung von Abfällen der ALSAG-Beitragspflicht unterliegt. Nach der damaligen Rsp des VwGH war auch eine Überlagerung beitragspflichtig. Nach einigen Jahren änderte der VwGH jedoch seine Rsp und verneinte eine Beitragspflicht in derartigen Fällen. Aus diesem Grund beantragte die Partei die Nachsicht der entrichteten ALSAG-Beiträge, zumal sich aufgrund der Judikatur-Änderung herausstellte, dass diese zu Unrecht festgesetzt wurden. Im Beschwerdeverfahren folgte das BFG dem Vorbringen der Partei, erkannte eine die Abgabennachsicht begründende Unbilligkeit und gewährte die Nachsicht der entrichteten ALSAG-Beträge. Als Gründe für das Vorliegen einer unbilligen Abgabeneinhebung wurden die neue Rsp, die keine Beitragspflicht in Überlagerungsfällen vorsieht, die Höhe der Altlastenbeträge sowie der Umstand, dass von der Partei Rechtsmittel gegen den Abgaben- und Feststellungsbescheid erhoben wurden, festgehalten.
Das Zollamt erhob allerdings gegen das im Nachsichtsverfahren stattgebende BFG-Erkenntnis eine ao Amtsrevision, zumal es die Ansicht vertrat, dass eine Abgabennachsicht nicht bloß aufgrund einer Judikatur-Änderung erfolgen kann.
Der VwGH gelangte zum Ergebnis, dass keine Unbilligkeit vorliege, die eine Abgabennachsicht rechtfertige, zumal ein Abgehen von seiner bisherigen Rsp (bei unveränderter Rechtslage) nicht dazu führe, dass sämtliche auf der bisherigen Rechtslage und Rsp beruhenden Abgabenvorschreibungen als unbillig anzusehen wären. Vielmehr stand die Vorschreibung der ALSAG-Beträge im Einklang mit der damaligen Rsp des VwGH, zumal diese keine Befreiung von der Beitragspflicht bei Überlagerungen von Abfällen vorsah. Der bloße Einwand der Partei, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, ihr Verhalten auf diese (damalige) Rechtsansicht auszurichten, zeigt noch keinen besonderen Umstand auf, der eine Unbilligkeit begründen würde. Eine unbillige Abgabenvorschreibung würde etwa dann vorliegen, wenn die Partei zu dieser Rechtsfrage eine Rechtsauskunft bei der zuständigen Behörde eingeholt hätte, was jedoch gegenständlich nicht erfolgte.
Rechtswidrige Abgabenfestsetzungen sowie Judikatur-Änderungen begründen nur dann eine sachliche Unbilligkeit, wenn besondere Umstände hinzutreten, die eine Abgabenvorschreibung als unbillig erachten lassen. Besonderes Augenmerk ist dabei auf das Einholen von Rechtsauskünften bei der zuständigen Behörde zu legen, zumal derartige Behördenauskünfte einen Treu-und-Glauben-Schutz entfalten und eine sachliche Unbilligkeit darstellen können. Weiters wäre eine Nachsicht dann erfolgversprechend, wenn im Vertrauen auf die bisherige Judikatur gehandelt wurde, und diese Judikatur im Nachhinein zum Nachteil (!) des:der Abgabepflichtigen geändert wird (hier lag jedoch ein umgekehrter Fall vor, sodass der Abgabepflichtige nie auf eine Steuerfreiheit vertrauen konnte).