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Aufkommende Nachhaltigkeitsverpflichtungen in der EU und ihre Auswirkungen auf die Schweizer (und internationale) Wirtschaft.

Teil I: Anforderungen an die Nachhaltigkeitsprüfung in der Lieferkette

Mit der Ablehnung der Konzernverantwortungsinitiative (RBI) im November 2020 hat sich die Schweiz gegen umfassende menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten für multinationale Unternehmen mit Sitz in der Schweiz entschieden. Damit trat der indirekte Gegenvorschlag am 1. Januar 2022 mit der Verordnung über die Sorgfaltspflicht und Transparenz in Bezug auf Mineralien und Metalle aus konfliktbetroffenen Gebieten und Kinderarbeit in Kraft. Der Gegenvorschlag sieht solche Anforderungen nur für grössere Unternehmen vor, die mit Konfliktmineralien arbeiten oder bei denen die Gefahr besteht, dass sie in den Beschaffungsländern Kinderarbeit einsetzen. Angesichts der rechtlichen Entwicklungen in den Nachbarländern und in der EU könnten jedoch bald viel mehr Schweizer Unternehmen, auch aus anderen Sektoren, unter Druck geraten, entlang ihrer Wertschöpfungsketten eine Sorgfaltsprüfung in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt durchzuführen.

Am 23. Februar 2022 hat die Europäische Kommission ihren lang erwarteten Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit (nachfolgend "Richtlinie") veröffentlicht. Während mehrere Ausschüsse des Europäischen Parlaments (EP) bereits Entwürfe für Stellungnahmen veröffentlicht haben, versuchen die Mitgliedstaaten noch immer, eine gemeinsame Verhandlungsposition zu finden. Es kann daher sein, dass wir die endgültige Fassung des Gesetzes erst Ende nächsten Jahres (2024) sehen werden. Aber die allgemeine Erwartungshaltung gegenüber Unternehmen ist bereits heute klar.

Nach dem Entwurf der EU-Richtlinie wird von Unternehmen ab einer bestimmten Grösse erwartet, dass sie angemessene Schritte zur Umsetzung von Sorgfaltspflichten ergreifen, um negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu verhindern oder zu minimieren. Die Verpflichtung würde für ihre eigenen Geschäfte, die Geschäfte ihrer Tochtergesellschaften und die Geschäfte in der Wertschöpfungskette gelten, die von Unternehmen durchgeführt werden, mit denen das Unternehmen eine Geschäftsbeziehung unterhält. Etablierte Geschäftsbeziehungen sind definiert als dauerhafte Beziehungen, die keinen unbedeutenden oder lediglich untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellen.

Die Richtlinie würde für alle Sektoren gelten und deckt eine breite Palette von Menschenrechts- und Umweltkonventionen ab (siehe Anhang der Richtlinie).

Interessanterweise verlangt der Richtlinienentwurf von den betroffenen Unternehmen auch die Annahme eines Plans, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C im Einklang mit dem Pariser Abkommen vereinbar sind.

In den letzten Jahren haben eine Reihe europäischer Länder auf nationaler Ebene verbindliche Rechtsvorschriften zur Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte (HRDD) verabschiedet oder angekündigt.

Frankreich gehörte 2017 zu den ersten Ländern, die das Gesetz "Duty of Vigilance" verabschiedet haben, das branchenübergreifend für grosse in Frankreich tätige Unternehmen gilt. Das Gesetz verpflichtet die betroffenen Unternehmen, entlang ihrer Lieferkette eine Sorgfaltspflicht für ein breites Spektrum von Rechten einzuhalten, von Menschenrechten und Grundfreiheiten bis hin zu schweren Körperverletzungen oder Umweltschäden und Gesundheitsrisiken.

Im vergangenen Jahr haben Deutschland und Norwegen nachgezogen und ähnlich umfassende Gesetze verabschiedet (das deutsche Lieferkettengesetz und das norwegische Transparenzgesetz).

Im Dezember letzten Jahres kündigten die Niederlande an, dass sie nach wiederholten Verzögerungen bei der Freigabe des Entwurfs der EU-Kommission ihre eigene nationale Gesetzgebung

zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen ausarbeiten würden. Spanien schliesslich hat einen Gesetzesentwurf zum Schutz der Menschenrechte, zur Nachhaltigkeit und zur Sorgfaltspflicht bei transnationalen

Geschäftstätigkeiten auf den Weg gebracht. Wie die Schweiz haben mehrere Länder auch engere Formen von HRDD-Vorschriften verabschiedet. Diese sind spezifisch für einige der schwersten Menschenrechtsverletzungen, wie moderne Sklaverei und Kinderarbeit, oder gelten nur für Unternehmen in Hochrisikosektoren. Beispiele sind der Modern Slavery Act in Grossbritannien oder die EU Conflict Mineral Regulation.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie Schweizer Unternehmen von dem Entwurf der EU-Richtlinie in ihrer aktuellen Fassung und ähnlichen HRDD-Gesetzen in Europa betroffen sein können:

  1. Direkte Verpflichtungen: Ausländische Unternehmen können direkt in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, wenn sie eine territoriale Verbindung zu der Gerichtsbarkeit haben, indem sie dort in erheblichem Umfang tätig sind.
  2. Indirekte Verpflichtungen: Verpflichtungen können von ihren Kunden, die in den Geltungsbereich des Gesetzes fallen, an ausländische Lieferanten weitergegeben werden.

Direkte Verpflichtungen

Nach Schätzungen der EU-Kommission wären rund 13.000 EU- und 4.000 Nicht-EU-Unternehmen von der Verordnung betroffen.

Anders als für lokal niedergelassene Unternehmen legt der Entwurf der EU-Richtlinie keinen Schwellenwert für die Zahl der Beschäftigten fest, ab dem Unternehmen aus Drittländern in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Stattdessen wird ein Umsatzkriterium verwendet. Diesem Kriterium zufolge sollte die Richtlinie für Unternehmen aus Drittländern gelten, wenn eine der beiden Bedingungen erfüllt ist:

  • a) Sie haben in dem dem letzten Geschäftsjahr vorangegangenen Geschäftsjahr in der EU einen Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. EUR erzielt,
  • b) in dem dem letzten Geschäftsjahr vorangegangenen Geschäftsjahr in der EU einen Nettoumsatz von mehr als 40 Mio. EUR erwirtschaftet haben, vorausgesetzt, dass mindestens 50 % ihres weltweiten Nettoumsatzes in einem oder mehreren der Sektoren erwirtschaftet wurden, die als Sektoren mit hoher Auswirkung definiert sind.

Die Definition der stark betroffenen Sektoren umfasst die Landwirtschaft, die Textilindustrie sowie die mineralgewinnenden Industrien, einschliesslich der Herstellung und des Grosshandels damit verbundener Waren (siehe Art. 2 Absatz 1 (b) für eine genauere Beschreibung).

Die Methoden zur Berechnung des Nettoumsatzes für Nicht-EU-Unternehmen in der EU sind in Directive (EU) 2013/34 in der Fassung von Directive (EU) 2021/2101 festgelegt.

Das deutsche Lieferkettengesetz wird ab dem 1. Januar 2023 für ausländische Unternehmen gelten, wenn sie eine Niederlassung in Deutschland haben und mindestens 3.000 Mitarbeiter in Deutschland beschäftigen. Ab dem 1. Januar 2024 wird der Schwellenwert auf 1.000 Beschäftigte gesenkt. Anders als die EU-Richtlinie berechnet das Lieferkettengesetz den Schwellenwert mit der Anzahl der Mitarbeiter und nicht mit Vollzeitäquivalenten (FTEs).

Indirekte Verpflichtungen

Der Entwurf der EU-Richtlinie verlangt von Unternehmen, die in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, vertragliche Zusicherungen von ihren direkten Geschäftspartnern einzuholen. Diese Zusicherungen sollen die Geschäftspartner dazu verpflichten, den Verhaltenskodex und die Präventivmassnahmen des Unternehmens und, falls es dazu kommt, den Plan für Abhilfemassnahmen einzuhalten.

Das Gleiche wird von Unternehmen, die unter das deutsche Lieferkettengesetz fallen, in Bezug auf ihre direkten Lieferanten erwartet. Wenn diese Lieferanten mit einem von dem Gesetz betroffenen Unternehmen Geschäfte machen möchten, müssen sie sich vertraglich verpflichten, die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Erwartungen des Unternehmens einzuhalten und die Umsetzung entlang ihrer Lieferkette sicherzustellen.

Die vertraglichen Zusicherungen müssen von geeigneten Kontrollmechanismen begleitet werden, um die Einhaltung der Erwartungen der Unternehmen zu überprüfen. Dies kann unter anderem Verifizierungen/Audits durch Dritte, Schulungen oder Unterstützung bei der Umsetzung für KMU umfassen.

Die Unternehmen, die in den Geltungsbereich der Gesetze fallen, sind aufgefordert, ihren Geschäftspartnern gegenüber genaue Erwartungen zu äussern. Dabei kann man davon ausgehen, dass die Unternehmen die in dem jeweiligen Gesetz formulierten Verpflichtungen und Mechanismen genau befolgen werden. Dadurch können die Bestimmungen des Gesetzes letztlich auch für Unternehmen relevant werden, die nicht direkte Adressaten des Gesetzes sind.

Kurz gesagt, alle Nicht-EU-Unternehmen, die nachgelagerte Geschäftsbeziehungen in die EU unterhalten, wären davon betroffen.

Die einzelnen HRDD-Gesetze unterscheiden sich in mehreren Aspekten: z.B. Haftung und Strafen, sachlicher Geltungsbereich, persönlicher Geltungsbereich, wie weit die Verantwortung der Unternehmen entlang der Lieferkette reicht und welche Geschäftsbeziehungen berücksichtigt werden müssen usw.

Alle Vorschriften sehen jedoch eine HRDD-Verpflichtung vor, und die erforderlichen Elemente dieser HRDD sind in allen Gesetzen vergleichbar. Sie basieren auf internationalen Standards wie den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitlinien für verantwortungsvolles Geschäftsgebaren sowie auf spezifischen sektoralen OECD-Leitlinien.

Die Sorgfaltspflicht beschreibt einen risikobasierten und dynamischen Prozess mit klaren Verantwortlichkeiten und Zielen, der potenziell nachteilige Auswirkungen identifiziert, bewertet, verhindert und laufend abmildert - unter Berücksichtigung der eigenen Geschäftstätigkeit, der Lieferkette und anderer Geschäftsbeziehungen des Unternehmens.

Der allgemeine Sorgfaltspflichtrahmen der OECD lässt sich in den folgenden sechs Elementen zusammenfassen:

  1.  Verankerung der Sorgfaltspflicht in den Richtlinien und im Managementsystem, einschliesslich des Nachhaltigkeitsleitbildes
  2. Identifizierung tatsächlicher oder potenzieller negativer Auswirkungen. Beschwerdemechanismus implementieren
  3. Potenzielle oder tatsächliche nachteilige Auswirkungen unterbinden, verhindern oder abmildern; Kontrollen implementieren
  4.  Die Umsetzung und Wirksamkeit der Sorgfaltspflichtregeln und -massnahmen überwachenDokumentieren
  5. und kommunizieren Sie relevante Informationen über das Sorgfaltspflichtsprogramm und darüber, wie tatsächliche oder potenzielle nachteilige Auswirkungen angegangen werdenBieten Sie
  6. Abhilfe bei nachteiligen Auswirkungenanoder kooperieren Sie dabei.

Mit einer umfassenden und branchenspezifischen Anwendung des Sorgfaltspflichtrahmens und der Richtlinien der UN und der OECD können Unternehmen ihrer direkten und indirekten Verantwortung im Rahmen der verschiedenen Gesetze gerecht werden.

Neben den obligatorischen HRDD-Vorschriften verlangen auch andere Vorschriften im Bereich der Nachhaltigkeit von den Unternehmen eine Sorgfaltspflicht, die auf ähnlichen Elementen beruht wie die oben beschriebenen.

Ein Beispiel ist der Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung über entwaldungsfreie Produkte, die nach ihrer formellen Annahme durch das Europäische Parlament und den Rat in Kraft treten wird. Die Verordnung sieht vor, dass relevante Rohstoffe - Rinder, Kakao, Kaffee, Palmöl, Soja und Holz - und daraus hergestellte Produkte nur dann in der EU in Verkehr gebracht oder zur Verfügung gestellt oder aus der EU exportiert werden dürfen, wenn bestimmte Kriterien kumulativ erfüllt sind. Eines der Kriterien ist, dass die Rohstoffe und Produkte durch eine Sorgfaltserklärung abgedeckt sind.

Ein weiteres Beispiel ist der Vorschlag der EU-Kommission proposal für eine Verordnung zum Verbot von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, auf dem EU-Markt ab September 2022. In seiner jetzigen Fassung bezieht sich der Vorschlag auf alle Produkte, einschliesslich der in der EU für den Inlandsverbrauch und den Export hergestellten Produkte, sowie auf importierte Waren, ohne auf bestimmte Unternehmen oder Branchen abzuzielen. Falls es begründete Bedenken wegen Zwangsarbeit in der Wertschöpfungskette eines Wirtschaftsbeteiligten gibt, würde der Vorschlag die benannten zuständigen Behörden in die Lage versetzen, ein Einfuhrverbot für die entsprechenden Produkte an der EU-Grenze zu verhängen, und die nationalen Regierungen könnten Produkte, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, vom EU-Markt nehmen. Bei einer dem Verbot vorausgehenden Prüfung könnten die Wirtschaftsbeteiligten nachweisen, dass die Bedenken nicht begründet sind, indem sie eine solide Sorgfaltsprüfung in Bezug auf Zwangsarbeit durchführen.

Die Ansicht von Deloitte


Die EU-Richtlinie, wie sie im aktuellen Entwurf vorgesehen ist, und ähnliche umfassende HRDD-Initiativen in anderen europäischen Staaten sind für die meisten Schweizer Unternehmen möglicherweise nicht direkt anwendbar. Wenn sie jedoch ihren europäischen Geschäftspartnern gegenüber keine angemessenen Sorgfaltspflichten nachweisen können, könnte dies letztlich ein komparativer Nachteil für exportorientierte Schweizer Unternehmen sein. Wir empfehlen diesen Unternehmen, die Entwicklungen auf internationaler Ebene zu verfolgen und ihr direktes rechtliches Risiko sowie ihr indirektes Risiko, das sich aus nachgelagerten Geschäftsbeziehungen ergibt, zu analysieren.

Angesichts der neuen Entwicklungen in der Schweiz in Bezug auf die nicht-finanziellen Berichtspflichten sollten Schweizer Unternehmen ausserdem wachsam sein, was die regulatorischen Änderungen auf nationaler und EU-Ebene betrifft. Die Unternehmen sollten prüfen, ob sie die Risiken im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit hinreichend verstehen und inwieweit sie bereit sind, die neuen Berichtspflichten zu integrieren. Es sollten ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, um die Schweizer und EU-Standards einzuhalten.

Abschliessend ist anzumerken, dass die genannten Leitlinien und Rahmenwerke unabhängig von rechtlichen, Compliance- und geschäftlichen Erwägungen ein hilfreiches Instrument für Unternehmen sind, um mehr Kontrolle über ihre Risiken in der Lieferkette zu erlangen und sicherzustellen, dass ihre Geschäftsaktivitäten nicht zu Menschenrechtsverletzungen in der vorgelagerten Lieferkette führen oder die Umwelt schädigen.

Nachhaltigkeit ist wie ein zweischneidiges Schwert. Die Aktivitäten eines Unternehmens entlang seiner globalen Lieferkette werden von der Öffentlichkeit immer genauer unter die Lupe genommen, und die Einhaltung von ESG-Vorschriften (Umwelt/Soziales/Governance) entwickelt sich zu einem komplexen und anspruchsvollen regulatorischen Umfeld, das es zu meistern gilt. Eine mangelnde Vorbereitung auf die gesetzlichen Bestimmungen und ein unzureichendes Management der Berichterstattungssysteme können schwerwiegende finanzielle und geschäftliche Folgen haben. Andererseits können Unternehmen diese Dynamik nutzen, um ihre Wettbewerbsposition zu verbessern, indem sie sich besser auf die Einhaltung der Vorschriften vorbereiten, effektive Prozesse einrichten und eine transparente Kommunikation mit Investoren und Verbrauchern sicherstellen. Durch eine umfassende Nachhaltigkeitsplanung und intelligente Berichterstattung können Unternehmen auf dem globalen Markt die Nase vorn haben.

Die Autoren: Philipp Weber-Lortsch und Gina Rüegg

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